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Kein Land setzte im 20. Jahrhundert so vehement auf die künstliche Bewässerung als Mittel zur Ausbreitung staatlicher Herrschaft wie die Sowjetunion. Der Bau von Kanälen und Staudämmen veränderte überall im Land des Sozialismus das Zusammenleben der Menschen, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten und ihren Umgang mit der Natur. Das sowjetische Wasserbauprogramm begann 1920 mit Lenins "Plan zur Elektrifizierung" des Landes und gipfelte 1950 in Stalins "Plan zur Umgestaltung der Natur". Ein entscheidendes Element dieser Umgestaltung war Stalins Projekt der Baumwollautarkie, mit dem die…mehr

Produktbeschreibung
Kein Land setzte im 20. Jahrhundert so vehement auf die künstliche Bewässerung als Mittel zur Ausbreitung staatlicher Herrschaft wie die Sowjetunion. Der Bau von Kanälen und Staudämmen veränderte überall im Land des Sozialismus das Zusammenleben der Menschen, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten und ihren Umgang mit der Natur. Das sowjetische Wasserbauprogramm begann 1920 mit Lenins "Plan zur Elektrifizierung" des Landes und gipfelte 1950 in Stalins "Plan zur Umgestaltung der Natur". Ein entscheidendes Element dieser Umgestaltung war Stalins Projekt der Baumwollautarkie, mit dem die zentralasiatische Peripherie in den Prozess der sowjetischen Staatswerdung integriert werden sollte. Zu diesem Zweck waren neue Grenzen und Institutionen, aber auch die Massenmobilisierung der Bevölkerung und vor allem technisches Know-how notwendig. Mithilfe künstlicher Bewässerung sollte eine industrielle Baumwollproduktion entstehen, um die Sowjetunion vom Import dieses wichtigen Cash Crop unabhängig zu machen. In Stalins Sowjetunion beruhte die Staatswerdung nicht allein auf der Neuordnung der Verhältnisse, ihr leitendes Prinzip war vielmehr das Schaffen von Unordnung. Zudem unter- minierten Willkür, Terror und Chaos jegliche Handlungs- und Erwartungssicherheit. Im sowjetischen Baumwollstaat wurde Unordnung zum zentralen Instrument der Herrschaftssicherung. Gleichzeitig machte sie die größte Schwachstelle der Staatsbildung aus. Paradoxerweise definierte die Macht der Unordnung die Durchsetzungskraft des Staates ebenso wie seine eng gezogenen Handlungsgrenzen.
Autorenporträt
Christian Teichmann, Dr. phil., ist Osteuropahistoriker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hans-Erich Volkmann wird bei der Lektüre von Christian Teichmanns Studie über Stalins Herrschaft in Zentralasien klar, was das "Wegbrechen" der Ukraine als Kornkammer für Russland bedeutet und ebenso, vor welchen wirtschaftlichen Probleme eine Ukraine ohne Russland gestellt ist. Erst Teichmanns Darstellung von Stalins technoökonomischen Strategien lässt vor dem Auge des Rezensenten deutlich werden, wie der Zusammenhalt der Sowjetrepubliken erst in jahrelangen Anstrengungen gelang, gegen die passive Haltung der Landbevölkerung und einheimischer Revolutionäre. Für Volkmann wird das Buch so zur Anregung zum Brückenschlag zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen Revolutions- und Kolonialimperialismus.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2016

Stalins Imperialstaat
Ein halbwegs stabiles System entstand in den zentralasiatischen Sowjetrepubliken

Seit dem Ende des Kalten Krieges hat das deutsche Interesse an Russland sträflich nachgelassen. Während der Ukraine-Krise wurde dem Auswärtigen Amt bewusst, dass der Politik die Fachleute fehlen. In Anbetracht dessen bietet eine Buchbesprechung über ein Kapitel russischer Geschichte, das bis in das derzeitige Weltgeschehen hineinreicht, zu folgendem sachbezogenen Hinweis passende Gelegenheit: Die Diplomatie des Kremls steht unter mehreren Vorzeichen. Man denkt dort vor historischem Hintergrund - und da Russland kein Nationalstaat ist, in Kontinuität zu den Zaren, in imperialen Kategorien. Moskau hat seine westliche und östliche Hemisphäre zielgerichtet zu einem Gesamtorganismus verwoben.

Daran erinnert in einem geschichtlichen Rückgriff eine Studie über Stalins Herrschaft in Zentralasien. Diese Region ist ein ethnisch, religiös und geopolitisch heterogenes Konstrukt, das auf seine Einzelelemente hin kaum zu durchleuchten ist. Gemeint sind die bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion existenten Sowjetrepubliken Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan. Die Zaren hatten das Land zwischen den Flüssen Amudaria und Syrdaria nicht integriert, sondern kolonisiert.

