Wie Intellektuelle das Gesicht der Bundesrepublik formten und dafür die Medien nutzten. Welche geistigen Strömungen prägten die Bundesrepublik in ihren formativen Jahren zwischen Kriegsende und den späten 1960er Jahren? In seinem letzten großen Werk entfaltet der kürzlich verstorbene Zeithistoriker Axel Schildt ein faszinierendes Tableau der um Einfluss und um die kulturelle und politische Gestalt der Bundesrepublik kämpfenden Intellektuellen. Sie saßen in Redaktionen, gründeten neue Zeitschriften, bestimmten maßgeblich die Abendprogramme der Radioanstalten und die aktuellen Buchreihen der Verlage. Auch Illustrierte und Fernsehstudios nutzten sie, um meinungsbildend zu wirken. Axel Schildt hat etwa hundert Nachlässe sowie Archive von Redaktionen und Akademien ausgewertet - viele von ihnen erstmals - und zeichnet so auf einer völlig neuen Materialgrundlage die Debatten, Verbindungen, medialen Praktiken sowie die Resonanz der westdeutschen Intellektuellen zwischen 1945 und 1968 nach. Kontinuitäten und Umbrüche, hegemoniale Strömungen und vielfältige Differenzen und Widersprüche werden deutlich. Eine lebendige und spannende Intellektuellengeschichte, ein souveräner Überblick mit Liebe zum treffenden Detail, verfasst von einem der besten Kenner der Geschichte der Bundesrepublik.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Am Ende seiner Besprechung betont Rezensent Willi Winkler zwar, dass sich ohne die Intellektuellen der frühen Bundesrepublik keine "zivile Mentalität" ausgebildet hätte, aber bis dahin hat er sie eigentlich eher entzaubert. Axel Schildt hat sein opus magnum über die Medienintellektuellen vor seinem Tod nicht mehr fertigstellen können, aber mit seinen achthundert Seiten scheint es dem Rezensenten schon überbordend genug. Winkler erfährt, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit engagierten Redakteuren wie Alfred Andersch und Helmut Heißenbüttel zum eigentlichen Mäzen der Intellektuellen entwickelte. Benn, Walser, Adorno, Enzensberger, Habermas bestritten dank hervorragender Bezahlung ohne Ende Radiosendungen, Zeitschriften und Akademie-Tagungen. Aber Winkler liest auch von Maßlosigkeit, Arroganz und Kaltherzigkeit, etwas wenn Gottfried Benn sich gegenüber Peter de Mendelssohn herausnahm, Emigranten verächtlich zu machen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2020Auftritte der Meinungsbildner
Eliten unter sich: Axel Schildts postum ediertes Buch über Medien-Intellektuelle der Bundesrepublik bietet ebenso lehrreiche wie kurzweilige Lektüre.
Axel Schildt, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg und Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, starb am 5. April 2020. Seine großangelegte Intellektuellengeschichte der alten Bundesrepublik bis 1989 konnte er nicht fertigschreiben. Gabriele Kandzora, seine Partnerin, und Detlef Siegfried, mit dem er vor einem Jahrzehnt eine flotte und materialreiche Kulturgeschichte der Bundesrepublik verfasst hatte, haben Schildts Manuskripte geordnet, redigiert und herausgegeben. Auf neunhundert Seiten kann man nun Schildts Idee nachverfolgen, die westdeutsche Ideengeschichte als eine Kombination aus Intellektuellen- und Mediengeschichte zu schreiben.
Schildts zentrale Figur ist der "Medien-Intellektuelle", der Meinungsbildner im Ensemble von Printmedien, Radio und Fernsehen. In der Mediengesellschaft vermitteln die Medien das, was gesagt, gedacht und getan wird. Die Gesellschaft kommuniziert über Medien. Auch die Intellektuellen sind auf sie bezogen. Gerade das macht für Schildt ihre Intellektualität aus, im Unterschied etwa zum Gelehrten oder zum Forscher. Diese Medienbezogenheit setzt den Intellektuellen unter Originalitäts- und Nonkonformismuszwang. Er ist wie ein Schauspieler im Theaterbetrieb. Das Buch beobachtet, was auf der Bühne geschieht. Aber mehr noch interessiert es sich für die Dinge hinter den Kulissen.
"Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik" ist eine empirische Studie, die ihresgleichen sucht. Hier war einer am Werk, der Bourdieus Begriff "Feld" nicht nur in der Einleitung im Munde führt, sondern das medien-intellektuelle Feld tatsächlich systematisch erforscht. Schildt hat sich alles genau angesehen. Man hat den Eindruck, er habe sämtliche Zeitschriften seit 1945 gelesen, alle kulturpolitischen Radiosendungen gehört und politischen Fernsehmagazine gesehen, außerdem die Korrespondenzen der wichtigen Akteure gesichtet und alle bedeutenden Redaktionen und Verlage besucht. Hier ist nebenher ein "Who is who" der BRD (und: "who was who some years before") entstanden, das man wie ein Nachschlagewerk nutzen kann. Schildt hatte eine handfeste, sozialgeschichtlich informierte politische Kulturgeschichte im Sinn, die sich selbst für technische Entwicklungen interessiert.
