Sie hatten ihm alles genommen. Leben, Arbeit, Wohnung, Freunde, Kollegen, seinen Ruf. Zehn Jahre hatten sie ihm gestohlen. Für nichts. Ein Jahrzehnt saß Meier unschuldig im Knast, verurteilt für einen Mord, den er nicht begangen hat. Nun kommt er, der alles verloren hat, wieder frei. Doch er ist kein gebrochener Mann, er hat die Zeit gut genutzt. Hat die anderen studiert, hat genau zugehört, was sie getan haben und wie. Und er hat Kontakte geknüpft zur Unterwelt. Das Gefängnis war seine Hochschule für das Leben danach. Er hat einen Plan, wie er nach dem Knast wieder auf die Beine kommt. Und dann, zufällig, trifft er auf den Polizisten, der ihn damals eingelocht hat ... Bestsellerautor Tommie Goerz zeigt sich mit einem schonungslosen Krimi von einer ganz neuen Seite.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2020Wahre Lügen
Krimis in Kürze: Shakespeare, Martínez, Goerz
Oxford mag ja für manche der Nabel der Welt sein, was sich, wenn man mal dort war, schnell als Täuschung herausstellt. Aber die Stadt ist ein guter Schauplatz für einen bestimmten Typus von Kriminalroman. In Nicholas Shakespeares "Boomerang" (Heyne, 400 S., geb., 25.- [Euro]) stehen wir am Rand eines Fußballplatzes. Väter sehen ihren Jungs zu. Der eine, Dyer, ist ein Ehemaliger der Schule, er ist nach langen Jahren als Korrespondent in Brasilien ins triste, kalte England zurückgekehrt, seine Ehe ist gescheitert. Der andere, Marvar, ist ein iranischer Atomphysiker, der völlig unerwartet und unkonventionell eine Lösung für die perfekte Kernfusion gefunden hat. Und wie das mit solchen Lösungen so ist, interessiert sich die ganze Welt dafür: Gute und Böse, Amerikaner, Iraner, gierige Geschäftsleute.
Shakespeare ist ein erfahrener Autor, er hat Stil und die Umsicht, das Szenario nicht in eine Agenten-Action-Posse abrutschen zu lassen. Er erzählt stattdessen eine Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen, er nimmt sich Zeit für das komplizierte Verhältnis von Vätern und Söhnen, für das Elitenbewusstsein der Privatschuleltern und die Macht der Schultradition. Die Art und Weise, wie sich Dyer am Ende seinen moralischen und politischen Dilemmata entwindet, mag einem konstruiert vorkommen. Aber sie beschreibt tatsächlich eine Kurve, die sich mit dem Flug eines Bumerangs vergleichen ließe.
Fußball ist in "Der Fall Alice im Wunderland" (Eichborn, 316 S., br., 16.- [Euro]) nicht einmal vorstellbar, obwohl der Autor Argentinier ist. Guillermo Martínez ist auch promovierter Mathematiker, der zwei Jahre in Oxford verbracht hat. Wie sein Ich-Erzähler "G.", dem man allenfalls ein mäßiges Interesse an Cricket zutraute und der sich mit Softwareproblemen und Fragen der Logik herumquält. So kommt dann auch Lewis Carroll, auf den der Buchtitel anspielt, ins Spiel.
Eine nach Carroll benannte Bruderschaft, die gralshüterisch über dessen Werk wacht, wird aufgestört, als eine für verschwunden gehaltene, von den Großnichten vernichtete Tagebuchseite Carrolls auftaucht. Eine Doktorandin hat sie an sich genommen, sie wird bald nachts von einem Auto angefahren und überlebt nur zufällig. Dann wird der Verleger der Carroll-Bruderschaft vergiftet. Und es wird heikel und unübersichtlich, weil auch Carrolls Fotos sehr junger Mädchen eine Rolle spielen, denen der Autor bekanntlich auf eine Weise zugetan war, die man heute nur als eine physisch unausgelebte Form der Pädophilie interpretieren kann.
