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WIE DIE WELT DEM MAO-FIEBER ERLAG
Unter der Herrschaft Xi Jinpings prägt der Maoismus bis heute die Politik Chinas. Umso wichtiger ist es, seine Geschichte zu verstehen. Revolutionär, brutaler Diktator, Pop-Ikone: Mao Zedong war eine der prägendsten Personen des 20. Jahrhunderts. Das kleine Rote Buch, bis heute knapp eine Milliarde Mal gedruckt, verbreitete sein Denken weltweit. Antikoloniale Bewegungen beriefen sich ebenso auf den Großen Vorsitzenden wie Politsekten und Terrororganisationen. Rudi Dutschke propagierte den »Langen Marsch durch die Institutionen«. Andy Warhol wählte Mao als sein erstes nichtwestliches Motiv.
In ihrem monumentalen Buch zeigt Julia Lovell, wie der Maoismus in China und zahlreichen anderen Ländern rund um den Globus zu einer so wirkmächtigen Ideologie werden konnte. Dabei verschiebt sie die Koordinaten der herkömmlichen Geschichtsschreibung. Fernab von Moskau und Washington beeinflusste Peking zur Hochzeit des Kalten Krieges den Konflikt in Vietnam, verhalf den Roten Khmer in Kambodscha an die Macht und inspirierte Guerillas in Indien und Peru.
Lovell erklärt, warum Intellektuelle in Westeuropa von einer Weltanschauung fasziniert waren, die sich an chinesische Bauern richtete. Sie folgt den Wegen revolutionärer Kämpfer aus Afrika, Südamerika und den USA. »Ein beeindruckendes, zugängliches und [...] erstaunliches Buch« (Ian Johnson, Pulitzer-Preisträger).
WIE DIE WELT DEM MAO-FIEBER ERLAG
Unter der Herrschaft Xi Jinpings prägt der Maoismus bis heute die Politik Chinas. Umso wichtiger ist es, seine Geschichte zu verstehen. Revolutionär, brutaler Diktator, Pop-Ikone: Mao Zedong war eine der prägendsten Personen des 20. Jahrhunderts. Das kleine Rote Buch, bis heute knapp eine Milliarde Mal gedruckt, verbreitete sein Denken weltweit. Antikoloniale Bewegungen beriefen sich ebenso auf den Großen Vorsitzenden wie Politsekten und Terrororganisationen. Rudi Dutschke propagierte den »Langen Marsch durch die Institutionen«. Andy Warhol wählte Mao als sein erstes nichtwestliches Motiv.
In ihrem monumentalen Buch zeigt Julia Lovell, wie der Maoismus in China und zahlreichen anderen Ländern rund um den Globus zu einer so wirkmächtigen Ideologie werden konnte. Dabei verschiebt sie die Koordinaten der herkömmlichen Geschichtsschreibung. Fernab von Moskau und Washington beeinflusste Peking zur Hochzeit des Kalten Krieges den Konflikt in Vietnam, verhalf den Roten Khmer in Kambodscha an die Macht und inspirierte Guerillas in Indien und Peru.
Lovell erklärt, warum Intellektuelle in Westeuropa von einer Weltanschauung fasziniert waren, die sich an chinesische Bauern richtete. Sie folgt den Wegen revolutionärer Kämpfer aus Afrika, Südamerika und den USA. »Ein beeindruckendes, zugängliches und [...] erstaunliches Buch« (Ian Johnson, Pulitzer-Preisträger).
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2023Seine Doktrinen liefen in der Praxis aufs Gegenteil hinaus
Ausgangspunkt für heutige Drohgebärden: Julia Lovell zeichnet ein Bild der chinesischen Politik und globalen Propaganda in der Ära Maos.
Warum betrachten wir den Maoismus nicht global? Warum ist dieses Buch nicht schon früher geschrieben worden?", fragt die amerikanische Sinologin Julia Lovell eingangs ihres Buches "Maoismus - Eine Weltgeschichte". Eine berechtigte Frage, auf die es mehrere, miteinander verbundene Antworten gibt. So wird in westlicher Retrospektive der "Maoismus" als ein bloßer exotischer Ideologiemix erinnert, der gleich nach dem Tod seines Autors unter der Ägide des Modernisierers Deng verworfen wurde. Zwar huldigt die KP Chinas seit dem Machtantritt Xis verstärkt wieder Mao als dem Gründer der Partei und des Staates. Aber über die abenteuerliche maoistische Weltpolitik der Fünfziger- und Sechzigerjahre und die innenpolitischen Katastrophen des "Großen Sprungs", des Großen Hungers, der Kulturrevolution und so fort soll möglichst nicht mehr gesprochen oder geforscht werden. Und damit auch andere nicht darüber forschen, hat die Partei ihre Archive, aus denen seit den Achtzigerjahren einige Dokumente und Fakten zutage getreten waren, luftdicht wieder verschlossen, wie den gläsernen Sarkophag, in dem Maos Leichnam konserviert liegt.
Dazu kommt, dass sich in der europäischen und namentlich der deutschen Erinnerung die Epoche des sogenannten "Kalten Kriegs" ziemlich einseitig darstellt, nämlich als starre, atomar weitgehend stillgestellte Ost-West-Teilung zwischen einem von den USA geführten atlantischen Bündnis westlich-kapitalistischer Länder und einem von der UdSSR militärisch zusammengefügten "sozialistischen Lager" jenseits der Elbe. Dahinter verschwindet, was schon in der amerikanischen Erinnerung viel präsenter ist, dass nämlich die Volksrepublik China seit dem Moment ihrer Gründung 1949 immer wieder als ein dritter, vielfach verschärfender und irregulärer Faktor im weltpolitischen Mächtespiel aufgetreten ist.
