Natur und Mensch: Damit ist es nicht gut ausgegangen, und Caspar David Friedrich hat das Malheur schon gemalt. Ausgerechnet Friedrich? Eberhard Rathgeb zeigt, warum dieser verschlossene und universal denkende Künstler heute, da Natur auch Angst macht, seine Aura mächtiger denn je entfaltet. Was waren die Lebensumstände des schon zu seiner Zeit berühmten und umstrittenen Malers, Hauptfigur der deutschen Romantik, aus der er zugleich herausfällt – weshalb er besonders intensiv leuchtet ? Dieses Buch erzählt das Leben des Künstlers und erklärt die Wirkung seines berühmten inneren Blicks, mit dem er bis heute berührt und verunsichert.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Rose-Maria Gropp dankt Eberhard Rathgeb dafür, dass der ihr Caspar David Friedrich in die Gegenwart holt, indem er etwa zeigt, dass Friedrichs Natur eine durchaus gefährliche ist, keine von Gott dem Menschen freundlich dargebotene. Der Maler als Zeitgenosse von Hölderlin, Hegel, Kant und einer pietistischen Weltsicht - so stellt sich Friedrich hier für Gropp dar. Und gut, dass der Autor der Leserin sein reiches Wissen so eingängig vermittelt, ohne nachlässig zu sein, meint die Rezensentin. Rathgebs Bildanalysen sind präzise, bergen nichts völlig Neues, so Gropp, aber bieten immer wieder "unerwartete Wendungen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2023Die Natur als letzter Zeuge
Über den modernsten unter den Romantikern: Werner Busch und Eberhard Rathgeb widmen sich auf recht unterschiedliche Weise dem Maler Caspar David Friedrich.
Es gibt dieses Phänomen, man steht vor einem Ausschnitt der Natur - und nimmt ihn unwillkürlich durch die Optik der Kunst wahr. Das kann etwa geschehen im Anblick der Kreideklippen der Insel Rügen. Nicht die heutigen Formationen sieht man, sondern jene "Kreidefelsen auf Rügen" von 1818, wie sie ein 1774 in Greifswald geborener Maler darstellte. Ein Kunststück von solcher Wirkmacht konnte vielleicht nur Caspar David Friedrich fertigbringen. Sein 250. Geburtstag im kommenden Jahr ist Anlass für Ausstellungen und Publikationen, die seine nicht enden wollende Renaissance seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts besiegeln.
Entlang des kleinen, um 1815 entstandenen Gemäldes "Kreuz an der Ostsee" entfaltet Werner Busch, seit Jahrzehnten ausgewiesener Kenner des Werks von Friedrich, die These von dessen "Romantischem Kalkül", so der Titel seines Buchs. Friedrich verlange, so Busch, eine Kunst, "die allein die Gegenwart und Wirklichkeit zum Ausgangspunkt nimmt und die auf die Wiedergabe auch des kleinsten Details der Natur verpflichtet ist - um ihr dann tieferen Sinn einzuschreiben", der sich in der Anschauung eröffnen könne. Über diese "Einschreibung" verborgenen Sinns herrscht weitgehend Konsens in der Literatur zu Friedrich. Ein wesentliches Momentum dabei ist für Busch die schon früher von ihm formulierte Erkenntnis, dass alle Werke Friedrichs von einer geometrischen Ordnung untergründet sind. Gemeint ist eine "abstrakte vorgängige Form", die bloße Naturwiedergabe verhindere, und "diese Figur muss mathematische Qualitäten aufweisen".
Dahinter stehe die "romantische Mathematik", der sich im Rückgriff auf die euklidischen "Elemente" etwa der "Goldene Schnitt" verdankt. Dessen Verhältnismäßigkeit der Bildstrukturierung samt akkurater Mittelachsenbetonung weist Busch auch für das "Kreuz an der Ostsee" nach als "göttliche Proportion". Novalis schreibt in seinen nachgelassenen "Fragmenten": "Reine Mathematik ist Religion"; oder er fragt: "Kann sich Gott nicht auch in der Mathematik offenbaren wie in jeder anderen Wissenschaft?"
