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Statthalterin preußischer Tugenden: Gunter Hofmann legt eine neue Biographie von Marion Gräfin Dönhoff vor
Den ruhig abwägenden Meinungsjournalismus, den die ostpreußische Marion Gräfin Dönhoff in der Hamburger Wochenzeitschrift "Die Zeit" zwischen 1946 bis wenige Jahre vor ihrem Tod 2002 praktizierte, gibt es nicht mehr - jedenfalls nicht in ihrer Tonart. Dass der Publizistin die Türen der meisten Staatskanzleien in aller westlichen Welt offenstanden, gehörte zu ihrem journalistischen Geschäftsgeheimnis. Dönhoffs Texte glichen Briefen an Bekannte und Freunde in "verantwortlichen Positionen". Sie selbst verstand sich als Statthalterin preußischer Tugenden - als da wären Geradlinigkeit, Unbestechlichkeit, Pflichtbewusstsein, nüchterne Zurückhaltung - bis hin zur Eiseskälte.
Zu ihren frühen Verdiensten gehörte es, den unbelehrbaren Staatsrechtler Carl Schmitt ("Der Führer schützt das Recht") kurz nach dem Krieg aus der "Zeit" fernzuhalten. Ihn drängte es in das neue Blatt, während im benachbarten "Spiegel" noch hochrangige SS-Größen die eigene Vergangenheit bewältigten. Dass einer ihrer Brüder ein bedeutender NS-Funktionär war, hat sie der Redaktion allerdings jahrzehntelang verschwiegen - als wäre es ein kleines, hochadliges Familiengeheimnis, das keinen bürgerlich Außenstehenden etwas anginge. Mehr noch, er durfte vorübergehend unter einem Pseudonym in der "Zeit" schreiben.
Derlei betriebsinterne Widersprüche gehörten zur deutschen Publizistik nach 1945. Wie der major domus des Axel Springer Verlags, Peter Tamm, einmal sagte: "Was sollten wir denn machen nach 1945? Es waren ja keine anderen da!" Die Besten des Fachs, das wusste er, waren emigriert oder lagen als Mordopfer unter der Erde.
Marion Dönhoffs treueste Leser von ehedem sind inzwischen mindestens siebzig Jahre alt, sofern sie noch leben. Darum ein kurzer Hinweis an die Nachgeborenen: "Die Dönhoff" galt als die Stimme des eher linken westdeutschen Liberalismus, als legitime, weil selbst betroffene Repräsentantin des Ausgleichs mit dem Osten und der "Versöhnung" mit Polen - und als erste Chronistin des aristokratischen Widerstands gegen das Hitler-Regime. Ihre Familie hatte gewaltige Latifundien mitsamt prachtvollen Schlössern verloren. Ihr ostentativer Verzicht auf Restitution galt noch in den sechziger Jahren in konservativen Kreisen als unerhört, als "links", ja, als kommunistischer Verrat. Dass die Attentäter des 20. Juli 1944 "Hochverräter" gewesen seien, war in manchen Kreisen salonfähige Geschichtsansicht. Einige ihrer engsten, widerständigen Jugendfreunde hatte die NS-Justiz in Plötzensee hingerichtet - oder sie hatten sich angesichts absehbarer Folter selbst getötet.
Gunter Hofmann, langjähriger Chefkorrespondent der "Zeit", erzählt die bewegende Geschichte von Dönhoffs Freundschaften und geistigen Netzwerken auf der Grundlage von Briefen, Tagebüchern oder Gesprächen mit Bekannten der Dönhoff, die inzwischen nicht mehr leben - unter ihnen Fritz Stern, Ralf Dahrendorf, George Kennan und Theodor Eschenburg.
Allerlei Versuche auch ernsthafter Historiker, ihre Nähe zu den Attentätern und Umstürzlern um Stauffenberg als Selbstmythisierung zu entlarven, haben sich als nackte Boshaftigkeit herausgestellt. Sie selbst wusste, wer sie war. Ihre Widersacher haben wohl eines nicht verstanden: Marion Dönhoff pflegte einen beseelten Begriff von Deutschland - als handelte es sich um ein gleichsam übergeschichtliches Wesen, um Stefan Georges "heiliges Deutschland", also keineswegs um eine banale politische, territoriale Entität. Und deutsche Ehre hätten die Verschwörer bei Strafe ihres eigenen Todes gerettet, ob sie sich nun vorher selbst am Völkermord in ganz Europa schuldig gemacht hatten oder nicht. Um diese Ehre ging es Marion Dönhoff ein Leben lang.
Das heute schwer nachvollziehbare, ja, poetische Deutschland-Bild Dönhoffs herausgearbeitet zu haben gehört zu den besonderen Verdiensten von Hofmanns Buch - fern von Pathos, geprägt von einer gewissen Verwunderung des Autors angesichts des altmodischen Patriotismus. Mit einer gewissen Verblüffung zeichnet er auch die gleichsam seelischen Querverbindungen der "Gräfin" zu den Geistkreisen des messianischen Stefan George nach, zu denen ja auch Stauffenberg gehörte.