Anfangs geschah das noch im engen Zusammenspiel mit Stalins Sowjetunion, so vor allem im Koreakrieg nach 1950, in den Mao mit einer Million Soldaten eingriff und tatsächlich bewies, dass die (amerikanische) "Atombombe ein Papiertiger" ist. Ab den Sechzigerjahren trat das maoistische China dann in einen immer schärferen, unversöhnlichen Widerspruch zu den Moskauer "Revisionisten" und "Sozialimperialisten" - die ihrerseits die Maoisten als "Sozialfaschisten" und Nachfolger Hitlers brandmarkten. Bis 1972 Nixon und Kissinger plötzlich in Peking auftauchten, Toasts auf Mao und Tschou ausbrachten und ein neues, teilweise wieder sehr fragwürdiges Kapitel chinesisch-amerikanischer Machtspiele aufschlugen, von Chile bis Kambodscha.
Es ist das Verdienst der in London lehrenden Sinologin Julia Lovell, den "Maoismus", oder richtiger: die aktivistische chinesische Innen- und Außenpolitik und Globalpropaganda der Mao-Ära, als ein zentrales, vieles erklärendes Element in das Gesamtbild der Geschichte dieser Zeit einzuzeichnen. Einige der mörderischsten, "heißesten" Kriege und Bürgerkriege dieses Zeitalters, in Korea wie in Indochina, in Afrika oder in Asien, waren ohne die treibende Rolle Chinas nicht zu denken. Einige Führer der "Blockfreien", wie der Indonesier Sukarno oder der kambodschanische König Sihanouk, ließen sich von den chinesischen Führern für deren eigene Machtspiele einspannen und lieferten so die Vorwände für einige der größten Massaker dieses Zeitalters wie das in Indonesien 1965 oder das in Kambodscha 1975.
Andererseits ruft Lovell in Erinnerung, wie sehr der Begriff des "Maoismus" (von dem man in China nicht spricht) und der Nimbus Maos eine westliche Schöpfung waren. Das gilt schon für die Urszene, den Bericht des amerikanischen Journalisten Edgar Snow, eines nicht kommunistischen Sympathisanten, der 1936 das Bürgerkriegslager der chinesischen Kommunisten in Yan'an (Jenan) besucht und, den Erzählungen Maos und dessen (von eigener Hand redigierten) Selbststilisierungen folgend, ein idealisiertes Porträt dieses bis dahin weithin Unbekannten und seiner angeblich bäuerlich-puritanischen Sozialpraktiken entworfen hatte. "Roter Stern über China" wurde ein Weltbestseller, der in viele Sprachen, darunter auch zurück ins Chinesische, übersetzt und über Jahrzehnte immer wieder neu aufgelegt worden ist. Dieses Buch sei im Grunde "der Beginn des globalen Maoismus" gewesen.
Das mag übertrieben sein, liefert aber Lovells anekdotenreicher Erzählung einen roten Faden und hat jedenfalls einen wahren Kern, der sich verallgemeinern ließe. Denn die ganze Jahrhundertgeschichte des Kommunismus in all seinen nationalen Spielarten und Ausprägungen wäre ja ohne die westlichen Ideeneinschüsse (angefangen mit dem Marxismus) und dessen politische, intellektuelle und künstlerische Resonanzen nicht denkbar gewesen. Nicht nur die Führer und Ideologen der späteren kommunistischen Parteien, sei es Russlands, Chinas oder Vietnams, haben zu einem übergroßen Teil in den Ländern des Westens studiert, gearbeitet oder im Exil gelebt; sondern dasselbe gilt auch für viele Protagonisten der antikolonialen Bewegungen der späteren "Dritten Welt".
Nur waren es dann ganz eigene, in sehr unterschiedlichen Farben, Mentalitäten, Traditionen befangene Politiken und Aktivitäten, die sie daraus abgeleitet und entwickelt haben, und das dann schon in eigener Verantwortung. Wenn man Lovells Buch eine konzeptionelle Schwäche vorwerfen will, dann die, die auch das Gros der historischen Kommunismus-Forscherinnen und -forscher seit jeher prägt: dass sie nämlich (kommunikationstheoretisch gesprochen) eher auf die Sender als auf die Empfänger schauen, auf die Texte statt auf die, die sie in ihre eigenen Kontexte übertragen und ihren Bedürfnissen und Ambitionen anpassen.
Mao zum Beispiel, der 1921 als verbummelter Bücherwurm an der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas teilnahm, kannte (eigenem Bekunden zufolge) von Marx oder Lenin rein gar nichts. Aber "eine Revolution russischen Stils" schien ihm, so sagte er Snow, "das letzte Mittel, wenn alle anderen Mittel erschöpft sind". Ganz ähnlich schien eine "Revolution chinesischen Stils" vielen asiatischen Kämpfern gegen die nach der japanischen Okkupation zurückgekehrten europäischen Kolonialregimes oder später vielen Opponenten der nachkolonialen Regimes in Indonesien, Indien, Burma, Nepal oder auch in Afrika "das letzte Mittel".
