Le troisième roman de Justine Lévy aurait pu s'appeler La Concordance des temps. Tandis que Louise va mettre au monde son premier enfant, Alice, sa mère, se meurt. Elle aurait pu choisir un autre titre encore : Une fille à l'endroit, une mère à l'envers. Quand Louise va annoncer la naissance prochaine de sa fille Angèle à sa mère, recluse dans une chambre d'hôpital, l'impossible Alice se montre catégorique et lui affirme qu'elle se trompe. Une petite fille ne peut pas être enceinte. Pour Alice, Louise n'a pas grandi. Elle est le fruit d'un amour de jeunesse qui n'aura pas duré mais dont le père de Louise lui-même ne s'est sans doute jamais consolé. Si Louise a grandi, Alice n'est plus aimée. Quand, après la disparition de sa mère, Louise retrouve son répertoire, elle comprend peu à peu qu'hormis les souvenirs indélébiles, ce carnet confus et sentimental est la seule chose qui va lui rester. À elle de recomposer la vie fracassée de cette femme au moment où elle doit envisager le présent et l'avenir de sa petite Angèle.
On reconnaîtra au fil des pages les personnages qui sont familiers aux centaines de milliers de lecteurs de Rien de grave. Louise, la narratrice, sa mère, Pablo, son amoureux, et ce père qui, même en décalage horaire, semble être toujours présent, prêt à tenter de réparer l'irréparable. Mauvaise fille, vraiment ? À son habitude, Justine Lévy ne s'est pas donné le beau rôle. Toujours sur le fil délicat de la tragi-comédie, elle impose un style, un univers et, dans une incorrection salutaire, confirme ici qu'elle est l'une des meilleures romancières d'aujourd'hui.
On reconnaîtra au fil des pages les personnages qui sont familiers aux centaines de milliers de lecteurs de Rien de grave. Louise, la narratrice, sa mère, Pablo, son amoureux, et ce père qui, même en décalage horaire, semble être toujours présent, prêt à tenter de réparer l'irréparable. Mauvaise fille, vraiment ? À son habitude, Justine Lévy ne s'est pas donné le beau rôle. Toujours sur le fil délicat de la tragi-comédie, elle impose un style, un univers et, dans une incorrection salutaire, confirme ici qu'elle est l'une des meilleures romancières d'aujourd'hui.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine ZeitungEin Memorial, das lebendig wirkt, weil es wuchert
Justine Lévy, die Tochter des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy, erzählt auf verstörende Weise vom Sterben ihrer ebenfalls berühmten Mutter.
Es ist das Jahrzehnt der Töchterbücher: Ursula Priess schreibt über ihren Vater Max Frisch, Sibylle über ihren Psychoanalytiker-Vater Jacques Lacan. Justine Lévy konnte mit ihrem Vater, dem Philosophen Bernard-Henri Lévy, durchaus mithalten. Doch ihr Blick richtet sich diesmal nicht auf den Vater, sondern auf das Sterben der kaum weniger prominenten Mutter, die als Model auf Titelblättern leuchtete: Isabelle Doutreluigne. Sie starb 2004, als Justine Lévy mit ihrer ersten Tochter schwanger war.
Da hatte sie schon eine Beziehung hinter sich, die wegen Carla Bruni auseinanderbrach, was Lévys zweiten Roman "Nicht so tragisch" inspirierte und die Verkaufszahlen hochschießen ließ. 2003, ein Jahr vor seinem Erscheinen in Deutschland, sorgte das Buch für Medienaufruhr in Frankreich, weil man ihn als Schlüsselroman las. Er erzählt von Louise und ihrer verzweifelten Sucht. Es ist die gleiche Louise, die in Lévys erstem Roman "Rendezvous mit Alice" in einem Café sitzt und auf die wie immer unpünktliche, exzentrische, ihrerseits drogengeschüttelte Mutter wartet. Töchterbücher wirken oft wie Schwimmbewegungen aus dem Schatten der Eltern - und wollen gerade diesen Anschein nicht erwecken. Justine Lévy scheint sich nicht von ihrem Lebensstoff, wohl aber stilistisch freigeschwommen zu haben: "Schlechte Tochter" ist eine empathische, charmant-hysterische, selbstironische, tieftraurige Chronologie von Abschied und Ankunft. Und das alles, weil es seine verwirrende Perspektive - die einer werdenden Muttertochter - nicht leugnet. Dieser dritte Roman Justine Lévys lässt den autobiographischen Echoraum, aus dem er kommt, fast vergessen.