Neben dem Feld sind die Lernprozesse der inhaltlich strukturierende Leitfaden. Dabei muss man das eine oder andere Referat über eine Debatte oder ein Buch über sich ergehen lassen. Schildt folgt dem Mainstream der zeitgeschichtlichen Forschung, zu deren wichtigsten Protagonisten er ja selbst gehörte: Aus den "dunklen Zeiten" der Kulturkritik und den "braunen Schatten" des Nationalsozialismus entstanden allmählich "Aufhellungen" liberaler, moderner, kritischer Art, die dann in die Transformation der "langen sechziger Jahre" münden. In den fünfziger Jahren dominierten die Kräfte das geistige Leben der Bundesrepublik, die bereits im Nationalsozialismus ihre Karrieren eingeleitet hatten, junge Nazis, Opportunisten, konservative Revolutionäre, die, so sie nicht allzu exponiert waren, nach ihrer Entnazifizierung in der "Mitläuferfabrik" an die führenden Stellen in den Medien, im Literaturbetrieb, an den Universitäten kamen. Man sprach noch nicht über die Belastung - Hermann Lübbes berühmtes "kommunikatives Beschweigen" bringt das auf den Punkt. Zum Teil wurde aggressiv dafür gesorgt, dass die Vergangenheit eben nicht aufgearbeitet wurde. Aber diese belastete und integrierte Elite demokratisierte sich, auch begünstigt durch den Kalten Krieg und apologetische Deutungen.
In den sechziger Jahren geschah dann eine Fundamentalliberalisierung der westdeutschen Gesellschaft infolge von politischen Auseinandersetzungen, neuen gesellschaftlichen Erfahrungen und anderer Deutungen, als deren dramatischer Höhepunkt "1968" wahrgenommen wurde, was Schildt allerdings nur zum Teil gelten lässt. Trotz des Erfolgsbefunds verdeutlicht sein Buch auch, dass "Öffentlichkeit" eine eher elitäre Veranstaltung war. Von Popmusik und Coca-Cola ist nicht oft die Rede.
Es wird immer dann spannend, wenn Schildt infolge seines stupenden Wissens und seines realistischen Elans, der die Lebenswelten und medialen Landschaften für wichtiger nimmt als die großen Ideen und Ideologien, genauer hinschaut. Alfred Andersch, der Rundfunkfürst der fünfziger Jahre, wird zum Beispiel ausgeleuchtet, wie auch andere Linksnationalisten oder "nonkonformistische Nationalneutralisten". Das Dreieck von Hans Freyer, Arnold Gehlen und Helmut Schelsky wird beobachtet oder Hans Paeschkes Regiment des "Merkur" analysiert. In der Literaturkritik erleben wir, wie der Typ Enzensberger/Rühmkorf den Typ Holthusen/Sieburg ablöst. Oder wie das von Carl Schmitt formierte Doppel Rüdiger Altmann/Johannes Gross den Konservatismus belebt. Und vieles mehr aus einer Öffentlichkeit, die das Diskutieren lernt.
Amüsant ist die Geschichte des Radio-Stars Theodor W. Adorno. Das finanziell lukrative Medium bereitete dem Kritiker der Kulturindustrie eine schier unermessliche Befriedigung. Hier konnte er wie ein Musiker improvisieren und Gegner wie Gehlen vorführen. Manche wie Gottfried Benn fürchteten dieses Szenario so sehr, dass sie kurz vor der Sendung das Weite suchten. Vor allem Schildts randständige Beobachtungen, oft gepaart mit süffisanten Bemerkungen, sind die kleinen Perlen im großen Meer der Information.
Solche Nahaufnahmen ändern freilich nichts am groben Bild von Belastung, Integration, Liberalisierung. Jürgen Habermas hat 1962 den Begriff des "Strukturwandels der Öffentlichkeit" ins Spiel gebracht. Er meinte damals damit den sukzessiven Zerfall der bürgerlichen Öffentlichkeit im Kapitalismus in einer langen Perspektive. Sein Buch war selbst Ausdruck eines gerade stattfindenden Strukturwandels einer postfaschistischen Gesellschaft. Diesen Strukturwandel zeigt Schildts Buch nun aus der Bodenperspektive. Es ist ein Jammer, dass der Hamburger Historiker die siebziger und achtziger Jahre, die vergleichsweise unterbelichtet sind, nicht mehr hat beschreiben können.
JÖRG SPÄTER
Axel Schildt:
"Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik".
Hrsg. und mit einem Nachwort von G. Kandzora und D. Siegfried. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 896 S., geb., 46,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eliten unter sich: Axel Schildts postum ediertes Buch über Medien-Intellektuelle der Bundesrepublik bietet ebenso lehrreiche wie kurzweilige Lektüre.
Axel Schildt, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg und Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, starb am 5. April 2020. Seine großangelegte Intellektuellengeschichte der alten Bundesrepublik bis 1989 konnte er nicht fertigschreiben. Gabriele Kandzora, seine Partnerin, und Detlef Siegfried, mit dem er vor einem Jahrzehnt eine flotte und materialreiche Kulturgeschichte der Bundesrepublik verfasst hatte, haben Schildts Manuskripte geordnet, redigiert und herausgegeben. Auf neunhundert Seiten kann man nun Schildts Idee nachverfolgen, die westdeutsche Ideengeschichte als eine Kombination aus Intellektuellen- und Mediengeschichte zu schreiben.
