Christoph Türcke geht den archaischen Ursprüngen des Geldes nach und entwickelt eine historischphilosophische Genealogie, die von den sakralen Anfängen bis in die Gegenwart reicht. Detektivisch legt er offen, wie es zur "Plusmacherei" und wie es zur Münze kam. Er stellt das kapitalistische Geldsystem ebenso auf den Prüfstand wie seine sozialistischen Überwindungsversuche und die Hoffnungen auf einen geldlosen Zustand. Im Geld steht die Welt Kopf. Seine ungeheure Faszinationskraft und Dynamik sorgen dafür, dass es zusehends in nichtmonetäre Räume eindringt und sie umkrempelt. Geld besetzt unsere Wünsche und Gedanken - und das keineswegs erst seit der Einführung der Münze oder gar dem Beginn des neuzeitlichen Geldumlaufs. Dennoch ist nicht ausreichend geklärt, was Geld ist - weil nie radikal genug danach gefragt wurde, wo es herkommt. Wer das erfahren will, muss mit Christoph Türcke ins Dunkel der Frühgeschichte eintreten. Von dort aus aber lässt sich das Geheimnis des Geldes lüften. Noch nie ist eine Erklärung des Geldes vorgelegt worden, die so tief und früh ansetzt und dabei so viel Licht in neuere und neueste Geldbewegungen bringt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2015Speise, die noch keiner gekostet hat
Es zwingt alle zur Gesellschaft zusammen und kehrt dennoch die Individuen gegeneinander:
Der verwegene Theoretiker Christoph Türcke legt eine „Philosophie des Geldes“ vor
VON BURKHARD MÜLLER
Zwei große metaphysische Ideen hat der menschliche Geist hervorgebracht: Gott und das Geld. Während es aber durchaus Leute gibt, die die Existenz Gottes bestreiten, kommt das beim Geld niemandem in den Sinn. Das Geld ist da, unwidersprechlich. Es prägt das Leben jedes Einzelnen (ein paar Hundert noch unentdeckte Indios im brasilianischen Regenwald vielleicht abgerechnet), sei es, dass er es hat, sei es, dass er es nicht hat. „Erst das Geld“, sagt der Leipziger Philosoph Christoph Türcke, „ist der religiöse Ernstfall.“ Das heißt jedoch mitnichten, dass es sich begreifen ließe – begreifen im doppelten Sinn von anfassen und verstehen. Geld ist etwas so Ähnliches, wie es der Kirchenvater Augustinus von der Zeit gesagt hat: Solange ihn keiner danach frage, wisse er, was Zeit ist; frage ihn aber jemand, so wisse er es plötzlich nicht mehr.
Christoph Türcke hat auch schon in früheren Büchern den Anfängen der Menschheit nachgeforscht, jener langen Phase des Heraufdämmerns, als all das entstanden ist, was wir heute als unseren unverbrüchlichen Besitz betrachten, im Unterschied zu den Tieren. Türcke hat das beispielsweise für die Schrift getan, die er als nahezu unkenntlich gewordenen Abkömmling des Kainszeichens interpretiert hat; nunmehr versucht er Entsprechendes mit dem Geld.
Dass er hierbei zur Spekulation greift, sollte man ihm gerechterweise nicht vorwerfen. Dokumente und Quellen gibt es aus dieser Zeit, die nach Jahrzehntausenden, vielleicht aber auch nach Jahrmillionen zählt, so gut wie keine; wohl aber bis heute überdauernde Spuren, die freilich nicht für sich selbst reden, sondern die Deutung herausfordern, die kaum anders als kühn sein kann.
Jeder Versuch, ins völlige Dunkel jener verschollenen Vorzeit auch nur so etwas wie Zwielicht zu bringen, sollte da willkommen sein. Und Türcke befindet sich in guter Gesellschaft. Sigmund Freud hat es mit seiner Theorie zur Entstehung der menschlichen Seele ebenso gehalten. Vor allem hat es auch Karl Marx nicht anders gemacht, der ja gleichfalls eine Genealogie des Geldes vorlegt – eine Genealogie, die sich, wie Türcke ihm vorhält, über ihren spekulativen Charakter jedoch keine Rechenschaft ablegt und darum, für Marx ganz untypisch, ahistorisch gerät.