Außerdem identifiziert Busch in Friedrichs Werken geometrische Figuren, wie sie die Behandlung von Kegelschnitten ergeben. Es sind Ellipse, Hyperbel und Parabel, die er immer wieder als verschleiertes, aber wirkmächtiges Gestaltungsprinzip auf den Gemälden umgesetzt findet. Beim "Kreuz an der Ostsee" ist es der Vollmond hinter dem ragenden Holzkreuz, der von Wolken in elliptischer Anordnung umgeben ist, die die Form eines Auges bilden. Busch hält fest, dass "die religiöse Dimension" des Bildes nicht zu leugnen ist, es sich allerdings um "eine ästhetisch vermittelte Form von Religiosität ohne jeden Mystizismus" handle. Für ihn versuchte Friedrich, "mit ästhetischen Mitteln eine Ahnung von etwas jenseits des Gegebenen zu eröffnen". Eine nachträgliche Verbalisierung kann den Eindruck der Betrachter nur verfälschen, wobei gilt: "Das Ergebnis ist nicht Kompetenzzuwachs, sondern Selbsterfahrung."
Werner Busch exemplifiziert die von ihm gemachten Beobachtungen auch an weiteren Gemälden Friedrichs. Dafür holt er aus in den kunsthistorischen und ideengeschichtlichen Hintergrund, so auch zu den Wolkenstudien Goethes - der anfragen ließ, ob der Maler ihm Wolkenentwürfe klassifizieren könne. Friedrich lehnte ab, wobei anklingt, dass es ihm wohl zuwiderliefe, die Natur, auch in Form von Wolken, gleichsam zu kartographieren.
Buschs Exploration des romantisch-kalkulierten Bildgerüsts schafft durchaus Evidenzen, die - kurioser Nebeneffekt - ein wenig auch auf die Art der Betrachtung abfärben können, in der Versuchung nämlich, die Gemälde nun mit den Augen nach Goldenem Schnitt und zentraler Mittelachse, nach Hyperbel, Ellipse und Parabel abzutasten.
Einen ganz anderen Ton schlägt Eberhard Rathgeb für seinen "Maler Friedrich" an. Schon die ersten Sätze führen Caspar David Friedrich als keinen Geringeren als den ersten Maler ein, "der die Natur so darstellte, als wäre die Geschichte der Menschen an ihrem Ende angelangt": "Er hat, als er sich um 1800 in der Natur umschaute, mehr wahrgenommen als andere, eine erhabene Leere und geheimnisvolle Reserviertheit. Seine Natur lächelt nicht, sie öffnet nicht die Arme, sie sagt kein Wort. Sie steht da wie ein letzter Zeuge, eine Erinnerung daran, dass die Geschichte mit dem Menschen einmal groß und gut gemeint gewesen war. Die Geschichte ist schlecht ausgegangen." Für Rathgeb ist Friedrich "der modernste unter den Romantikern" deshalb, "weil er, was er sagen wollte, in einer anderen Sprache vortrug, in Bildern, die sich nicht in Worte übersetzen lassen".
Es ist nicht unwichtig, wenn Rathgeb wie nebenbei klarmacht, dass Friedrichs Natur eine andere war als die, die wir heute vorfinden - ohne Wegweiser an jeder Ecke, ohne ausgewiesene Pfade. Es war eine Natur, in der man sich leicht verirren konnte, gefährlicher, noch fast undomestiziert. Deshalb entwerfen Friedrichs Landschaftsbilder auch in ihrer theologischen Dimension, wie Rathgeb es apart formuliert, keine Natur, "als würde Gott dem Betrachter aus dem Grünen zublinzeln". Denn sie "provozieren eine Reflexion, und die Frage, was es bedeutet, die Augen aufzuschlagen in einer Welt, die nicht mehr von sich verrät, als ihr Schein preisgibt, deren Schein aber ein Hinweis auf eine verborgene Wahrheit ist". Luzide ist da der entscheidende Unterschied zu den romantischen Literaten definiert: "Wenn die Romantiker von einer Einheit mit der Natur schwärmen, folgen sie den Erkenntnissen des Sehens nicht, die sie darauf hätten aufmerksam machen müssen, dass sie dem Schein anhängen und nie über den Schein hinausgelangen werden."