Schildts zentrale Figur ist der "Medien-Intellektuelle", der Meinungsbildner im Ensemble von Printmedien, Radio und Fernsehen. In der Mediengesellschaft vermitteln die Medien das, was gesagt, gedacht und getan wird. Die Gesellschaft kommuniziert über Medien. Auch die Intellektuellen sind auf sie bezogen. Gerade das macht für Schildt ihre Intellektualität aus, im Unterschied etwa zum Gelehrten oder zum Forscher. Diese Medienbezogenheit setzt den Intellektuellen unter Originalitäts- und Nonkonformismuszwang. Er ist wie ein Schauspieler im Theaterbetrieb. Das Buch beobachtet, was auf der Bühne geschieht. Aber mehr noch interessiert es sich für die Dinge hinter den Kulissen.
"Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik" ist eine empirische Studie, die ihresgleichen sucht. Hier war einer am Werk, der Bourdieus Begriff "Feld" nicht nur in der Einleitung im Munde führt, sondern das medien-intellektuelle Feld tatsächlich systematisch erforscht. Schildt hat sich alles genau angesehen. Man hat den Eindruck, er habe sämtliche Zeitschriften seit 1945 gelesen, alle kulturpolitischen Radiosendungen gehört und politischen Fernsehmagazine gesehen, außerdem die Korrespondenzen der wichtigen Akteure gesichtet und alle bedeutenden Redaktionen und Verlage besucht. Hier ist nebenher ein "Who is who" der BRD (und: "who was who some years before") entstanden, das man wie ein Nachschlagewerk nutzen kann. Schildt hatte eine handfeste, sozialgeschichtlich informierte politische Kulturgeschichte im Sinn, die sich selbst für technische Entwicklungen interessiert.
Neben dem Feld sind die Lernprozesse der inhaltlich strukturierende Leitfaden. Dabei muss man das eine oder andere Referat über eine Debatte oder ein Buch über sich ergehen lassen. Schildt folgt dem Mainstream der zeitgeschichtlichen Forschung, zu deren wichtigsten Protagonisten er ja selbst gehörte: Aus den "dunklen Zeiten" der Kulturkritik und den "braunen Schatten" des Nationalsozialismus entstanden allmählich "Aufhellungen" liberaler, moderner, kritischer Art, die dann in die Transformation der "langen sechziger Jahre" münden. In den fünfziger Jahren dominierten die Kräfte das geistige Leben der Bundesrepublik, die bereits im Nationalsozialismus ihre Karrieren eingeleitet hatten, junge Nazis, Opportunisten, konservative Revolutionäre, die, so sie nicht allzu exponiert waren, nach ihrer Entnazifizierung in der "Mitläuferfabrik" an die führenden Stellen in den Medien, im Literaturbetrieb, an den Universitäten kamen. Man sprach noch nicht über die Belastung - Hermann Lübbes berühmtes "kommunikatives Beschweigen" bringt das auf den Punkt. Zum Teil wurde aggressiv dafür gesorgt, dass die Vergangenheit eben nicht aufgearbeitet wurde. Aber diese belastete und integrierte Elite demokratisierte sich, auch begünstigt durch den Kalten Krieg und apologetische Deutungen.
In den sechziger Jahren geschah dann eine Fundamentalliberalisierung der westdeutschen Gesellschaft infolge von politischen Auseinandersetzungen, neuen gesellschaftlichen Erfahrungen und anderer Deutungen, als deren dramatischer Höhepunkt "1968" wahrgenommen wurde, was Schildt allerdings nur zum Teil gelten lässt. Trotz des Erfolgsbefunds verdeutlicht sein Buch auch, dass "Öffentlichkeit" eine eher elitäre Veranstaltung war. Von Popmusik und Coca-Cola ist nicht oft die Rede.
Es wird immer dann spannend, wenn Schildt infolge seines stupenden Wissens und seines realistischen Elans, der die Lebenswelten und medialen Landschaften für wichtiger nimmt als die großen Ideen und Ideologien, genauer hinschaut. Alfred Andersch, der Rundfunkfürst der fünfziger Jahre, wird zum Beispiel ausgeleuchtet, wie auch andere Linksnationalisten oder "nonkonformistische Nationalneutralisten". Das Dreieck von Hans Freyer, Arnold Gehlen und Helmut Schelsky wird beobachtet oder Hans Paeschkes Regiment des "Merkur" analysiert. In der Literaturkritik erleben wir, wie der Typ Enzensberger/Rühmkorf den Typ Holthusen/Sieburg ablöst. Oder wie das von Carl Schmitt formierte Doppel Rüdiger Altmann/Johannes Gross den Konservatismus belebt. Und vieles mehr aus einer Öffentlichkeit, die das Diskutieren lernt.
Amüsant ist die Geschichte des Radio-Stars Theodor W. Adorno. Das finanziell lukrative Medium bereitete dem Kritiker der Kulturindustrie eine schier unermessliche Befriedigung. Hier konnte er wie ein Musiker improvisieren und Gegner wie Gehlen vorführen. Manche wie Gottfried Benn fürchteten dieses Szenario so sehr, dass sie kurz vor der Sendung das Weite suchten. Vor allem Schildts randständige Beobachtungen, oft gepaart mit süffisanten Bemerkungen, sind die kleinen Perlen im großen Meer der Information.
Solche Nahaufnahmen ändern freilich nichts am groben Bild von Belastung, Integration, Liberalisierung. Jürgen Habermas hat 1962 den Begriff des "Strukturwandels der Öffentlichkeit" ins Spiel gebracht. Er meinte damals damit den sukzessiven Zerfall der bürgerlichen Öffentlichkeit im Kapitalismus in einer langen Perspektive. Sein Buch war selbst Ausdruck eines gerade stattfindenden Strukturwandels einer postfaschistischen Gesellschaft. Diesen Strukturwandel zeigt Schildts Buch nun aus der Bodenperspektive. Es ist ein Jammer, dass der Hamburger Historiker die siebziger und achtziger Jahre, die vergleichsweise unterbelichtet sind, nicht mehr hat beschreiben können.
