A Time magazine and New York Times Best Book of the Year Charles Mason (1728-1786) and Jeremiah Dixon (1733-1779) were the British surveyors best remembered for running the boundary between Pennsylvania and Maryland that we know today as the Mason-Dixon Line. Here is their story as reimagined by Thomas Pynchon, featuring Native Americans and frontier folk, ripped bodices, naval warfare, conspiracies erotic and political, major caffeine abuse. Unreflectively entangled in crimes of demarcation, Mason and Dixon take us along on a grand tour of the Enlightenment's dark hemisphere, from their first journey together to the Cape of Good Hope, to pre-Revolutionary America and back to England, into the shadowy yet redemptive turns of their later lives, through incongruities in conscience, parallaxes of personality, tales of questionable altitude told and intimated by voices clamoring not to be lost. Along the way they encounter a plentiful cast of characters, including Benjamin Franklin, George Washington, and Samuel Johnson, as well as a Chinese feng shui master, a Swedish irredentist, a talking dog, and a robot duck. The quarrelsome, daring, mismatched pair-Mason as melancholy and Gothic as Dixon is cheerful and pre-Romantic-pursues a linear narrative of irregular lives, observing, and managing to participate in the many occasions of madness presented them by the Age of Reason.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.1997Herz des Sklavenstaates
Ein Triumph: Thomas Pynchons Roman "Mason & Dixon"
Wenn ein Mensch heute auf die Idee käme, ein für allemal unterzutauchen, müßte er seinen Plan schon als Embryo gefaßt haben. Als sich der amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon in den datenscheuen fünfziger Jahren entschloß, seine Privatsphäre gegen Zudringlichkeiten zu verteidigen, hatte seine literarische Karriere noch nicht begonnen, und so kam die Idee früh genug. Pynchons einziger Auftritt, den man öffentlich nennen könnte, fand 1953 an der Oyster Bay High School in Long Island statt: Zur Abschlußfeier seines Jahrgangs hielt der Sechzehnjährige die Begrüßungsansprache.
Danach begann eine Zeit des Verschweigens, der Verschleierungen und Ausweichmanöver, die wie ein Teil der fiktionalen Welt anmuten, für die Pynchon wenige Jahre später berühmt wurde. Im Verzeichnis der Studienanfänger der Cornell-University etwa ist statt des Pynchon-Fotos ein weißer Fleck zu sehen. Passenderweise konnte sich auch Vladimir Nabokov, der damals in Cornell lehrte, nicht an ihn erinnern. Unter den wenigen Äußerungen von Zeitgenossen ragt eine hervor, die ihn genauso bündig und schattenhaft zugleich charakterisiert, wie der Autor selbst es mit seinen Figuren zu tun pflegt. Pynchon, so heißt es dort, war ein rastloser Leser, von der Sorte, "die Bücher über Mathematik zur Entspannung liest . . . Er begann den Tag gegen 13 Uhr mit Spaghetti und einem alkoholfreien Getränk . . . und las und arbeitete bis zum nächsten Morgen um drei". Bis heute gibt es keine Interviews und kein neueres Foto. Und hätte nicht im vergangenen Jahr ein New Yorker Journalist zehn Minuten lang einen allgemein zugänglichen Online-Dienst befragt, wüßten wir immer noch nicht, daß der Schriftsteller Thomas Pynchon, geboren 1937, als ergrauter, aber gewöhnlicher Bürger in Manhattan wohnt, wo ihm wahrscheinlich seine Frau, sein Sohn und vertrauenswürdige Freunde morgen zum sechzigsten Geburtstag gratulieren werden.
Die Geschichte des berühmtesten Unbekannten der zeitgenössischen Literatur füllt kaum eine Seite. Seine Bücher kommen ungleich sperriger daher. Kein anderes Erzählwerk der Nachkriegsliteratur bündelt so viele disparate Teile wie der brikettschwere Roman "Die Enden der Parabel" (Gravity's Rainbow, 1973), einerseits die Vision eines gestürzten Europa, dessen Rationalismus in kalte Technikverehrung und schrankenlosen Machbarkeitswahn umgeschlagen ist, andererseits ein pikarischer Kriegs- und Nachkriegsroman, der ohne jegliches Partisanentum die Opfer benennt und dennoch im unklaren läßt, ob der Weltzustand die große kosmische Trauer oder nicht doch eher paranoides Kichern erfordert. Pynchon ist ein Meister des Registerwechsels: Kinohafte Verfolgungsjagden, Tortenschlachten und sonstige Slapstickeinlagen gehen bruchlos in zivilisationskritische Exkurse und erdenschweres Geschichtspathos über; dazu kommen Erörterungen zu Tarot, Kabbala, Raketentechnologie und anderen Spezialitäten. So weit kann man es bringen, wenn man sich keine Ablenkung gönnt außer einem Teller Spaghetti und einem alkoholfreien Getränk.
