Just about six months before my departure for Spain, I first met the Chevalier des Grieux. Though I rarely quitted my retreat, still the interest I felt in my child's welfare induced me occasionally to undertake short journeys, which, however, I took good care to abridge as much as possible.
I was one day returning from Rouen, where I had been, at her request, to attend a cause then pending before the Parliament of Normandy, respecting an inheritance to which I had claims derived from my maternal grandfather. Having taken the road by Evreux, where I slept the first night, I on the following day, about dinner-time, reached Passy, a distance of five or six leagues. I was amazed, on entering this quiet town, to see all the inhabitants in commotion. They were pouring from their houses in crowds, towards the gate of a small inn, immediately before which two covered vans were drawn up. Their horses still in harness, and reeking from fatigue and heat, showed that the cortege had only just arrived. I stopped for a moment to learn the cause of the tumult, but could gain little information from the curious mob as they rushed by, heedless of my enquiries, and hastening impatiently towards the inn in the utmost confusion. At length an archer of the civic guard, wearing his bandolier, and carrying a carbine on his shoulder, appeared at the gate; so, beckoning him towards me, I begged to know the cause of the uproar. "Nothing, sir," said he, "but a dozen of the frail sisterhood, that I and my comrades are conducting to Havre-de-Grace, whence we are to ship them for America. There are one or two of them pretty enough; and it is that, apparently, which attracts the curiosity of these good people."
I was one day returning from Rouen, where I had been, at her request, to attend a cause then pending before the Parliament of Normandy, respecting an inheritance to which I had claims derived from my maternal grandfather. Having taken the road by Evreux, where I slept the first night, I on the following day, about dinner-time, reached Passy, a distance of five or six leagues. I was amazed, on entering this quiet town, to see all the inhabitants in commotion. They were pouring from their houses in crowds, towards the gate of a small inn, immediately before which two covered vans were drawn up. Their horses still in harness, and reeking from fatigue and heat, showed that the cortege had only just arrived. I stopped for a moment to learn the cause of the tumult, but could gain little information from the curious mob as they rushed by, heedless of my enquiries, and hastening impatiently towards the inn in the utmost confusion. At length an archer of the civic guard, wearing his bandolier, and carrying a carbine on his shoulder, appeared at the gate; so, beckoning him towards me, I begged to know the cause of the uproar. "Nothing, sir," said he, "but a dozen of the frail sisterhood, that I and my comrades are conducting to Havre-de-Grace, whence we are to ship them for America. There are one or two of them pretty enough; and it is that, apparently, which attracts the curiosity of these good people."
Süddeutsche ZeitungSchwachbrüstig war der Wüstling nie
Prévosts Roman „Manon Lescaut“ hat viele Künstler zu Opern, Filmen und Theaterstücken inspiriert.
Doch die Vorlage gab es auf Deutsch nur in einer antiquierten Übersetzung – bis jetzt
VON MICHAEL STALLKNECHT
Vor allem die Opernliebhaber können heute noch etwas mit der „Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut“ aus der Feder des Abbé Prévost anfangen. Der französische Kurzroman, in der Urfassung aus dem Jahr 1731, hat nicht nur Giacomo Puccini und Jules Massenet zu zwei viel gespielten Opern inspiriert. Auch Komponisten wie Daniel François Esprit Auber oder Hans Werner Henze haben sich – von überwiegend vergessenen Theaterstücken und Filmen ganz zu schweigen – ihre operndramaturgischen Zähne an diesem Stoff ausgebissen.
Doch wer sich auf Deutsch mit der Vorlage vertraut machen wollte, musste bis vor Kurzem mit der in Würde ergrauten Übersetzung aus dem Reclam-Verlag vorliebnehmen. Nun legt der Manesse-Verlag eine Neuübersetzung vor, die schon haptisch zum Sujet passt. Schließlich bewegen sich die eleganten Bändchen der „Bibliothek der Weltliteratur“ so kokett zwischen Brevier und heimlicher Bettlektüre wie der junge Ich-Erzähler des Romans zwischen dem Theologiestudium, für das ihn der Vater und der örtliche Bischof bestimmt haben, und der schönen, liebenswürdigen, aber immer wieder untreuen Manon.
