Eine Vision für neuen Zusammenhalt in Europa
Die repräsentativen Demokratien in Europa funktionieren nicht mehr. Warum? Weil sie keine echte Teilhabe gewähren, sondern moderne Aristokratien geworden sind, die die meisten Leute von der politischen Macht ausschließen. In einer Demokratie aber, die auf weitestgehende Teilhabe setzt, sollten das ökonomische und kulturelle Kapital der Bürger:innen keine Rolle spielen. Dies fordern der renommierte politische Ökonom Bruno S. Frey und der Historiker Oliver Zimmer und präsentieren in ihrem innovativen Buch ein Konzept für echte Beteiligung wirklich aller am politischen Prozess. Sie schlagen den Bogen von Erkenntnissen aus der Geschichte zu Ideen für die Zukunft und zeigen: Es gibt die Lösungen für viele Probleme unserer Zeit bereits - wir müssen nur bereit sein, sie auch umzusetzen.
Die repräsentativen Demokratien in Europa funktionieren nicht mehr. Warum? Weil sie keine echte Teilhabe gewähren, sondern moderne Aristokratien geworden sind, die die meisten Leute von der politischen Macht ausschließen. In einer Demokratie aber, die auf weitestgehende Teilhabe setzt, sollten das ökonomische und kulturelle Kapital der Bürger:innen keine Rolle spielen. Dies fordern der renommierte politische Ökonom Bruno S. Frey und der Historiker Oliver Zimmer und präsentieren in ihrem innovativen Buch ein Konzept für echte Beteiligung wirklich aller am politischen Prozess. Sie schlagen den Bogen von Erkenntnissen aus der Geschichte zu Ideen für die Zukunft und zeigen: Es gibt die Lösungen für viele Probleme unserer Zeit bereits - wir müssen nur bereit sein, sie auch umzusetzen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Mona Jaeger ist nicht sicher, ob die Autoren Bruno S. Frey und Oliver Zimmer in ihrem Buch den richtigen Weg einschlagen, wenn sie über den Erhalt beziehungsweise die Erweiterung der Demokratie nachdenken. Dass das britisch-schweizerische Professorenduo ungewöhnliche Ideen entwickelt, um mehr Mitbestimmung der Bürger zu erlangen, stößt für Jaeger dort an Verständnisgrenzen, wo etwa französische Demokratievorstellungen aus dem 18. Jahrhundert herangezogen werden, ohne dass der Bezug zur Gegenwart deutlich wird, oder die Autoren das Losverfahren für politische Entscheidungen empfehlen, um dem Lobbyismus zu entgehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2023Mehr Demokratie - aber wie?
Ein Buch will freigeistige Antworten auf aktuelle Fragen geben - und rutscht bisweilen ins Absurde
Willy Brandt kann sich leider nicht mehr wehren, wenn mal wieder sein berühmtester Satz im Munde geführt wird, in dem Versuch, der eigenen Argumentation mehr Kraft zu verleihen. Bruno S. Frey und Oliver Zimmer haben ihr Buch gleich "Mehr Demokratie wagen" genannt. Welcher Demokrat hat etwas dagegen, wenn es mehr Demokratie gibt? Wohl keiner. Die Ausgangsthese der Autoren kommt dann zugespitzter daher: "Denn das repräsentative System steht hier unter dem, wie wir meinen, berechtigten Verdacht, den Interessen und Präferenzen einer wohlhabenden, mit Bildungszertifikaten ausgestatteten Schicht besser zu entsprechen als jenen der Mehrheit, die diese Privilegien nicht genießt."
Damit bedienten sie keine Verschwörungstheorie vom bösen Staat, betonen die Autoren. Sondern sie beschreiben ihrer Meinung nach den herrschenden "paternalistischen Demokratiebegriff", wonach man das Volk "nur durch eine Mischung aus Kontrolle und Erziehung an die Demokratie heranführen könne". Die Autoren stellen Überlegungen an, wie den Bürgern ein Teil der Macht zurückgegeben werden kann, die der Zentralstaat und die Berufsparlamente monopolisiert hätten.
Komplexere Zeiten verlangten demnach vor allem mehr Mitbestimmung durch die Bürger. Die Autoren unterstellen nämlich unter anderem eine "Harmonie zwischen veröffentlichter Meinung und Staatsmacht". Das ist eine beliebte These, die in Teilen, oder genauer: einzelnen Medienteilen, stimmen mag, so grundsätzlich formuliert aber Unsinn ist und von den Autoren auch nicht belegt wird.
Unbestritten wiederum ist die Feststellung, dass der Bundestag als das wichtigste Parlament der Bundesrepublik nicht repräsentativ zusammengesetzt ist. Die Autoren leiten daraus ab, dass die Fusion von Demokratie und repräsentativem System täusche. Die Autoren greifen damit Debatten auf, die in einigen Teilen der Gesellschaft gerade geführt werden: Es geht um Gleichstellung, Parität und das Recht, dass die eigene Meinung Gehör findet.