JÖRG SPÄTER
Axel Schildt:
"Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik".
Hrsg. und mit einem Nachwort von G. Kandzora und D. Siegfried. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 896 S., geb., 46,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2021Retter
der Zivilität
Wäre ohne die „Medien-Intellektuellen“ der Neubau
eines nachnationalsozialistischen Staates gelungen?
VON WILLI WINKLER
Für fortgeschrittene und radionahe Literaturbeobachter ist der 6. April 1950 ein sensationeller Donnerstag. Das NWDR-Nachtprogramm ist für ein Wortduell reserviert. Kontrahenten? Peter de Mendelssohn, Gottfried Benn.“ So beginnt, ungezeichnet, am gleichen 6. April 1950 ein Artikel von Christa Rotzoll im Spiegel, beste Vorausreklame für eine Sendung, die ein Muster nicht nur der intellektuellen Verhältnisse in der Nachkriegszeit zeigt.
17 Jahre zuvor hatte sich Gottfried Benn, ebenfalls im Radio, mit dem „Neuen Staat und den Intellektuellen“ befasst. Als ihn Klaus Mann wegen seiner Begeisterung für die Nazis angriff, wurde der Dichter Benn zum Menschenzüchter. Beim Nationalsozialismus handle es sich um „eine neue Vision von der Geburt des Menschen, vielleicht um eine alte, vielleicht um die letzte großartige Konzeption der weißen Rasse, wahrscheinlich um eine der großartigsten Realisationen des Weltgeistes überhaupt“. Die Emigranten verachtete er: „Da sitzen Sie also in Ihren Badeorten und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neubau eines Staates.“
Jetzt, im Frühjahr 1950, sitzt er als Autor des „Doppellebens“ im Berliner Studio einem Emigranten gegenüber und verhört wie ein preußischer Polizeiwachtmeister Peter de Mendelssohn, der als amerikanischer Presseoffizier zurückgekommen ist. „Herr de Mendelssohn, würden Sie die Güte haben, mal zu sagen, wovor sollte man emigrieren.“ Mit seiner kaum verhohlenen Aggressivität gegen die Nazi-Gegner stand der Kollaborateur keineswegs allein; Axel Schildt weist in seinem Buch darauf hin, dass nach dem Weltkrieg nicht die Täter, sondern die Opfer und Widerständler von Schuld sprachen.
Dieses Buch, „Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik“, ist ein Geschichtswerk der besonderen Art, schon weil es in seiner Fülle kaum auszulesen ist. Der ehemalige Leiter der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte plante es als Opus magnum, das noch erheblich über die vorliegenden 800 engbedruckten Seiten hinausgediehen wäre, wenn er auch noch die ganz anders gelagerten Themen und Äußerungsmöglichkeiten der Sechziger und Siebziger Jahre hätte behandeln können. Kaum weniger traurig als Schildts früher Tod im April 2019 ist die Gewissheit, dass sich niemand mehr an einen solchen fast schon babylonischen Altneubau machen wird.
Schildt hat das Epos des Medien-Intellektuellen geschrieben, wie es ihn phänotypisch nur in der ersten Nachkriegszeit gab. Es bourdieut und luhmannt nicht mehr, als unbedingt sein muss, dafür gibt Schildt reiche Hinweise auf die Produktionsbedingungen: ein Diktaphon gehört dazu, die elektrische Schreibmaschine wird zum Fetisch, die Klage über Termindruck und Arbeitsüberlastung verbindet mit der Angestelltenwelt. Von ihr unterscheidet sich der Intellektuelle, weil er wenigstens einmal mit einer Redaktion oder einem Verlag gebrochen hat. Er verfügt über ein breites Themenspektrum, „ohne professionelle Expertise zu besitzen“. Öffentliche Wirksamkeit ist nur möglich durch den Verzicht auf direkte politische Stellungnahmen.
Bald stellt sich heraus, dass der Intellektuelle nicht nur Geistesarbeiter ist, sondern als sein eigener Werbetreibender auftreten muss. Zum Ertrag der Lektüre gehört die literaturhistorisch nicht unwesentliche Anekdote, dass sich der Literaturkritiker Friedrich Sieburg beim Spiegel nicht bloß hartnäckig um ein Porträt beworben hat, sondern dass er die Titelgeschichte, die 1954 endlich über ihn erschien, auch gleich selbst zurechtformulierte: „Was die Story über mich angeht, so kann ich mir schon denken, dass sie journalistisch nicht leicht zu bewältigen ist. Ich schlage Ihnen vor, dass Sie mir das Unreine des Textes senden lassen, sodass ich es mit Zusätzen versehen kann, die vielleicht ganz unterhaltend sein können.“ Und so geschah’s.