Als Schüler dieser beiden Denker versteht sich Türcke gerade dort, wo er ihnen widerspricht – und das tut er im Grundsätzlichen. Nicht – wie von Marx behauptet – der urtümliche Gütertausch sei die Quelle des Geldes gewesen, auch Wert und Arbeit konstituieren es nicht. Dass solcher Tausch es noch relativ spät in seinem begrenzten Volumen nicht zu so einem so verstetigten Abstraktum wie dem allgemeinen Äquivalent gebracht habe, dafür führt Türcke als Beleg die Ilias an. Doch gibt es auch dort schon eine Sphäre, wo nach einheitlichem Maß gemessen wird, in Rindern nämlich: die sakrale. Von „zwölfrindrigen“ Dreifüßen und „vierrindrigen“ Sklavinnen ist ausschließlich dann die Rede, wenn es um kultische Stellvertretung geht.
Türcke verortet den Beginn des Geldes viel weiter zurück, als es sonst üblich ist: in der Praxis des Opfers. Sie sieht er als den Ursprung des Menschen im eigentlichen, das heißt im seelischen Sinn. Am Anfang stand der namenlose Schrecken. Nicht als ob Tiere nicht auch tödlichen Schrecken erleben, wenn Feuer oder Fressfeind ihnen nahe treten. Aber sie vergessen ihn wieder. Dagegen verfestigt er sich in der Urhorde zum kollektiven Trauma, was bedeutet zum menschenspezifischen Gedächtnis, und er kann nur bewältigt werden (diesen Gedanken übernimmt Türcke von Freud), indem er wiederholt, das heißt neuerdings ausagiert wird. Der Ritus, in dem dies geschieht, zentriert sich ums Opfer, das in früher Zeit nichts anderes gewesen sein kann als das Menschenopfer zur Beschwichtigung der unbekannten schrecklichen Mächte. Es ist kaum weniger schrecklich als das, was es bannen soll. Alle weitere Menschwerdung vollzieht sich in seiner sukzessiven Ermäßigung und Auswechslung durch solche Objekte, die leichter entbehrt werden können: des Menschen durch das Vieh im Neolithikum, später des Tieropfers durch Darbringung von dessen bildlicher Replik aus Ton und Metall usw. Türcke erinnert an den innigen Zusammenhang von Geld und gelten, Glauben und Gläubiger, Schulden und Schuld, den es in vielen Sprachen gibt. In dem Maß jedoch, wie die Menschen ihre an sich unermessliche Schuld gegenüber den höheren Mächten auf immer wohlfeilere Art zu tilgen versuchen, leiden sie am schlechten Gewissen, dass aller derartige Tausch zuletzt auf die Täuschung hinausläuft. Türcke erzählt die Geschichte von der Entstehung des Geldes wie das Märchen von Hans im Glück: Das gemünzte Gold verwandelt sich in Papier, das seine Metalldeckung nach und nach verliert, und dieses in immer flüchtigere Abkömmlinge, bis hin zur bloßen Zahl im Computer und jenen hochrisikanten „Derivaten“, die eine Spekulation auf die Spekulation mit der Spekulation darstellen.
Türcke verfährt in seiner Geldtheorie, die Bestandteil einer umfassenden Anthropologie ist, in überaus origineller Weise; in seiner „Philosophie des Geldes“, wie das Buch im Untertitel heißt, verbinden sich Psychoanalyse, politische Ökonomie und nicht zu vergessen Theologie zu einem dialektischen Amalgam, dem man als Methode misstrauen mag, dessen gedanklicher Ertrag aber in jedem Fall fasziniert. Das gilt vor allem für das erste und das letzte Viertel des Buchs; denn neben seinem Ursprung ist der heutige und künftige Status des Geldes das dunkelste Kapitel seiner langen Geschichte. Dazwischen allerdings fällt es Türcke manchmal schwer, das Geld in seinem jeweiligen historischen Kontext als Wesen sakraler Herkunft zu erweisen. Dass etwa die mittelalterliche Geldwirtschaft erst durch das päpstliche Ablasswesen in Schwung gekommen sein soll, nimmt man ihm nicht so recht ab; eher dürfte es sich umgekehrt verhalten. Man ist sich an solchen Stellen nicht mehr sicher, ob man es bei den sakralen Anklängen mit einer uralten Wurzel oder einer bloßen Analogie zu tun hat.
