Noch vor wenigen Jahren zielten Extremisten auf den Rand, auf Einzelgänger und weit Abgetriebene. Doch seit Corona, dem Sturm aufs Kapitol, dem Ukraine-Krieg ist Radikalisierung zum Massenphänomen geworden. Als Extremismusforscherin will Julia Ebner verstehen, warum so viele anfällig sind für radikale Ideen, welche Strukturen und Mechanismen dahinterstehen und was jetzt endlich unternommen werden muss im Kampf um Gerechtigkeit und Demokratie.
Nach vielen Jahren wissenschaftlicher Arbeit, Recherche und zahlreichen verdeckten Einsätzen glaubte Julia Ebner ihren Forschungsgegenstand zu kennen. Doch mit der Pandemie beginnt eine ungeahnte Eskalation. Nun scheren in jedem Freundeskreis, in jeder Familie Leute aus: Massenbewegungen, rekrutiert aus der Mitte der Gesellschaft, entstehen – Querdenker, QAnon, Impfgegner –, radikal und brandgefährlich. Für Julia Ebner folgen intensive Beobachtung, online wie offline, wissenschaftliche Auswertung, riskante Undercover-Missionen, um den Bauplan der Massenradikalisierung freizulegen und laut Alarm zu schlagen.
Nach vielen Jahren wissenschaftlicher Arbeit, Recherche und zahlreichen verdeckten Einsätzen glaubte Julia Ebner ihren Forschungsgegenstand zu kennen. Doch mit der Pandemie beginnt eine ungeahnte Eskalation. Nun scheren in jedem Freundeskreis, in jeder Familie Leute aus: Massenbewegungen, rekrutiert aus der Mitte der Gesellschaft, entstehen – Querdenker, QAnon, Impfgegner –, radikal und brandgefährlich. Für Julia Ebner folgen intensive Beobachtung, online wie offline, wissenschaftliche Auswertung, riskante Undercover-Missionen, um den Bauplan der Massenradikalisierung freizulegen und laut Alarm zu schlagen.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gespannt liest Kritiker Kai Spanke Julia Ebners Buch zu Extremisten und Verschwörungstheoretikern: Die Autorin, die in Oxford zu den Themen forscht, überzeugt ihn davon, dass extreme Gruppen, seien es Leugner von Klimawandel und Corona, Rassisten oder QAnon-Mitglieder, längst kein Randphänomen mehr sind. Auf die Erzählstrategie Ebners lässt er sich gerne ein, ihm gefällt, wie sie es schafft, Anekdotisches und Analytisches so zu verbinden, dass ein nachvollziehbarer roter Faden entsteht, der dem Rezensenten oft ein reportagenhaftes Gefühl gibt. Besonders eindrücklich sind für ihn die Passagen, in denen die Forscherin von eigenen Erfahrungen und direkten Begegnungen mit Fundamentalisten berichtet. Von der Notwendig des Handels ist er nach der Lektüre auf jeden Fall überzeugt, auch wenn ein genauer Plan noch ausgehandelt werden muss, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2023Wenn die Polizei um Hilfe ruft
Fast ein Viertel aller Deutschen glaubt an eine Medienverschwörung: Julia Ebner erörtert, wie Extremisten die Mitte der Gesellschaft kapern.
Julia Ebners wohl unangenehmste Prognose scheint, so legt die Lektüre ihres Buchs zumindest nahe, gar keine Prognose zu sein. Denn die Extremismusforscherin wartet mit Zahlen und Fakten auf, sie erzählt von ihren verdeckten Ermittlungen unter Klimawandelleugnern und Verschwörungstheoretikern, Rassisten und Antifeministen, sie beschreibt, wie sich Allianzen zwischen diesen Gruppen bilden, und sie warnt davor, dass Fundamentalisten nicht mehr zwangsläufig ein gesellschaftlich randständiges Dasein fristen, sondern in der bürgerlichen Mitte angekommen sind. Ebners Prognose jedenfalls lautet, "das Mainstreaming von radikalem Gedankengut" werde ein zentraler Trend des kommenden Jahrzehnts. Wer ihre Monographie gelesen hat, wird zu dem Schluss kommen, dass sich der Prozess längst vollzieht und nicht mehr umzukehren ist.