Schildt spart nicht am Kleingeld der intellektuellen Arbeit. Karl Jaspers erscheint mit seinem Beitrag zur Verjährungsdebatte, aber auch als finanzieller Ratgeber, der seiner Schülerin Hannah Arendt empfiehlt, beim Piper-Verlag auf einem Autorenanteil von zehn statt nur acht Prozent zu bestehen. Der bereits erwähnte Benn, Facharzt für venerische Krankheiten, belustigte sich zwar über „Hörspieldichter“, die „von einem Hörspiel von einer Stunde Dauer ein Jahr leben und sich sogar Straßenfahrzeuge mit Motorantrieb und Eigenheim beschaffen können“, frohlockte aber über „viel Geld“, das ihm das Gespräch mit Mendelssohn einbrachte. „Prostitution überall“, schrieb er an seinen Mäzen Friedrich Wilhelm Oelze, „allons enfants!“ Der große Mäzen der Intellektuellen war der Rundfunk. In Sendungen, die Abend- oder Nachtstudio hießen, fanden „alle wesentlichen intellektuellen Diskurse zur bildungsbürgerlichen Selbstverständigung ihren Ausdruck“. Die Medien-Intellektuellen nahmen Anteil am Wirtschaftswunder, das sie kulturkritisch geißelten. Hans Magnus Enzensberger pries an Martin Walser, wie er „allenthalben auf das weltläufigste seinen weißen Fiat durchs Gewimmel“ steuerte. In den Fünfzigern war es möglich, vom Schreiben zu leben.
Ein Facharbeiter bekam damals 300 Mark im Monat. Medien-Intellektuelle erlösten wesentlich mehr. Alfred Andersch, Autor und Redakteur gleich bei mehreren Anstalten, konnte den Hessischen Rundfunk dazu bewegen, ihn beim Kauf eines Eigenheims mit einem Darlehen von 10 000 Mark zu unterstützen. Walter Dirks, neben Eugen Kogon der Herausgeber der einflussreichen Frankfurter Hefte, kam durch seine Nebentätigkeit mit Rundfunkbeiträgen zusätzlich auf 3 000 Mark im Monat.
In Stuttgart sammelte Andersch als Medienmanager eine Genietruppe um sich. Walser und Helmut Heißenbüttel waren dabei; Enzensberger, seinerseits Sohn des ersten Radiosprechers in Bayern, produzierte sein gesamtes essayistisches Frühwerk für den Rundfunk. Anderschs Zeitschrift Texte und Zeichen, nach der sich später eine Kultursendung des NDR nannte, brachte die modernste Literatur von Arno Schmidt bis Roland Barthes. Schildt beschreibt die Bedeutung weiterer Kulturzentren: der Rowohlt-Verlag gehört dazu, die Zeitschrift Merkur, die „Entbräunungsanstalt“ Christ und Welt mit Goebbels’ Lieblingsjournalist Giselher Wirsing an der Spitze, später die Zeit und die Gruppe 47, und auch die Evangelischen und Katholischen Akademien werden nicht vergessen, wo Walser auf den späteren Fernsehkritiker Helmut Schmidt treffen konnte.
Die Tätigkeit für Goebbels’ Zeitschrift Das Reich war kein Hindernis, sondern galt in der Nachkriegspublizistik als bestes Arbeitszeugnis. Noch Anfang der Fünfziger verfügten mehr als vier Fünftel aller Medienarbeiter über Schreibpraxis aus dem Dritten Reich. Die Mitmacher veredelten ihr Tun als „innere Emigration“, um die echten Emigranten fernzuhalten.
Publizisten sind nach einem Wort des Publizisten Michael Jürgs Männer, die beim Autofahren den Hut aufbehalten. In den Fünfzigern waren es tatsächlich fast ausschließlich Männer, die den Hut aufhatten. Neben Marion Gräfin Dönhoff, die bis in die Chefredaktion der Zeit aufstieg, war eine der wenigen Ausnahmen die nationalkonservative Margret Boveri, die auf rührende Art und vergeblich Carl Schmitt, Ernst Jünger und Martin Heidegger, die überständigen Männer der Vorzeit, zusammenführen wollte. Schildt übergeht hier das Wirken von Clara Menck, Karena Niehoff oder auch von Christa Rotzoll, die in zweiter Ehe den aus der Emigration zurückgekehrten Sebastian Haffner heiratete. Aber auch wenn es Ingeborg Bachmann auf den Spiegel-Titel schaffte, waren Frauen damals nicht viel mehr als Deko. Kritiker wie Sieburg reagierten mit offenem Hass auf Simone de Beauvoirs Untersuchung „Das andere Geschlecht“ (1951). Im konservativen Denken und Schreiben bildeten die „Ansprüche weiblicher Emanzipation einen Fixpunkt der Abwehr gegen die Zumutungen der Moderne“.
Am Ende seines Lebens, nur fünf Jahre nach dem Schauspiel, das er im Rundfunk auf Kosten von de Mendelssohn aufführte, zieht Benn vor einem anderen Emigranten zurück. Er soll mit Theodor W. Adorno im Studio über „Reine oder engagierte Kunst?“ debattieren. Obwohl ihm das Doppelte des üblichen Honorars geboten wurde, obwohl Andersch schmeichelte, obwohl Enzensberger nachsetzte und darauf hinwies, dass Benn schließlich zu den Ersten gehört habe, die vom Radio „den Gebrauch machten, den wir alle für wünschbar halten“, obwohl auch Adorno seinen Charme spielen ließ, wollte sich Benn nicht auf ein Gespräch einlassen. „Sie sind gefährlich und mir dialektisch weit überlegen“, schrieb er an Adorno. Was er nicht sagte, hatte er im Jahr zuvor Oelze über Adorno mitgeteilt: „ein sehr intelligenter, wenig gut aussehender Jude, aber eben von der Intelligenz, die eigentlich wirklich nur Juden haben, gute Juden“.