"Das Ungeheuerliche ist, dass ich Mama weggezappt habe, indem ich ein Kind gemacht habe." Louises Selbstanschuldigung ist der Konflikt des Romans. Justine Lévy reizt das aus, ohne zu glätten. Ihre Figur sagt "Mama", "Papa" oder enttäuscht "Papapapa" - jedenfalls nicht "meine Mutter". Distanz ist nicht vorgesehen, und so fallen manche Sätze Louises wie auf der Couch eines Therapeuten: ungebrochen. Das wiederum macht ihre Wucht aus, hat man sich einmal an diesen naiven Ton gewöhnt. Dennoch ist es kein reines Bauchbuch, das Emotionen aus der Hüfte schießt. Gleich die erste Szene ist exemplarisch für das Auseinanderfallen von Welt und Figur. Louise bereitet Pablo, ihrem Lebenspartner, zu seinem Geburtstag ein Überraschungswochenende in Rom. Alles muss stimmen, ihre Emsigkeit in der Vorbereitungsphase ist groß, "jetzt muss es klappen" mit dem Glück und der neuen Zweisamkeit. Und vor allem mit dem Bild, das Louise vor Freunden nach außen abgeben will: als "Lebenskünstlerin". Ihrer Schwangerschaft gegenüber bleibt sie weit unaufmerksamer.
Lévy beleuchtet den hohen Maßstab einer Erzählerin, die nur fallen kann - ins Bodenlose; es sei denn, sie beschreibt, was sie gerade erlebt. Das Aussehen, die Fassade bilden die Orientierungsschnur dieser Model-Tochter. Immer wieder aber reißt die Schnur, wird dieser Bericht eruptiv, atemlos, dann wieder staunend ob der bizarr nebeneinander koexistierenden, konträren Ereignisse. Geblieben von Louises antrainiertem Blick auf Äußerlichkeiten sind ihr die Fähigkeit und der Fluch, körperliche Details zu erkennen, zu vergleichen, selbstzerstörerisch zu sezieren. An Narben, Fingern, übereilten Hoseneinkäufen oder gefärbten Haaren demonstriert Justine Lévy das Drama, aber eben auch das kleine Glück dieser Mutter-Tochter-Beziehung.
Alles läuft in diesem turbulenten Kopf kurz nacheinander auf: die feinen Feenhände der jungen Mannequin-Mutter; die Flecken ihrer gealterten, krebskranken Hand; die abgerissenen Nägel von Louise mit ihren "Trockenbohnen"-Fingern. So wie sich Leben und Tod überlappen, bilden auch die Motive eine Schnittmenge, die beruhigt und verstört - das überflüssige Wasser im Bauch der Krebskranken und das nährende Wasser im Bauch der Schwangeren, beispielsweise. Justine Lévys Roman hat eine Form, die ebenso gewagt ist wie konsequent durchgeführt.
Man spürt den Druck, der auf dieser Tochter lastet. Der Titel wird zur Umkehrung einer Sehnsucht: als die "gute" Tochter gesehen zu werden, die sie jetzt im Endstadium der Krankheit nach Kräften ist: Sie versteckt auf dem tristen Krankenhausflur anonyme Zettel für die Mutter, um sie ein wenig aufzurütteln; sie schreitet tatkräftig gegen einen arroganten Arzt ein, der mehrfach den Namen der Mutter vergisst; sie erinnert sich deren Schönheit ebenso wie deren kindheitszerstörender Abwesenheit. Sie wechselt permanent zwischen Lob und Vorwurf. Dieses Porträt, fast ein Memorial, wirkt lebendig, weil es so wuchert. Selbst die "gute" Mutter, am besten die vollkommene Mutter zu werden wäre Louises nächster Akt. Die Angst vor der neuen Aufgabe wächst. Und man bangt mit Louise wegen der Über- oder Unterdosis Gefühl, welches auf die kommende Generation abgeladen wird. Der Stil dieser wechselfarbig leuchtenden Rede ist bisweilen die Manie.
