Ich hatte mich viel früher mit Gandhi beschäftigt, als nämlich der Film über Gandhis Leben mit Ben Kingsley 2002in den Kinos lief, just als ich Abitur machte. Ich war tief beeindruckt, wie ein einzelner Mensch diese Autorität und Macht gerade in seiner schlichten und gewaltlosen Art und Weise
entfalten konnte. Damals hatte ich „Handeln aus dem Geist" gelesen, eine von den Sartorys herausgegebene…mehrIch hatte mich viel früher mit Gandhi beschäftigt, als nämlich der Film über Gandhis Leben mit Ben Kingsley 2002in den Kinos lief, just als ich Abitur machte. Ich war tief beeindruckt, wie ein einzelner Mensch diese Autorität und Macht gerade in seiner schlichten und gewaltlosen Art und Weise entfalten konnte. Damals hatte ich „Handeln aus dem Geist" gelesen, eine von den Sartorys herausgegebene Zusammenstellung seiner Gedanken im Herder-Verlag und anschließend nur kurz mit der Autobiografie begonnen.
Jetzt hatte ich wieder zu ihr gegriffen anlässlich der Beschäftigung mit Martin Luther King, der ein Bewunderer Gandhis war und viele seiner Methoden des gewaltlosen Widerstands und der Non-Cooperation von Gandhi übernommen hatte.
Der Untertitel „Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit" mag erstaunen, denn wie soll man mit Wahrheit experimentieren? Aber beim Lesen bemerkt man eindrücklich, was gemeint ist: es ist das unbedingte Offen-Sein für Begegnungen mit den Ansichten anderer Menschen, Religionen und mit dem eigenen Geist. Auf diese Weise kommt der Mensch Gandhi früh mit anderen Glaubensrichtungen zusammen, erkennt die Relativität von menschlichen Meinungen und bastelt sich auf diese Weise ein eigenes Gottesbild: er huldigt dem Gott der Wahrheit, zwar in seiner angestammten Hindu-Religion, doch zugleich kritisch gegenüber allen Auswüchsen eines menschenunfreundlichen Kastenwesens. Früh schon kommt er mit Christen und Moslems in Südafrika als Anwalt zusammen, in Indien setzt er seine praktische Nicht-Anerkennung der Kasten fort, indem er Unberührbare in seinen Ashram aufnimmt, selbst Aborte reinigt und sich um Aussätzige pflegerisch kümmert.
Das Erstaunliche an Gandhi ist, wie er um das Durchsetzen der Wahrheit bemüht ist, etwa beim Kampf für die indischen Bauern, denen Unrecht widerfuhr, indem er stets nicht nur die Niedergeworfenen, sondern auch die gegnerische Partei besucht und sich deren Ansichten zur Sache aneignet. Indem beide sich solcherart ernst genommen wissen, kann viel eher ein Kompromiß in der Auseinandersetzung erreicht werden. Das hat Gandhi bereits früh in seiner Anwaltstätigkeit in Südafrika erkannt und setzt es später in viel größerem Rahmen in Indien um.
Die Autobiografie endet mit Gandhis Eintritt in den Indischen Nationalkongreß (INC) im Jahre 1921. Sie ist absolut lesenswert, vielleicht auch gerade wegen zum Teil schrulliger und detailreicher Diät- und Fastenschilderungen, die er immer wider veranstaltete und die er später - als er bereits der verehrte Mahatma war - als nicht unwichtige Waffe in verfahrene politische Auseineinandersetzungen einbrachte. Gerade auch die offenen Selbstbekenntnisse zu Fehlern und Problematischem lassen ihn als den großen Wahrheitssucher sympathisch aufstrahlen