Benn starb 1956, die klassische Kulturkritik begann ihren Reiz zu verlieren, die Sechziger bahnten sich an, in denen Adorno praktisch jede Woche einmal irgendwo im Radio zu hören war, nicht immer dialektisch, aber der Herold einer neuen Zeit.
Jürgen Habermas, in den Fünfzigern mit Beiträgen in der Frankfurter Allgemeinen und im Merkur einer der wichtigsten Medien-Intellektuellen, sieht das Erfolgsrezept der Bundesrepublik gut spätmarxistisch in einer „Arbeitsteilung“ zwischen den Regierenden und den von Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard dann so geschmähten „Pinschern“. Ohne die Radio- und Zeitschriftenintellektuellen hätte sich „eine zivile Mentalität wohl kaum ausgeprägt“, ohne sie wäre der Neubau eines nachnationalsozialistischen Staates nicht gelungen.
Die Intellektuellen nahmen Anteil
am Wirtschaftswunder,
das sie kulturkritisch geißelten
„Sie sind gefährlich und
mir dialektisch weit überlegen“,
schrieb Benn an Adorno
Axel Schildt: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Herausgegeben
und mit einem
Nachwort von Gabriele Kandzora und Detlef
Siegfried. Wallstein,
Göttingen 2020.
896 Seiten, 46 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Zivilität
Wäre ohne die „Medien-Intellektuellen“ der Neubau
eines nachnationalsozialistischen Staates gelungen?
VON WILLI WINKLER
Für fortgeschrittene und radionahe Literaturbeobachter ist der 6. April 1950 ein sensationeller Donnerstag. Das NWDR-Nachtprogramm ist für ein Wortduell reserviert. Kontrahenten? Peter de Mendelssohn, Gottfried Benn.“ So beginnt, ungezeichnet, am gleichen 6. April 1950 ein Artikel von Christa Rotzoll im Spiegel, beste Vorausreklame für eine Sendung, die ein Muster nicht nur der intellektuellen Verhältnisse in der Nachkriegszeit zeigt.
17 Jahre zuvor hatte sich Gottfried Benn, ebenfalls im Radio, mit dem „Neuen Staat und den Intellektuellen“ befasst. Als ihn Klaus Mann wegen seiner Begeisterung für die Nazis angriff, wurde der Dichter Benn zum Menschenzüchter. Beim Nationalsozialismus handle es sich um „eine neue Vision von der Geburt des Menschen, vielleicht um eine alte, vielleicht um die letzte großartige Konzeption der weißen Rasse, wahrscheinlich um eine der großartigsten Realisationen des Weltgeistes überhaupt“. Die Emigranten verachtete er: „Da sitzen Sie also in Ihren Badeorten und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neubau eines Staates.“
Jetzt, im Frühjahr 1950, sitzt er als Autor des „Doppellebens“ im Berliner Studio einem Emigranten gegenüber und verhört wie ein preußischer Polizeiwachtmeister Peter de Mendelssohn, der als amerikanischer Presseoffizier zurückgekommen ist. „Herr de Mendelssohn, würden Sie die Güte haben, mal zu sagen, wovor sollte man emigrieren.“ Mit seiner kaum verhohlenen Aggressivität gegen die Nazi-Gegner stand der Kollaborateur keineswegs allein; Axel Schildt weist in seinem Buch darauf hin, dass nach dem Weltkrieg nicht die Täter, sondern die Opfer und Widerständler von Schuld sprachen.
Dieses Buch, „Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik“, ist ein Geschichtswerk der besonderen Art, schon weil es in seiner Fülle kaum auszulesen ist. Der ehemalige Leiter der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte plante es als Opus magnum, das noch erheblich über die vorliegenden 800 engbedruckten Seiten hinausgediehen wäre, wenn er auch noch die ganz anders gelagerten Themen und Äußerungsmöglichkeiten der Sechziger und Siebziger Jahre hätte behandeln können. Kaum weniger traurig als Schildts früher Tod im April 2019 ist die Gewissheit, dass sich niemand mehr an einen solchen fast schon babylonischen Altneubau machen wird.
Schildt hat das Epos des Medien-Intellektuellen geschrieben, wie es ihn phänotypisch nur in der ersten Nachkriegszeit gab. Es bourdieut und luhmannt nicht mehr, als unbedingt sein muss, dafür gibt Schildt reiche Hinweise auf die Produktionsbedingungen: ein Diktaphon gehört dazu, die elektrische Schreibmaschine wird zum Fetisch, die Klage über Termindruck und Arbeitsüberlastung verbindet mit der Angestelltenwelt. Von ihr unterscheidet sich der Intellektuelle, weil er wenigstens einmal mit einer Redaktion oder einem Verlag gebrochen hat. Er verfügt über ein breites Themenspektrum, „ohne professionelle Expertise zu besitzen“. Öffentliche Wirksamkeit ist nur möglich durch den Verzicht auf direkte politische Stellungnahmen.
Bald stellt sich heraus, dass der Intellektuelle nicht nur Geistesarbeiter ist, sondern als sein eigener Werbetreibender auftreten muss. Zum Ertrag der Lektüre gehört die literaturhistorisch nicht unwesentliche Anekdote, dass sich der Literaturkritiker Friedrich Sieburg beim Spiegel nicht bloß hartnäckig um ein Porträt beworben hat, sondern dass er die Titelgeschichte, die 1954 endlich über ihn erschien, auch gleich selbst zurechtformulierte: „Was die Story über mich angeht, so kann ich mir schon denken, dass sie journalistisch nicht leicht zu bewältigen ist. Ich schlage Ihnen vor, dass Sie mir das Unreine des Textes senden lassen, sodass ich es mit Zusätzen versehen kann, die vielleicht ganz unterhaltend sein können.“ Und so geschah’s.
