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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
der Plastikinsel
Verlorene Fantasten:
Roman Ehrlichs „Malé“
Jemand muss diesem Roman übelgewollt haben. Etwa der Autor selbst? Wer die Welt nur noch als einen Haufen guter Geschichten wahrnehme, „dem sollte man eigentlich das Schreiben verbieten“, sagt eine seiner Figuren. Einen Haufen mehr oder weniger guter Geschichten, die in kein Verhältnis zueinander finden, bietet aber genau dieses Buch. Dabei standen die Voraussetzungen bestens. Ein interessanter Autor, ein großes Thema: die postindustrielle Welt der Individualisten nach dem Klimawandel, eine gut gefundene Form, Ökothriller mit Negativutopie. Dennoch quält man sich durch den Text wie die Romanfiguren durch den Plastikmüll in der vom Meer allmählich überfluteten einstigen maledivischen Hauptstadt Malé. Das ehemalige Touristenparadies ist im Roman ein Anziehungspunkt für egozentrische Aussteiger geworden. Das Wasser steht in den Straßen schon knöcheltief, die einstigen Ferienhotels sind nur noch Bruchbuden, Internet funktioniert mal so, mal so. Nicht nur Aussteiger mit ihrer „unendlichen Freizeit, Langeweile und fundamentalen Heimatlosigkeit“ kommen aber an diesen Ort. Eine amerikanische Literaturwissenschaftlerin recherchiert nach einem dort verschollenen deutschen Lyriker namens Judy Frank. Ein Geschäftsmann sucht nach den Todesumständen seiner Tochter, der berühmten Schauspielerin Mona Bauch. Steigende Pegelstände sind in Träumen und Albträumen ein Leitmotiv dieses Romans.
Trotz des gut beschriebenen Ambientes aus heiterer Verwahrlosung, bedrohlichem Dauergeplätscher des Indischen Ozeans, Verwesungsgeruch, versumpftem Biotop im ehemaligen Hotel-Swimmingpool und netter No-Future-Geselligkeit in der Inselkneipe des „Blauen Heinrich“ spannt sich über das Ganze kein erkennbarer Horizont. Angerissene Handlungsstränge verlaufen im Nichts, begonnene Spannungsbögen verlieren sich, Betrachtungen über das Halbglück des zeitlichen Stillstands nach der Katastrophe versinken zwischen literarischen Anspielungen, losen Zitaten, anekdotischen Details und historischen Einschüben aus vorislamischer Zeit. Zwei unvereinbare Entwürfe sind hier unglücklich verschnürt worden. Zeitkritische Antizipationsromane verlangen – Michel Houellebecq hat das gezeigt – klare Perspektiven, scharfe Profile, prägnante Einbettung der literarischen Anspielungen. Poetische Fantasien hingegen leben mit ihren Sprüngen zwischen unterschiedlichen Erzählformen von Offenheit und verspielter Andeutung. Wenn es beim Schreiben heute noch um irgendetwas gehen könne, dann seien das die Ratlosigkeit, die Schweigsamkeit der Dinge, die Geheimnisse hinter den Symbolen, sagt die eingangs erwähnte Figur in Ehrlichs Roman. Doch die Kunstinsel aus Bedeutsamkeit und Plastikmüll ist zu wenig kompakt. Sie sinkt.
JOSEPH HANIMANN
Roman Ehrlich: Malé. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2020. 286 Seiten. 22 Euro.
In der Inselhauptstadt herrscht
heitere Verwahrlosung
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