Weil die Liebe zu dem launischen Mädchen ein teures Vergnügen ist, gerät der Chevalier des Grieux rasch in einen Sumpf aus Schulden und Glücksspiel. Entführung, Kuppelei, Gefangenenbefreiung, Mord und bewaffneter Überfall sind zwischen mehreren Gefängnisaufenthalten die klassischen Stationen, auf denen es für den Sohn aus gutem Haus bergab geht.
Dass dieses zweifellos sehr moralische Szenario bis heute nicht betulich wirkt, könnte auch an der Biografie des Autors liegen, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 250. Mal jährte. Antoine-François Prévost schwankte, nachdem er mit seinem Vater gebrochen hatte, zwischen einem Soldatenleben und dem Theologiestudium, bevor er dem Benediktinerorden beitrat und sich zum Priester weihen ließ. Doch weil er seine schriftstellerischen Ambitionen dort kaum ausleben konnte, floh er. Steckbrieflich gesucht, fand Prévost d’Exiles, wie er sich nun selbstironisch nannte, temporäre Exile in halb Europa, trat zum Anglikanismus über, unterhielt zahlreiche amouröse Beziehungen und landete wegen Wechselbetrugs im Gefängnis.
Auch wenn die Legende noch vieles hinzuerfunden hat, gehört seine Biografie zweifellos in die Reihe der wilden und originellen Lebensläufe, an denen gerade das 18. Jahrhundert auffallend reich ist. Unermüdlich ist er als Übersetzer oder Zeitschriftenherausgeber tätig, bringt Reiseberichte, Biografien und ein sehr umfangreiches belletristisches Œuvre hervor. Prévost kann (und muss) vom Schreiben leben, bevor er schließlich als Hauskaplan bei einem liberalen Aristokraten in Frankreich Unterschlupf findet. Er stirbt unter einem Baum am Straßenrand an einem Schlaganfall.
Prévosts literarischer Blick ist amoralisch, ohne pointiert unmoralisch sein zu wollen. In der „Manon Lescaut“, die ursprünglich als knapper Abschluss eines siebenteiligen Romanwerks erschien, nimmt er die religiöse und ethische Dimension seiner Figuren durchaus ernst. Zugleich aber zeigt er, wie all die einflussreichen Persönlichkeiten, all die Vaterfiguren in den Institutionen Moral als Vorwand einsetzen, um eigenen Leidenschaften zu folgen. Doch auch die Kutscher, Soldaten und Diener lassen sich ihre laut beschrienen Werte rasch für ein paar Münzen abkaufen.
„Manon Lescaut“ gilt als erster Roman der französischen Literaturgeschichte, in dem überhaupt von Geld die Rede ist. Und wenn Manon und ihr Liebhaber am Schluss nach Amerika verbannt werden, widerlegt Prévosts desillusionierende Perspektive quasi nebenher noch den ihm auch persönlich bestens bekannten Jean-Jacques Rousseau. Denn in den fast noch vorzivilisatorischen Hütten lebt keineswegs der edle Wilde, sondern agieren die Machthaber ebenso eigennützig und schamlos wie drüben im alten Europa.
Die Zwischenräume und Zerrissenheiten von Tugenden und Leidenschaften, in denen Prévost sich raffiniert bewegt, erklären auch die wechselvolle Rezeptionsgeschichte. Napoleon wollte das einst noch öffentlich verbrannte Skandalbuch zur Erbauungslektüre für Dienstboten erheben. Die Romantiker dagegen lasen eine Abrechnung mit der Spießermoral und verehrten Manon als Femme fatale, woran auch die Oper anknüpfte. Für den heutigen Übersetzer aber sind Tugenden wie Leidenschaften vor allem ein sprachliches Problem. Bemühten sich die älteren Versionen um eine modernisierende Glättung, tritt Jörg Trobitius nun die Flucht nach vorne an. Bei ihm ist von der „Niedertracht“ wieder ebenso die Rede wie von der „Sanftmut“, vom „Wüstling“ wie vom „unseligen Schuft“; auch Figurenrede wird charakterisierend eingesetzt.