Schildt spart nicht am Kleingeld der intellektuellen Arbeit. Karl Jaspers erscheint mit seinem Beitrag zur Verjährungsdebatte, aber auch als finanzieller Ratgeber, der seiner Schülerin Hannah Arendt empfiehlt, beim Piper-Verlag auf einem Autorenanteil von zehn statt nur acht Prozent zu bestehen. Der bereits erwähnte Benn, Facharzt für venerische Krankheiten, belustigte sich zwar über „Hörspieldichter“, die „von einem Hörspiel von einer Stunde Dauer ein Jahr leben und sich sogar Straßenfahrzeuge mit Motorantrieb und Eigenheim beschaffen können“, frohlockte aber über „viel Geld“, das ihm das Gespräch mit Mendelssohn einbrachte. „Prostitution überall“, schrieb er an seinen Mäzen Friedrich Wilhelm Oelze, „allons enfants!“ Der große Mäzen der Intellektuellen war der Rundfunk. In Sendungen, die Abend- oder Nachtstudio hießen, fanden „alle wesentlichen intellektuellen Diskurse zur bildungsbürgerlichen Selbstverständigung ihren Ausdruck“. Die Medien-Intellektuellen nahmen Anteil am Wirtschaftswunder, das sie kulturkritisch geißelten. Hans Magnus Enzensberger pries an Martin Walser, wie er „allenthalben auf das weltläufigste seinen weißen Fiat durchs Gewimmel“ steuerte. In den Fünfzigern war es möglich, vom Schreiben zu leben.
Ein Facharbeiter bekam damals 300 Mark im Monat. Medien-Intellektuelle erlösten wesentlich mehr. Alfred Andersch, Autor und Redakteur gleich bei mehreren Anstalten, konnte den Hessischen Rundfunk dazu bewegen, ihn beim Kauf eines Eigenheims mit einem Darlehen von 10 000 Mark zu unterstützen. Walter Dirks, neben Eugen Kogon der Herausgeber der einflussreichen Frankfurter Hefte, kam durch seine Nebentätigkeit mit Rundfunkbeiträgen zusätzlich auf 3 000 Mark im Monat.
In Stuttgart sammelte Andersch als Medienmanager eine Genietruppe um sich. Walser und Helmut Heißenbüttel waren dabei; Enzensberger, seinerseits Sohn des ersten Radiosprechers in Bayern, produzierte sein gesamtes essayistisches Frühwerk für den Rundfunk. Anderschs Zeitschrift Texte und Zeichen, nach der sich später eine Kultursendung des NDR nannte, brachte die modernste Literatur von Arno Schmidt bis Roland Barthes. Schildt beschreibt die Bedeutung weiterer Kulturzentren: der Rowohlt-Verlag gehört dazu, die Zeitschrift Merkur, die „Entbräunungsanstalt“ Christ und Welt mit Goebbels’ Lieblingsjournalist Giselher Wirsing an der Spitze, später die Zeit und die Gruppe 47, und auch die Evangelischen und Katholischen Akademien werden nicht vergessen, wo Walser auf den späteren Fernsehkritiker Helmut Schmidt treffen konnte.
Die Tätigkeit für Goebbels’ Zeitschrift Das Reich war kein Hindernis, sondern galt in der Nachkriegspublizistik als bestes Arbeitszeugnis. Noch Anfang der Fünfziger verfügten mehr als vier Fünftel aller Medienarbeiter über Schreibpraxis aus dem Dritten Reich. Die Mitmacher veredelten ihr Tun als „innere Emigration“, um die echten Emigranten fernzuhalten.
Publizisten sind nach einem Wort des Publizisten Michael Jürgs Männer, die beim Autofahren den Hut aufbehalten. In den Fünfzigern waren es tatsächlich fast ausschließlich Männer, die den Hut aufhatten. Neben Marion Gräfin Dönhoff, die bis in die Chefredaktion der Zeit aufstieg, war eine der wenigen Ausnahmen die nationalkonservative Margret Boveri, die auf rührende Art und vergeblich Carl Schmitt, Ernst Jünger und Martin Heidegger, die überständigen Männer der Vorzeit, zusammenführen wollte. Schildt übergeht hier das Wirken von Clara Menck, Karena Niehoff oder auch von Christa Rotzoll, die in zweiter Ehe den aus der Emigration zurückgekehrten Sebastian Haffner heiratete. Aber auch wenn es Ingeborg Bachmann auf den Spiegel-Titel schaffte, waren Frauen damals nicht viel mehr als Deko. Kritiker wie Sieburg reagierten mit offenem Hass auf Simone de Beauvoirs Untersuchung „Das andere Geschlecht“ (1951). Im konservativen Denken und Schreiben bildeten die „Ansprüche weiblicher Emanzipation einen Fixpunkt der Abwehr gegen die Zumutungen der Moderne“.
