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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wo Thomas Mann glücklich war
An manchen Stellen im Werk Thomas Manns gibt es diese gut versteckten Untiefen des Kitschs. Wie am Anfang des „Tonio Kröger“, wenn es heißt: „Kleines Volk setzte sich lustig in Trab, daß der Eisbrei umherspritzte und die Siebensachen der Wissenschaft in den Seehundsränzeln klapperten.“ Wenn nun Volker Weidermann, Feuilletonchef der Zeit, sein neues Buch nicht nur Thomas Mann und dem Meer, sondern auch noch der Liebe gewidmet hat, wird gleich ein sanfter Sog in diese Untiefen spürbar. Dabei ist das Thema – Thomas Mann und das Meer – nicht abseitig. Es gibt schließlich den „Tod in Venedig“ und die „Buddenbrooks“, die in Manns Heimat, der Hafenstadt Lübeck spielen, und natürlich während des Zweiten Weltkriegs das Exil in Kalifornien, in dem Stadtteil von Los Angeles, der Pacific Palisades heißt. Immer wieder taucht das Meer in Werk und Biografie Thomas Manns auf, und Weidermann hat die wichtigsten dieser Traversen zusammengetragen.
Schon 2013 schlug der Germanist Hans Wißkirchen vor, man müsse eine Geschichte der Familie Mann doch in Brasilien beginnen, am Strand von Paratay, wo das Geburtshaus von Thomas Manns Mutter Julia da Silva-Bruhns steht. So hat es Weidermann dann auch gemacht. Romanhaft blickt er in das Leben und Staunen des jungen Mädchens am tropischen Meer, um von dort aus mit ihr ins Lübeck des 19. Jahrhunderts zu reisen und dann immer tiefer in das entstehende Werk Thomas Manns. Eigentlich ist dieses kurze Buch eine mit kundigen Strichen gezogene Skizze einer Biografie Thomas Manns, erzählt entlang der Meeresufer und -passagen. Das Meer bei Mann ist für Weidermann ein komplexes Metaphernfeld, das vom Glück der sorglosen Kindheit im Strandurlaub bis zu den dunklen Strudeln reicht, die Mann mehrmals in die Tiefe zu reißen drohten: sowohl privat in Hinblick auf seine unterdrückte Homo- oder Bisexualität als auch politisch durch die Versuchung des aufkommenden Faschismus mit seinem Patriotismus, dem Mann nicht völlig abgeneigt war. All diesen Unterströmungen hat Thomas Mann aber – mit kleinen Ausnahmen – stets widerstanden. Weidermann leitet das alles aus Manns Werk und biografischen Quellen ab. Den romanhaften Ton der ersten Kapitel hält er nicht durch, und wahrscheinlich will er das auch gar nicht. Dem Buch hat die Erdung an konkreten Textbeispielen gutgetan, auch wenn die Verquickung aus Biografie und Werk natürlich neue Probleme aufwirft, die für den Zweck dieses durchaus zur Strandlektüre geeigneten Buches aber vernachlässigbar sind. Denn Thomas Manns Meer hat bei Weidermann in jeder Hinsicht die angemessene Tiefe.
NICOLAS FREUND
Volker Weidermann: Mann vom Meer. Thomas Mann und die Liebe seines Lebens. Köln, Kiepenheuer & Witsch. 240 Seiten, 23 Euro.
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