Das beachtliche Kunststück daran ist, dass die Übersetzung bis auf wenige Ausrutscher – der „Tropf“ ist denn doch zu Recht aus der Mode gekommen – nie altväterlich wirkt. Im Gegenteil lässt gerade der Griff in den großen Farbtopf diese „Manon Lescaut“ lebendiger und damit auch zeitgemäßer erscheinen. Schlägt man das kleine Büchlein zu, seufzt man also nicht nur über das melodramatische Schicksal des jungen Paares, sondern auch darüber, dass wir in unseren irdischen ebenso wie in unseren himmlischen Sehnsüchten anscheinend ein gutes Stück schwachbrüstiger sind als das Zeitalter des Abbé Prévost.
Die Romantiker verehrten
Manon als Femme fatale – hier
knüpfte die Oper an
Opernliebhaber kennen den Stoff zum Beispiel aus Giacomo Puccinis viel gespieltem Musikdrama. Unser Bild zeigt das
historische Plakat einer italienischen Aufführung der „Manon Lescaut“. Foto: Getty Images
Abbé Prévost: Manon Lescaut. Roman.
Aus dem Französischen
von Jörg Trobitius.
Manesse Verlag, Zürich 2013. 384 Seiten, 22,95 Euro, E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Prévosts Roman „Manon Lescaut“ hat viele Künstler zu Opern, Filmen und Theaterstücken inspiriert.
Doch die Vorlage gab es auf Deutsch nur in einer antiquierten Übersetzung – bis jetzt
VON MICHAEL STALLKNECHT
Vor allem die Opernliebhaber können heute noch etwas mit der „Geschichte des Chevalier des Grieux und der Manon Lescaut“ aus der Feder des Abbé Prévost anfangen. Der französische Kurzroman, in der Urfassung aus dem Jahr 1731, hat nicht nur Giacomo Puccini und Jules Massenet zu zwei viel gespielten Opern inspiriert. Auch Komponisten wie Daniel François Esprit Auber oder Hans Werner Henze haben sich – von überwiegend vergessenen Theaterstücken und Filmen ganz zu schweigen – ihre operndramaturgischen Zähne an diesem Stoff ausgebissen.
Doch wer sich auf Deutsch mit der Vorlage vertraut machen wollte, musste bis vor Kurzem mit der in Würde ergrauten Übersetzung aus dem Reclam-Verlag vorliebnehmen. Nun legt der Manesse-Verlag eine Neuübersetzung vor, die schon haptisch zum Sujet passt. Schließlich bewegen sich die eleganten Bändchen der „Bibliothek der Weltliteratur“ so kokett zwischen Brevier und heimlicher Bettlektüre wie der junge Ich-Erzähler des Romans zwischen dem Theologiestudium, für das ihn der Vater und der örtliche Bischof bestimmt haben, und der schönen, liebenswürdigen, aber immer wieder untreuen Manon.
Weil die Liebe zu dem launischen Mädchen ein teures Vergnügen ist, gerät der Chevalier des Grieux rasch in einen Sumpf aus Schulden und Glücksspiel. Entführung, Kuppelei, Gefangenenbefreiung, Mord und bewaffneter Überfall sind zwischen mehreren Gefängnisaufenthalten die klassischen Stationen, auf denen es für den Sohn aus gutem Haus bergab geht.
Dass dieses zweifellos sehr moralische Szenario bis heute nicht betulich wirkt, könnte auch an der Biografie des Autors liegen, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 250. Mal jährte. Antoine-François Prévost schwankte, nachdem er mit seinem Vater gebrochen hatte, zwischen einem Soldatenleben und dem Theologiestudium, bevor er dem Benediktinerorden beitrat und sich zum Priester weihen ließ. Doch weil er seine schriftstellerischen Ambitionen dort kaum ausleben konnte, floh er. Steckbrieflich gesucht, fand Prévost d’Exiles, wie er sich nun selbstironisch nannte, temporäre Exile in halb Europa, trat zum Anglikanismus über, unterhielt zahlreiche amouröse Beziehungen und landete wegen Wechselbetrugs im Gefängnis.
