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Hier kann man lernen, Politik mit anderen Mitteln fortzuführen: Christine Tauber beschreibt, wie Ästhetik und Macht im Zeitalter des Manierismus zusammenarbeiteten.
Am Weihnachtstag 1539 wurde Kaiser Karl V. einem irritierenden Kunstwerk ausgesetzt. Nicht Christus und nicht er selbst wurde darin verherrlicht, sondern sein ärgster Rivale. Karl befand sich auf einer Winterreise durch Frankreich und war zu Gast in Fontainebleau bei Franz I., mit dem er ausnahmsweise gerade nicht auf Kriegsfuß stand. Rechtzeitig für den hohen Besuch hatte der König das neue Prunkstück des Schlosses, die Grande Galerie, fertigstellen lassen. An ihren Wänden entfaltete sich ein gewaltiger Bilderzyklus des italienischen Malers Rosso Fiorentino, vollgepackt mit mythologischen Szenen. Karl wurde von Franz allein durch die Galerie geleitet; die Führung dauerte mehr als zwei Stunden. Wie er auf die Konfrontation mit der Kunst reagierte, behielt er für sich. Nur der Wildreichtum der Jagdgebiete um Fontainebleau war ihm nach dem Besuch eine Bemerkung wert. Für Christine Tauber aber ist klar, was des Kaisers Schweigen zu sagen hat: Die Galerie habe ihn "offensichtlich überfordert".
Tauber rekonstruiert in ihrem Buch über die Kunstpolitik Franz I. das Treffen der beiden mächtigsten Monarchen bis ins Detail - als einen ästhetischen Triumphzug desjenigen, dem auf dem Schlachtfeld die Rolle des Geschlagenen beschieden war. Franz habe in der Grande Galerie ein künstlerisches Programm aufgezogen, das mit seiner "Akkumulation hermetischer Bedeutungen auf höchstem künstlerischen Niveau" für den "Uneingeweihten eine extreme Krisenerfahrung" darstelle - und für Karl war das eben zu viel.
Worin aber bestand das künstlerische Programm der Galerie? In "programmatischer Programmlosigkeit"! Es erzeugte eine "Ästhetik der Überforderung", die zum Ziel hatte, dass sie niemand verstand - nicht der damalige Betrachter, nicht die heutige Kunsthistorikerin -, und der König als Einziger mit dem Interpretationsschlüssel winken konnte. Für Tauber setzte er damit in ihr das herrschaftliche Prinzip um: "Wissen ist Macht und Erläuterung von Unverständlichem ein herrscherlicher Gnadenbeweis." Sie erkennt im Programm der Großen Galerie eine Form öffentlicher Geheimnispolitik, die das Zeitalter des Absolutismus ankündige. Damit aber nicht genug: Sie findet in Fontainebleau den Durchbruch zur Moderne, verwirklicht im "Staat als Kunstwerk". Was Jacob Burckhardt auf Italien projiziert hat, wird hier für Frankreich reserviert, und was er metaphorisch verstanden hat, ist hier wörtlich gemeint.
Abgesehen von Franz sind die Hauptrollen in Taubers Buch aber noch immer Italienern vorbehalten. Dies nicht von ungefähr: Die Politik des französischen Königs habe sich stets um Italien gedreht. Zuerst, zwischen 1515 und 1526, habe er auf militärischem Gebiet sein Reich nach Italien ausdehnen und auf künstlerischem Gebiet Italianità durch Gallità überbieten wollen; in dieser Phase konnte es vorkommen, dass Franz vor ausländischen Gästen die Türen in seinen Residenzen einschlug, anstatt sie zu öffnen, um als französischer Herkules durchzukommen. Dann, nach der Katastrophe von Pavia und der überstandenen Gefangennahme durch Karl, habe er Italien auf künstlerischem Wege nach Frankreich verlegen wollen. Franz habe dabei keineswegs Erfolglosigkeit auf dem militärischen Feld mit einer Aufrüstung auf dem künstlerischen Feld kompensiert, sondern eine konsequente "Fortführung der Politik mit anderen Mitteln" betrieben.
