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Ein Autorentrio schreibt eine Kulturgeschichte des österreichischen Ständestaats 1934 bis 1938
Im September 1934 feierte ein internationaler Sensationserfolg des österreichischen Regiestars Willi Forst seine Kinopremiere in Wien. Paula Wessely war in "Maskerade" in ihrer ersten Rolle auf der Leinwand zu sehen. Zur Musik der Wiener Philharmoniker entführte der Film sein Publikum aus der krisengebeutelten Gegenwart in vermeintlich glückliche letzte Tage der Donaumonarchie - wenige Monate nachdem im blutigen Bürgerkrieg der Februarkämpfe die Sozialdemokratie ausgeschaltet und im Mai 1934 die Einparteiendiktatur des Ständestaates begründet worden war. Den Filmtitel hatten die drei Autoren Alfred Pfoser, Bélá Rásky und Hermann Schlösser für ihre "Kulturgeschichte des Austrofaschismus" entwendet.
Österreich hatte sich in der Hoffnung auf die Erhaltung der politischen Eigenstaatlichkeit den Vorgaben der Mussolini-Diktatur untergeordnet. Gleichwohl sah sich das Regime bald außenpolitisch isoliert und rechtfertigte ihre vom Konkordat mit der katholischen Kirche unterstützte Herrschaft mit dem Widerstand gegen die aggressiven Anschluss-Tendenzen durch das nationalsozialistische Deutschland, das Österreich wirtschaftlich unter Druck setzte und die Nationalsozialisten im Untergrund unterstützte.
Treffend beschrieb Anton Kuh die fragile österreichische Identität eines nach dem Zusammenbruch der Monarchie geschrumpften, neuen politischen Gebildes: "Österreich? Wer will davon etwas wissen? Für die Neue Welt ist es ein alter Film, für die Alte ein Operettenrefrain, für Mitteleuropa eine Sorge, für Westeuropa eine Last, für die Entwischten ein Steckbrief, für die Weltgeschichte ein Albdruck, für die Buchhändler ein rotes Tuch - und für alle zusammen eine Entbehrlichkeit." Das schwach ausgeprägte Selbstbewusstsein der jungen Republik bot Raum für eine Arena des Kampfes um Weltanschauungen mit extremistischem Potential, das Verbot des Nationalsozialismus befeuerte die Putschgefahr, die Ausschaltung des linken politischen Spektrums vertrieb Kommunisten ins Exil und brachte sozialdemokratische Kulturschaffende in Bedrängnis. Eine Atmosphäre wirtschaftlicher Unsicherheit und sozialer Spannungen bestimmte den ideologischen Blick sich radikalisierender Gruppierungen.
Der Weg ins Exil führte zwischen Deutschland und Österreich in beide Richtungen, die Gründe für ein Bleiben oder Gehen waren individuell und nicht immer eindeutig, häufig ökonomischem und künstlerischem Druck oder sogar dem gesellschaftlichen Prestige geschuldet: Thomas Mann liebäugelte nach der Bücherverbrennung mit der österreichischen Staatsbürgerschaft und dem Umzug nach Wien, der jüdische PEN-Präsident Felix Salten taktierte beschwichtigend, Clemens Krauss nahm das Angebot der Berliner Staatsoper an, Bruno Walter wechselte nach Wien, in der Hoffnung, der antisemitischen Verfolgung zu entgehen.
In seiner kulturhistorischen Studie über die Diktatur des Austrofaschismus hat das Autorentrio Kommentare wie Lebenswege einer Vielzahl von Kulturschaffenden aufgenommen und deren weltanschauliche Verortung und persönliche Motive in Zeitzeugnissen und Erinnerungen unter die Lupe genommen. Der repressive österreichische Polizeistaat wird bei ihnen seiner Drapierungen entkleidet. In zahlreichen thematischen Splittern - von der Ausschaltung des Parlaments am 8. März 1933 bis unmittelbar vor dem "Anschluss" an das "Dritte Reich" am 12. März 1938 - bildet der Band die kulturelle Signatur einer krisengeschüttelten Wirklichkeit ab, die komplizierter gewesen scheint, als unser heutiges Vorstellungsvermögen es uns nahelegen möchte. Allein das Schlusskapitel über die letzten Tage des Ständestaates vor dem "Anschluss" in der Erinnerung von drei Zeitzeugen zeigt, wie stark die Einschätzung selbst im Rückblick von der jeweiligen politischen Perspektive geprägt war. Die Autoren wirken gelegentlich von ihren Befunden selbst überrascht, verwundert über die unerwarteten, zuweilen gar widersprüchlich wirkenden Positionen der untersuchten Protagonisten - überwiegend sind es Männer, die prägenden Einfluss hatten, auch wenn die vom Verlag gewählte gegenderte Form im Leseklang die weibliche Form zu betonen scheint und einen irritierenden Eindruck vermittelt.
In fast sechzig Kapiteln zu anlassbezogenen historischen Ereignissen wird eine Vielzahl von Themen behandelt: das kulturelle Leben rund um Literatur, Musik und Theater, die ins Abseits gedrängten Errungenschaften des Roten Wien, gelenkte Kultur- und Bildungspolitik sowie Medienkampagnen, die den technischen Fortschritt in den Dienst des Regimes stellten, wie etwa das Projekt der Großglockner-Hochalpenstraße zeigt. Sozial- und Wirtschaftspolitik wird angerissen, Repressionen gegen die Presse und gegen eine selbstbewusst gewordene Frauengeneration werden behandelt, Fußball, Skisport und die Begeisterung für das Automobil in einem politischen Zusammenhang gezeigt.
Das dissonante Stimmengewirr ergibt einen aufschlussreichen Forschungsbefund: Schon lange vor dem "Anschluss" wurden die österreichische Gesellschaft durch Propaganda manipuliert und durch Alltagsfaschismus in ihrem sozialen Empfinden abgestumpft. Die Präsentation für ein Lesepublikum außerhalb der Scientific Community ist allerdings nicht glücklich gelöst: Historische Kenntnis der Epoche wird vorausgesetzt, manche Andeutung bleibt unausgeführt - zumindest da hätte ein aufmerksames Lektorat helfen können. Eine chronologische Skizze der politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ist nicht zuletzt mit dem Blick auf einen internationalen deutschsprachigen Markt unverzichtbar. Diese Annäherung an eines der kompliziertesten Kapitel der österreichischen Geschichte ist dennoch verdienstvoll, und sie zeigt einmal mehr, dass der Prozess der Aufarbeitung längst nicht abgeschlossen ist. GUDRUN BRAUNSPERGER
Alfred Pfoser/ Bélá Rásky/Hermann Schlösser: "Maskeraden". Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus.
Residenz Verlag, Salzburg 2024. 432 S., Abb., geb., 38,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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