So bestand die Mehrheit der Menschen, die sich am 6. Januar 2021 zusammengeschlossen haben, um das Kapitol in Washington zu stürmen, aus "Geschäftsinhabern und Berufstätigen aus angesehenen Berufen, aus Ärzten, Anwältinnen, Ingenieuren und Managerinnen. Nur 7 Prozent der Verhafteten waren arbeitslos". Ein Grund hierfür sei der Vertrauensverlust in Politik, Wissenschaft und Medien. Die einen schreien "Wahlbetrug", die anderen glauben's sofort und randalieren. Ebner betont, diejenigen, die sich "auf der Verliererseite der Globalisierung wähnen", interessierten sich besonders "für rassistisch motivierte Propaganda".
Hinzu komme die Krisenserie der vergangenen Jahre. Mit ihr sei die Verunsicherung genauso gewachsen wie die Anfälligkeit für Verschwörungsmythen: Migrationskrise, Corona-Krise, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, KI-basierte Technologien wie Deepfakes, also mediale Fälschungen, etwa von Gesichtern, die täuschend echt wirken. Hier hat die Autorin nicht viel Überraschendes zu vermelden. Das gleicht sie mit der Gründlichkeit ihrer Analysen und Erwägungen allerdings wieder aus.
Es gibt Sachbücher, deren Kern ein sich systematisch entfaltender Gedanke darstellt. Und es gibt solche, bei denen die Beschreibung von Ereignissen zum Argument wird. Ebner, die am Londoner Institute for Strategic Dialogue sowie am Centre for the Study of Social Cohesion der Universität von Oxford arbeitet, vertraut auf beide Typen - ohne geschwätzig zu werden und vom erzählenden Duktus ins quasiliterarische Fach zu wechseln. Anekdoten sind bei ihr kein der Verlegenheit geschuldetes Füllmaterial, sondern Teil des roten Fadens.
Zeichnet sie nach, was sich beim Sturm aufs Kapitol abspielte und was zeitgleich in Chatgruppen gepostet wurde, darf sie mit der Betroffenheit des Lesers rechnen, nicht zuletzt, weil ihr Hang zur Parataxe den Eindruck unmittelbarer Wahrhaftigkeit erzeugt. Uhrzeit, Szene, Zitat, knapper einordnender Kommentar, Ebner beherrscht alle Regeln der Reportage. Das klingt so: "Um 13.45 Uhr setzt ein Polizist einen Hilferuf ab", "Immer mehr Randalierer durchbrechen die Tore. Einige schlagen mit Stöcken so lange auf die Fenster des Kapitols ein, bis sie hineinklettern können", "'Ich dachte, die schnappen sich Pelosi im Kapitol drinnen', kommentiert Tony. 'Sie ist verdammt schnell gerannt', erwidert Susan", "Die Grenze zwischen Gewitzel und Anstiftung zur Gewalt wird sehr dünn".
Ganz anders der Duktus jener Passagen, in denen Forschungsergebnisse präsentiert werden. Über die Bielefelder "Mitte-Studie" des Jahres 2021 heißt es: "Fast ein Viertel der Deutschen glaubt an eine Medienverschwörung, und etwa 16 Prozent sind der Ansicht, die Bundesrepublik ähnele einer Diktatur mehr als einer Demokratie." Über 20 Prozent der Bevölkerung finden, "es würde 'zu viel Rücksicht auf Minderheiten' genommen."
Immer wieder fragt man sich: Warum ist das so? Aus welchem Grund glauben so viele gebildete Menschen an eine Corona-Verschwörung? Wie kann es sein, dass QAnon, 2017 noch eine Randgruppe mit ein paar Tausend Mitgliedern, die im Internet behaupteten, eine weltweit operierende Elite entführe Kinder, um aus ihrem Blut Adrenochrom zu gewinnen, nur drei Jahre später schon mehr als 4,5 Millionen Follower aus mindestens fünfzehn Ländern hatte? Glauben die 120.000 Abonnenten der Telegram-Gruppe Qnews denn tatsächlich, dass der "Kommunismus die letzte Corona-Variante ist"? Daneben wirkt der Scheibenerde-Kanal des Messengers mit seinen 44.000 Anhängern einigermaßen spartanisch.