Zu den bedeutenden italienischen Künstlern an seinem Hof zählten neben Rosso Fiorentino Francesco Primaticcio, der ihm aus Rom Bronzeabgüsse antiker Statuen besorgte, darunter auch einen Laokoon, und Benvenuto Cellini, der während seines Gastspiels in Fontainebleau für den König das berühmte, heute in Wien stehende Salzfass anfertigte. Tauber stellt sie als führende Vertreter des Manierismus vor, der in ihrem Buch nicht als überkünsteltes Niedergangsphänomen im Anschluss an die Hochrenaissance erscheint, sondern als "avantgardistischste Stilrichtung, derer man sich zu politischen Zwecken der Überbietung bedienen kann". Manieristische Kunst ist ironisch, intellektualistisch, parodistisch und hermetisch - mit anderen Worten: die ideale künstlerische Entsprechung zum "manieristischen Habitus" des politischen Avantgardisten Franz I.
Für Tauber ist die Beziehung von König und Künstler nicht hierarchisch, sondern komplementär angelegt. Beide brauchen einander, um ihre "Werke" autonom verwirklichen zu können. Exemplarisch vorgelebt sieht sie diese Wahlverwandtschaft in der Beziehung von Franz und Rosso. Zwischen 1531 und 1536, als die wichtigsten Arbeiten in der Grande Galerie anstanden, sei der König kaum in Fontainebleau gewesen. "Einige wenige Gipfelgespräche zwischen Auftraggeber und Künstler - zwischen gleichgeordneten Gesprächspartnern - mussten genügen, um die groben Linien der Ausstattung zu klären." Für den Rest hatte der Maler freie Hand. Er schuf ein ästhetisches Monument und politisches Machtinstrument, das auf Franz ideal zugeschnitten war.
Schade nur, dass die beiden ihrer Zeit so weit voraus und ihren Mitmenschen so weit überlegen waren. Denn ihre gemeinsam errichtete "Ästhokratie" war "zu exklusiv konzipiert, um machtpolitisch vordergründig erfolgreich sein zu können". Der simplere Kaiser hatte es da entschieden einfacher, denn ihm lagen ästhetische Finesse und Ironie fern.
Nicht ganz so harmonisch wie mit Rosso Fiorentino lief es für Franz mit Benvenuto Cellini. Der Künstler verstand unter Autonomie offenbar etwas anderes als der König. Er führte Kunstwerke aus, die ihm nicht aufgetragen worden waren, er beging die Frechheit, über seine Kunst zu reden, anstatt sie bloß zu machen, und er reiste aus Fontainebleau unangekündigt ab, als es ihm dort nicht mehr gefiel. Mit diesen "Grenzüberschreitungen", so die Autorin, verletzte er die Autonomie des Herrschers. Nachdem dessen "feine Ironie" bei Cellini auf taube Ohren gestoßen war, bekam dieser schließlich die " Macht der königlichen terribilità" zu spüren.
Tauber bietet weniger eine kunsthistorische Gesamtschau von Fontainebleau unter der Herrschaft Franz I. als eine Abfolge von detaillierten Einzelstudien zu wichtigen Aspekten seiner Kunstpolitik. Das Werk ist an der Grenze von Kunstgeschichte und Geschichte angesiedelt, und es gestaltet seinen Stoff so, wie es seinen Gegenstand beschreibt: Reich an originalsprachlichen Zitaten, ist es jener auserlesenen Leserschaft vorbehalten, die neben dem humanistischen Latein auch die französische, spanische, italienische und englische Sprache des 16. Jahrhunderts beherrscht. Anstatt diese glückliche Minderheit mit einer Zusammenfassung zu beleidigen, belohnt sie die Autorin mit einem Quellenanhang, der historische Beschreibungen Fontainebleaus aus anderen Editionen zusammenträgt.
Schließlich kommen die Liebhaber des Manierismus auch sprachlich auf ihre Rechnung, dank ausgesuchter Fremdwörter wie "Translokution", kühner Neologismen wie "Ästhokratie" und pikanter Sprachbilder wie "Potenzbeweise an anatomisch einschlägiger Stelle" und "dynamischer Penis". Mit solch exquisiter Ironie macht Tauber ihren Helden alle Ehre.
CASPAR HIRSCHI
Christine Tauber: "Manierismus und Herrschaftspraxis". Studien aus dem Warburg-Haus. Akademie Verlag, Berlin 2009. 419 S., Abb., geb., 79,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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