Als führende Gestalt im Kirchenkampf gegen Hitler, als profilierter Vertreter des bundesdeutschen Protestantismus und als streitbarer, gegen die deutsche Wiederbewaffnung aufbegehrender religiöser Pazifist gehört Martin Niemöller (1892-1984) heute zu den bekanntesten Kirchenmännern des 20. Jahrhunderts. Dass er zum Mann des Widerstands, zum Friedenskämpfer und kirchlichen Nonkonformisten wurde, war freilich alles andere als selbstverständlich. Der kaiserliche Marineoffizier und U-Boot-Kommandant, der Pfarrer in der Weimarer Republik teilte die deutschnationalen Auffassungen und antidemokratischen Ressentiments vieler seiner Zeitgenossen - bis die nationalsozialistische Diktatur und ihr Kampf gegen das Christentum Niemöller dazu brachten, sich aus den überkommenen Denkmustern des obrigkeitstreuen Nationalprotestantismus zu lösen. Der ausgwiesene Niemöller-Kenner Michael Heymel erzählt diese auch politisch hochinteressante, spannende Geschichte einer erstaunlichen Emanzipation aus souveräner Quellenkenntnis neu.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2017Protestant von Weltrang
U-Boot-Kommandant Martin Niemöller entschloss sich 1919, Pfarrer zu werden
"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." Dies ist wohl das bekannteste Zitat von Martin Niemöller, das gerade im angelsächsischen Sprachraum weit verbreitet ist. Der 1892 in Lippstadt geborene Pastorensohn wurde im "Dritten Reich" und in der Bundesrepublik einer der profiliertesten Kirchenvertreter des Protestantismus.
Doch zunächst sah es gar nicht danach aus: Nach dem Abitur trat er 1910 in die Kaiserliche Marine ein. Fünf Jahre später meldete er sich freiwillig zur U-Boot-Abteilung und übernahm 1918 sein erstes Kommando. Nach dem Kriegsende arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft, bis er sich entschloss, Pfarrer zu werden. Zielstrebig studierte er von 1919 bis 1923 in Münster evangelische Theologie. Nach dem Vikariat wurde er Vereinsgeistlicher der Inneren Mission. Engagiert erarbeitete er Konzepte zur Christianisierung der Gesellschaft. 1931 wechselte er als Gemeindepfarrer nach Berlin-Dahlem. Niemöller gehörte keiner politischen Partei an, wählte aber seit 1924 die NSDAP. Insofern begrüßte er 1933 die Machtübertragung an die Nationalsozialisten und die Errichtung eines autoritären Führerstaates nachdrücklich. Dagegen bekämpfte der Mitbegründer des Pfarrernotbundes im Mai 1933 die Deutschen Christen (DC) als kirchenpolitischen Arm der NSDAP. Obwohl er selbst nicht frei von judenfeindlichen Einstellungen war, lehnte er die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche vehement ab und sah darin den Bekenntnisfall gegeben.
Nach dem Sieg der DC bei den Kirchenwahlen organisierte er die innerkirchliche Opposition, aus der sich die Bekennende Kirche entwickelte. Unter Berufung auf die Heilige Schrift wies sie, gerade in der Barmer Theologischen Erklärung vom Mai 1934, die deutschchristliche Irrlehre sowie den nationalsozialistischen Totalitätsanspruch auf die Kirchen und deren Verkündigung zurück. Niemöller kritisierte in Predigten kirchenfeindliche Äußerungen führender Nationalsozialisten, stellte sich gegen kirchenpolitische Maßnahmen des Staates. So wurde er im In- und Ausland zur Symbolfigur kirchlichen Protestes. 1937 wurde er auf Anweisung Hitlers als dessen "persönlicher Gefangener" trotz internationaler Proteste in die Konzentrationslager Sachsenhausen und ab 1941 Dachau verbracht. Nach seiner Befreiung 1945 plädierte Niemöller für einen Neuaufbau des Protestantismus von den bekennenden Gemeinden aus ohne Landeskirchen, konnte sich damit aber durchsetzen. Als führender Vertreter der Bekennenden Kirche erhielt er dennoch Leitungsämter: Von 1945 bis 1956 stand er dem Kirchlichen Außenamt der EKD vor, von 1947 bis 1964 war er erster Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau. 1961 wurde er einer der Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen.
