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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Während des Kalten Krieges bildete sich ein militärisch-industriell-akademischer Komplex in West und Ost heraus.
Von Harald Biermann
Dass der Kalte Krieg in erster Linie eine Auseinandersetzung zwischen Weltanschauungen gewesen ist, liegt zwanzig Jahre nach Beendigung dieses Ringens offen auf der Hand. Ideen und Gedankengebäude waren von allergrößter Bedeutung. Ohne ideologische Überhöhung, ohne das jeweilige Versprechen, für eine bessere Welt zu kämpfen, hätte die Dauerkonfrontation zwischen westlicher Demokratie und kommunistischer Diktatur nicht über mehr als vier Dekaden dem Gang der Weltläufte derart stark den Stempel aufdrücken können.
Zweifelsohne ist es von großer Bedeutung, den ideologischen Motiven und geistigen Grundlagen dieser Konfrontation nachzuspüren. Der Sammelband vereint 25 heterogene und qualitativ höchst unterschiedliche Beiträge. Neben einigen Aufsätzen, die sich direkt auf das übergeordnete Themenfeld beziehen, stehen Texte, bei denen eine verbindende Fragestellung oder auch eine inhaltliche Klammer nur äußerst schwer zu erahnen ist. Überhaupt wird die große Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion in diesen Beiträgen oftmals stark an den Rand gerückt.
So drängt sich zum Beispiel bei der Lektüre des Aufsatzes "Gegenkulturelle Ästhetik? Sozialtechnologien und die Expo 70" von Fred Turner, einem Kommunikationswissenschaftler von der Stanford Universität in Kalifornien, der Eindruck auf, dass der Kalte Krieg lediglich als Zeitangabe eine Bedeutung hat. Eine nachprüfbare Verbindung zwischen dem behandelten Pepsi-Pavillon auf der Weltausstellung in Osaka im Jahre 1970 und der Supermächtekonfrontation lässt sich jedenfalls nicht herstellen. Es sei denn, man folgt Turners gewagten Assoziationen: "Wie die psychedelischen Clubs in Manhattan und San Francisco feierte der Pavillon Medientechnologie als Weg zu einem menschlicheren Selbstverständnis des Individuums. Und wie die einsamen Männer in den Radarstationen des amerikanischen Frühwarnsystems vertrauten seine Erfinder auf die Fähigkeit des Computers, die Welt so zu managen, dass die Freiheit der Bürger gewährleistet ist."
Dass Bernd Greiner in seiner recht summarisch gehaltenen Einleitung auch mit Bezug auf den Aufsatz von Turner darauf hinweist, dass Skepsis gegenüber einem "emphatischen Begriff des ,intellektuellen Gegenentwurfs' oder der ,Gegenkultur' angebracht" sei, ist begrüßenswert. Dies zumal, da ein zu hohes Maß an Emphase dem bewährten Grundsatz "sine ira et studio" diametral entgegensteht. Doch verstört Greiners Beurteilung des gelungenen Beitrags von Stephen V. Bitter, der sich mit sowjetischer Dissidenz und Intelligenzija beschäftigt. Der amerikanische Russlandexperte weist darauf hin, dass die Oppositionellen in der Sowjetunion bewusst Auslandskontakte gesucht hätten, um ein möglichst negatives Bild der kommunistischen Diktatur zu zeichnen. Diese "Strategie der Bloßstellung" habe gegriffen, bis in der Ära Breschnew zum einen die Dissidentenbewegung erfolgreich zerschlagen worden sei, zum anderen die politische Sensibilität des Kremls gegenüber einem negativen Bild der Sowjetunion im westlichen Ausland stark abgenommen habe. Warum Greiner diese nachvollziehbare Strategie der sowjetischen Oppositionellen beiläufig als "irritierend" bezeichnet, bleibt sein Geheimnis.
Ein ebenfalls gelungener Beitrag über die Rolle der sowjetischen Westexperten stammt aus der Feder von Wladislaw M. Subok. Er betont die hohe Bedeutung dieser Männer für die Entspannungspolitik der 1970er Jahre und warnt gleichzeitig davor, Fachleute wie Alexander Jakowlew, Georgi Arbatow oder Anatoli Dobrinin zu heroisieren: "Trotz aller ideologischen und kulturellen Neuorientierung blieben sie sowjetische Patrioten und Kalte Krieger - die Dissidenten waren für sie ,Verräter'." Gleichzeitig gelingt es Subok, seinen Gegenstand - die wechselhafte und ambivalente Rolle der "Westologen" in der sowjetischen Nomenklatura - mit dem Verlauf der Supermächtekonfrontation zu verweben. Kurzum: In Suboks Aufsatz verbindet sich intime Kenntnis des übergeordneten Handlungsrahmens mit einer spezifischen Fragestellung.
