Digitale Maschinen wie selbstfahrende Autos, Drohnen oder 3D-Drucker sind jetzt schon schlauer, besser und schneller, als man es je für möglich gehalten hätte. Onlineplattformen ändern das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und bringen neue Marktführer hervor – in der Musikindustrie, beim Personentransport, bei Computerhardware oder beim Fitnesstraining. Crowds haben bereits Betriebssysteme und Lexika geschaffen, finanzierten unendlich viele Projekte und haben sogar das Geld neu erfunden. Dieses Buch ist voller Science-Fiction-Technologien, die real geworden sind, und voller Start-ups, die Weltkonzerne wurden. Es zeigt die fundamentalen Prinzipien, die sich hinter all der Innovation und Disruption verbergen und die von intelligenten Organisationen rund um die Welt genutzt werden. Ein Wegweiser von heute für den Weg in die Welt von morgen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2018Plattformökonomie
Ein neues Buch von Brynjolfsson & McAfee
Alle Welt redet von Digitalisierung und Vernetzung, die nicht nur die Wirtschaft, sondern nahezu alle Lebensbereiche immer stärker durchdringen. Dabei tritt hierzulande schmerzlich zutage, dass es trotz der gut gemeinten Ankündigungen der Politik etwa hinsichtlich schnellerer und leistungsfähiger Netze in unserem Lande an einer in sich schlüssigen, zukunftsweisenden Digitalstrategie fehlt. Was bisher diskutiert wird, ist leider nicht mehr als ein Patchwork des digitalen Wandels. Dies liegt unter anderem auch daran, dass Digitalisierung immer noch zu sehr mit der Automatisierung bestehender analoger Prozesse in Wirtschaft und Gesellschaft verwechselt wird. Es wird zu wenig erkannt, dass es eigentlich darum geht, die neuen Digitaltechnologien zu nutzen, um immer mehr Wirtschafts- und Lebensbereiche anders und besser zu gestalten.
Genau hier setzt das vorliegende Werk von zwei renommierten anwendungsorientierten Forschern der MIT Sloan School of Management an. Das Duo Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson hat bereits 2014 Furore gemacht mit dem Bestseller "The Second Machine Age" (F.A.Z. vom 2. November 2015), in dem die rasant wachsende Rechnerkapazität und Big Data als Treiber der digitalen Revolution diskutiert wurden. In der neuen Schrift gehen die beiden MIT-Forscher darüber weit hinaus. Der Untertitel ihres Buches bringt zum Ausdruck, um was es ihnen geht: die erfolgreiche Gestaltung unserer digitalen Zukunft. Ihre Kernfrage lautet daher erfreulicherweise nicht: Was machen die neuen Digitaltechnologien mit uns, und wie müssen wir uns in unser Schicksal fügen? Stattdessen stellen sie die Frage in den Mittelpunkt: Wie können und sollten wir die Digitaltechnologien intelligent einsetzen zur Gestaltung einer (hoffentlich) besseren Welt? Damit treten sie ein in die Reihe der vielen Silicon-Valley-Weltverbesserer.
Die Autoren haben ausgemacht, dass die digitale Revolution nicht nur von der in den letzten Jahren um den Faktor 100 erhöhten Rechner- und Datenverarbeitungskapazität und dem Vormarsch der Künstlichen Intelligenz und des Machine Learning forciert wird, sondern dass zwei mächtige nachhaltige Entwicklungen hinzukommen: die sich immer weiter und schneller ausbreitenden offenen polyvalenten digitalen Plattformen für geschäftliche und private Transaktionen sowie neue Formen der weltweiten virtuellen Zusammenarbeit, die eine Herausbildung von höchst leistungsfähigen Ökosystemen unter Nutzung der Schwarmintelligenz ermöglicht.
Die Konsequenz dieser drei eng zusammenhängenden Entwicklungen im Bereich der Digitaltechnologien seien - so die Erkenntnis der Autoren - neue Symbiosen von Mensch und Maschine, von klassischer Produkt- und moderner Plattformökonomie sowie von organisationsinterner Wertschöpfung und lockerer, virtueller Zusammenarbeit in der Crowd. Nur in diesem hoffentlich harmonischen Dreiklang ließe sich - so die Grundthese der Autoren - die digitale Zukunft gestalten. Entsprechend den drei genannten Entwicklungen ist das Buch aufgebaut. Im ersten Teil geht es um die Suche nach einer effektiven neuen Form der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit.
In diesem Zusammenhang wird kenntnisreich die hochaktuelle Frage diskutiert, wie weit die Künstliche Intelligenz der Maschinen reicht und welche Aufgaben vor diesem Hintergrund in Zukunft noch vom Menschen wahrgenommen werden und welche Robotern übertragen werden. Nach Einschätzung der Autoren sind zu große Befürchtungen hinsichtlich einer digital-technologisch bedingten Arbeitslosigkeit unbegründet: In den Organisationen der Zukunft werden die Menschen nicht überflüssig, allerdings ändern sich ihre Arbeitsinhalte und ihre Rollen im Arbeitsleben. Darauf müssen sich alle einstellen.