Längst hat die bekennende Dechiffriergemeinde die Werke Pynchons auf die Leselisten der Universitäten gebracht. Wenn ihnen Gefahr droht, dann nur von einer nachrückenden, treuherzigeren Generation, die Provokationen aus dem Weg geht oder für längere Lektüre zu faul ist. In Deutschland dagegen hat Pynchon nach wie vor nur eine kleine Leserschaft: Die "Enden der Parabel" wurden seit Erscheinen der deutschen Übersetzung 1981 keine dreißigtausendmal verkauft, und die Gesamtauflage aller fünf lieferbaren Pynchon-Titel liegt deutlich unter 200000 Stück.
Als der Autor sich vor sieben Jahren mit dem Roman "Vineland" zurückmeldete, machte sich unter seinen Anhängern leise Enttäuschung breit. Die Geschichte vom Kampf des Ex-Hippies Zoyd Wheeler gegen einen finsteren Bundesstaatsanwalt fiel hinter frühere Werke wie "V." (1963) und "Die Versteigerung von Nr. 49" (1966) weit zurück. Jetzt ist in Amerika Pynchons neuester Roman "Mason & Dixon" (Henry Holt, New York 1997) erschienen, und "Vineland" entpuppt sich plötzlich als Nebenwerk, dem ein ganz eigener Sinn zukommen könnte: mit den Sentimentalitäten der Achtundsechziger-Generation, der Pynchon sich erkennbar nahe fühlt, aufzuräumen, um für wesentlichere politische Aussagen Platz zu schaffen.
Der neue, knapp achthundert Seiten schwere Roman ist ein großer Wurf: genau recherchiert, intelligent weitergesponnen und mitreißend erzählt, eines der ganz wenigen Beispiele historischen Erzählens, das sich weder an Details verliert noch die Lektionen der Moderne auf den Müll wirft. Das Buch baut sein chronologisches Gerüst um das Leben des britischen Astronomen Charles Mason (1728 bis 1786) und des Landvermessers Jeremiah Dixon (1733 bis 1779), die in den sechziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts von der Royal Society in London beauftragt wurden, den Grenzdisput zwischen den amerikanischen Kolonien Pennsylvania und Maryland zu klären. Weit mehr als ein Grenzstreifen von rund 230 Meilen Länge, gewann die "Mason-und-Dixon-Linie" sofort symbolische Bedeutung. Zehn Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung schnitt sie das Land, das sich noch nicht einmal formiert hatte, entzwei. Hundert Jahre vor dem Bürgerkrieg war die Trennlinie zwischen den nördlichen Abolitionistenstaaten und den sklavenhaltenden Staaten des Südens schon festgelegt. Bis heute legt die Mason-und-Dixon-Linie eine Kluft durch das amerikanische Bewußtsein.
Das Überraschendste an Pynchons neuem Roman ist die Balance zwischen Historisierung und ironischer Verfremdung. "Mason & Dixon" benutzt Orthographie, Redewendungen und Satzperioden des achtzehnten Jahrhunderts, eine Stilmaske, die trotz postmoderner Brechungen für die ruhige Tonlage eines traditionellen Konversationsromans sorgt. Daß Pynchon hier weniger schrill erzählt als in früheren Romanen, weniger Fallen baut und Haken schlägt, ist von der amerikanischen Kritik mit Erleichterung vermerkt worden. Das wiederum zeigt, wie wenig sein Werk den literarkritischen Mainstream beeinflußt hat.
