Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der lange Kampf um die Aktionärsrechte
"Aktionäre sind dumm und frech. Dumm, weil sie Aktien kaufen, und frech, weil sie dann noch Dividende haben wollen", sagte Carl Fürstenberg, einer der führenden Bankiers des Kaiserreichs. Obwohl er in zahlreichen Aufsichtsräten die Interessen auch der Kleinaktionäre zu vertreten hatte, verachtete er sie. Aktionäre sind die Eigentümer der Unternehmen und die Vorstände eigentlich ihre Angestellten. Zwischen beiden Gruppen bestehen jedoch Machtgefälle und Interessengegensätze.
Im schlimmsten Fall, wie kürzlich bei Wirecard, verlieren Aktionäre ihr Kapital oder müssen hinnehmen, dass Vorstände trotz hoher Verluste üppige Boni erhalten. Bis heute drehen sich die Rechte der Aktionäre um vier Variablen: ihre Stimmrechte, die Befugnisse des Vorstandes, die Gewinnverteilung sowie die Offenlegungspflichten und Kontrolle der Bilanzen. Wie sich diese Größen seit 1870, als der Siegeszug der Aktiengesellschaft in Deutschland begann, entwickelten und wie wichtige Weichenstellungen zustande kamen, untersucht die sehr verständlich geschriebene Habilitationsschrift von Felix Selgert.
Vor 1870 galten Aktiengesellschaften als so gefährlich, dass sie einer Konzession bedurften, die der Staat nur selten gewährte. Aktionärsschutz und die Sorge, Staatsanleihen nicht mehr unterbringen zu können, gingen Hand in Hand. Das 1870 installierte Aktienrecht basierte auf dem liberalen Prinzip der Vertragsfreiheit, das de facto die Handhabe zur Ausbootung der Kleinaktionäre und der Machtkonzentration in den Händen weniger Insider bot. Vielfach wurden unwissende Aktionäre von Gründern übervorteilt, die etwa Vermögensgegenstände zu überhöhten Preisen in die Gesellschaften einbrachten. Im Börsenboom nach der Reichsgründung kam es massenhaft zu betrügerischen Praktiken, die spätestens 1872 beim Platzen der Spekulationsblase zutage traten. Die anschließende Austrocknung des Kapitalmarktes zwang den Gesetzgeber zum Eingreifen, um Vertrauen wiederherzustellen. Das Aktiengesetz von 1884 stärkte die Position der Aktionäre gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat.
In den frühen 1920er-Jahren führte die Inflation zur begründeten Furcht eines Ausverkaufs der deutschen Wirtschaft an devisenstarke Ausländer. Hinzu kamen kurzfristig agierende Spekulanten und feindliche Übernahmen aggressiver Großinvestoren wie Hugo Stinnes. Der Aktionärsschutz trat wieder zurück. Es sollten nun möglichst wenige Informationen nach außen dringen. Der Gewinn sollte den Aktionären verborgen und vorenthalten bleiben. Die Einführung von Mehrfachstimmrechten verhinderte eine "Überfremdung" und favorisierte die Großaktionäre. 1925 verfügten 54 Prozent der börsengehandelten Aktiengesellschaften über solche "Schutzaktien". Kleinaktionäre wurden auch dadurch entmündigt, dass Banken die von ihnen verwahrten Aktien dazu nutzten, ohne Autorisierung durch die Aktionäre meist im Sinne der Vorstände abzustimmen. Die Aufsichtsräte waren de facto Beratungs-, nicht Kontrollorgane. Es verwundert nicht, dass selbst reiche Privatanleger zunehmend auf Aktienengagements verzichteten.
Ab 1929 traten diese Missstände ins Rampenlicht, als eine Welle von Bilanzskandalen in die Banken- und die Weltwirtschaftskrise mündete. Es waren stets fundamentale Krisen, die Reformen anstießen. 1931 kam es per Notverordnung zur Einführung der externen Wirtschaftsprüfung. Weiter gehende Reformen kamen nicht voran. Der Nationalsozialismus misstraute "anonymen Kapital". Die Zahl der Aktiengesellschaften schrumpfte. Ein neues Aktiengesetz kam erst 1937. Es zementierte die Ohnmacht der Aktionäre und stärkte die Vorstände. Stimmrechtslose Vorzugsaktien wurden eingeführt, die ihren Eigentümern jedwede Mitsprache verwehrten. Bei der Festsetzung der Dividenden, die der NS-Staat auf sechs Prozent deckelte, hatte die Hauptversammlung kein Mitspracherecht.
Die Aktionäre blieben das schwächste Glied. Als kleine und zudem unorganisierte Gruppe spielten sie politisch keine Rolle, auch wenn Juristen und Journalisten für sie eintraten. Ihre Argumente verhallten. Die Bewahrung von Geschäftsgeheimnissen, der Schutz der Unternehmen vor feindlichen Übernahmen und nach 1933 die Ziele des NS-Regimes wogen schwerer. Die Advokaten des Aktionärsschutzes verstummten genau zu dem Zeitpunkt, als ideologische Hardliner der NSDAP mit radikalen Forderungen wie der Abschaffung aller Aktiengesellschaften hervortraten. In mehrjährigen Verhandlungen setzten sich aber die Großunternehmen durch, schließlich war das Regime auf ihre Kooperation angewiesen. Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht überzeugte die NSDAP vom Nutzen starker Aktiengesellschaften mit mächtigen Vorständen. Das Aktiengesetz von 1937 prägte die deutsche Corporate Governance in vielem bis in die 1990er-Jahre.
Die im internationalen Vergleich geringe Aktionärsquote der Bundesrepublik hat eine lange Vorgeschichte, die Selgert in seinem Buch zeigt. Die Tradition der Intransparenz und der Machtlosigkeit der Aktionäre hat dazu geführt, dass die meisten Deutschen um Aktien lange einen großen Bogen machten. HARTMUT BERGHOFF.
Felix Selgert: Macht und Kontrolle im Unternehmen - Die politische Ökonomie des Aktionärsschutzes im Deutschen Reich, 1870-1945, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021, 352 Seiten, 65 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main