Seine zugespitzten politischen Formulierungen irritierten viele. Er polemisierte aus Sorge um die deutsche Einheit gegen die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und die Rüstungspolitik; 1954 wurde der ehemalige Offizier zum radikalen Pazifisten. Leben und Wirken Niemöllers sind schon mehrfach zu Lebzeiten dargestellt worden. Nun legt der habilitierte Pfarrer Michael Heymel eine weitere Biographie vor. Seinen Anspruch, Niemöller, den er als Vorbild sieht, aus der historischen Distanz zu würdigen, löst er nicht immer ein. Kritische Punkte im Leben Niemöllers werden oft nur kurz angerissen, wie dessen antidemokratisches Engagement an der Universität Münster. Auch die kirchliche und historische Einordnung kommt manchmal zu kurz, beispielsweise beim vermuteten Einfluss der Lutherrenaissance auf Niemöller. Leider ist keine systematische Auswertung des Nachlasses erkennbar. Erfreulicherweise werden die Bedeutung Else Niemöllers (1890-1961) und der Musik für Niemöller klar benannt.
Eine besondere Stärke des gut lesbaren Buches liegt in der Auswertung der Dahlemer Predigten, die Heymel ediert hat. Er versteht Niemöller als "prophetischen Prediger", der die Menschen mit dem Anspruch Gottes konfrontierte. Offenbar schreibt er eher als Praktischer Theologe, nicht als Kirchenhistoriker. Mit Recht weist er auf zwei Kontinuitäten hin, die diesen zeitlebens prägten: den Patriotismus und den evangelischen, auf Jesus Christus zentrierten Glauben. So wurden politische Entscheidungen zu Glaubensfragen, wenn diese seiner Meinung nach nicht mit der Bibel vertretbar waren. Durch den eindrucksvollen Wandel vom Nationalprotestanten zum Ökumeniker, vom Offizier zum Pazifisten, durch sein Engagement für die Bekennende Kirche wurde der bis ins hohe Alter lernfähige Niemöller zu einem deutschen Protestanten von Weltrang.
RAINER HERING
Michael Heymel: Martin Niemöller. Vom Marineoffizier zum Friedenskämpfer. Verlag Lambert Schneider, Darmstadt 2017. 320 S., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
U-Boot-Kommandant Martin Niemöller entschloss sich 1919, Pfarrer zu werden
"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." Dies ist wohl das bekannteste Zitat von Martin Niemöller, das gerade im angelsächsischen Sprachraum weit verbreitet ist. Der 1892 in Lippstadt geborene Pastorensohn wurde im "Dritten Reich" und in der Bundesrepublik einer der profiliertesten Kirchenvertreter des Protestantismus.
Doch zunächst sah es gar nicht danach aus: Nach dem Abitur trat er 1910 in die Kaiserliche Marine ein. Fünf Jahre später meldete er sich freiwillig zur U-Boot-Abteilung und übernahm 1918 sein erstes Kommando. Nach dem Kriegsende arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft, bis er sich entschloss, Pfarrer zu werden. Zielstrebig studierte er von 1919 bis 1923 in Münster evangelische Theologie. Nach dem Vikariat wurde er Vereinsgeistlicher der Inneren Mission. Engagiert erarbeitete er Konzepte zur Christianisierung der Gesellschaft. 1931 wechselte er als Gemeindepfarrer nach Berlin-Dahlem. Niemöller gehörte keiner politischen Partei an, wählte aber seit 1924 die NSDAP. Insofern begrüßte er 1933 die Machtübertragung an die Nationalsozialisten und die Errichtung eines autoritären Führerstaates nachdrücklich. Dagegen bekämpfte der Mitbegründer des Pfarrernotbundes im Mai 1933 die Deutschen Christen (DC) als kirchenpolitischen Arm der NSDAP. Obwohl er selbst nicht frei von judenfeindlichen Einstellungen war, lehnte er die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche vehement ab und sah darin den Bekenntnisfall gegeben.