Zu den gezielten Anachronismen und komischen asides, die das Buch bereithält, gehört der Rat an einen jungen Priester, der sich auf eine große Seereise begibt: "Meiden Sie schädliche Substanzen, besonders Kaffee, Tabak und Hanf. Wenn Sie letzteres benutzen müssen, inhalieren Sie nicht." Immer wieder blühen in der Wildnis, die der Staatsgründung vorausging, Slogans und Sprüche aus dem heutigen Amerika. In Pynchons Kolonien empfiehlt Benjamin Franklin, nichts zum Einzelhandelspreis zu kaufen, wird das Sandwich, die Popmusik und die Nichtraucherzone erfunden. George Washington lädt die Landvermesser ein, die neue Haschisch-Ernte zu probieren. Es gibt sprechende Hunde, eine automatische Ente, einen gigantischen Käse, einen chinesischen Geomantiker, der sich von einem unheimlichen Jesuitenpater verfolgt fühlt, und überhaupt jede erdenkliche Form von Paranoia. Mason und Dixon, die von der Royal Society in die Kälte geschickt werden wie in Ungnade gefallene Spione, vermuten hinter ihren Abenteuern immer neue Drahtzieher, von der britischen East India Company bis zu Jesuiten und Freimaurern - eine weitere Variation des großen anonymen "SIE", das die Figuren zu Spielbällen skrupelloser Herrscher und politischer Komplotteure zu machen scheint.
So vertraut diese Ideen klingen, der neue Pynchon schlägt einen ungewohnt ernsten Ton an. Das Amerika vor der Unabhängigkeitserklärung, suggeriert der Roman, war ein Umschlagplatz versponnener Ideen und hermetischen Wissens, den die neue Grenze geradewegs durchschneidet: ein durchaus fragwürdiger Fortschritt. Denn Mason und Dixon, die importierten Kräfte der Aufklärung, der eine ein unheilbarer Melancholiker, der andere ein robuster Genußmensch, können ihrem eigenen Rationalismus nicht trauen. Das Land, durch das sie, begleitet von Holzfällern, Arbeitern, Händlern und Nutten, unbeirrbar ihre Schneise schlagen, ist längst entzaubert. Alles andere als der locus amoenus der Heilsphantasien der frühen Puritaner, ist dieses riesige, von kaum zwei Millionen Menschen bewohnte Stück Erde ein Sklavenstaat, schlimmer als Südafrika oder St. Helena, Orte, die sie auf früheren Missionen kennen- und verachten gelernt haben.
Das ist der Fall, und klarer hat Pynchon das Verdikt in keinem Roman ausbuchstabiert: Die Sklaverei ist das Übel des Kontinents und mehr als der Geburtsfehler der Nation, weil sie ihrem Gründungsdokument weit vorausgeht. Weiße, heißt es von den Bewohnern der amerikanischen Kolonien, "sind selbst die Wilden ihrer schlimmsten Träume geworden". So wie Handel und Sklaverei einander bedingen, haben Mason und Dixon eine Grenze gezogen, die den reibungslosen Ablauf einer auf Sklavenarbeit basierenden Wirtschaft garantiert. "Wo soll es enden?" fragt Dixon und erinnert an das Glücksversprechen, an das sich spätere Einwanderergenerationen klammern werden: "Wohin wir auch gehen, finden wir die ganze Welt eingeteilt in Tyrannen und Sklaven! Amerika ist der eine Ort, wo wir sie nicht hätten finden sollen."
Die amerikanischen Medien haben "Mason & Dixon" freundlich bis enthusiastisch aufgenommen, und nicht immer sind die Kommentare von großer Textkenntnis getrübt. Die "New York Times" vergleicht die Titelhelden mit Don Quijote und Sancho Pansa, Bouvard und Pécuchet und anderen Paaren der Literatur. "Newsweek" hebt hervor, es gebe kein besseres Porträt modernen Heldentums als die Szene, da Dixon einem Sklavenhändler dessen blutige Peitsche aus der Hand reißt. Doch gerade an dieser Szene zeigt Pynchon die Fragwürdigkeit jeglichen Heldentums, denn natürlich geht kurz darauf alles genauso weiter wie zuvor.