Der Zusammenfall von Sterben und Werden hat die Zeiten ineinandergeschoben. Und so geht Justine Lévys Roman auch über das Intime hinaus. Er beschreibt in den ökonomischen Arzt-Patientinnen-Begegnungen einen Machtdiskurs, der sich im Privaten fortsetzt. "Schlechte Tochter" erzählt im Kern von der Hierarchie zwischen Mutter und Tochter und was passiert, wenn diese Ordnung gestört ist - wie in Louises Kindheit, als die Mutter nach der Trennung von ihrem Mann das Geld vertrank oder an Obdachlose verschenkte und darüber die Tochter vergaß. Es erzählt aber auch von der kleinen Möglichkeit, diese Hierarchie aufzulösen.
ANJA HIRSCH
Justine Lévy: "Schlechte Tochter". Roman. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Verlag Antje Kunstmann, München 2010. 176 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Justine Lévy, die Tochter des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy, erzählt auf verstörende Weise vom Sterben ihrer ebenfalls berühmten Mutter.
Es ist das Jahrzehnt der Töchterbücher: Ursula Priess schreibt über ihren Vater Max Frisch, Sibylle über ihren Psychoanalytiker-Vater Jacques Lacan. Justine Lévy konnte mit ihrem Vater, dem Philosophen Bernard-Henri Lévy, durchaus mithalten. Doch ihr Blick richtet sich diesmal nicht auf den Vater, sondern auf das Sterben der kaum weniger prominenten Mutter, die als Model auf Titelblättern leuchtete: Isabelle Doutreluigne. Sie starb 2004, als Justine Lévy mit ihrer ersten Tochter schwanger war.
Da hatte sie schon eine Beziehung hinter sich, die wegen Carla Bruni auseinanderbrach, was Lévys zweiten Roman "Nicht so tragisch" inspirierte und die Verkaufszahlen hochschießen ließ. 2003, ein Jahr vor seinem Erscheinen in Deutschland, sorgte das Buch für Medienaufruhr in Frankreich, weil man ihn als Schlüsselroman las. Er erzählt von Louise und ihrer verzweifelten Sucht. Es ist die gleiche Louise, die in Lévys erstem Roman "Rendezvous mit Alice" in einem Café sitzt und auf die wie immer unpünktliche, exzentrische, ihrerseits drogengeschüttelte Mutter wartet. Töchterbücher wirken oft wie Schwimmbewegungen aus dem Schatten der Eltern - und wollen gerade diesen Anschein nicht erwecken. Justine Lévy scheint sich nicht von ihrem Lebensstoff, wohl aber stilistisch freigeschwommen zu haben: "Schlechte Tochter" ist eine empathische, charmant-hysterische, selbstironische, tieftraurige Chronologie von Abschied und Ankunft. Und das alles, weil es seine verwirrende Perspektive - die einer werdenden Muttertochter - nicht leugnet. Dieser dritte Roman Justine Lévys lässt den autobiographischen Echoraum, aus dem er kommt, fast vergessen.
"Das Ungeheuerliche ist, dass ich Mama weggezappt habe, indem ich ein Kind gemacht habe." Louises Selbstanschuldigung ist der Konflikt des Romans. Justine Lévy reizt das aus, ohne zu glätten. Ihre Figur sagt "Mama", "Papa" oder enttäuscht "Papapapa" - jedenfalls nicht "meine Mutter". Distanz ist nicht vorgesehen, und so fallen manche Sätze Louises wie auf der Couch eines Therapeuten: ungebrochen. Das wiederum macht ihre Wucht aus, hat man sich einmal an diesen naiven Ton gewöhnt. Dennoch ist es kein reines Bauchbuch, das Emotionen aus der Hüfte schießt. Gleich die erste Szene ist exemplarisch für das Auseinanderfallen von Welt und Figur. Louise bereitet Pablo, ihrem Lebenspartner, zu seinem Geburtstag ein Überraschungswochenende in Rom. Alles muss stimmen, ihre Emsigkeit in der Vorbereitungsphase ist groß, "jetzt muss es klappen" mit dem Glück und der neuen Zweisamkeit. Und vor allem mit dem Bild, das Louise vor Freunden nach außen abgeben will: als "Lebenskünstlerin". Ihrer Schwangerschaft gegenüber bleibt sie weit unaufmerksamer.