Dabei hatte die Machteroberung der chinesischen Kommunisten weder dem idealtypischen Bild einer "proletarischen Revolution" noch dem einer "Agrarrevolution" entsprochen, noch ähnelte ihr in einer Serie großer Feldschlachten mit schweren Waffen errungener Sieg den elaborierten Partisanenkriegs-Theorien, die Mao ein Jahrzehnt früher entworfen hatte. Und das gilt für den weiteren Weg dieses Machtsystems überhaupt. Sämtliche Doktrinen Maos liefen in der Praxis auf ihr glattes Gegenteil hinaus. Die "Gedankenreform-" oder "Berichtigungskampagnen" waren meist mit physischem Terror eingebläute, "kultartige Bonding-Rituale", wie Lovell prägnant formuliert. Mao gab sich als kommunistischer Anarch, der (wie er seinem getreuen Eckermann Snow sagte) sein "Examen an der Universität der Gesetzlosen" gemacht habe, und rief zur immer erneuten "Rebellion" auf, notfalls auch gegen das eigene "Hauptquartier", die Staats- und Parteiführung selbst. Aber das war ein Freibrief, der nur er selbst als gottgleicher Volkskaiser seinen fanatisierten Roten Garden geben durfte - um sie kurz darauf mithilfe der Armee niederschlagen und aus den Städten deportieren zu lassen, diesmal im Namen der "Parteidisziplin". In ihrem Resümee zitiert Lovell den langjährigen Maoismusforscher Christophe Bourseiller, der zu der paradoxen Schlussfolgerung kam: "Den Maoismus gibt es nicht. Es hat ihn nie gegeben. Das erklärt zweifellos seinen Erfolg."
Was es aber doch gegeben hat, das war und ist eine durch mehrfache Mutationen hindurchgegangene, terroristisch zugerichtete und psychisch immer wieder neu konditionierte Machtformation namens "Kommunistische Partei Chinas", die vor Kurzem ihren hundertsten Gründungstag gefeiert und sich in totalitärer Weise die Geschichte ihres Landes und ihres Volkes auf den eigenen Leib geschrieben hat. Und es gab und gibt eine "Volksrepublik China", die sich durch alle noch so radikal fehlgeschlagenen "Großen Sprünge" und "Kulturrevolutionen" maoistischen Stils und noch viel eingreifenderen "Modernisierungen" der nachmaoistischen Wirtschaftsreformen hindurch heute mehr denn je als die Fortsetzerin einer mythisch umwitterten Großreichstradition sah und sieht, welche die "Mitte" der Welt und der menschlichen Geschichte markieren soll und sich im 21. Jahrhundert bestimmt sieht, die "Nummer eins" dieses Planeten zu werden.
Es ist diese realgeschichtliche Evolution, vor der Lovells Darstellung mit ihrer Betonung der "Widersprüche des Maoismus" letztendlich versagt. Fast geht sie Mao und seinen ideologischen Vexierspielen, die letztlich nur dazu dienten, ihm und seiner Machtkohorte völlig freie Hand bei der "Wiederaufrichtung Chinas" zu geben, damit auf den Leim. Vielleicht sind die vermeintlichen Widersprüchlichkeiten von Mao über Deng bis Xi ja gar nicht so "paradox", wie sie nur dann erscheinen, wenn man ihre ideologischen Selbstlegitimationen beim Nennwert nimmt. Aber für ein Nachdenken über den historischen Ausgangspunkt, das weltpolitisch auftrumpfende und ausgreifende China der Mao-Ära, liefert Lovells Buch jedenfalls reiches und hochinteressantes Material. GERD KOENEN
Julia Lovell: "Maoismus". Eine Weltgeschichte.
Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Norbert Juraschitz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 768 S., Abb., geb., 42,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ausgangspunkt für heutige Drohgebärden: Julia Lovell zeichnet ein Bild der chinesischen Politik und globalen Propaganda in der Ära Maos.
Warum betrachten wir den Maoismus nicht global? Warum ist dieses Buch nicht schon früher geschrieben worden?", fragt die amerikanische Sinologin Julia Lovell eingangs ihres Buches "Maoismus - Eine Weltgeschichte". Eine berechtigte Frage, auf die es mehrere, miteinander verbundene Antworten gibt. So wird in westlicher Retrospektive der "Maoismus" als ein bloßer exotischer Ideologiemix erinnert, der gleich nach dem Tod seines Autors unter der Ägide des Modernisierers Deng verworfen wurde. Zwar huldigt die KP Chinas seit dem Machtantritt Xis verstärkt wieder Mao als dem Gründer der Partei und des Staates. Aber über die abenteuerliche maoistische Weltpolitik der Fünfziger- und Sechzigerjahre und die innenpolitischen Katastrophen des "Großen Sprungs", des Großen Hungers, der Kulturrevolution und so fort soll möglichst nicht mehr gesprochen oder geforscht werden. Und damit auch andere nicht darüber forschen, hat die Partei ihre Archive, aus denen seit den Achtzigerjahren einige Dokumente und Fakten zutage getreten waren, luftdicht wieder verschlossen, wie den gläsernen Sarkophag, in dem Maos Leichnam konserviert liegt.
Dazu kommt, dass sich in der europäischen und namentlich der deutschen Erinnerung die Epoche des sogenannten "Kalten Kriegs" ziemlich einseitig darstellt, nämlich als starre, atomar weitgehend stillgestellte Ost-West-Teilung zwischen einem von den USA geführten atlantischen Bündnis westlich-kapitalistischer Länder und einem von der UdSSR militärisch zusammengefügten "sozialistischen Lager" jenseits der Elbe. Dahinter verschwindet, was schon in der amerikanischen Erinnerung viel präsenter ist, dass nämlich die Volksrepublik China seit dem Moment ihrer Gründung 1949 immer wieder als ein dritter, vielfach verschärfender und irregulärer Faktor im weltpolitischen Mächtespiel aufgetreten ist.