Da ist erstaunlich, dass sich weite Teile des Buches mit französischen Demokratievorstellungen und -modellen des 18. Jahrhunderts beschäftigen. Unklar bleibt, was wir davon heute lernen können. Etwa wenn die berechtigte Frage gestellt wird, wer zur Demokratie gehört und wer nicht. "So blieben Frauen und Arme sehr lange vom Wahlrecht ausgeschlossen." Das ist empörend, ohne Frage. Aber wie hilft uns das im Jahr 2023, eine lebendige, an multiple Krisen angepasste Demokratie zu gestalten? In der es etwa durch Social Media ganz neue und viel schnellere Formen der Meinungsbildung und Kampagnenorganisation gibt? Dazu gibt es im Buch leider keine Hinweise.
Durchdekliniert wird hingegen, was getan werden kann, damit Politik nicht mehr ein "technokratisches Geschäft ohne Ortsbezug" ist. "Es genügt nicht, dass ein paar hundert Minister und Spitzenbeamte mit ähnlichen Karriereverläufen und politischen Präferenzen die moralische Überlegenheit des Transnationalismus beschwören." Grundsätzlich stellen die Autoren die Frage, ob die territoriale Ordnung, wie wir sie kennen, angemessen ist. Schließlich hätten Territorialkonflikte Kriege geschaffen. Wie es Staaten, die unter diesen Kriegen am schlimmsten gelitten haben, jedoch fänden, wenn die Frage des Staatsgebietes neu aufgerollt würde, wird nicht erörtert.
Den Autoren schweben "virtuelle Regime" vor, die nicht an Landesgrenzen haltmachen. Originellerweise nennen sie den Fußball-Weltverband FIFA als ein Beispiel. Entwickelt werden sollen dezentrale, einander überlappende politische Einheiten. Als Beispiel nennen sie die Bodenseeregion, in der Bürger aus verschiedenen Ländern gemeinsame Interessen haben können. Dieser dezentrale Ansatz leuchtet ein. Zumal die föderale Struktur zumindest in Deutschland zunehmend geschwächt wird, die Bundesländer aber auch gerne bereit sind, Macht und Gestaltungsspielraum aufzugeben, wenn der Bund im Gegenzug mit Geld winkt.
Frey und Zimmer sind sich durchaus bewusst, dass sie ungewöhnliche bis merkwürdige Vorschläge zur Reform der Demokratie machen. Frey ist politischer Ökonom, nach mehreren Universitätsstationen ist er jetzt ständiger Gastprofessor an der Universität Basel. Zimmer war bis 2021 Professor für Moderne Europäische Geschichte in Oxford, nun ist er Forschungsdirektor in Zürich. Die britisch-schweizerische Erfahrung prägt beide. Sie denken offensichtlich unbeschränkter über Demokratie nach, als das in Deutschland sozialisierte Wissenschaftler wohl tun würden. Aber wann ist es noch Freigeistertum und wann schlicht absurd? Ein Beispiel: Die Autoren plädieren dafür, politische Entscheidungen, die nicht Leben und Krieg betreffen, per Los zu treffen, nach dem Prinzip des "qualifizierten Zufalls". Sie sehen darin ein adäquates Mittel gegen ausufernden Lobbyismus.
Es ist gut, über eine aktive Gestaltung der Demokratie nachzudenken. Weil sie angesichts der Krisen in der Welt zu oft nur noch reagiert und abgewehrt wird, aber zu wenig gestaltet. Eine Demokratie darf nicht passiv werden. Aber wie wird sie richtig aktiv? Die Antwort wird weiter gesucht. MONA JAEGER
Bruno S. Frey / Oliver Zimmer: Mehr Demokratie wagen. Für eine Teilhabe aller.
Aufbau Verlag, Berlin 2023. 157 S., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Buch will freigeistige Antworten auf aktuelle Fragen geben - und rutscht bisweilen ins Absurde
Willy Brandt kann sich leider nicht mehr wehren, wenn mal wieder sein berühmtester Satz im Munde geführt wird, in dem Versuch, der eigenen Argumentation mehr Kraft zu verleihen. Bruno S. Frey und Oliver Zimmer haben ihr Buch gleich "Mehr Demokratie wagen" genannt. Welcher Demokrat hat etwas dagegen, wenn es mehr Demokratie gibt? Wohl keiner. Die Ausgangsthese der Autoren kommt dann zugespitzter daher: "Denn das repräsentative System steht hier unter dem, wie wir meinen, berechtigten Verdacht, den Interessen und Präferenzen einer wohlhabenden, mit Bildungszertifikaten ausgestatteten Schicht besser zu entsprechen als jenen der Mehrheit, die diese Privilegien nicht genießt."
Damit bedienten sie keine Verschwörungstheorie vom bösen Staat, betonen die Autoren. Sondern sie beschreiben ihrer Meinung nach den herrschenden "paternalistischen Demokratiebegriff", wonach man das Volk "nur durch eine Mischung aus Kontrolle und Erziehung an die Demokratie heranführen könne". Die Autoren stellen Überlegungen an, wie den Bürgern ein Teil der Macht zurückgegeben werden kann, die der Zentralstaat und die Berufsparlamente monopolisiert hätten.