Hofmanns kritisch-liebevolle Biographie erzählt gleichsam nebenbei die bundesrepublikanische Geschichte des rasenden politischen, ökonomischen, kulturellen und moralischen Wandels - paradoxerweise vorgeführt am Beispiel einer Chefredakteurin und Herausgeberin, die sich über sieben Jahrzehnte hinweg gleichblieb. Wenn demokratischer Konservatismus bedeutet, bestehende Verhältnisse - ob in Politik oder in Gesellschaft - auf gar keinen Fall zu gefährden, dann war sie konservativ. Das hatte Folgen: Den Aufstand der polnischen Werftarbeiter verstand sie als Bedrohung der sicherheitspolitischen Stabilität Europas im Zeitalter der gegenseitigen nuklearen Abschreckung. Sie war dagegen.
Mit dem genialen Selbstdarsteller Henry Kissinger verband sie eine seltsame gegenseitige Bewunderung - sie hat den großen Schmeichler wohl nicht durchschaut. Ihren Mitherausgeber der "Zeit", Helmut Schmidt, respektierte sie trotz seiner bisweilen ungehobelten Art, menschenrechtliche Argumente - also indirekt auch ihre eigenen - mit machiavellistischer Gebärde vom Konferenztisch zu wischen.
Ihrem Zögling, dem Eschenburg-Studenten Theodor "Ted" Sommer, überließ sie bereits 1973 die Chefredaktion des Blattes - er war seitdem der eigentliche Kraftquell des publizistischen und kommerziellen Erfolgs der "Zeit". Marion Dönhoff, redaktionsintern "die Gräfin" genannt, fungierte fortan als standhafte Verteidigerin des linksliberalen Kurses gegen die Anfechtungen des Verlegers Gert Bucerius. Ihre Kündigungsdrohungen hielten den Hitzkopf in Schach. Er hätte ja gerne Johannes Gross, Ralf Dahrendorf, Wolf Jobst Siedler und vielleicht auch Joachim Fest als Chefredakteure gesehen - und als linke Sättigungs- und Trostbeilage Günter Grass. Ein seltsames Ensemble. Daraus wurde nichts, Sommer blieb, zur stillen Verbitterung Dahrendorfs.
Als Bucerius 1995 starb, wurde klar, wie sehr ihm die "Zeit" fremd geworden war. Sein beträchtliches Vermögen vermachte er einer Stiftung, die mit dem Blatt nur noch den Namen teilte - den sie dann mitsamt der Zeitschrift an die Familie von Holtzbrinck verkaufte.
Die erste umfangreiche Dönhoff-Biographie von Klaus Harpprecht, erschienen vor elf Jahren, ging auf ihre eigentliche journalistische Karriere nur kurz ein. Aber sie hatte das vorherrschende Bild einer kieselkühlen Chefredakteurin korrigiert: Dass die früh emanzipierte schöne junge Frau sich verlieben konnte, sollte Nachkriegsfreunde wie Richard von Weizsäcker zu ungerechten Urteilen über das Buch verführen - sie hatten selbst schon als bedeutende Bundesrepublikaner eine gewisse Patina als Staatsschauspieler angesetzt und glaubten wohl, "die Gräfin" vor den Niederungen verblasster Liebesgeschichten schützen zu müssen.
Die Publizistikgeschichte der Bundesrepublik wird sie als Journalistin erinnern, deren Ernsthaftigkeit und - ja - Redlichkeit der selbstgestellten Aufgabe entsprach, dem moralisch entkernten Land nach 1945 die Idee einer demokratisch geordneten Zukunft nahezubringen. Wer hören und lesen konnte, vernahm hinter ihren stilistisch kargen Leitartikeln einen anderen, hohen Ton, der inzwischen aus der Mode ist. Ihn noch einmal anzuschlagen zählt zu den besonderen Schönheiten dieser Biographie, die den Leser zurücklässt mit einer melancholisch stimmenden Wehmut, und die heißt - "Vorbei, vorbei."
MICHAEL NAUMANN.
Der Autor war zwischen 2000 und 2009 zusammen mit Josef Joffe Herausgeber bzw. Chefredakteur der "Zeit". Vorher war er Mitgründer des "Zeit-magazins", des "Zeit-Dossiers" und Korrespondent der Zeitschrift in Washington.
Gunter Hofmann: "Marion Dönhoff". Die Gräfin, ihre Freunde und das andere Deutschland.
Verlag C.H. Beck, München 2019. 480 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Goslarsche Zeitung
"Hofmanns kritisch-liebevolle Biographie erzählt gleichsam nebenbei die bundesrepublikanische Geschichte des rasenden politischen, ökonomischen, kulturellen und moralischen Wandels."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Michael Naumann