Anfangs geschah das noch im engen Zusammenspiel mit Stalins Sowjetunion, so vor allem im Koreakrieg nach 1950, in den Mao mit einer Million Soldaten eingriff und tatsächlich bewies, dass die (amerikanische) "Atombombe ein Papiertiger" ist. Ab den Sechzigerjahren trat das maoistische China dann in einen immer schärferen, unversöhnlichen Widerspruch zu den Moskauer "Revisionisten" und "Sozialimperialisten" - die ihrerseits die Maoisten als "Sozialfaschisten" und Nachfolger Hitlers brandmarkten. Bis 1972 Nixon und Kissinger plötzlich in Peking auftauchten, Toasts auf Mao und Tschou ausbrachten und ein neues, teilweise wieder sehr fragwürdiges Kapitel chinesisch-amerikanischer Machtspiele aufschlugen, von Chile bis Kambodscha.
Es ist das Verdienst der in London lehrenden Sinologin Julia Lovell, den "Maoismus", oder richtiger: die aktivistische chinesische Innen- und Außenpolitik und Globalpropaganda der Mao-Ära, als ein zentrales, vieles erklärendes Element in das Gesamtbild der Geschichte dieser Zeit einzuzeichnen. Einige der mörderischsten, "heißesten" Kriege und Bürgerkriege dieses Zeitalters, in Korea wie in Indochina, in Afrika oder in Asien, waren ohne die treibende Rolle Chinas nicht zu denken. Einige Führer der "Blockfreien", wie der Indonesier Sukarno oder der kambodschanische König Sihanouk, ließen sich von den chinesischen Führern für deren eigene Machtspiele einspannen und lieferten so die Vorwände für einige der größten Massaker dieses Zeitalters wie das in Indonesien 1965 oder das in Kambodscha 1975.
Andererseits ruft Lovell in Erinnerung, wie sehr der Begriff des "Maoismus" (von dem man in China nicht spricht) und der Nimbus Maos eine westliche Schöpfung waren. Das gilt schon für die Urszene, den Bericht des amerikanischen Journalisten Edgar Snow, eines nicht kommunistischen Sympathisanten, der 1936 das Bürgerkriegslager der chinesischen Kommunisten in Yan'an (Jenan) besucht und, den Erzählungen Maos und dessen (von eigener Hand redigierten) Selbststilisierungen folgend, ein idealisiertes Porträt dieses bis dahin weithin Unbekannten und seiner angeblich bäuerlich-puritanischen Sozialpraktiken entworfen hatte. "Roter Stern über China" wurde ein Weltbestseller, der in viele Sprachen, darunter auch zurück ins Chinesische, übersetzt und über Jahrzehnte immer wieder neu aufgelegt worden ist. Dieses Buch sei im Grunde "der Beginn des globalen Maoismus" gewesen.
Das mag übertrieben sein, liefert aber Lovells anekdotenreicher Erzählung einen roten Faden und hat jedenfalls einen wahren Kern, der sich verallgemeinern ließe. Denn die ganze Jahrhundertgeschichte des Kommunismus in all seinen nationalen Spielarten und Ausprägungen wäre ja ohne die westlichen Ideeneinschüsse (angefangen mit dem Marxismus) und dessen politische, intellektuelle und künstlerische Resonanzen nicht denkbar gewesen. Nicht nur die Führer und Ideologen der späteren kommunistischen Parteien, sei es Russlands, Chinas oder Vietnams, haben zu einem übergroßen Teil in den Ländern des Westens studiert, gearbeitet oder im Exil gelebt; sondern dasselbe gilt auch für viele Protagonisten der antikolonialen Bewegungen der späteren "Dritten Welt".
Nur waren es dann ganz eigene, in sehr unterschiedlichen Farben, Mentalitäten, Traditionen befangene Politiken und Aktivitäten, die sie daraus abgeleitet und entwickelt haben, und das dann schon in eigener Verantwortung. Wenn man Lovells Buch eine konzeptionelle Schwäche vorwerfen will, dann die, die auch das Gros der historischen Kommunismus-Forscherinnen und -forscher seit jeher prägt: dass sie nämlich (kommunikationstheoretisch gesprochen) eher auf die Sender als auf die Empfänger schauen, auf die Texte statt auf die, die sie in ihre eigenen Kontexte übertragen und ihren Bedürfnissen und Ambitionen anpassen.
Mao zum Beispiel, der 1921 als verbummelter Bücherwurm an der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas teilnahm, kannte (eigenem Bekunden zufolge) von Marx oder Lenin rein gar nichts. Aber "eine Revolution russischen Stils" schien ihm, so sagte er Snow, "das letzte Mittel, wenn alle anderen Mittel erschöpft sind". Ganz ähnlich schien eine "Revolution chinesischen Stils" vielen asiatischen Kämpfern gegen die nach der japanischen Okkupation zurückgekehrten europäischen Kolonialregimes oder später vielen Opponenten der nachkolonialen Regimes in Indonesien, Indien, Burma, Nepal oder auch in Afrika "das letzte Mittel".
Dabei hatte die Machteroberung der chinesischen Kommunisten weder dem idealtypischen Bild einer "proletarischen Revolution" noch dem einer "Agrarrevolution" entsprochen, noch ähnelte ihr in einer Serie großer Feldschlachten mit schweren Waffen errungener Sieg den elaborierten Partisanenkriegs-Theorien, die Mao ein Jahrzehnt früher entworfen hatte. Und das gilt für den weiteren Weg dieses Machtsystems überhaupt. Sämtliche Doktrinen Maos liefen in der Praxis auf ihr glattes Gegenteil hinaus. Die "Gedankenreform-" oder "Berichtigungskampagnen" waren meist mit physischem Terror eingebläute, "kultartige Bonding-Rituale", wie Lovell prägnant formuliert. Mao gab sich als kommunistischer Anarch, der (wie er seinem getreuen Eckermann Snow sagte) sein "Examen an der Universität der Gesetzlosen" gemacht habe, und rief zur immer erneuten "Rebellion" auf, notfalls auch gegen das eigene "Hauptquartier", die Staats- und Parteiführung selbst. Aber das war ein Freibrief, der nur er selbst als gottgleicher Volkskaiser seinen fanatisierten Roten Garden geben durfte - um sie kurz darauf mithilfe der Armee niederschlagen und aus den Städten deportieren zu lassen, diesmal im Namen der "Parteidisziplin". In ihrem Resümee zitiert Lovell den langjährigen Maoismusforscher Christophe Bourseiller, der zu der paradoxen Schlussfolgerung kam: "Den Maoismus gibt es nicht. Es hat ihn nie gegeben. Das erklärt zweifellos seinen Erfolg."