Martínez schafft es als Mathematiker erstaunlich gut, Dinge in der Schwebe zu halten. Man muss das ganze Setting, die metafiktionalen Spreizungen und die Behäbigkeit nicht mögen, um anzuerkennen, dass er ein smartes, sauber konstruiertes Buch geschrieben hat.
Von Oxford führt kein direkter Weg in die fränkische Provinz. Und das ist gut so. Denn Tommie Goerz' Kriminalroman "Meier" (Ars vivendi, 170 S., geb., 12,99 [Euro]) gehört zu den Entdeckungen dieses Jahres. Der Erlanger Autor hat bisher einen Nürnberger Kommissar namens Friedo Behütuns auf die Piste geschickt. Na ja. Jetzt schickt er einen, der Meier heißt, der für einen Mord, den er nicht begangen hat, zehn Jahre gesessen hat, in die sogenannte Freiheit.
Meier, Vorname unwichtig, will Rache. Er ist Anfang fünfzig, intelligent, er hat im Knast die Schule der wichtigen Dinge absolviert, er weiß, dass die Kriminalisierung, die ihm die Gesellschaft verpasst hat, ein Stigma ist, das er nicht mehr loswerden wird. Meiers Rachefeldzug hat Goerz geschickt eingefädelt.
Und er erzählt davon in einer knochentrockenen, rauen, abgerissenen Sprache, die nicht immer komplette Sätze benötigt, die in den Dialogen auf Tempo und Prägnanz drückt und deren Lakonie sehr präzise ausdrückt, wie Meier sich zur Welt verhält: Keine unnötige Bewegung, jeder Zug muss sitzen. "Gegen die Lüge hat die Wahrheit keine Chance. Weil die Lüge stimmig ist, die Wahrheit oft voller Widersprüche." Ein starker Satz in einem starken Buch.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Shakespeare, Martínez, Goerz
Oxford mag ja für manche der Nabel der Welt sein, was sich, wenn man mal dort war, schnell als Täuschung herausstellt. Aber die Stadt ist ein guter Schauplatz für einen bestimmten Typus von Kriminalroman. In Nicholas Shakespeares "Boomerang" (Heyne, 400 S., geb., 25.- [Euro]) stehen wir am Rand eines Fußballplatzes. Väter sehen ihren Jungs zu. Der eine, Dyer, ist ein Ehemaliger der Schule, er ist nach langen Jahren als Korrespondent in Brasilien ins triste, kalte England zurückgekehrt, seine Ehe ist gescheitert. Der andere, Marvar, ist ein iranischer Atomphysiker, der völlig unerwartet und unkonventionell eine Lösung für die perfekte Kernfusion gefunden hat. Und wie das mit solchen Lösungen so ist, interessiert sich die ganze Welt dafür: Gute und Böse, Amerikaner, Iraner, gierige Geschäftsleute.
Shakespeare ist ein erfahrener Autor, er hat Stil und die Umsicht, das Szenario nicht in eine Agenten-Action-Posse abrutschen zu lassen. Er erzählt stattdessen eine Geschichte der Täuschungen und Enttäuschungen, er nimmt sich Zeit für das komplizierte Verhältnis von Vätern und Söhnen, für das Elitenbewusstsein der Privatschuleltern und die Macht der Schultradition. Die Art und Weise, wie sich Dyer am Ende seinen moralischen und politischen Dilemmata entwindet, mag einem konstruiert vorkommen. Aber sie beschreibt tatsächlich eine Kurve, die sich mit dem Flug eines Bumerangs vergleichen ließe.
Fußball ist in "Der Fall Alice im Wunderland" (Eichborn, 316 S., br., 16.- [Euro]) nicht einmal vorstellbar, obwohl der Autor Argentinier ist. Guillermo Martínez ist auch promovierter Mathematiker, der zwei Jahre in Oxford verbracht hat. Wie sein Ich-Erzähler "G.", dem man allenfalls ein mäßiges Interesse an Cricket zutraute und der sich mit Softwareproblemen und Fragen der Logik herumquält. So kommt dann auch Lewis Carroll, auf den der Buchtitel anspielt, ins Spiel.