Am eindringlichsten ist Ebners Buch, wenn sie schildert, was sie unter Extremisten in Onlineforen erlebt hat, oder wie es war, sich auf einer Konferenz vom Europäischen Institut für Klima und Energie - das übrigens die menschengemachte Erderwärmung leugnet - am Tisch neben einem Neonazi wiederzufinden. Ob etwas gewonnen ist, sobald eine noch zu gründende "unabhängige, neutrale Institution" Lizenzen an "vertrauenswürdige Nachrichtenquellen vergibt", inwiefern radikalisierte Menschen von "alternativen Unterhaltungsprogrammen" profitieren könnten, welchen Effekt es hätte, wenn ein Fundamentalist erkennt, dass etliche Mitstreiter seine persönlichen Erfahrungen gar nicht teilen - all das müsste erst einmal untersucht werden. An der Notwendigkeit, die gesellschaftliche Mitte vor Extremisten zu schützen, besteht indes kein Zweifel. KAI SPANKE
Julia Ebner: "Massenradikalisierung". Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt.
Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Suhrkamp Nova, Berlin 2023. 360 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fast ein Viertel aller Deutschen glaubt an eine Medienverschwörung: Julia Ebner erörtert, wie Extremisten die Mitte der Gesellschaft kapern.
Julia Ebners wohl unangenehmste Prognose scheint, so legt die Lektüre ihres Buchs zumindest nahe, gar keine Prognose zu sein. Denn die Extremismusforscherin wartet mit Zahlen und Fakten auf, sie erzählt von ihren verdeckten Ermittlungen unter Klimawandelleugnern und Verschwörungstheoretikern, Rassisten und Antifeministen, sie beschreibt, wie sich Allianzen zwischen diesen Gruppen bilden, und sie warnt davor, dass Fundamentalisten nicht mehr zwangsläufig ein gesellschaftlich randständiges Dasein fristen, sondern in der bürgerlichen Mitte angekommen sind. Ebners Prognose jedenfalls lautet, "das Mainstreaming von radikalem Gedankengut" werde ein zentraler Trend des kommenden Jahrzehnts. Wer ihre Monographie gelesen hat, wird zu dem Schluss kommen, dass sich der Prozess längst vollzieht und nicht mehr umzukehren ist.
So bestand die Mehrheit der Menschen, die sich am 6. Januar 2021 zusammengeschlossen haben, um das Kapitol in Washington zu stürmen, aus "Geschäftsinhabern und Berufstätigen aus angesehenen Berufen, aus Ärzten, Anwältinnen, Ingenieuren und Managerinnen. Nur 7 Prozent der Verhafteten waren arbeitslos". Ein Grund hierfür sei der Vertrauensverlust in Politik, Wissenschaft und Medien. Die einen schreien "Wahlbetrug", die anderen glauben's sofort und randalieren. Ebner betont, diejenigen, die sich "auf der Verliererseite der Globalisierung wähnen", interessierten sich besonders "für rassistisch motivierte Propaganda".
Hinzu komme die Krisenserie der vergangenen Jahre. Mit ihr sei die Verunsicherung genauso gewachsen wie die Anfälligkeit für Verschwörungsmythen: Migrationskrise, Corona-Krise, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, KI-basierte Technologien wie Deepfakes, also mediale Fälschungen, etwa von Gesichtern, die täuschend echt wirken. Hier hat die Autorin nicht viel Überraschendes zu vermelden. Das gleicht sie mit der Gründlichkeit ihrer Analysen und Erwägungen allerdings wieder aus.