Was es aber doch gegeben hat, das war und ist eine durch mehrfache Mutationen hindurchgegangene, terroristisch zugerichtete und psychisch immer wieder neu konditionierte Machtformation namens "Kommunistische Partei Chinas", die vor Kurzem ihren hundertsten Gründungstag gefeiert und sich in totalitärer Weise die Geschichte ihres Landes und ihres Volkes auf den eigenen Leib geschrieben hat. Und es gab und gibt eine "Volksrepublik China", die sich durch alle noch so radikal fehlgeschlagenen "Großen Sprünge" und "Kulturrevolutionen" maoistischen Stils und noch viel eingreifenderen "Modernisierungen" der nachmaoistischen Wirtschaftsreformen hindurch heute mehr denn je als die Fortsetzerin einer mythisch umwitterten Großreichstradition sah und sieht, welche die "Mitte" der Welt und der menschlichen Geschichte markieren soll und sich im 21. Jahrhundert bestimmt sieht, die "Nummer eins" dieses Planeten zu werden.
Es ist diese realgeschichtliche Evolution, vor der Lovells Darstellung mit ihrer Betonung der "Widersprüche des Maoismus" letztendlich versagt. Fast geht sie Mao und seinen ideologischen Vexierspielen, die letztlich nur dazu dienten, ihm und seiner Machtkohorte völlig freie Hand bei der "Wiederaufrichtung Chinas" zu geben, damit auf den Leim. Vielleicht sind die vermeintlichen Widersprüchlichkeiten von Mao über Deng bis Xi ja gar nicht so "paradox", wie sie nur dann erscheinen, wenn man ihre ideologischen Selbstlegitimationen beim Nennwert nimmt. Aber für ein Nachdenken über den historischen Ausgangspunkt, das weltpolitisch auftrumpfende und ausgreifende China der Mao-Ära, liefert Lovells Buch jedenfalls reiches und hochinteressantes Material. GERD KOENEN
Julia Lovell: "Maoismus". Eine Weltgeschichte.
Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Norbert Juraschitz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 768 S., Abb., geb., 42,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Julia Lovell ist Professorin für moderne chinesische Geschichte und Literatur, weiß Rezensent Till Schmidt - und für diese umfangreiche Studie zum Einfluss von Mao Zedong völlig zurecht mehrfach preisgekrönt, wie er findet. Sie fokussiert nämlich statt auf den 'globalen Westen' eher auf Südamerika, Afrika und Asien, um zunächst die ideologischen Grundlagen zu etablieren, auf die Mao seine Gewaltherrschaft aufgebaut hat, und nimmt dabei viele seiner Texte in den Blick. Besonders gefallen Schmidt dabei die Teile, in denen sich die Autorin auf ein einzelnes Land konzentriert, sei es Peru oder Kambodscha, um damit Führerkult und Tyrannei aufzuzeigen. Ein paar Länder wie Albanien oder die PLO werden leider ausgespart, zu wenig Platz, weiß der Kritiker, dennoch findet er das Buch "absolut lesenswert."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.07.2023Hochgradig widersprüchlich
Julia Lovells erzählt die Weltgeschichte des Maoismus, auf den sich jetzt auch wieder der chinesische Staatschef beruft
Am 26. Dezember 1980, dem Geburtstag des vier Jahre zuvor verstorbenen Übervaters der Kommunistischen Partei Chinas Mao Zedong, erhielt die Polizei in der peruanischen Hauptstadt Lima Hinweise auf makabre Akte der Tierquälerei: An acht Orten der Stadt waren streunende Hunde malträtiert und an Laternenpfählen aufgehängt worden. Um den Hals der Kadaver hingen Spruchbänder, die Deng Xiaoping, den neuen starken Mann Chinas, als Hurensohn verunglimpften. Hinter der Aktion steckte eine maoistische Splittergruppe, der vom vormaligen Philosophieprofessor Abimael Guzmán angeführte „Leuchtende Pfad“. Die toten Hunde sollten Dengs Verrat an maoistischen Doktrinen symbolisieren, da er die Volksrepublik von einem Zentrum der antiimperialistischen Revolution zu einem „running dog“ (zou gou im Chinesischen) des Kapitalismus gemacht habe.
Diese bizarre Szene zu Beginn des Bürgerkriegs in Peru, der zwischen 1980 und 1999 mehr als 69 000 Menschen das Leben kosten sollte, ist eine der vielen Geschichten über die globalen Mutationen des maoistischen Revolutionsvorbilds, welche die britische Sinologin Julia Lovell in ihrem nun auch auf Deutsch vorliegenden Buch erzählt. Die Autorin moniert zu Recht, dass der Maoismus heute weitgehend in Vergessenheit geraten sei. Zu Zeiten des Kalten Kriegs hingegen galt er als globale Alternative, gerade für Länder, die sich gegen koloniale Unterdrückung wehrten. Es geht Lovell aber auch um die Frage, wie ein revolutionäres Ideal, das die Befreiung der unterdrückten Klassen und Völker forderte, zu einigen der schlimmsten menschengemachten Katastrophen der Weltgeschichte führen oder sich in obskures Sektierertum verwandeln konnte. Es ist zweifellos ein faszinierendes Thema, das bislang nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die es verdient.