Rathgeb katapultiert seinen "Maler Friedrich" aus der Schwarmgeistigkeit der gängigen Klischees von Romantik hinaus. Er befreit ihn nicht nur aus dem Korsett einer Kunsthistorie, die Friedrich unverdrossen als schon in seiner Zeit anachronistische Künstlergestalt sehen will und zugleich als Vorläufer der bildnerischen Moderne. Stattdessen bettet er ihn ein in dessen pietistischen Glaubenshorizont und den geistesgeschichtlichen Raum seiner Zeitgenossenschaft. Da kennt sich der Autor gut aus, hat er doch schon Abhandlungen zu Hegel und Hölderlin, zu Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard veröffentlicht; er weiß um die nachhaltige Bedeutung von Kants Philosophieren oder den Einfluss der Ideen des evangelischen Theologen Friedrich Schleiermacher. Friedrich war nicht umfassend belesen, gewiss kein pictor doctus, aber er ist vom Fluidum des damals tonangebenden Denkens umgeben. Auch von seinen Lesern fordert Rathgeb nicht fundiertes Vorwissen; er biegt es ihnen beinah spielerisch bei, lässt es einfließen in seinen geschmeidig erzählerischen, in keinem Moment nachlässigen Stil.
"Auf sein geistiges Selbst ist der Mensch, ist der Maler angewiesen": Das schreibt Caspar David Friedrich um 1830 in seiner "Äußerung bei Betrachtung einer Sammlung von Gemälden von größtenteils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern". Das klingt natürlich nach Protestantismus, tiefer Gewissenserforschung. Friedrichs Werkzeuge dafür sind sein ihm eigener Blick, der ihm die Rekonstruktion seines "inneren Bildes" ermöglicht. Es sind sein Stift für die Skizzen - niemals malt er seine Bilder direkt vor der Natur -, seine Pinsel und der Malstock, mit denen er sie dann auch nach geometrischen Regeln aufbaut, wie Werner Busch das so präzise analysiert.
Anders formuliert: Friedrich arbeitet sich an dem Bruch zwischen dem einzelnen Menschen, dem Subjekt und der Welt ab, den Kant so wirkmächtig mit seiner "Kritik der reinen Vernunft" diagnostiziert hat. Rathgeb findet für Friedrich die schöne Formel vom "Philosophen des Auges" und konstatiert: "Seine überragende Ausdruckskraft fließt in die Bilder, in die archaische Sprache der Erscheinungen, die Ursprache der Welt, gesprochen vom ersten Menschen, der nur sah und keine Wörter kannte, was Bibelkundige oft vergaßen, die mit dem ersten Satz des Johannesevangeliums groß geworden waren: Am Anfang war das Wort." Es gehe also um ein "wortloses Sehen", vor aller sprachlichen Kommunikation.
Naturgemäß kann auch Rathgeb nichts grundstürzend Neues sagen, aber er findet Formulierungen von eindringlichem Annäherungswert an das Schaffen des Ausnahmekünstlers. Dessen Biographie nimmt er als einen Leitfaden, ohne wohlfeile psychologische Deutungen daraus abzuleiten. Seine klugen Interpretationen einzelner Bilder wie zum Beispiel des "Mönchs am Meer", 1808 bis 1810 entstanden, oder der zehn Jahre späteren "Frau am Fenster" - jener Rückenfigur von Friedrichs junger Ehefrau Caroline, wahrscheinlich in seinem Atelier -, finden unerwartete, hellsichtige Wendungen.
"Das Eismeer" von 1823/24 - dessen Wirkung übrigens die in Perfektion gestaltete Regel des Goldenen Schnitts verstärkt - ist für Rathgeb Monument des absoluten Zerfalls: "Das Projekt Menschheit ist gescheitert. Der Betrachter scheint der einzige Überlebende einer apokalyptischen Katastrophe zu sein." Das ist pathetisch, vom Blick in den Abgrund her formuliert; und er legt noch nach: Zum ersten Mal war "Das Eismeer" 1824 in Prag ausgestellt - wo sechzig Jahre später Franz Kafka geboren wurde, um die Absurdität einer unheimlich gewordenen Welt zu beglaubigen. Rathgeb hat keine Furcht, solche Linien auszuziehen. Er begibt sich als heutiger Betrachter - auch der in Friedrichs Bildern immer wieder ihrerseits betrachtenden Figuren - in die Position des Beobachters zweiter Ordnung. Er macht sich damit zu einem Mittler und gibt Caspar David Friedrich unserer Gegenwart zurück. ROSE-MARIA GROPP
Werner Busch: "Romantisches Kalkül". Caspar David Friedrichs 'Kreuz an der Ostsee'.