Am Ende seines Lebens, nur fünf Jahre nach dem Schauspiel, das er im Rundfunk auf Kosten von de Mendelssohn aufführte, zieht Benn vor einem anderen Emigranten zurück. Er soll mit Theodor W. Adorno im Studio über „Reine oder engagierte Kunst?“ debattieren. Obwohl ihm das Doppelte des üblichen Honorars geboten wurde, obwohl Andersch schmeichelte, obwohl Enzensberger nachsetzte und darauf hinwies, dass Benn schließlich zu den Ersten gehört habe, die vom Radio „den Gebrauch machten, den wir alle für wünschbar halten“, obwohl auch Adorno seinen Charme spielen ließ, wollte sich Benn nicht auf ein Gespräch einlassen. „Sie sind gefährlich und mir dialektisch weit überlegen“, schrieb er an Adorno. Was er nicht sagte, hatte er im Jahr zuvor Oelze über Adorno mitgeteilt: „ein sehr intelligenter, wenig gut aussehender Jude, aber eben von der Intelligenz, die eigentlich wirklich nur Juden haben, gute Juden“.
Benn starb 1956, die klassische Kulturkritik begann ihren Reiz zu verlieren, die Sechziger bahnten sich an, in denen Adorno praktisch jede Woche einmal irgendwo im Radio zu hören war, nicht immer dialektisch, aber der Herold einer neuen Zeit.
Jürgen Habermas, in den Fünfzigern mit Beiträgen in der Frankfurter Allgemeinen und im Merkur einer der wichtigsten Medien-Intellektuellen, sieht das Erfolgsrezept der Bundesrepublik gut spätmarxistisch in einer „Arbeitsteilung“ zwischen den Regierenden und den von Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard dann so geschmähten „Pinschern“. Ohne die Radio- und Zeitschriftenintellektuellen hätte sich „eine zivile Mentalität wohl kaum ausgeprägt“, ohne sie wäre der Neubau eines nachnationalsozialistischen Staates nicht gelungen.
Die Intellektuellen nahmen Anteil
am Wirtschaftswunder,
das sie kulturkritisch geißelten
„Sie sind gefährlich und
mir dialektisch weit überlegen“,
schrieb Benn an Adorno
Axel Schildt: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Herausgegeben
und mit einem
Nachwort von Gabriele Kandzora und Detlef
Siegfried. Wallstein,
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»Schildts großem Wurf ist zu wünschen, dass es auch in der Gegenwart noch genügend Lesehunger gibt für so feine wissenschaftliche Kost.« (Tanjev Schultz, Süddeutsche Zeitung, 07.12.2020) »ein Meilenstein der Geistesgeschichtsschreibung. Der Historiker schärft damit auch den Blick auf gegenwärtige Debatten.« (Marko Martin, Deutschlandfunk Kultur Buchkritik, 07.12.2020) »'Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik' ist eine empirische Studie, die ihresgleichen sucht.« (Jörg Später, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.11.2020) »Dieses Buch, 'Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik', ist ein Geschichtswerk der besonderen Art.« (Willi Winkler, Süddeutsche Zeitung, 16.02.2021) »'Medien-Intellektuelle' ist eine eminente Leistung, nicht nur, was den Umfang angeht. Schildt (...) analysiert detalliert zahlreiche Netzwerke, intellektuelle Orte und Wirkungsweisen.« (Frauke Hamann, taz.nord, 23.10.2020) »eine 'dichte Beschreibung' intellektuellen Wirkens, so kenntnisreich wie konzise, so vielschichtig wie klar« (Hendrikje Schauer, Der Tagesspiegel, 11.11.2020) »Eine umfassend sortierte Schatzkammer voller Personen, Medien und Zeitgeistströmungen, die Westdeutschland von 1945 bis in die Umtriebe der Studentenrevolte geprägt haben.« (Marc Reichwein, Die Literarische Welt, 28.11.2020) »Das Opus Magnum aus dem Nachlass eines der exzellenten Nachkriegsforscher wird ein Klassiker werden, ein Standardwerk. (...) Voll von Entdeckungen und fundierten Deutungen.« (Caroline Fetscher, Der Tagesspiegel, 10.12.2020) »Selten liest man sich so gerne durch rund 800 Seiten von einem Historiker, um sich noch ein paar hundert Seiten mehr aus seiner Feder zu wünschen.« (Markus Mohr, Der Freitag, 10.12.2020) »Das Buch des Jahres, diese Nachkriegsgeschichte des Geistes« (Willi Winkler, Süddeutsche Zeitung, 12./13.12.2020) »fulminant - Das Ergebnis jahrzehntelanger wissenschaftlicher Arbeit« (Lukas Meyer-Blankenburg, SWR2 Lesenswert Magazin, 27.12.2020) »Schildt gelingt es, die großen Linien einer inzwischen fragmentierten Öffentlichkeit zu zeigen.« (Detlev Claussen, taz. die tageszeitung, 02.02.2021) »Ein gelungenes Beispiel dafür, wie fesseld Intellektuellengeschichte heute sein kann.« (Gangolf Hübinger, H-Soz-Kult, 23.02.2021) »Axel Schildt hat eine Art historie totale vorgelegt, eine 'dichte Beschreibung', die bis in die letzten Winkel intellektueller Lebenswelten hineinleuchtet, Netzwerken und Gesinnungsgemeinschaften nachspürt.« (Jens Flemming, literaturkritik.de, 23.02.2021) »Axel Schildts letztes Buch ist ein Exempel, in vielerlei Hinsicht aber auch eine Summe seiner fulminanten Produktivität.« (Norbert Frei, Historische Zeitschrift, Bd. 312, 2021) »ein großer Gewinn sowohl für die Zeit- und Mediengeschichte als auch die Intellectual History« (Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2021) »Ein Meisterwerk« (Thomas Birkner, M&K Medien, 3/2022) »ein monumentales Werk« (Anna Axtner-Borsutzky, Arbitrium, 40/3)