Viel wichtiger ist, daß Pynchon seine Fiktionen nicht mehr von den ungelösten gesellschaftlichen Problemen seines Landes freihalten kann und die Amerikaner in diesen trüben neunziger Jahren an den Anspruch ihrer Verfassung erinnert - vielleicht analog zu der Forderung Richard Rortys, die kulturelle Linke müsse sich von feingesponnener Theoriebildung abwenden, um sich endlich den wirklichen Aufgaben zu stellen (F.A.Z. vom 2.Mai). Aus dem Munde von William Gaddis, dem einzigen amerikanischen Schriftsteller, der neben Pynchon bestehen kann, klingt es seit langer Zeit ähnlich. Mag sein, daß die Zeit der abgehobenen ästhetischen Experimente fürs erste vorbei ist und Romane sich gesellschaftskritisch wieder in die Pflicht nehmen lassen. Wenn es so ist, gibt es einen Grund dafür: das Scheitern der Politik. PAUL INGENDAAY
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Ein Triumph: Thomas Pynchons Roman "Mason & Dixon"
Wenn ein Mensch heute auf die Idee käme, ein für allemal unterzutauchen, müßte er seinen Plan schon als Embryo gefaßt haben. Als sich der amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon in den datenscheuen fünfziger Jahren entschloß, seine Privatsphäre gegen Zudringlichkeiten zu verteidigen, hatte seine literarische Karriere noch nicht begonnen, und so kam die Idee früh genug. Pynchons einziger Auftritt, den man öffentlich nennen könnte, fand 1953 an der Oyster Bay High School in Long Island statt: Zur Abschlußfeier seines Jahrgangs hielt der Sechzehnjährige die Begrüßungsansprache.
Danach begann eine Zeit des Verschweigens, der Verschleierungen und Ausweichmanöver, die wie ein Teil der fiktionalen Welt anmuten, für die Pynchon wenige Jahre später berühmt wurde. Im Verzeichnis der Studienanfänger der Cornell-University etwa ist statt des Pynchon-Fotos ein weißer Fleck zu sehen. Passenderweise konnte sich auch Vladimir Nabokov, der damals in Cornell lehrte, nicht an ihn erinnern. Unter den wenigen Äußerungen von Zeitgenossen ragt eine hervor, die ihn genauso bündig und schattenhaft zugleich charakterisiert, wie der Autor selbst es mit seinen Figuren zu tun pflegt. Pynchon, so heißt es dort, war ein rastloser Leser, von der Sorte, "die Bücher über Mathematik zur Entspannung liest . . . Er begann den Tag gegen 13 Uhr mit Spaghetti und einem alkoholfreien Getränk . . . und las und arbeitete bis zum nächsten Morgen um drei". Bis heute gibt es keine Interviews und kein neueres Foto. Und hätte nicht im vergangenen Jahr ein New Yorker Journalist zehn Minuten lang einen allgemein zugänglichen Online-Dienst befragt, wüßten wir immer noch nicht, daß der Schriftsteller Thomas Pynchon, geboren 1937, als ergrauter, aber gewöhnlicher Bürger in Manhattan wohnt, wo ihm wahrscheinlich seine Frau, sein Sohn und vertrauenswürdige Freunde morgen zum sechzigsten Geburtstag gratulieren werden.
Die Geschichte des berühmtesten Unbekannten der zeitgenössischen Literatur füllt kaum eine Seite. Seine Bücher kommen ungleich sperriger daher. Kein anderes Erzählwerk der Nachkriegsliteratur bündelt so viele disparate Teile wie der brikettschwere Roman "Die Enden der Parabel" (Gravity's Rainbow, 1973), einerseits die Vision eines gestürzten Europa, dessen Rationalismus in kalte Technikverehrung und schrankenlosen Machbarkeitswahn umgeschlagen ist, andererseits ein pikarischer Kriegs- und Nachkriegsroman, der ohne jegliches Partisanentum die Opfer benennt und dennoch im unklaren läßt, ob der Weltzustand die große kosmische Trauer oder nicht doch eher paranoides Kichern erfordert. Pynchon ist ein Meister des Registerwechsels: Kinohafte Verfolgungsjagden, Tortenschlachten und sonstige Slapstickeinlagen gehen bruchlos in zivilisationskritische Exkurse und erdenschweres Geschichtspathos über; dazu kommen Erörterungen zu Tarot, Kabbala, Raketentechnologie und anderen Spezialitäten. So weit kann man es bringen, wenn man sich keine Ablenkung gönnt außer einem Teller Spaghetti und einem alkoholfreien Getränk.