Im zweiten, substantiell stärksten Teil des Buches geht es um das Verhältnis von klassischer Produktökonomie und der zurzeit viel diskutierten, aber wenig verstandenen modernen Plattformökonomie. Die Autoren stellen völlig zu Recht die immer mehr an Bedeutung gewinnenden polyvalenten Online-to-Offline-Plattformen, die komplementäre Produkte und Dienstleistungen abdecken und damit die Netzwerkeffekte potenzieren, in den Mittelpunkt ihrer auch mikroökonomisch gut fundierten Analysen. Sie behandeln viele Beispiele aus der Praxis. Virtuelle Plattformen ziehen - so die Autoren - heute sehr stark vor allem in China neue Akteure sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nachfragerseite an. Unter Nutzung von Daten der Anbieter und Nachfrager und von Algorithmen, die im Hintergrund operieren, vermögen sie für einen optimalen, passgenauen Ausgleich von Angebot und Nachfrage zu sorgen.
Im dritten Teil, der noch nicht ganz ausgereift wirkt, geht es den Autoren um das zukünftige Verhältnis von klassischer Wertschöpfung in hierarchisch organisierten Strukturen, dem sogenannten Kerngeschäft, und der Wertschöpfung mit vielen eigenständigen externen Partnern, die eine virtuelle Organisation bilden. Die Virtualisierung unserer Organisationen ist ein Megatrend in der Wirtschaft, der die Unternehmenslandschaft grundlegend verändern wird. Wir stehen hier erst am Anfang.
Das Buch fordert eine neue Orchestrierung der Zusammenarbeit in der Wirtschaft unter Nutzung der Digitaltechnologien. Nur so kann die digitale Zukunft gewonnen werden. Die kenntnisreiche, interessant geschriebene Analyse hat es verdient, intensiv studiert zu werden. IWF-Chefin Christine Lagarde hat das Buch gelesen und wohlwollend kommentiert. Auch der großen Koalition in Berlin und dem Digitalausschuss des Deutschen Bundestages kann das Werk, das in Kürze auch in hoffentlich guter deutscher Übersetzung bei Plassen (Kulmbach) erscheinen wird, zur Lektüre empfohlen werden. Dann würde die Politik vielleicht endlich erkennen, dass es dringend eines ressortübergreifenden Marshall-Plans für die Digitalisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft bedarf.
ROBERT FIETEN
Andrew McAfee; Erik Brynjolfsson: Machine, Platform, Crowd. Harnessing our digital future. W. W. Norton, New York - London 2017, 402 Seiten, 28,95 Dollar
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein neues Buch von Brynjolfsson & McAfee
Alle Welt redet von Digitalisierung und Vernetzung, die nicht nur die Wirtschaft, sondern nahezu alle Lebensbereiche immer stärker durchdringen. Dabei tritt hierzulande schmerzlich zutage, dass es trotz der gut gemeinten Ankündigungen der Politik etwa hinsichtlich schnellerer und leistungsfähiger Netze in unserem Lande an einer in sich schlüssigen, zukunftsweisenden Digitalstrategie fehlt. Was bisher diskutiert wird, ist leider nicht mehr als ein Patchwork des digitalen Wandels. Dies liegt unter anderem auch daran, dass Digitalisierung immer noch zu sehr mit der Automatisierung bestehender analoger Prozesse in Wirtschaft und Gesellschaft verwechselt wird. Es wird zu wenig erkannt, dass es eigentlich darum geht, die neuen Digitaltechnologien zu nutzen, um immer mehr Wirtschafts- und Lebensbereiche anders und besser zu gestalten.
Genau hier setzt das vorliegende Werk von zwei renommierten anwendungsorientierten Forschern der MIT Sloan School of Management an. Das Duo Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson hat bereits 2014 Furore gemacht mit dem Bestseller "The Second Machine Age" (F.A.Z. vom 2. November 2015), in dem die rasant wachsende Rechnerkapazität und Big Data als Treiber der digitalen Revolution diskutiert wurden. In der neuen Schrift gehen die beiden MIT-Forscher darüber weit hinaus. Der Untertitel ihres Buches bringt zum Ausdruck, um was es ihnen geht: die erfolgreiche Gestaltung unserer digitalen Zukunft. Ihre Kernfrage lautet daher erfreulicherweise nicht: Was machen die neuen Digitaltechnologien mit uns, und wie müssen wir uns in unser Schicksal fügen? Stattdessen stellen sie die Frage in den Mittelpunkt: Wie können und sollten wir die Digitaltechnologien intelligent einsetzen zur Gestaltung einer (hoffentlich) besseren Welt? Damit treten sie ein in die Reihe der vielen Silicon-Valley-Weltverbesserer.