Aus der ungeheuer langen Geschichte des Geldes, die er bis weit hinter die Zeit der ersten Münzprägungen zurückverfolgt, schließt Türcke keineswegs darauf, dass es so etwas wie einen harmonischen Zustand der Geldwirtschaft geben könnte. Nichts an ihm dauert außer der Labilität der Zustände, die es herbeiführt. Im Postulat des endlichen Ausgleichs liegt vielmehr der komplementäre Fehler, den Türcke sowohl im (Neo-)Liberalismus als auch im Marxismus erblickt. Der Liberalismus gibt sich einer Täuschung hin, wenn er meint, der Markt werde es schon richten – das tut er nie, er hängt im Gegenteil völlig von einem äußeren staatlichen Rahmen ab. Am besten sieht man das in der gegenwärtigen Finanzkrise, die inzwischen in ihr siebtes Jahr geht und von einem angeblich außerordentlichen Rettungspaket zum nächsten schlittert. Aber auch Marx betreibt in Türckes Sicht Augenwischerei, wenn er meint, dass die gegen Güter einzulösenden Quittungen für geleistete Arbeitszeit im real gewordenen Kommunismus etwas anderes wären als – Geld.
Geld, daran lässt Türcke keinen Zweifel, ist nicht nur eine große geistige Errungenschaft, sondern letztlich ein noch größeres Unglück für die Menschheit. Solang sein Reich währt, wird sie nicht frei sein von Schuld, Mangel, Feindschaft und Entfremdung. Geld zwingt alle zur Gesellschaft zusammen und kehrt dennoch die Individuen unversöhnlich gegeneinander.
Umso gespannter ist man darauf, was Türcke, verwegener Theoretiker der er ist, für einen Gegenvorschlag zu machen hat. Doch hier gelangt er an die Grenze seiner Imagination. Was er schließlich bietet, ist ein etwas vage gehaltenes Set der ohnedies bekannten und üblichen Maßnahmen, die den Raubtierkapitalismus ein bisschen dämpfen sollen, vom Schuldenschnitt bis zur globalen Finanz-Transaktionssteuer. Er erweist sich zu guter Letzt, obwohl er auch gegen Keynes so einiges auf dem Herzen hat, dann doch als Keynesianer: ein nicht ganz behaglicher Mittelweg zwischen der verblendeten Radikalität der beiden anderen, Marxismus und Liberalismus. Alle diese Maßnahmen, meint Türcke, „sind keine Alibireformen, sondern machen Appetit auf tiefere Eingriffe“.
Es ist der Appetit auf eine Speise, die noch keiner gekostet hat. Vielleicht liegt hier wirklich die historische Schranke, über die wir heute nicht hinausdenken können. Oder wüsste jemand, wie das Geld in naher Zukunft abzuschaffen wäre, ohne dass sofort Zusammenbruch und massenhafte Verelendung erfolgen müssten? So etwas ginge nur in the long run. Aber, wie schon Keynes wusste: „In the long run, we are all dead.“
Türcke zitiert die biblischen Berichte vom Land, in dem Milch und Honig fließen: So sollte es wieder oder erstmals werden – aber wie? Es ist zu lang her und zu lange hin. Man denkt an Kafkas Diktum, wir befänden uns in der Situation von Reisenden, die mitten in einem Eisenbahntunnel verunglückt sind; weder nach vorn, noch nach hinten zu sehen sei das Licht der Tunnelöffnung. So scheint es uns speziell in unserem Verhältnis zum Geld zu gehen.