Nach dem Sieg der DC bei den Kirchenwahlen organisierte er die innerkirchliche Opposition, aus der sich die Bekennende Kirche entwickelte. Unter Berufung auf die Heilige Schrift wies sie, gerade in der Barmer Theologischen Erklärung vom Mai 1934, die deutschchristliche Irrlehre sowie den nationalsozialistischen Totalitätsanspruch auf die Kirchen und deren Verkündigung zurück. Niemöller kritisierte in Predigten kirchenfeindliche Äußerungen führender Nationalsozialisten, stellte sich gegen kirchenpolitische Maßnahmen des Staates. So wurde er im In- und Ausland zur Symbolfigur kirchlichen Protestes. 1937 wurde er auf Anweisung Hitlers als dessen "persönlicher Gefangener" trotz internationaler Proteste in die Konzentrationslager Sachsenhausen und ab 1941 Dachau verbracht. Nach seiner Befreiung 1945 plädierte Niemöller für einen Neuaufbau des Protestantismus von den bekennenden Gemeinden aus ohne Landeskirchen, konnte sich damit aber durchsetzen. Als führender Vertreter der Bekennenden Kirche erhielt er dennoch Leitungsämter: Von 1945 bis 1956 stand er dem Kirchlichen Außenamt der EKD vor, von 1947 bis 1964 war er erster Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau. 1961 wurde er einer der Präsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen.
Seine zugespitzten politischen Formulierungen irritierten viele. Er polemisierte aus Sorge um die deutsche Einheit gegen die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und die Rüstungspolitik; 1954 wurde der ehemalige Offizier zum radikalen Pazifisten. Leben und Wirken Niemöllers sind schon mehrfach zu Lebzeiten dargestellt worden. Nun legt der habilitierte Pfarrer Michael Heymel eine weitere Biographie vor. Seinen Anspruch, Niemöller, den er als Vorbild sieht, aus der historischen Distanz zu würdigen, löst er nicht immer ein. Kritische Punkte im Leben Niemöllers werden oft nur kurz angerissen, wie dessen antidemokratisches Engagement an der Universität Münster. Auch die kirchliche und historische Einordnung kommt manchmal zu kurz, beispielsweise beim vermuteten Einfluss der Lutherrenaissance auf Niemöller. Leider ist keine systematische Auswertung des Nachlasses erkennbar. Erfreulicherweise werden die Bedeutung Else Niemöllers (1890-1961) und der Musik für Niemöller klar benannt.
Eine besondere Stärke des gut lesbaren Buches liegt in der Auswertung der Dahlemer Predigten, die Heymel ediert hat. Er versteht Niemöller als "prophetischen Prediger", der die Menschen mit dem Anspruch Gottes konfrontierte. Offenbar schreibt er eher als Praktischer Theologe, nicht als Kirchenhistoriker. Mit Recht weist er auf zwei Kontinuitäten hin, die diesen zeitlebens prägten: den Patriotismus und den evangelischen, auf Jesus Christus zentrierten Glauben. So wurden politische Entscheidungen zu Glaubensfragen, wenn diese seiner Meinung nach nicht mit der Bibel vertretbar waren. Durch den eindrucksvollen Wandel vom Nationalprotestanten zum Ökumeniker, vom Offizier zum Pazifisten, durch sein Engagement für die Bekennende Kirche wurde der bis ins hohe Alter lernfähige Niemöller zu einem deutschen Protestanten von Weltrang.
RAINER HERING
Michael Heymel: Martin Niemöller. Vom Marineoffizier zum Friedenskämpfer. Verlag Lambert Schneider, Darmstadt 2017. 320 S., 29,95 [Euro].
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»...ein fein differenziertes Porträt des kämpferischen, oft polarisierenden Kirchenmanns.« wiesbadener-kurier.de »Es bildet das Verdienst des Verfassers, ein äußerst kenntnisreiches, fazettenhaftes Bild entworfen zu haben, das die Persönlichkeit Martin Niemöllers faszinierend darstellt.« Das Historisch-Politische Buch »...aus souveräner Quellenkenntnis spannend und überraschend neu erzählt.« Kirche In » Obwohl Michael Heymel ohne jeden Zweifel mit seinem Herzen nahe bei Martin Niemöller steht, ist es ihm gelungen, durch penible Quellenauswertung eine zugleich spannende - und auch gut geschriebene - wie ausgewogene Darstellung zu Papier zu bringen.« Jahrbuch der Evangelischen Kirchengeschichte des Rheinlandes »Anders als die bisherigen Niemöller-Biographen berücksichtigt der Verfasser M. Heymel dessen Selbstzeugnisse und ist von daher ein Gewinn, mit dem ich diese Biographie gelesen habe.« (Forum Nr. 81) »Heymel leistet mit seiner engagierten wie abwägenden Biographie zur neuen Entdeckung Niemöllers einen großartigen Beitrag.« (Blätter für pfälzische Kirchengeschichte 84)