Längst hat die bekennende Dechiffriergemeinde die Werke Pynchons auf die Leselisten der Universitäten gebracht. Wenn ihnen Gefahr droht, dann nur von einer nachrückenden, treuherzigeren Generation, die Provokationen aus dem Weg geht oder für längere Lektüre zu faul ist. In Deutschland dagegen hat Pynchon nach wie vor nur eine kleine Leserschaft: Die "Enden der Parabel" wurden seit Erscheinen der deutschen Übersetzung 1981 keine dreißigtausendmal verkauft, und die Gesamtauflage aller fünf lieferbaren Pynchon-Titel liegt deutlich unter 200000 Stück.
Als der Autor sich vor sieben Jahren mit dem Roman "Vineland" zurückmeldete, machte sich unter seinen Anhängern leise Enttäuschung breit. Die Geschichte vom Kampf des Ex-Hippies Zoyd Wheeler gegen einen finsteren Bundesstaatsanwalt fiel hinter frühere Werke wie "V." (1963) und "Die Versteigerung von Nr. 49" (1966) weit zurück. Jetzt ist in Amerika Pynchons neuester Roman "Mason & Dixon" (Henry Holt, New York 1997) erschienen, und "Vineland" entpuppt sich plötzlich als Nebenwerk, dem ein ganz eigener Sinn zukommen könnte: mit den Sentimentalitäten der Achtundsechziger-Generation, der Pynchon sich erkennbar nahe fühlt, aufzuräumen, um für wesentlichere politische Aussagen Platz zu schaffen.
Der neue, knapp achthundert Seiten schwere Roman ist ein großer Wurf: genau recherchiert, intelligent weitergesponnen und mitreißend erzählt, eines der ganz wenigen Beispiele historischen Erzählens, das sich weder an Details verliert noch die Lektionen der Moderne auf den Müll wirft. Das Buch baut sein chronologisches Gerüst um das Leben des britischen Astronomen Charles Mason (1728 bis 1786) und des Landvermessers Jeremiah Dixon (1733 bis 1779), die in den sechziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts von der Royal Society in London beauftragt wurden, den Grenzdisput zwischen den amerikanischen Kolonien Pennsylvania und Maryland zu klären. Weit mehr als ein Grenzstreifen von rund 230 Meilen Länge, gewann die "Mason-und-Dixon-Linie" sofort symbolische Bedeutung. Zehn Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung schnitt sie das Land, das sich noch nicht einmal formiert hatte, entzwei. Hundert Jahre vor dem Bürgerkrieg war die Trennlinie zwischen den nördlichen Abolitionistenstaaten und den sklavenhaltenden Staaten des Südens schon festgelegt. Bis heute legt die Mason-und-Dixon-Linie eine Kluft durch das amerikanische Bewußtsein.
Das Überraschendste an Pynchons neuem Roman ist die Balance zwischen Historisierung und ironischer Verfremdung. "Mason & Dixon" benutzt Orthographie, Redewendungen und Satzperioden des achtzehnten Jahrhunderts, eine Stilmaske, die trotz postmoderner Brechungen für die ruhige Tonlage eines traditionellen Konversationsromans sorgt. Daß Pynchon hier weniger schrill erzählt als in früheren Romanen, weniger Fallen baut und Haken schlägt, ist von der amerikanischen Kritik mit Erleichterung vermerkt worden. Das wiederum zeigt, wie wenig sein Werk den literarkritischen Mainstream beeinflußt hat.
Zu den gezielten Anachronismen und komischen asides, die das Buch bereithält, gehört der Rat an einen jungen Priester, der sich auf eine große Seereise begibt: "Meiden Sie schädliche Substanzen, besonders Kaffee, Tabak und Hanf. Wenn Sie letzteres benutzen müssen, inhalieren Sie nicht." Immer wieder blühen in der Wildnis, die der Staatsgründung vorausging, Slogans und Sprüche aus dem heutigen Amerika. In Pynchons Kolonien empfiehlt Benjamin Franklin, nichts zum Einzelhandelspreis zu kaufen, wird das Sandwich, die Popmusik und die Nichtraucherzone erfunden. George Washington lädt die Landvermesser ein, die neue Haschisch-Ernte zu probieren. Es gibt sprechende Hunde, eine automatische Ente, einen gigantischen Käse, einen chinesischen Geomantiker, der sich von einem unheimlichen Jesuitenpater verfolgt fühlt, und überhaupt jede erdenkliche Form von Paranoia. Mason und Dixon, die von der Royal Society in die Kälte geschickt werden wie in Ungnade gefallene Spione, vermuten hinter ihren Abenteuern immer neue Drahtzieher, von der britischen East India Company bis zu Jesuiten und Freimaurern - eine weitere Variation des großen anonymen "SIE", das die Figuren zu Spielbällen skrupelloser Herrscher und politischer Komplotteure zu machen scheint.