Schlaufen Verlag, Berlin 2023. 147 S., Abb., br., 22,50 Euro.
Eberhard Rathgeb: "Maler Friedrich".
Berenberg Verlag, Berlin 2023. 205 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über den modernsten unter den Romantikern: Werner Busch und Eberhard Rathgeb widmen sich auf recht unterschiedliche Weise dem Maler Caspar David Friedrich.
Es gibt dieses Phänomen, man steht vor einem Ausschnitt der Natur - und nimmt ihn unwillkürlich durch die Optik der Kunst wahr. Das kann etwa geschehen im Anblick der Kreideklippen der Insel Rügen. Nicht die heutigen Formationen sieht man, sondern jene "Kreidefelsen auf Rügen" von 1818, wie sie ein 1774 in Greifswald geborener Maler darstellte. Ein Kunststück von solcher Wirkmacht konnte vielleicht nur Caspar David Friedrich fertigbringen. Sein 250. Geburtstag im kommenden Jahr ist Anlass für Ausstellungen und Publikationen, die seine nicht enden wollende Renaissance seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts besiegeln.
Entlang des kleinen, um 1815 entstandenen Gemäldes "Kreuz an der Ostsee" entfaltet Werner Busch, seit Jahrzehnten ausgewiesener Kenner des Werks von Friedrich, die These von dessen "Romantischem Kalkül", so der Titel seines Buchs. Friedrich verlange, so Busch, eine Kunst, "die allein die Gegenwart und Wirklichkeit zum Ausgangspunkt nimmt und die auf die Wiedergabe auch des kleinsten Details der Natur verpflichtet ist - um ihr dann tieferen Sinn einzuschreiben", der sich in der Anschauung eröffnen könne. Über diese "Einschreibung" verborgenen Sinns herrscht weitgehend Konsens in der Literatur zu Friedrich. Ein wesentliches Momentum dabei ist für Busch die schon früher von ihm formulierte Erkenntnis, dass alle Werke Friedrichs von einer geometrischen Ordnung untergründet sind. Gemeint ist eine "abstrakte vorgängige Form", die bloße Naturwiedergabe verhindere, und "diese Figur muss mathematische Qualitäten aufweisen".
Dahinter stehe die "romantische Mathematik", der sich im Rückgriff auf die euklidischen "Elemente" etwa der "Goldene Schnitt" verdankt. Dessen Verhältnismäßigkeit der Bildstrukturierung samt akkurater Mittelachsenbetonung weist Busch auch für das "Kreuz an der Ostsee" nach als "göttliche Proportion". Novalis schreibt in seinen nachgelassenen "Fragmenten": "Reine Mathematik ist Religion"; oder er fragt: "Kann sich Gott nicht auch in der Mathematik offenbaren wie in jeder anderen Wissenschaft?"
Außerdem identifiziert Busch in Friedrichs Werken geometrische Figuren, wie sie die Behandlung von Kegelschnitten ergeben. Es sind Ellipse, Hyperbel und Parabel, die er immer wieder als verschleiertes, aber wirkmächtiges Gestaltungsprinzip auf den Gemälden umgesetzt findet. Beim "Kreuz an der Ostsee" ist es der Vollmond hinter dem ragenden Holzkreuz, der von Wolken in elliptischer Anordnung umgeben ist, die die Form eines Auges bilden. Busch hält fest, dass "die religiöse Dimension" des Bildes nicht zu leugnen ist, es sich allerdings um "eine ästhetisch vermittelte Form von Religiosität ohne jeden Mystizismus" handle. Für ihn versuchte Friedrich, "mit ästhetischen Mitteln eine Ahnung von etwas jenseits des Gegebenen zu eröffnen". Eine nachträgliche Verbalisierung kann den Eindruck der Betrachter nur verfälschen, wobei gilt: "Das Ergebnis ist nicht Kompetenzzuwachs, sondern Selbsterfahrung."