Türcke verortet den
Beginn des Geldes
in der Praxis des Opfers
Geld ist eine große geistige
Errungenschaft – und ein noch
größeres Unglück
Könnte man es abschaffen,
ohne sofortigen Zusammenbruch
und Verelendung herbeizuführen?
Freier Umgang mit Geld, der Joker im Film „Dark Knight“ (Heath Ledger): Geld rauben, stapeln, verbrennen.
Foto: Warner
Christoph Türcke: Mehr! Philosophie des Geldes. Verlag C. H. Beck, München 2015. 490 Seiten, 29,95 Euro.E-Book
24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Es zwingt alle zur Gesellschaft zusammen und kehrt dennoch die Individuen gegeneinander:
Der verwegene Theoretiker Christoph Türcke legt eine „Philosophie des Geldes“ vor
VON BURKHARD MÜLLER
Zwei große metaphysische Ideen hat der menschliche Geist hervorgebracht: Gott und das Geld. Während es aber durchaus Leute gibt, die die Existenz Gottes bestreiten, kommt das beim Geld niemandem in den Sinn. Das Geld ist da, unwidersprechlich. Es prägt das Leben jedes Einzelnen (ein paar Hundert noch unentdeckte Indios im brasilianischen Regenwald vielleicht abgerechnet), sei es, dass er es hat, sei es, dass er es nicht hat. „Erst das Geld“, sagt der Leipziger Philosoph Christoph Türcke, „ist der religiöse Ernstfall.“ Das heißt jedoch mitnichten, dass es sich begreifen ließe – begreifen im doppelten Sinn von anfassen und verstehen. Geld ist etwas so Ähnliches, wie es der Kirchenvater Augustinus von der Zeit gesagt hat: Solange ihn keiner danach frage, wisse er, was Zeit ist; frage ihn aber jemand, so wisse er es plötzlich nicht mehr.
Christoph Türcke hat auch schon in früheren Büchern den Anfängen der Menschheit nachgeforscht, jener langen Phase des Heraufdämmerns, als all das entstanden ist, was wir heute als unseren unverbrüchlichen Besitz betrachten, im Unterschied zu den Tieren. Türcke hat das beispielsweise für die Schrift getan, die er als nahezu unkenntlich gewordenen Abkömmling des Kainszeichens interpretiert hat; nunmehr versucht er Entsprechendes mit dem Geld.
Dass er hierbei zur Spekulation greift, sollte man ihm gerechterweise nicht vorwerfen. Dokumente und Quellen gibt es aus dieser Zeit, die nach Jahrzehntausenden, vielleicht aber auch nach Jahrmillionen zählt, so gut wie keine; wohl aber bis heute überdauernde Spuren, die freilich nicht für sich selbst reden, sondern die Deutung herausfordern, die kaum anders als kühn sein kann.
Jeder Versuch, ins völlige Dunkel jener verschollenen Vorzeit auch nur so etwas wie Zwielicht zu bringen, sollte da willkommen sein. Und Türcke befindet sich in guter Gesellschaft. Sigmund Freud hat es mit seiner Theorie zur Entstehung der menschlichen Seele ebenso gehalten. Vor allem hat es auch Karl Marx nicht anders gemacht, der ja gleichfalls eine Genealogie des Geldes vorlegt – eine Genealogie, die sich, wie Türcke ihm vorhält, über ihren spekulativen Charakter jedoch keine Rechenschaft ablegt und darum, für Marx ganz untypisch, ahistorisch gerät.
Als Schüler dieser beiden Denker versteht sich Türcke gerade dort, wo er ihnen widerspricht – und das tut er im Grundsätzlichen. Nicht – wie von Marx behauptet – der urtümliche Gütertausch sei die Quelle des Geldes gewesen, auch Wert und Arbeit konstituieren es nicht. Dass solcher Tausch es noch relativ spät in seinem begrenzten Volumen nicht zu so einem so verstetigten Abstraktum wie dem allgemeinen Äquivalent gebracht habe, dafür führt Türcke als Beleg die Ilias an. Doch gibt es auch dort schon eine Sphäre, wo nach einheitlichem Maß gemessen wird, in Rindern nämlich: die sakrale. Von „zwölfrindrigen“ Dreifüßen und „vierrindrigen“ Sklavinnen ist ausschließlich dann die Rede, wenn es um kultische Stellvertretung geht.