Dass diese mittlerweile abgeschlossene Periode der Weltgeschichte nicht gleichsam vom Himmel fiel, sondern in den kontinuierlichen Gang der Historie eingewoben war, unterstreicht Rebecca Lowen in ihrem Aufsatz über die interessante Verflechtung von Politik und Universitäten in den Vereinigten Staaten. Sie kann schlüssig herausarbeiten, dass die Grundlagen für das enge und zudem symbiotische Verhältnis zwischen der Regierung in Washington und den großen Universitäten "bereits in den 1930er Jahren geschaffen" worden seien. Vollständig zum Durchbruch kam es dann im Zweiten Weltkrieg, der als "Schlüsselereignis" für dieses Beziehungsgeflecht gelten kann. Im Status "permanenter Mobilisierung" begann in den Vereinigten Staaten eine Entwicklung, die den Universitäten einen gigantischen Geldregen brachte. Für den weiteren Verlauf ist wichtig, dass dieser modus operandi auch nach 1945 weiterexistierte. Dass die Autorin für die Phase des Kalten Krieges von einem "militärisch-industriell-akademischen Komplex" spricht, trifft den Nagel auf den Kopf. Diese spezifische Erweiterung des Begriffs um eine wissenschaftlich-akademische Komponente, den Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsbotschaft am 17. Januar 1961 in seiner ursprünglichen Kurzversion - militärisch-industrieller Komplex - geprägt hatte, sollte nach den luziden Darlegungen von Frau Lowen in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen. Die Rolle der amerikanischen Universitäten kann hier nicht überschätzt werden.
Für professionelle Beobachter der Sowjetunion aus dem Westen war bereits während des Kalten Krieges klar, dass die Wissenschaften in der Sowjetunion nicht nur dem Primat der kommunistischen Ideologie, sondern eben auch der militärischen Notwendigkeiten zu folgen hatten. Völlig zutreffend spricht Alexei Kojewnikow in seinem Beitrag von der "Mobilmachung der sowjetischen Wissenschaft". Der ausgewiesene Wissenschaftshistoriker aus Kanada verfolgt diesen permanenten Alarmzustand ebenfalls zurück bis in die 1930er Jahre. "Die Sowjets lehnten die Idee einer reinen Wissenschaft ab und förderten stattdessen das Ideal potentiell verwertbaren - wenn auch nicht immer sofort anwendbaren - Wissens über die Welt." Vor allem das Aufholrennen um die Atombombe, das von dem Massenmörder Lawrenti Beria mit brutaler Effizienz vorangepeitscht wurde, "rückte die Wissenschaft . . . auf der staatlichen Prioritätenliste ganz nach oben." Die sowjetischen Wissenschaftler genossen hohes gesellschaftliches Renommee und die damit einhergehenden Privilegien. Gleichzeitig gerieten die Universitätsprofessoren sowie die zahlreichen Akademiewissenschaftler über die Jahre immer mehr ins Hintertreffen gegenüber ihren westlichen Konkurrenten. Als Ursache dieser abschüssigen Entwicklung verweist der Autor auf die Abschottung des Landes und die Geheimhaltungsparanoia der sowjetischen Machthaber. In diesem Klima wechselseitiger Verdächtigungen und Anschuldigungen sowie vor dem Hintergrund bürokratischer Hemmnisse mussten die Wissenschaften in der Sowjetunion gleichsam naturnotwendig zurückfallen.
Abschließend noch ein Wort: Wie bei nahezu allen Sammelbänden stehen lesenswerte Aufsätze neben schwachen Texten, doch erscheint mit dem fünften Band der Reihe "Studien zum Kalten Krieg" ein gewisser Tiefpunkt erreicht. Zukünftigen Publikationen ist zu wünschen, dass der zentrale Untersuchungsgegenstand - der Kalte Krieg - wieder in das Zentrum rückt.
Bernd Greiner/Tim B. Müller/Claudia Weber (Herausgeber): Macht und Geist im Kalten Krieg.
Hamburger Edition, Hamburg 2011. 544 S., 35,- [Euro].
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