In den Revolutionswirren zeigte Russland an seiner östlichen Peripherie Separations- und innere Erosionserscheinungen, denen Stalin mit allen Mitteln der Gewalt entgegentrat. Führende Funktionäre waren sich allerdings mit ihm darin einig, dass eine Kolonisierung Zentralasiens nicht mehr in Frage kam. Notwendig erschien ein perspektivisches "Befriedungsprogramm", das Christian Teichmann in all seinen Schwächen und Erfolgen darlegt. Demzufolge entschied der Diktator sich für ein Konzept, das die Revolution mit dem im Aufbau befindlichen arbeitsteiligen Gefüge innerhalb der Sowjetunion bündelte.

Die von Lenin initiierte zentrale Elektrifizierung sollte bereits den Zusammenhalt der Sowjetrepubliken bewirken. In diesem Kontext schuf Stalin ein Geflecht von Verkehrsverbindungen, wie der Weißmeer- und der Moskau-Wolga-Kanal eindrucksvoll demonstrieren. Diese Verkehrskommunikation bildete wiederum eine der Voraussetzungen für angestrebte regionale wirtschaftliche Monostrukturen, die die Sowjetunion der angestrebten Autarkie näher bringen und nicht zuletzt die Koordinationsautorität des Kremls stärken sollten. Und endlich blockierte diese regionale wirtschaftliche Schwerpunktsetzung die Unabhängigkeitsbestrebungen nichtrussischer Ethnien, weil ihnen die Vielfalt ökonomischer Bedingungen zur Eigenstaatlichkeit fehlte.

Was Zentralasien betrifft, so verfügte Stalin die technologische Nutzung der Naturkraft, wenn er auf ein gigantisches Bewässerungssystem zur Monopolisierung des Baumwollanbaus setzte. Die Belieferung der westrussischen Textilindustrie bedeutete das Einfügen Zentralasiens in das nach Aufgaben gesplittete Sowjetsystem mit Scharnierfunktion Moskaus.

Intentionen in Kontrast zu Reaktionen der Bevölkerung, Anstrengungen und technische Fehlschläge, idealistischer Einsatz und bürokratisches Chaos sind ein realistisches Bild Stalinscher Politik in Zentralasien. Das Konzept des Kremls stellte nicht in Rechnung, dass der in Zentralasien dominante Islam sich der Bolschewisierung gegenüber als partiell resistent erwies. Zudem fehlten der Revolution die Industriearbeiter als Massenbasis. Man erfährt, dass die Landbevölkerung sich weitgehend passiv bis oppositionell gegenüber den Moskauer Eingriffen verhielt, die die Kollektivierung einschlossen sowie die Auflösung tradierten Eigentums und bestehender Sozialsysteme. Selbst überzeugte einheimische Revolutionäre fühlten sich an die koloniale Ausbeutung der Zarenzeit erinnert, in der Russland bereits weltweit den fünften Rang unter den Baumwollproduzenten einnahm. Der Strategie der Bündelung von bolschewistischer mit technoökonomischer Expansion zur Sicherung des Herrschaftsbereichs war nur auf lange Sicht Erfolg vergönnt. In der Kombination von revolutionärem Elan und staatsterroristischem Druck mittels einer "Modernisierungsdiktatur" gelang es Stalin erst nach Jahrzehnten, ein halbwegs stabiles System zentralasiatischer Sowjetrepubliken zu installieren.

Der Autor dieser Studie regt zum Brückenschlag zwischen Geschichte und Gegenwart an. So betrachtet, kollidierte Stalins Revolutionsimperialismus mit dem englischen Kolonialimperialismus gegenüber Afghanistan. Die Moskauer Politik erwies sich aber erst 1978 mit der Ausrufung der kommunistischen Demokratischen Republik Afghanistan als zeitweilig erfolgreich. Als eine von den Vereinigten Staaten, den Saudis und Pakistan unterstützte islamische Guerrilla Widerstand leistete, marschierten russische Truppen ein. Sie mussten 1992 abziehen, als die Mudschahedin Kabul einnahmen. Mit deren zunehmender Islamisierung wurden die Vereinigten Staaten mit ihren Verbündeten die Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Aber auch die Nato wusste bei Teilnahme der Bundeswehr das Land nicht zu befrieden, wie die afghanischen Asylsucher ins Bewusstsein rufen.

Stalins Politik des ökonomischen Teilens und Herrschens birgt noch heute aktuell erkennbare Gefahren. Der ökonomische Patchwork-Teppich der Sowjetunion stellte sich während der Perestrojka als eine Gefahrenquelle für den Zusammenhalt Russlands dar. War ein Erosionsprozess wie 1991 erst einmal in Gang gekommen, rissen Fäden gesamtstaatlicher Vernetzung. So wird verständlich, welche versorgungswirtschaftliche Einbuße das Wegbrechen der Ukraine als Kornkammer des russischen Reichs bedeutet und welche ökonomischen Schwierigkeiten die Ukraine bei ihrer absoluten Energieabhängigkeit von Russland und ihrer landwirtschaftlichen Monostruktur zu überwinden hat.

HANS-ERICH VOLKMANN

Christian Teichmann: Macht der Unordnung. Stalins Herrschaft in Zentralasien 1920-1950. Hamburger Edition, Hamburg 2016. 287 S., 28,- [Euro].

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