Türcke verortet den Beginn des Geldes viel weiter zurück, als es sonst üblich ist: in der Praxis des Opfers. Sie sieht er als den Ursprung des Menschen im eigentlichen, das heißt im seelischen Sinn. Am Anfang stand der namenlose Schrecken. Nicht als ob Tiere nicht auch tödlichen Schrecken erleben, wenn Feuer oder Fressfeind ihnen nahe treten. Aber sie vergessen ihn wieder. Dagegen verfestigt er sich in der Urhorde zum kollektiven Trauma, was bedeutet zum menschenspezifischen Gedächtnis, und er kann nur bewältigt werden (diesen Gedanken übernimmt Türcke von Freud), indem er wiederholt, das heißt neuerdings ausagiert wird. Der Ritus, in dem dies geschieht, zentriert sich ums Opfer, das in früher Zeit nichts anderes gewesen sein kann als das Menschenopfer zur Beschwichtigung der unbekannten schrecklichen Mächte. Es ist kaum weniger schrecklich als das, was es bannen soll. Alle weitere Menschwerdung vollzieht sich in seiner sukzessiven Ermäßigung und Auswechslung durch solche Objekte, die leichter entbehrt werden können: des Menschen durch das Vieh im Neolithikum, später des Tieropfers durch Darbringung von dessen bildlicher Replik aus Ton und Metall usw. Türcke erinnert an den innigen Zusammenhang von Geld und gelten, Glauben und Gläubiger, Schulden und Schuld, den es in vielen Sprachen gibt. In dem Maß jedoch, wie die Menschen ihre an sich unermessliche Schuld gegenüber den höheren Mächten auf immer wohlfeilere Art zu tilgen versuchen, leiden sie am schlechten Gewissen, dass aller derartige Tausch zuletzt auf die Täuschung hinausläuft. Türcke erzählt die Geschichte von der Entstehung des Geldes wie das Märchen von Hans im Glück: Das gemünzte Gold verwandelt sich in Papier, das seine Metalldeckung nach und nach verliert, und dieses in immer flüchtigere Abkömmlinge, bis hin zur bloßen Zahl im Computer und jenen hochrisikanten „Derivaten“, die eine Spekulation auf die Spekulation mit der Spekulation darstellen.
Türcke verfährt in seiner Geldtheorie, die Bestandteil einer umfassenden Anthropologie ist, in überaus origineller Weise; in seiner „Philosophie des Geldes“, wie das Buch im Untertitel heißt, verbinden sich Psychoanalyse, politische Ökonomie und nicht zu vergessen Theologie zu einem dialektischen Amalgam, dem man als Methode misstrauen mag, dessen gedanklicher Ertrag aber in jedem Fall fasziniert. Das gilt vor allem für das erste und das letzte Viertel des Buchs; denn neben seinem Ursprung ist der heutige und künftige Status des Geldes das dunkelste Kapitel seiner langen Geschichte. Dazwischen allerdings fällt es Türcke manchmal schwer, das Geld in seinem jeweiligen historischen Kontext als Wesen sakraler Herkunft zu erweisen. Dass etwa die mittelalterliche Geldwirtschaft erst durch das päpstliche Ablasswesen in Schwung gekommen sein soll, nimmt man ihm nicht so recht ab; eher dürfte es sich umgekehrt verhalten. Man ist sich an solchen Stellen nicht mehr sicher, ob man es bei den sakralen Anklängen mit einer uralten Wurzel oder einer bloßen Analogie zu tun hat.