Komplexere Zeiten verlangten demnach vor allem mehr Mitbestimmung durch die Bürger. Die Autoren unterstellen nämlich unter anderem eine "Harmonie zwischen veröffentlichter Meinung und Staatsmacht". Das ist eine beliebte These, die in Teilen, oder genauer: einzelnen Medienteilen, stimmen mag, so grundsätzlich formuliert aber Unsinn ist und von den Autoren auch nicht belegt wird.
Unbestritten wiederum ist die Feststellung, dass der Bundestag als das wichtigste Parlament der Bundesrepublik nicht repräsentativ zusammengesetzt ist. Die Autoren leiten daraus ab, dass die Fusion von Demokratie und repräsentativem System täusche. Die Autoren greifen damit Debatten auf, die in einigen Teilen der Gesellschaft gerade geführt werden: Es geht um Gleichstellung, Parität und das Recht, dass die eigene Meinung Gehör findet.
Da ist erstaunlich, dass sich weite Teile des Buches mit französischen Demokratievorstellungen und -modellen des 18. Jahrhunderts beschäftigen. Unklar bleibt, was wir davon heute lernen können. Etwa wenn die berechtigte Frage gestellt wird, wer zur Demokratie gehört und wer nicht. "So blieben Frauen und Arme sehr lange vom Wahlrecht ausgeschlossen." Das ist empörend, ohne Frage. Aber wie hilft uns das im Jahr 2023, eine lebendige, an multiple Krisen angepasste Demokratie zu gestalten? In der es etwa durch Social Media ganz neue und viel schnellere Formen der Meinungsbildung und Kampagnenorganisation gibt? Dazu gibt es im Buch leider keine Hinweise.
Durchdekliniert wird hingegen, was getan werden kann, damit Politik nicht mehr ein "technokratisches Geschäft ohne Ortsbezug" ist. "Es genügt nicht, dass ein paar hundert Minister und Spitzenbeamte mit ähnlichen Karriereverläufen und politischen Präferenzen die moralische Überlegenheit des Transnationalismus beschwören." Grundsätzlich stellen die Autoren die Frage, ob die territoriale Ordnung, wie wir sie kennen, angemessen ist. Schließlich hätten Territorialkonflikte Kriege geschaffen. Wie es Staaten, die unter diesen Kriegen am schlimmsten gelitten haben, jedoch fänden, wenn die Frage des Staatsgebietes neu aufgerollt würde, wird nicht erörtert.
Den Autoren schweben "virtuelle Regime" vor, die nicht an Landesgrenzen haltmachen. Originellerweise nennen sie den Fußball-Weltverband FIFA als ein Beispiel. Entwickelt werden sollen dezentrale, einander überlappende politische Einheiten. Als Beispiel nennen sie die Bodenseeregion, in der Bürger aus verschiedenen Ländern gemeinsame Interessen haben können. Dieser dezentrale Ansatz leuchtet ein. Zumal die föderale Struktur zumindest in Deutschland zunehmend geschwächt wird, die Bundesländer aber auch gerne bereit sind, Macht und Gestaltungsspielraum aufzugeben, wenn der Bund im Gegenzug mit Geld winkt.
Frey und Zimmer sind sich durchaus bewusst, dass sie ungewöhnliche bis merkwürdige Vorschläge zur Reform der Demokratie machen. Frey ist politischer Ökonom, nach mehreren Universitätsstationen ist er jetzt ständiger Gastprofessor an der Universität Basel. Zimmer war bis 2021 Professor für Moderne Europäische Geschichte in Oxford, nun ist er Forschungsdirektor in Zürich. Die britisch-schweizerische Erfahrung prägt beide. Sie denken offensichtlich unbeschränkter über Demokratie nach, als das in Deutschland sozialisierte Wissenschaftler wohl tun würden. Aber wann ist es noch Freigeistertum und wann schlicht absurd? Ein Beispiel: Die Autoren plädieren dafür, politische Entscheidungen, die nicht Leben und Krieg betreffen, per Los zu treffen, nach dem Prinzip des "qualifizierten Zufalls". Sie sehen darin ein adäquates Mittel gegen ausufernden Lobbyismus.
Es ist gut, über eine aktive Gestaltung der Demokratie nachzudenken. Weil sie angesichts der Krisen in der Welt zu oft nur noch reagiert und abgewehrt wird, aber zu wenig gestaltet. Eine Demokratie darf nicht passiv werden. Aber wie wird sie richtig aktiv? Die Antwort wird weiter gesucht. MONA JAEGER
Bruno S. Frey / Oliver Zimmer: Mehr Demokratie wagen. Für eine Teilhabe aller.
Aufbau Verlag, Berlin 2023. 157 S., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»anregende[r] und hochrelevante[r] Beitrag zur Debatte über die Zukunft der Demokratie« Lukas Leuzinger Schweizer Monat 20230301