Die Schwierigkeit, eine Globalgeschichte des Maoismus zu verfassen, beginnt mit der Frage, was der Begriff konkret beschreiben soll. Mao Zedong selbst lehnte es mehrfach ab, seine Ideen als irgendeine Art von Ismus zu bezeichnen. Zu offen und zu wenig systematisch sei sein Gedankengebäude. Lovell bezieht sich auf ein „breites Spektrum von Theorie und Praxis“, das sie im ersten Kapitel anhand von neun Mao-Zitaten umreißt. Neben der Legitimation gewaltsamer Umstürze und der insbesondere auf die Bauern gestützten Rebellion gegen koloniale oder feudale Autoritäten stellt sie etwa die zentrale Bedeutung strikter Parteiorganisation und Fehlerkorrektur heraus. Hinzu kommen die kultische Überhöhung des Führers und der Widerspruchscharakter seines Denkens. Das keineswegs kohärente Ideenbündel habe es „Siegern und Insidern, Verlierern und Außenseitern, Führern und Underdogs“ erlaubt, sich in unterschiedlichsten Kontexten auf Mao zu beziehen.
Der Ansatz ist prinzipiell gut gewählt. Leider folgt auf die Zitate hier zu oft ein knapper Abriss der Geschichte der Kommunistischen Partei anstelle einer präzisen Analyse. Deutlich wird jedoch, dass es vor allem zwei Dimensionen waren, die globales Interesse erregten: zum einen jene Strategien und Taktiken Mao Zedongs, die letztlich die Machtübernahme der Partei ermöglichten und somit Anregungen für antiimperialistische und antikoloniale Bewegungen weltweit lieferten. Zum anderen gewann Maos Kulturrevolution globalen Vorbildcharakter. Die hochgradig widersprüchliche Bewegung wurde dabei vor allem als Versuch interpretiert, revolutionäre Ideale gegenüber „revisionistischen“ Strömungen zu verteidigen.
Um zu verstehen, wie sich spezifische Ideen und Taktiken Mao Zedongs global verbreiten konnten, ist die konkrete Analyse der Transmissionswege entscheidend. Lovell zeigt ein breites Spektrum davon auf: von gezielten und bis heute von China vertuschten Versuchen der politischen und militärischen Einmischung (etwa im Fall Kambodschas) über die Ausbildung prochinesischer Kräfte insbesondere aus dem globalen Süden bis hin zur gezielten Steuerung von Propagandaaktivitäten für ein westliches Publikum. Dabei wird deutlich, dass die Ergebnisse keineswegs planbar waren. Der immense finanzielle und organisatorische Einsatz bei der Unterstützung Nordvietnams etwa zahlte sich letztlich nicht aus, während zufällige Kontakte mit Einzelpersonen in Indien immense Konsequenzen zeitigten.
Die Kapitel zwei bis vier liefern vor allem historische Hintergründe. Lovell betont den zentralen Einfluss, den Edgar Snows Reportage „Roter Stern über China“ (1937) auf das globale Bild Mao Zedongs hatte. Aber auch die Auswirkungen von Propagandakampagnen der USA gegen vermeintliche chinesische „Gehirnwäsche“ in den Fünfzigerjahren und die Folgen des sino-sowjetischen Bruchs Anfang der Sechziger werden dargelegt. Letzterer resultierte in der zunehmenden Selbstwahrnehmung Chinas als Zentrum der Weltrevolution. Die Darstellung setzt hier konsequent auf Personalisierung und die Sogwirkung drastischer Anekdoten. Hierunter leidet gelegentlich die Analyse struktureller Faktoren. Aber anders als die populäre, von der Wissenschaft aufgrund des tendenziösen Umgangs mit den Quellen scharf kritisierte Mao-Biografie von Chang und Halliday aus dem Jahr 2005 stützt sich Lovell durchgehend auf aktuelle Forschungsliteratur. Was gelegentlich irritiert, sind die schwankenden Wertungen. Wird Edgar Snow in Kapitel zwei noch für „trübere Motive“ beim Verfassen seiner Reportagen kritisiert, konkret für seine „linke Einstellung“ sowie sein Streben nach Geld und Ruhm, enthält Kapitel drei Kritik am „militärisch-industriellen Komplex“ der USA und dem Neoliberalismus.
Innovativ sind vor allem die Kapitel fünf bis elf, bei denen die globalen Auswirkungen maoistischer Ideen und Praktiken in Form von Fallstudien geschildert werden. Auch hier stützt sich Lovell auf aktuelle Forschungen und ergänzt diese gelegentlich durch eigene Gespräche mit Zeitzeugen. Die Kapitel nehmen vor allem den asiatischen Raum in den Blick (Indonesien, Vietnam und Kambodscha, Indien und Nepal). Weitere Kapitel sind Peru, den USA und Westeuropa sowie dem afrikanischen Kontinent (vor allem Tansania und Simbabwe) gewidmet. Vollständigkeit strebt die Autorin verständlicherweise nicht an, aber auch andere Länder finden knappe Erwähnung. So verblüfft etwa die Feststellung, dass in Europa prozentual, ausgerechnet Norwegen das Land mit den meisten maoistischen Sympathisanten gewesen sei.