So vertraut diese Ideen klingen, der neue Pynchon schlägt einen ungewohnt ernsten Ton an. Das Amerika vor der Unabhängigkeitserklärung, suggeriert der Roman, war ein Umschlagplatz versponnener Ideen und hermetischen Wissens, den die neue Grenze geradewegs durchschneidet: ein durchaus fragwürdiger Fortschritt. Denn Mason und Dixon, die importierten Kräfte der Aufklärung, der eine ein unheilbarer Melancholiker, der andere ein robuster Genußmensch, können ihrem eigenen Rationalismus nicht trauen. Das Land, durch das sie, begleitet von Holzfällern, Arbeitern, Händlern und Nutten, unbeirrbar ihre Schneise schlagen, ist längst entzaubert. Alles andere als der locus amoenus der Heilsphantasien der frühen Puritaner, ist dieses riesige, von kaum zwei Millionen Menschen bewohnte Stück Erde ein Sklavenstaat, schlimmer als Südafrika oder St. Helena, Orte, die sie auf früheren Missionen kennen- und verachten gelernt haben.
Das ist der Fall, und klarer hat Pynchon das Verdikt in keinem Roman ausbuchstabiert: Die Sklaverei ist das Übel des Kontinents und mehr als der Geburtsfehler der Nation, weil sie ihrem Gründungsdokument weit vorausgeht. Weiße, heißt es von den Bewohnern der amerikanischen Kolonien, "sind selbst die Wilden ihrer schlimmsten Träume geworden". So wie Handel und Sklaverei einander bedingen, haben Mason und Dixon eine Grenze gezogen, die den reibungslosen Ablauf einer auf Sklavenarbeit basierenden Wirtschaft garantiert. "Wo soll es enden?" fragt Dixon und erinnert an das Glücksversprechen, an das sich spätere Einwanderergenerationen klammern werden: "Wohin wir auch gehen, finden wir die ganze Welt eingeteilt in Tyrannen und Sklaven! Amerika ist der eine Ort, wo wir sie nicht hätten finden sollen."
Die amerikanischen Medien haben "Mason & Dixon" freundlich bis enthusiastisch aufgenommen, und nicht immer sind die Kommentare von großer Textkenntnis getrübt. Die "New York Times" vergleicht die Titelhelden mit Don Quijote und Sancho Pansa, Bouvard und Pécuchet und anderen Paaren der Literatur. "Newsweek" hebt hervor, es gebe kein besseres Porträt modernen Heldentums als die Szene, da Dixon einem Sklavenhändler dessen blutige Peitsche aus der Hand reißt. Doch gerade an dieser Szene zeigt Pynchon die Fragwürdigkeit jeglichen Heldentums, denn natürlich geht kurz darauf alles genauso weiter wie zuvor.
Viel wichtiger ist, daß Pynchon seine Fiktionen nicht mehr von den ungelösten gesellschaftlichen Problemen seines Landes freihalten kann und die Amerikaner in diesen trüben neunziger Jahren an den Anspruch ihrer Verfassung erinnert - vielleicht analog zu der Forderung Richard Rortys, die kulturelle Linke müsse sich von feingesponnener Theoriebildung abwenden, um sich endlich den wirklichen Aufgaben zu stellen (F.A.Z. vom 2.Mai). Aus dem Munde von William Gaddis, dem einzigen amerikanischen Schriftsteller, der neben Pynchon bestehen kann, klingt es seit langer Zeit ähnlich. Mag sein, daß die Zeit der abgehobenen ästhetischen Experimente fürs erste vorbei ist und Romane sich gesellschaftskritisch wieder in die Pflicht nehmen lassen. Wenn es so ist, gibt es einen Grund dafür: das Scheitern der Politik. PAUL INGENDAAY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pynchon's finest work yet...if anyone is still looking for the Great American Novel...then this may well be it Brian Morton Scotland on Sunday