Ein doppeldeutiger Titel für diesen wichtigen, wunderbar feministischen Roman
Der Titel – Ziel bereits vieler Diskussionen – kann sehr wohl, nein, er muss sogar zweideutig verstanden werden. Zum einen ist die Zahl der Femizide und Gewalt an Frauen in Österreich in der EU auf dem tragischen
ersten Platz. Zum anderen setzen sich die Frauen in diesem herrlichen Roman zur Wehr … das ist zumindest…mehrEin doppeldeutiger Titel für diesen wichtigen, wunderbar feministischen Roman
Der Titel – Ziel bereits vieler Diskussionen – kann sehr wohl, nein, er muss sogar zweideutig verstanden werden. Zum einen ist die Zahl der Femizide und Gewalt an Frauen in Österreich in der EU auf dem tragischen ersten Platz. Zum anderen setzen sich die Frauen in diesem herrlichen Roman zur Wehr … das ist zumindest ein praktisches Mittel zum Zweck. Kann aber dann auch mal etwas kompliziert, wenn nicht sogar problematisch werden. Dennoch: „In Engelhartskirchen (harte Engel? Anm.) gibt es keine Fälle von häuslicher Gewalt, keine Sexualdelikte, keine Frauenmorde [...]“ - und überraschender Weise scheinen Männer immer wieder mal zu verschwinden, und vieles ist in Frauenhand, so z. B. auch die Pfarrei.
Anna Maria, Wienerin, lebt in Berlin, befindet sich in einer toxischen Beziehung mit Friedrich. Der Zufall spült sie ins oberösterreichische Engelhartskirchen zu Hannes. Der betreibt den Hof seiner Eltern, ist Vollblutlandwirt, und die Beziehung der beiden läuft angenehm und harmonisch. So allmählich wird Anna Maria in die weibliche Dorfgemeinschaft eingeführt, manches „Geheimnis“ ihr anvertraut. Und auch gewisse „Praktiken“ bleiben nicht unerwähnt.
Aber die Vergangenheit lässt nicht locker. Ihre besten Freundinnen aus Berlin tauchen auf. Während sich die eine sehr bald auf das Dorfleben einlassen kann, zögert die andere. Als dann Friedrich auch noch auftaucht: „Ja habe die Ehre ...“ Mehr möchte ich nicht verraten.
Das klingt jetzt vielleicht alles nach Dorfidylle, einem feinen ländlichen Leben (und Stoff für eine Bollywoodschmonzette). Doch der Friede ist hart erkämpft – und es gibt immer wieder gewisse Männer, die daran zu rütteln versuchen.
Die Autorin beschreibt die Tatsachen beinhart in ihrem Roman. Gleich zu Beginn gibt es eine Triggerwarnung – denn es würden Männer sterben.
S. 130: „Die Polizei rät Frauen selbstbewusster zu sein, dann würden sie nicht vergewaltigt. Was nach Satire klingt, ist in Österreich viel zu oft Realität.“
Auf diesem Hintergrund baut Reisinger ihren Roman auf. Teils sarkastisch, makaber, doppelzüngig, und mit der gewissen Prise Humor, wie es meines Erachtens nur österreichische Autorinnen beherrschen, huschen wir von Seite zu Seite, fiebern und leiden mit den Protagonistinnen mit. Natürlich ist manches überspitzt dargestellt, aber in Anbetracht der traurigen alltäglichen Realität ist so ein Inhalt mehr als Gebot der Stunde. Die Gesellschaft ist nach wie vor im Würgegriff von alten weißen, sexistischen Männern und deren Patriarchat. Der Roman zeigt dies auf seine besondere Weise auf, so wie auch die Lösung zwar ein Ansatz sein mag, aber vielleicht doch nicht unbedingt nachahmenswert.
Ich bin vom Buch schlichtweg begeistert, inhaltlich wie sprachlich eine wahres Lesehighlight. Da kann mensch nur hoffen, dass es von Eva Reisinger in Zukunft noch vieles zum Lesen gibt.
Absolute und allerhöchste Leseempfehlung und zu recht auf der Shortlist–Debüt des Österreichischen Buchpreises 2023.