Werner Busch exemplifiziert die von ihm gemachten Beobachtungen auch an weiteren Gemälden Friedrichs. Dafür holt er aus in den kunsthistorischen und ideengeschichtlichen Hintergrund, so auch zu den Wolkenstudien Goethes - der anfragen ließ, ob der Maler ihm Wolkenentwürfe klassifizieren könne. Friedrich lehnte ab, wobei anklingt, dass es ihm wohl zuwiderliefe, die Natur, auch in Form von Wolken, gleichsam zu kartographieren.
Buschs Exploration des romantisch-kalkulierten Bildgerüsts schafft durchaus Evidenzen, die - kurioser Nebeneffekt - ein wenig auch auf die Art der Betrachtung abfärben können, in der Versuchung nämlich, die Gemälde nun mit den Augen nach Goldenem Schnitt und zentraler Mittelachse, nach Hyperbel, Ellipse und Parabel abzutasten.
Einen ganz anderen Ton schlägt Eberhard Rathgeb für seinen "Maler Friedrich" an. Schon die ersten Sätze führen Caspar David Friedrich als keinen Geringeren als den ersten Maler ein, "der die Natur so darstellte, als wäre die Geschichte der Menschen an ihrem Ende angelangt": "Er hat, als er sich um 1800 in der Natur umschaute, mehr wahrgenommen als andere, eine erhabene Leere und geheimnisvolle Reserviertheit. Seine Natur lächelt nicht, sie öffnet nicht die Arme, sie sagt kein Wort. Sie steht da wie ein letzter Zeuge, eine Erinnerung daran, dass die Geschichte mit dem Menschen einmal groß und gut gemeint gewesen war. Die Geschichte ist schlecht ausgegangen." Für Rathgeb ist Friedrich "der modernste unter den Romantikern" deshalb, "weil er, was er sagen wollte, in einer anderen Sprache vortrug, in Bildern, die sich nicht in Worte übersetzen lassen".
Es ist nicht unwichtig, wenn Rathgeb wie nebenbei klarmacht, dass Friedrichs Natur eine andere war als die, die wir heute vorfinden - ohne Wegweiser an jeder Ecke, ohne ausgewiesene Pfade. Es war eine Natur, in der man sich leicht verirren konnte, gefährlicher, noch fast undomestiziert. Deshalb entwerfen Friedrichs Landschaftsbilder auch in ihrer theologischen Dimension, wie Rathgeb es apart formuliert, keine Natur, "als würde Gott dem Betrachter aus dem Grünen zublinzeln". Denn sie "provozieren eine Reflexion, und die Frage, was es bedeutet, die Augen aufzuschlagen in einer Welt, die nicht mehr von sich verrät, als ihr Schein preisgibt, deren Schein aber ein Hinweis auf eine verborgene Wahrheit ist". Luzide ist da der entscheidende Unterschied zu den romantischen Literaten definiert: "Wenn die Romantiker von einer Einheit mit der Natur schwärmen, folgen sie den Erkenntnissen des Sehens nicht, die sie darauf hätten aufmerksam machen müssen, dass sie dem Schein anhängen und nie über den Schein hinausgelangen werden."
Rathgeb katapultiert seinen "Maler Friedrich" aus der Schwarmgeistigkeit der gängigen Klischees von Romantik hinaus. Er befreit ihn nicht nur aus dem Korsett einer Kunsthistorie, die Friedrich unverdrossen als schon in seiner Zeit anachronistische Künstlergestalt sehen will und zugleich als Vorläufer der bildnerischen Moderne. Stattdessen bettet er ihn ein in dessen pietistischen Glaubenshorizont und den geistesgeschichtlichen Raum seiner Zeitgenossenschaft. Da kennt sich der Autor gut aus, hat er doch schon Abhandlungen zu Hegel und Hölderlin, zu Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard veröffentlicht; er weiß um die nachhaltige Bedeutung von Kants Philosophieren oder den Einfluss der Ideen des evangelischen Theologen Friedrich Schleiermacher. Friedrich war nicht umfassend belesen, gewiss kein pictor doctus, aber er ist vom Fluidum des damals tonangebenden Denkens umgeben. Auch von seinen Lesern fordert Rathgeb nicht fundiertes Vorwissen; er biegt es ihnen beinah spielerisch bei, lässt es einfließen in seinen geschmeidig erzählerischen, in keinem Moment nachlässigen Stil.