Es gibt Sachbücher, deren Kern ein sich systematisch entfaltender Gedanke darstellt. Und es gibt solche, bei denen die Beschreibung von Ereignissen zum Argument wird. Ebner, die am Londoner Institute for Strategic Dialogue sowie am Centre for the Study of Social Cohesion der Universität von Oxford arbeitet, vertraut auf beide Typen - ohne geschwätzig zu werden und vom erzählenden Duktus ins quasiliterarische Fach zu wechseln. Anekdoten sind bei ihr kein der Verlegenheit geschuldetes Füllmaterial, sondern Teil des roten Fadens.
Zeichnet sie nach, was sich beim Sturm aufs Kapitol abspielte und was zeitgleich in Chatgruppen gepostet wurde, darf sie mit der Betroffenheit des Lesers rechnen, nicht zuletzt, weil ihr Hang zur Parataxe den Eindruck unmittelbarer Wahrhaftigkeit erzeugt. Uhrzeit, Szene, Zitat, knapper einordnender Kommentar, Ebner beherrscht alle Regeln der Reportage. Das klingt so: "Um 13.45 Uhr setzt ein Polizist einen Hilferuf ab", "Immer mehr Randalierer durchbrechen die Tore. Einige schlagen mit Stöcken so lange auf die Fenster des Kapitols ein, bis sie hineinklettern können", "'Ich dachte, die schnappen sich Pelosi im Kapitol drinnen', kommentiert Tony. 'Sie ist verdammt schnell gerannt', erwidert Susan", "Die Grenze zwischen Gewitzel und Anstiftung zur Gewalt wird sehr dünn".
Ganz anders der Duktus jener Passagen, in denen Forschungsergebnisse präsentiert werden. Über die Bielefelder "Mitte-Studie" des Jahres 2021 heißt es: "Fast ein Viertel der Deutschen glaubt an eine Medienverschwörung, und etwa 16 Prozent sind der Ansicht, die Bundesrepublik ähnele einer Diktatur mehr als einer Demokratie." Über 20 Prozent der Bevölkerung finden, "es würde 'zu viel Rücksicht auf Minderheiten' genommen."
Immer wieder fragt man sich: Warum ist das so? Aus welchem Grund glauben so viele gebildete Menschen an eine Corona-Verschwörung? Wie kann es sein, dass QAnon, 2017 noch eine Randgruppe mit ein paar Tausend Mitgliedern, die im Internet behaupteten, eine weltweit operierende Elite entführe Kinder, um aus ihrem Blut Adrenochrom zu gewinnen, nur drei Jahre später schon mehr als 4,5 Millionen Follower aus mindestens fünfzehn Ländern hatte? Glauben die 120.000 Abonnenten der Telegram-Gruppe Qnews denn tatsächlich, dass der "Kommunismus die letzte Corona-Variante ist"? Daneben wirkt der Scheibenerde-Kanal des Messengers mit seinen 44.000 Anhängern einigermaßen spartanisch.
Am eindringlichsten ist Ebners Buch, wenn sie schildert, was sie unter Extremisten in Onlineforen erlebt hat, oder wie es war, sich auf einer Konferenz vom Europäischen Institut für Klima und Energie - das übrigens die menschengemachte Erderwärmung leugnet - am Tisch neben einem Neonazi wiederzufinden. Ob etwas gewonnen ist, sobald eine noch zu gründende "unabhängige, neutrale Institution" Lizenzen an "vertrauenswürdige Nachrichtenquellen vergibt", inwiefern radikalisierte Menschen von "alternativen Unterhaltungsprogrammen" profitieren könnten, welchen Effekt es hätte, wenn ein Fundamentalist erkennt, dass etliche Mitstreiter seine persönlichen Erfahrungen gar nicht teilen - all das müsste erst einmal untersucht werden. An der Notwendigkeit, die gesellschaftliche Mitte vor Extremisten zu schützen, besteht indes kein Zweifel. KAI SPANKE
Julia Ebner: "Massenradikalisierung". Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt.
Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Suhrkamp Nova, Berlin 2023. 360 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Julia Ebners wohl unangenehmste Prognose scheint, so legt die Lektüre ihres Buchs zumindest nahe, gar keine Prognose zu sein. Denn die Extremismusforscherin wartet mit Zahlen und Fakten auf ... Ebner beherrscht alle Regeln der Reportage.« Kai Spanke Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230807