Lévy beleuchtet den hohen Maßstab einer Erzählerin, die nur fallen kann - ins Bodenlose; es sei denn, sie beschreibt, was sie gerade erlebt. Das Aussehen, die Fassade bilden die Orientierungsschnur dieser Model-Tochter. Immer wieder aber reißt die Schnur, wird dieser Bericht eruptiv, atemlos, dann wieder staunend ob der bizarr nebeneinander koexistierenden, konträren Ereignisse. Geblieben von Louises antrainiertem Blick auf Äußerlichkeiten sind ihr die Fähigkeit und der Fluch, körperliche Details zu erkennen, zu vergleichen, selbstzerstörerisch zu sezieren. An Narben, Fingern, übereilten Hoseneinkäufen oder gefärbten Haaren demonstriert Justine Lévy das Drama, aber eben auch das kleine Glück dieser Mutter-Tochter-Beziehung.
Alles läuft in diesem turbulenten Kopf kurz nacheinander auf: die feinen Feenhände der jungen Mannequin-Mutter; die Flecken ihrer gealterten, krebskranken Hand; die abgerissenen Nägel von Louise mit ihren "Trockenbohnen"-Fingern. So wie sich Leben und Tod überlappen, bilden auch die Motive eine Schnittmenge, die beruhigt und verstört - das überflüssige Wasser im Bauch der Krebskranken und das nährende Wasser im Bauch der Schwangeren, beispielsweise. Justine Lévys Roman hat eine Form, die ebenso gewagt ist wie konsequent durchgeführt.
Man spürt den Druck, der auf dieser Tochter lastet. Der Titel wird zur Umkehrung einer Sehnsucht: als die "gute" Tochter gesehen zu werden, die sie jetzt im Endstadium der Krankheit nach Kräften ist: Sie versteckt auf dem tristen Krankenhausflur anonyme Zettel für die Mutter, um sie ein wenig aufzurütteln; sie schreitet tatkräftig gegen einen arroganten Arzt ein, der mehrfach den Namen der Mutter vergisst; sie erinnert sich deren Schönheit ebenso wie deren kindheitszerstörender Abwesenheit. Sie wechselt permanent zwischen Lob und Vorwurf. Dieses Porträt, fast ein Memorial, wirkt lebendig, weil es so wuchert. Selbst die "gute" Mutter, am besten die vollkommene Mutter zu werden wäre Louises nächster Akt. Die Angst vor der neuen Aufgabe wächst. Und man bangt mit Louise wegen der Über- oder Unterdosis Gefühl, welches auf die kommende Generation abgeladen wird. Der Stil dieser wechselfarbig leuchtenden Rede ist bisweilen die Manie.
Der Zusammenfall von Sterben und Werden hat die Zeiten ineinandergeschoben. Und so geht Justine Lévys Roman auch über das Intime hinaus. Er beschreibt in den ökonomischen Arzt-Patientinnen-Begegnungen einen Machtdiskurs, der sich im Privaten fortsetzt. "Schlechte Tochter" erzählt im Kern von der Hierarchie zwischen Mutter und Tochter und was passiert, wenn diese Ordnung gestört ist - wie in Louises Kindheit, als die Mutter nach der Trennung von ihrem Mann das Geld vertrank oder an Obdachlose verschenkte und darüber die Tochter vergaß. Es erzählt aber auch von der kleinen Möglichkeit, diese Hierarchie aufzulösen.
ANJA HIRSCH
Justine Lévy: "Schlechte Tochter". Roman. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Verlag Antje Kunstmann, München 2010. 176 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main