Eine nach Carroll benannte Bruderschaft, die gralshüterisch über dessen Werk wacht, wird aufgestört, als eine für verschwunden gehaltene, von den Großnichten vernichtete Tagebuchseite Carrolls auftaucht. Eine Doktorandin hat sie an sich genommen, sie wird bald nachts von einem Auto angefahren und überlebt nur zufällig. Dann wird der Verleger der Carroll-Bruderschaft vergiftet. Und es wird heikel und unübersichtlich, weil auch Carrolls Fotos sehr junger Mädchen eine Rolle spielen, denen der Autor bekanntlich auf eine Weise zugetan war, die man heute nur als eine physisch unausgelebte Form der Pädophilie interpretieren kann.
Martínez schafft es als Mathematiker erstaunlich gut, Dinge in der Schwebe zu halten. Man muss das ganze Setting, die metafiktionalen Spreizungen und die Behäbigkeit nicht mögen, um anzuerkennen, dass er ein smartes, sauber konstruiertes Buch geschrieben hat.
Von Oxford führt kein direkter Weg in die fränkische Provinz. Und das ist gut so. Denn Tommie Goerz' Kriminalroman "Meier" (Ars vivendi, 170 S., geb., 12,99 [Euro]) gehört zu den Entdeckungen dieses Jahres. Der Erlanger Autor hat bisher einen Nürnberger Kommissar namens Friedo Behütuns auf die Piste geschickt. Na ja. Jetzt schickt er einen, der Meier heißt, der für einen Mord, den er nicht begangen hat, zehn Jahre gesessen hat, in die sogenannte Freiheit.
Meier, Vorname unwichtig, will Rache. Er ist Anfang fünfzig, intelligent, er hat im Knast die Schule der wichtigen Dinge absolviert, er weiß, dass die Kriminalisierung, die ihm die Gesellschaft verpasst hat, ein Stigma ist, das er nicht mehr loswerden wird. Meiers Rachefeldzug hat Goerz geschickt eingefädelt.
Und er erzählt davon in einer knochentrockenen, rauen, abgerissenen Sprache, die nicht immer komplette Sätze benötigt, die in den Dialogen auf Tempo und Prägnanz drückt und deren Lakonie sehr präzise ausdrückt, wie Meier sich zur Welt verhält: Keine unnötige Bewegung, jeder Zug muss sitzen. "Gegen die Lüge hat die Wahrheit keine Chance. Weil die Lüge stimmig ist, die Wahrheit oft voller Widersprüche." Ein starker Satz in einem starken Buch.
PETER KÖRTE
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»Schnörkellos, frech und direkt beschreibt der Erlanger Autor wie ein ziemlich schlauer, skrupelloser Mann sein Ziel verfolgt: Rache üben um danach einfach in Ruhe leben zu können! Spannend und vergnüglich zugleich.« - Julia Hofmann BR »Kein Wort wirkt zufällig im Roman. Die präzise, scharfe Sprache nimmt einen mit.« »Stark ist das Buch, weil es nicht nur den Aufbau eines klassischen Krimis auf den Kopf stellt, sondern auch die Verhältnisse.« BR Heimat »Goerz hat schon eine ganze Reihe von Regionalkrimis um den Nürnberger Kommissar Behütuns geschrieben. »Meier« ist sein Meisterstück. 150 Seiten Lakonie mit Schuss.« CrimeMag »Tommie Goerz' Sätze sitzen. Die Dialoge reduziert und knackig, kein Wort, keine Geste, keine Bewegung zuviel. Tommie Goerz gelingt auf 180 Seiten ein waschechter Deutscher Noir oder eben Graf von Monte Christo für die Gegenwart.« - Stefan Maelck Außerdem: Krimi des Monats im Mai 2020 mdr Kultur »Schon jetzt eine der Krimi-Entdeckungen des Jahres.« FAZ »Autor Tommie Goerz porträtiert einen vom Leben Betrogenen, der nicht akzeptiert, Opfer zu sein.« Die Presse am Sonntag »Mit »Meier« legt der Erlanger Autor einen atmosphärisch dichten Krimi vor« Wochenklick