Aus der ungeheuer langen Geschichte des Geldes, die er bis weit hinter die Zeit der ersten Münzprägungen zurückverfolgt, schließt Türcke keineswegs darauf, dass es so etwas wie einen harmonischen Zustand der Geldwirtschaft geben könnte. Nichts an ihm dauert außer der Labilität der Zustände, die es herbeiführt. Im Postulat des endlichen Ausgleichs liegt vielmehr der komplementäre Fehler, den Türcke sowohl im (Neo-)Liberalismus als auch im Marxismus erblickt. Der Liberalismus gibt sich einer Täuschung hin, wenn er meint, der Markt werde es schon richten – das tut er nie, er hängt im Gegenteil völlig von einem äußeren staatlichen Rahmen ab. Am besten sieht man das in der gegenwärtigen Finanzkrise, die inzwischen in ihr siebtes Jahr geht und von einem angeblich außerordentlichen Rettungspaket zum nächsten schlittert. Aber auch Marx betreibt in Türckes Sicht Augenwischerei, wenn er meint, dass die gegen Güter einzulösenden Quittungen für geleistete Arbeitszeit im real gewordenen Kommunismus etwas anderes wären als – Geld.
Geld, daran lässt Türcke keinen Zweifel, ist nicht nur eine große geistige Errungenschaft, sondern letztlich ein noch größeres Unglück für die Menschheit. Solang sein Reich währt, wird sie nicht frei sein von Schuld, Mangel, Feindschaft und Entfremdung. Geld zwingt alle zur Gesellschaft zusammen und kehrt dennoch die Individuen unversöhnlich gegeneinander.
Umso gespannter ist man darauf, was Türcke, verwegener Theoretiker der er ist, für einen Gegenvorschlag zu machen hat. Doch hier gelangt er an die Grenze seiner Imagination. Was er schließlich bietet, ist ein etwas vage gehaltenes Set der ohnedies bekannten und üblichen Maßnahmen, die den Raubtierkapitalismus ein bisschen dämpfen sollen, vom Schuldenschnitt bis zur globalen Finanz-Transaktionssteuer. Er erweist sich zu guter Letzt, obwohl er auch gegen Keynes so einiges auf dem Herzen hat, dann doch als Keynesianer: ein nicht ganz behaglicher Mittelweg zwischen der verblendeten Radikalität der beiden anderen, Marxismus und Liberalismus. Alle diese Maßnahmen, meint Türcke, „sind keine Alibireformen, sondern machen Appetit auf tiefere Eingriffe“.
Es ist der Appetit auf eine Speise, die noch keiner gekostet hat. Vielleicht liegt hier wirklich die historische Schranke, über die wir heute nicht hinausdenken können. Oder wüsste jemand, wie das Geld in naher Zukunft abzuschaffen wäre, ohne dass sofort Zusammenbruch und massenhafte Verelendung erfolgen müssten? So etwas ginge nur in the long run. Aber, wie schon Keynes wusste: „In the long run, we are all dead.“
Türcke zitiert die biblischen Berichte vom Land, in dem Milch und Honig fließen: So sollte es wieder oder erstmals werden – aber wie? Es ist zu lang her und zu lange hin. Man denkt an Kafkas Diktum, wir befänden uns in der Situation von Reisenden, die mitten in einem Eisenbahntunnel verunglückt sind; weder nach vorn, noch nach hinten zu sehen sei das Licht der Tunnelöffnung. So scheint es uns speziell in unserem Verhältnis zum Geld zu gehen.
Türcke verortet den
Beginn des Geldes
in der Praxis des Opfers
Geld ist eine große geistige
Errungenschaft – und ein noch
größeres Unglück
Könnte man es abschaffen,
ohne sofortigen Zusammenbruch
und Verelendung herbeizuführen?
Freier Umgang mit Geld, der Joker im Film „Dark Knight“ (Heath Ledger): Geld rauben, stapeln, verbrennen.