"Auf sein geistiges Selbst ist der Mensch, ist der Maler angewiesen": Das schreibt Caspar David Friedrich um 1830 in seiner "Äußerung bei Betrachtung einer Sammlung von Gemälden von größtenteils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern". Das klingt natürlich nach Protestantismus, tiefer Gewissenserforschung. Friedrichs Werkzeuge dafür sind sein ihm eigener Blick, der ihm die Rekonstruktion seines "inneren Bildes" ermöglicht. Es sind sein Stift für die Skizzen - niemals malt er seine Bilder direkt vor der Natur -, seine Pinsel und der Malstock, mit denen er sie dann auch nach geometrischen Regeln aufbaut, wie Werner Busch das so präzise analysiert.
Anders formuliert: Friedrich arbeitet sich an dem Bruch zwischen dem einzelnen Menschen, dem Subjekt und der Welt ab, den Kant so wirkmächtig mit seiner "Kritik der reinen Vernunft" diagnostiziert hat. Rathgeb findet für Friedrich die schöne Formel vom "Philosophen des Auges" und konstatiert: "Seine überragende Ausdruckskraft fließt in die Bilder, in die archaische Sprache der Erscheinungen, die Ursprache der Welt, gesprochen vom ersten Menschen, der nur sah und keine Wörter kannte, was Bibelkundige oft vergaßen, die mit dem ersten Satz des Johannesevangeliums groß geworden waren: Am Anfang war das Wort." Es gehe also um ein "wortloses Sehen", vor aller sprachlichen Kommunikation.
Naturgemäß kann auch Rathgeb nichts grundstürzend Neues sagen, aber er findet Formulierungen von eindringlichem Annäherungswert an das Schaffen des Ausnahmekünstlers. Dessen Biographie nimmt er als einen Leitfaden, ohne wohlfeile psychologische Deutungen daraus abzuleiten. Seine klugen Interpretationen einzelner Bilder wie zum Beispiel des "Mönchs am Meer", 1808 bis 1810 entstanden, oder der zehn Jahre späteren "Frau am Fenster" - jener Rückenfigur von Friedrichs junger Ehefrau Caroline, wahrscheinlich in seinem Atelier -, finden unerwartete, hellsichtige Wendungen.
"Das Eismeer" von 1823/24 - dessen Wirkung übrigens die in Perfektion gestaltete Regel des Goldenen Schnitts verstärkt - ist für Rathgeb Monument des absoluten Zerfalls: "Das Projekt Menschheit ist gescheitert. Der Betrachter scheint der einzige Überlebende einer apokalyptischen Katastrophe zu sein." Das ist pathetisch, vom Blick in den Abgrund her formuliert; und er legt noch nach: Zum ersten Mal war "Das Eismeer" 1824 in Prag ausgestellt - wo sechzig Jahre später Franz Kafka geboren wurde, um die Absurdität einer unheimlich gewordenen Welt zu beglaubigen. Rathgeb hat keine Furcht, solche Linien auszuziehen. Er begibt sich als heutiger Betrachter - auch der in Friedrichs Bildern immer wieder ihrerseits betrachtenden Figuren - in die Position des Beobachters zweiter Ordnung. Er macht sich damit zu einem Mittler und gibt Caspar David Friedrich unserer Gegenwart zurück. ROSE-MARIA GROPP
Werner Busch: "Romantisches Kalkül". Caspar David Friedrichs 'Kreuz an der Ostsee'.
Schlaufen Verlag, Berlin 2023. 147 S., Abb., br., 22,50 Euro.
Eberhard Rathgeb: "Maler Friedrich".
Berenberg Verlag, Berlin 2023. 205 S., Abb., geb., 28,- Euro.
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