Die stärksten Kapitel befinden sich am Ende des Bandes. Gerade am Beispiel Perus, Indiens und Nepals gelingt es Lovell anschaulich zu schildern, wie sehr repressive Regierungsgewalt, Ausbeutung und ethnische Ausgrenzung zur globalen Attraktivität maoistischer Ideen beitrugen. Gleichzeitig zeigt sie, dass es in der Regel Vertreter sozialer Eliten waren, die in den maoistischen Parteien den Ton angaben und es nicht einmal der eigenen Gefolgschaft zutrauten, sich politisch selbst zu vertreten. Die praktische Umsetzung einer gerechteren, partizipatorischen Form von Politik blieb die Achillesferse all dieser Parteien, und nur in Nepal kam es überhaupt zu einer offiziellen Regierungsbeteiligung.
Das Buch endet mit einem langen Kapitel über das Wiederaufleben maoistischen Gedankenguts im China der Gegenwart, wobei die Autorin deutlich macht, dass der aktuelle Staats- und Parteichef Xi Jinping sich nur für die machtpolitischen Strategien Maos interessiert. Die anarchischen und herrschaftskritischen Elemente unterliegen scharfer Zensur. Die Darstellung ist äußerst anschaulich, nur vereinzelt stören Unsauberkeiten in der Übersetzung, wenn etwa die im Englischen getrennten Konzepte der „permanenten“ und „fortgesetzten“ Revolution über einen Kamm geschoren werden. Insgesamt gelingt es überzeugend, die komplexen Auswirkungen maoistischer Theorien und Praktiken in globalem Maßstab zu skizzieren.
DANIEL LEESE
Repressive Regierungsgewalt,
Ausbeutung und
ethnische Ausgrenzung
Julia Lovell: Maoismus - Eine Weltgeschichte. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Norbert Juraschitz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 768 Seiten, 42 Euro.
Einst ein revolutionäres Ideal: Mao Zedong auf einem Porträt in Peking.
Foto: AFP
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Julia Lovells erzählt die Weltgeschichte des Maoismus, auf den sich jetzt auch wieder der chinesische Staatschef beruft
Am 26. Dezember 1980, dem Geburtstag des vier Jahre zuvor verstorbenen Übervaters der Kommunistischen Partei Chinas Mao Zedong, erhielt die Polizei in der peruanischen Hauptstadt Lima Hinweise auf makabre Akte der Tierquälerei: An acht Orten der Stadt waren streunende Hunde malträtiert und an Laternenpfählen aufgehängt worden. Um den Hals der Kadaver hingen Spruchbänder, die Deng Xiaoping, den neuen starken Mann Chinas, als Hurensohn verunglimpften. Hinter der Aktion steckte eine maoistische Splittergruppe, der vom vormaligen Philosophieprofessor Abimael Guzmán angeführte „Leuchtende Pfad“. Die toten Hunde sollten Dengs Verrat an maoistischen Doktrinen symbolisieren, da er die Volksrepublik von einem Zentrum der antiimperialistischen Revolution zu einem „running dog“ (zou gou im Chinesischen) des Kapitalismus gemacht habe.
Diese bizarre Szene zu Beginn des Bürgerkriegs in Peru, der zwischen 1980 und 1999 mehr als 69 000 Menschen das Leben kosten sollte, ist eine der vielen Geschichten über die globalen Mutationen des maoistischen Revolutionsvorbilds, welche die britische Sinologin Julia Lovell in ihrem nun auch auf Deutsch vorliegenden Buch erzählt. Die Autorin moniert zu Recht, dass der Maoismus heute weitgehend in Vergessenheit geraten sei. Zu Zeiten des Kalten Kriegs hingegen galt er als globale Alternative, gerade für Länder, die sich gegen koloniale Unterdrückung wehrten. Es geht Lovell aber auch um die Frage, wie ein revolutionäres Ideal, das die Befreiung der unterdrückten Klassen und Völker forderte, zu einigen der schlimmsten menschengemachten Katastrophen der Weltgeschichte führen oder sich in obskures Sektierertum verwandeln konnte. Es ist zweifellos ein faszinierendes Thema, das bislang nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die es verdient.
Die Schwierigkeit, eine Globalgeschichte des Maoismus zu verfassen, beginnt mit der Frage, was der Begriff konkret beschreiben soll. Mao Zedong selbst lehnte es mehrfach ab, seine Ideen als irgendeine Art von Ismus zu bezeichnen. Zu offen und zu wenig systematisch sei sein Gedankengebäude. Lovell bezieht sich auf ein „breites Spektrum von Theorie und Praxis“, das sie im ersten Kapitel anhand von neun Mao-Zitaten umreißt. Neben der Legitimation gewaltsamer Umstürze und der insbesondere auf die Bauern gestützten Rebellion gegen koloniale oder feudale Autoritäten stellt sie etwa die zentrale Bedeutung strikter Parteiorganisation und Fehlerkorrektur heraus. Hinzu kommen die kultische Überhöhung des Führers und der Widerspruchscharakter seines Denkens. Das keineswegs kohärente Ideenbündel habe es „Siegern und Insidern, Verlierern und Außenseitern, Führern und Underdogs“ erlaubt, sich in unterschiedlichsten Kontexten auf Mao zu beziehen.
Der Ansatz ist prinzipiell gut gewählt. Leider folgt auf die Zitate hier zu oft ein knapper Abriss der Geschichte der Kommunistischen Partei anstelle einer präzisen Analyse. Deutlich wird jedoch, dass es vor allem zwei Dimensionen waren, die globales Interesse erregten: zum einen jene Strategien und Taktiken Mao Zedongs, die letztlich die Machtübernahme der Partei ermöglichten und somit Anregungen für antiimperialistische und antikoloniale Bewegungen weltweit lieferten. Zum anderen gewann Maos Kulturrevolution globalen Vorbildcharakter. Die hochgradig widersprüchliche Bewegung wurde dabei vor allem als Versuch interpretiert, revolutionäre Ideale gegenüber „revisionistischen“ Strömungen zu verteidigen.