Die Autoren haben ausgemacht, dass die digitale Revolution nicht nur von der in den letzten Jahren um den Faktor 100 erhöhten Rechner- und Datenverarbeitungskapazität und dem Vormarsch der Künstlichen Intelligenz und des Machine Learning forciert wird, sondern dass zwei mächtige nachhaltige Entwicklungen hinzukommen: die sich immer weiter und schneller ausbreitenden offenen polyvalenten digitalen Plattformen für geschäftliche und private Transaktionen sowie neue Formen der weltweiten virtuellen Zusammenarbeit, die eine Herausbildung von höchst leistungsfähigen Ökosystemen unter Nutzung der Schwarmintelligenz ermöglicht.
Die Konsequenz dieser drei eng zusammenhängenden Entwicklungen im Bereich der Digitaltechnologien seien - so die Erkenntnis der Autoren - neue Symbiosen von Mensch und Maschine, von klassischer Produkt- und moderner Plattformökonomie sowie von organisationsinterner Wertschöpfung und lockerer, virtueller Zusammenarbeit in der Crowd. Nur in diesem hoffentlich harmonischen Dreiklang ließe sich - so die Grundthese der Autoren - die digitale Zukunft gestalten. Entsprechend den drei genannten Entwicklungen ist das Buch aufgebaut. Im ersten Teil geht es um die Suche nach einer effektiven neuen Form der Mensch-Maschine-Zusammenarbeit.
In diesem Zusammenhang wird kenntnisreich die hochaktuelle Frage diskutiert, wie weit die Künstliche Intelligenz der Maschinen reicht und welche Aufgaben vor diesem Hintergrund in Zukunft noch vom Menschen wahrgenommen werden und welche Robotern übertragen werden. Nach Einschätzung der Autoren sind zu große Befürchtungen hinsichtlich einer digital-technologisch bedingten Arbeitslosigkeit unbegründet: In den Organisationen der Zukunft werden die Menschen nicht überflüssig, allerdings ändern sich ihre Arbeitsinhalte und ihre Rollen im Arbeitsleben. Darauf müssen sich alle einstellen.
Im zweiten, substantiell stärksten Teil des Buches geht es um das Verhältnis von klassischer Produktökonomie und der zurzeit viel diskutierten, aber wenig verstandenen modernen Plattformökonomie. Die Autoren stellen völlig zu Recht die immer mehr an Bedeutung gewinnenden polyvalenten Online-to-Offline-Plattformen, die komplementäre Produkte und Dienstleistungen abdecken und damit die Netzwerkeffekte potenzieren, in den Mittelpunkt ihrer auch mikroökonomisch gut fundierten Analysen. Sie behandeln viele Beispiele aus der Praxis. Virtuelle Plattformen ziehen - so die Autoren - heute sehr stark vor allem in China neue Akteure sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nachfragerseite an. Unter Nutzung von Daten der Anbieter und Nachfrager und von Algorithmen, die im Hintergrund operieren, vermögen sie für einen optimalen, passgenauen Ausgleich von Angebot und Nachfrage zu sorgen.
Im dritten Teil, der noch nicht ganz ausgereift wirkt, geht es den Autoren um das zukünftige Verhältnis von klassischer Wertschöpfung in hierarchisch organisierten Strukturen, dem sogenannten Kerngeschäft, und der Wertschöpfung mit vielen eigenständigen externen Partnern, die eine virtuelle Organisation bilden. Die Virtualisierung unserer Organisationen ist ein Megatrend in der Wirtschaft, der die Unternehmenslandschaft grundlegend verändern wird. Wir stehen hier erst am Anfang.
Das Buch fordert eine neue Orchestrierung der Zusammenarbeit in der Wirtschaft unter Nutzung der Digitaltechnologien. Nur so kann die digitale Zukunft gewonnen werden. Die kenntnisreiche, interessant geschriebene Analyse hat es verdient, intensiv studiert zu werden. IWF-Chefin Christine Lagarde hat das Buch gelesen und wohlwollend kommentiert. Auch der großen Koalition in Berlin und dem Digitalausschuss des Deutschen Bundestages kann das Werk, das in Kürze auch in hoffentlich guter deutscher Übersetzung bei Plassen (Kulmbach) erscheinen wird, zur Lektüre empfohlen werden. Dann würde die Politik vielleicht endlich erkennen, dass es dringend eines ressortübergreifenden Marshall-Plans für die Digitalisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft bedarf.
ROBERT FIETEN
Andrew McAfee; Erik Brynjolfsson: Machine, Platform, Crowd. Harnessing our digital future. W. W. Norton, New York - London 2017, 402 Seiten, 28,95 Dollar
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