Auch wenn die Legende noch vieles hinzuerfunden hat, gehört seine Biografie zweifellos in die Reihe der wilden und originellen Lebensläufe, an denen gerade das 18. Jahrhundert auffallend reich ist. Unermüdlich ist er als Übersetzer oder Zeitschriftenherausgeber tätig, bringt Reiseberichte, Biografien und ein sehr umfangreiches belletristisches Œuvre hervor. Prévost kann (und muss) vom Schreiben leben, bevor er schließlich als Hauskaplan bei einem liberalen Aristokraten in Frankreich Unterschlupf findet. Er stirbt unter einem Baum am Straßenrand an einem Schlaganfall.
Prévosts literarischer Blick ist amoralisch, ohne pointiert unmoralisch sein zu wollen. In der „Manon Lescaut“, die ursprünglich als knapper Abschluss eines siebenteiligen Romanwerks erschien, nimmt er die religiöse und ethische Dimension seiner Figuren durchaus ernst. Zugleich aber zeigt er, wie all die einflussreichen Persönlichkeiten, all die Vaterfiguren in den Institutionen Moral als Vorwand einsetzen, um eigenen Leidenschaften zu folgen. Doch auch die Kutscher, Soldaten und Diener lassen sich ihre laut beschrienen Werte rasch für ein paar Münzen abkaufen.
„Manon Lescaut“ gilt als erster Roman der französischen Literaturgeschichte, in dem überhaupt von Geld die Rede ist. Und wenn Manon und ihr Liebhaber am Schluss nach Amerika verbannt werden, widerlegt Prévosts desillusionierende Perspektive quasi nebenher noch den ihm auch persönlich bestens bekannten Jean-Jacques Rousseau. Denn in den fast noch vorzivilisatorischen Hütten lebt keineswegs der edle Wilde, sondern agieren die Machthaber ebenso eigennützig und schamlos wie drüben im alten Europa.
Die Zwischenräume und Zerrissenheiten von Tugenden und Leidenschaften, in denen Prévost sich raffiniert bewegt, erklären auch die wechselvolle Rezeptionsgeschichte. Napoleon wollte das einst noch öffentlich verbrannte Skandalbuch zur Erbauungslektüre für Dienstboten erheben. Die Romantiker dagegen lasen eine Abrechnung mit der Spießermoral und verehrten Manon als Femme fatale, woran auch die Oper anknüpfte. Für den heutigen Übersetzer aber sind Tugenden wie Leidenschaften vor allem ein sprachliches Problem. Bemühten sich die älteren Versionen um eine modernisierende Glättung, tritt Jörg Trobitius nun die Flucht nach vorne an. Bei ihm ist von der „Niedertracht“ wieder ebenso die Rede wie von der „Sanftmut“, vom „Wüstling“ wie vom „unseligen Schuft“; auch Figurenrede wird charakterisierend eingesetzt.
Das beachtliche Kunststück daran ist, dass die Übersetzung bis auf wenige Ausrutscher – der „Tropf“ ist denn doch zu Recht aus der Mode gekommen – nie altväterlich wirkt. Im Gegenteil lässt gerade der Griff in den großen Farbtopf diese „Manon Lescaut“ lebendiger und damit auch zeitgemäßer erscheinen. Schlägt man das kleine Büchlein zu, seufzt man also nicht nur über das melodramatische Schicksal des jungen Paares, sondern auch darüber, dass wir in unseren irdischen ebenso wie in unseren himmlischen Sehnsüchten anscheinend ein gutes Stück schwachbrüstiger sind als das Zeitalter des Abbé Prévost.
Die Romantiker verehrten
Manon als Femme fatale – hier
knüpfte die Oper an
Opernliebhaber kennen den Stoff zum Beispiel aus Giacomo Puccinis viel gespieltem Musikdrama. Unser Bild zeigt das
historische Plakat einer italienischen Aufführung der „Manon Lescaut“. Foto: Getty Images
Abbé Prévost: Manon Lescaut. Roman.
Aus dem Französischen
von Jörg Trobitius.
Manesse Verlag, Zürich 2013. 384 Seiten, 22,95 Euro, E-Book 18,99 Euro.
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