Um zu verstehen, wie sich spezifische Ideen und Taktiken Mao Zedongs global verbreiten konnten, ist die konkrete Analyse der Transmissionswege entscheidend. Lovell zeigt ein breites Spektrum davon auf: von gezielten und bis heute von China vertuschten Versuchen der politischen und militärischen Einmischung (etwa im Fall Kambodschas) über die Ausbildung prochinesischer Kräfte insbesondere aus dem globalen Süden bis hin zur gezielten Steuerung von Propagandaaktivitäten für ein westliches Publikum. Dabei wird deutlich, dass die Ergebnisse keineswegs planbar waren. Der immense finanzielle und organisatorische Einsatz bei der Unterstützung Nordvietnams etwa zahlte sich letztlich nicht aus, während zufällige Kontakte mit Einzelpersonen in Indien immense Konsequenzen zeitigten.
Die Kapitel zwei bis vier liefern vor allem historische Hintergründe. Lovell betont den zentralen Einfluss, den Edgar Snows Reportage „Roter Stern über China“ (1937) auf das globale Bild Mao Zedongs hatte. Aber auch die Auswirkungen von Propagandakampagnen der USA gegen vermeintliche chinesische „Gehirnwäsche“ in den Fünfzigerjahren und die Folgen des sino-sowjetischen Bruchs Anfang der Sechziger werden dargelegt. Letzterer resultierte in der zunehmenden Selbstwahrnehmung Chinas als Zentrum der Weltrevolution. Die Darstellung setzt hier konsequent auf Personalisierung und die Sogwirkung drastischer Anekdoten. Hierunter leidet gelegentlich die Analyse struktureller Faktoren. Aber anders als die populäre, von der Wissenschaft aufgrund des tendenziösen Umgangs mit den Quellen scharf kritisierte Mao-Biografie von Chang und Halliday aus dem Jahr 2005 stützt sich Lovell durchgehend auf aktuelle Forschungsliteratur. Was gelegentlich irritiert, sind die schwankenden Wertungen. Wird Edgar Snow in Kapitel zwei noch für „trübere Motive“ beim Verfassen seiner Reportagen kritisiert, konkret für seine „linke Einstellung“ sowie sein Streben nach Geld und Ruhm, enthält Kapitel drei Kritik am „militärisch-industriellen Komplex“ der USA und dem Neoliberalismus.
Innovativ sind vor allem die Kapitel fünf bis elf, bei denen die globalen Auswirkungen maoistischer Ideen und Praktiken in Form von Fallstudien geschildert werden. Auch hier stützt sich Lovell auf aktuelle Forschungen und ergänzt diese gelegentlich durch eigene Gespräche mit Zeitzeugen. Die Kapitel nehmen vor allem den asiatischen Raum in den Blick (Indonesien, Vietnam und Kambodscha, Indien und Nepal). Weitere Kapitel sind Peru, den USA und Westeuropa sowie dem afrikanischen Kontinent (vor allem Tansania und Simbabwe) gewidmet. Vollständigkeit strebt die Autorin verständlicherweise nicht an, aber auch andere Länder finden knappe Erwähnung. So verblüfft etwa die Feststellung, dass in Europa prozentual, ausgerechnet Norwegen das Land mit den meisten maoistischen Sympathisanten gewesen sei.
Die stärksten Kapitel befinden sich am Ende des Bandes. Gerade am Beispiel Perus, Indiens und Nepals gelingt es Lovell anschaulich zu schildern, wie sehr repressive Regierungsgewalt, Ausbeutung und ethnische Ausgrenzung zur globalen Attraktivität maoistischer Ideen beitrugen. Gleichzeitig zeigt sie, dass es in der Regel Vertreter sozialer Eliten waren, die in den maoistischen Parteien den Ton angaben und es nicht einmal der eigenen Gefolgschaft zutrauten, sich politisch selbst zu vertreten. Die praktische Umsetzung einer gerechteren, partizipatorischen Form von Politik blieb die Achillesferse all dieser Parteien, und nur in Nepal kam es überhaupt zu einer offiziellen Regierungsbeteiligung.
Das Buch endet mit einem langen Kapitel über das Wiederaufleben maoistischen Gedankenguts im China der Gegenwart, wobei die Autorin deutlich macht, dass der aktuelle Staats- und Parteichef Xi Jinping sich nur für die machtpolitischen Strategien Maos interessiert. Die anarchischen und herrschaftskritischen Elemente unterliegen scharfer Zensur. Die Darstellung ist äußerst anschaulich, nur vereinzelt stören Unsauberkeiten in der Übersetzung, wenn etwa die im Englischen getrennten Konzepte der „permanenten“ und „fortgesetzten“ Revolution über einen Kamm geschoren werden. Insgesamt gelingt es überzeugend, die komplexen Auswirkungen maoistischer Theorien und Praktiken in globalem Maßstab zu skizzieren.
DANIEL LEESE
Repressive Regierungsgewalt,
Ausbeutung und
ethnische Ausgrenzung
Julia Lovell: Maoismus - Eine Weltgeschichte. Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Norbert Juraschitz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 768 Seiten, 42 Euro.
Einst ein revolutionäres Ideal: Mao Zedong auf einem Porträt in Peking.
Foto: AFP
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»Julia Lovells Porträts von ausgewählten Orten des Maoismus sind jedoch absolut lesenswert.« Till Schmidt wochentaz 20231013