Foto: Warner
Christoph Türcke: Mehr! Philosophie des Geldes. Verlag C. H. Beck, München 2015. 490 Seiten, 29,95 Euro.E-Book
24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Hans Berhard Schmid ärgert sich über das Missverhältnis von Anpreisung und Inhalt bei diesem Buch von Christoph Türcke. Eine radikale Geschichte des Geldes, eine gänzlich neue gar, kann ihm der Autor leider nicht bieten. Das lässt den Rezensenten schon ein Blick in das Literaturverzeichnis ahnen, wo von einem tatsächlich etablierten Forschungsfeld nichts zu entdecken ist. Schmid fürchtet, der Autor habe wichtige Studien schlicht ignoriert. Wozu Türcke in seinem Text zu den Urmenschenhorden und Opferriten zurückgeht, leuchtet Schmid auch nicht ein. Der Gegenwartsdiagnose des Geldes dient es seiner Meinung nach jedenfalls nicht. Kritik übt er auch an den Voraussetzungen der Arbeit. Weshalb die Frage, was Geld ist, ausgerechnet durch eine zudem westlich orientierte Geschichte des Geldes zu klären sei, darüber, so Schmid, schweigt sich der Autor aus. Der flotte Stil des Buches versöhnt ihn ein bisschen mit dem Projekt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Vielleicht sollten wir statt Adam Smith und Marx 'Mehr' beziehungsweise Chrisoph Türcke lesen!"
Hans Schönherr-Mann, Deutschlandfunk, 27. August 2015
"Ungemein aufschlussreich, was Türcke über die Genealogie des Geldes schreibt."
Dirk Pilz, Frankfurter Rundschau, 31. Juli 2015
"Ein großartiger Stilist hat eine anregende Geschichte des Geldes geschrieben."
Christoph Fleischmann, WDR, 2. April 2015
"So wie Türcke hat uns bislang noch keiner die 'Philosophie des Geldes' beigebracht."
SWR, 9. März 2015
"In seiner Philosophie des Geldes verbinden sich Psychoanalyse, politische Ökonomie und nicht zu vergessen Theologie zu einem dialektischen Amalgam, dessen gedanklicher Ertrag aber in jeden Fall fasziniert."
Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 5. März 2015
"Ein Markt der Gedanken zur Geschichte des Geldes."
Hans-Peter Kulisch, Philosophie Magazin, Frühjahr 2015
"Es ist ein Genuss, wie vernünftig sich der Autor indiesem Kraftfeld bewegt, ohne jeglichen ideologischen Irrungen anheimzufallen - und dabei noch packend zu schreiben weiß."
Robin Droemer, Hohe Luft Philosophie Magazin, März 2015
"Eine exzellente Geschichte des Geldes (...) fällt definitiv unter die guten, um nicht zu sagen faszinierenden Bücher, und ist noch dazu glänzend geschrieben."
Joseph Gepp, Falter Verlag, 11. März 2015
Hans Schönherr-Mann, Deutschlandfunk, 27. August 2015
"Ungemein aufschlussreich, was Türcke über die Genealogie des Geldes schreibt."
Dirk Pilz, Frankfurter Rundschau, 31. Juli 2015
"Ein großartiger Stilist hat eine anregende Geschichte des Geldes geschrieben."
Christoph Fleischmann, WDR, 2. April 2015
"So wie Türcke hat uns bislang noch keiner die 'Philosophie des Geldes' beigebracht."
SWR, 9. März 2015
"In seiner Philosophie des Geldes verbinden sich Psychoanalyse, politische Ökonomie und nicht zu vergessen Theologie zu einem dialektischen Amalgam, dessen gedanklicher Ertrag aber in jeden Fall fasziniert."
Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 5. März 2015
"Ein Markt der Gedanken zur Geschichte des Geldes."
Hans-Peter Kulisch, Philosophie Magazin, Frühjahr 2015
"Es ist ein Genuss, wie vernünftig sich der Autor indiesem Kraftfeld bewegt, ohne jeglichen ideologischen Irrungen anheimzufallen - und dabei noch packend zu schreiben weiß."
Robin Droemer, Hohe Luft Philosophie Magazin, März 2015
"Eine exzellente Geschichte des Geldes (...) fällt definitiv unter die guten, um nicht zu sagen faszinierenden Bücher, und ist noch dazu glänzend geschrieben."
Joseph Gepp, Falter Verlag, 11. März 2015