»Ich versuche, wahr und einfach zu sein. Aber manchmal habe ich keinen Schutzmantel um mich.« Angela Winkler. Eigentlich führt die Schauspielerin Angela Winkler mehr als ein Leben: für die Bühne, für den Film - und gleichermaßen für ihre Familie. In »Mein blaues Zimmer« erzählt sie von diesen Leben, nimmt uns mit hinter die Kulissen ihres geliebten Theaters und berichtet von den Erfahrungen, die sie zu der starken Frau gemacht haben, die sie heute ist. Winkler erzählt so warmherzig wie offen von all den Dramen, wie sie im Leben so plötzlich eintreten: den verpassten Augenblicken, Möglichkeiten und Unglücken ebenso wie von den Glücksmomenten, Erfolgen und prägenden Begegnungen. Sie erinnert sich an ihre Anfänge als Schauspielerin am legendären Theater in Castrop-Rauxel und beim Neuen Deutschen Film, an die vielen fast verfallenen Häuser in Italien und Frankreich, die sie gemeinsam mit ihrem Mann umgebaut und zum Leben erweckt hat, und lässt uns an ihrer Liebe zur Natur teilhaben. Wir stehen mit ihr auf der Bühne und vor der Kamera, begleiten sie bei ihrer Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Peter Zadek, Klaus-Michael Grüber, Robert Wilson oder Volker Schlöndorff - und bei ihren kleinen und großen Fluchten aus dem Theaterbetrieb. Einfühlsam, auf ihre ganz eigene Art, erzählt sie von ihrer Familie, ihrer Mutter, die über 100 Jahre alt wurde, von der Geburt ihrer vier Kinder und nicht zuletzt vom Alt-Sein als Künstlerin. So lernen wir Angela Winkler als außergewöhnliche Frau kennen, die mit eigenem Kopf durch die Welt geht und den Zwängen des Lebens bis heute so viel Eigenwilligkeit wie möglich entgegensetzt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2019Als Hamlet kämpft sie gegen das Herkuleskraut
Der Zettel im Schuh macht stolz: Angela Winkler erzählt ihr Leben in "Mein blaues Zimmer"
Als Sigmund Freud notierte, "Wenn jemand spricht, wird es hell", dachte er natürlich nicht an Angela Winkler, aber der Satz passt bestens auf sie: Das Leuchten der Freiheit ist immer um die Figuren, in die sie sich, intensiv wie schwerelos, verwandelt. Sie gehört zu den größten Schauspielerinnen unserer Zeit. Wie viel Kraft und Hingabe es sie gekostet hat, dies zu werden und zu bleiben, welche glücklichen Umstände dabei halfen, erzählt sie jetzt in dem Buch "Mein blaues Zimmer" - ohne dass es angestrengt wirkt oder für die Leser anstrengend wird.
Für diese episodenhaften "Autobiographischen Skizzen" hat sie sich nicht nur bis zu ihren Anfängen zurück erinnert, sondern sie zitiert auch passagenweise aus den Schulheften, in die sie seit Jahren tagebuchartige Aufzeichnungen schreibt. In solche Hefte überträgt sie überdies die Texte ihrer Rollen, die, indem sie durch die Hand aufs Papier fließen, zu ihren eigenen werden, ob sie nun eigentlich von Shakespeare oder Brecht, von Ibsen oder Else Lasker-Schüler stammen. Angela Winkler ist im schönsten Sinn des Wortes eine Handarbeiterin, als Schauspielerin wie als Bäuerin oder Teilzeit-Restauratorin: "Ich mache so viel mit den Händen. Die sind breit und kräftig wie Arbeiterhände. Schon als ich jung war, traten die Adern hervor, die Fingernägel sind kurz, wenn sie wachsen, brechen sie gleich ab, eben weil ich keine Arbeitshandschuhe anziehe."
Memoiren im herkömmlichen Sinn waren von ihr nicht zu erwarten und sind es auch in diesem schönen, beseelten, zusammen mit der Dramaturgin Brigitte Landes entstandenen Band nicht geworden. So unabhängig Angela Winkler in ihrem Leben und in ihrer Kunst ist, so frei und eigenständig sind ihr auch diese Betrachtungen gelungen. Geboren wurde sie 1944 in Templin, die Familie floh nach Hamburg, zog später nach Erlangen, wo der Vater Amtsarzt wurde. Zu seinem Unwillen nahm sie in Stuttgart und München Schauspielunterricht. Sie wurde nach Kassel und Castrop-Rauxel, 1971 dann an die Berliner Schaubühne engagiert. Dort war freilich nicht Peter Stein, der künstlerische Leiter, ihr bevorzugter Regisseur, sondern Klaus Michael Grüber: "Bei Grüber fühlte ich mich sofort aufgehoben. Ich musste gar nicht spielen. Ich konnte endlos lange Pausen machen, ohne dass er mich gestört hat. ,Sei einfach und stolz' hat Grüber mir auf einen kleinen Zettel geschrieben. Den steckte ich bei jeder Aufführung in meinen Schuh."
In sehr direkten, subjektiven Beobachtungen erzählt Angela Winkler von ihrem beruflichen wie ihrem privaten Dasein. Sie nimmt alles, was geschieht, persönlich und wandelt es aus ihrer speziellen Perspektive ins Allgemeingültige um - ohne Grenzen, ohne Zwänge, ohne Schutzmantel, aber mit einem offenen, weiten Blick.
Ihre Notate sind assoziativ bis zur reflektierten Sprunghaftigkeit, ungebunden im freimütigen Glauben an die eigene Leidenschaft und Wahrheit. Ohne Klatsch und Tratsch spricht sie von Ereignissen vor und hinter dem Vorhang und wie angenehm zum Beispiel für sie die Zusammenarbeit mit Peter Zadek war, der außer Grüber zu ihrem wichtigsten Regisseur wurde - und sie 1999 als Hamlet besetzte. Auch Robert Wilson wusste sie zu schätzen, vertraute der Mittsechzigerin 2011 am Berliner Ensemble Wedekinds Männerphantasie Lulu an. Sie bewältigte selbst diese Herausforderung souverän. Ob Burgtheater Wien, Schauspielhaus Hamburg, Deutsches Theater Berlin, überall wird Angela Winkler gefeiert. Langfristig geblieben ist sie jedoch seit 1980 an keinem Haus: "Ich will zwar nicht fest in einem Ensemble sein, aber ich brauche Partner. Ich muss jemandem zuhören können. Wenn ich jemandem zuhören kann, kann ich auch mit ihm spielen. Wenn ich seine Art zu denken oder zu sprechen nicht verstehe, fällt es mir schwer, und ich will es auch nicht. Die Kunst von Peter Zadek und Klaus Michael Grüber bestand auch darin, ein Ensemble zu bilden, Schauspieler zu suchen, die miteinander spielen konnten und ich mit ihnen."
Angela Winkler wirkte außerdem in vielen Filmen mit, so in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) - danach erhielt sie "schlimme Briefe, sogar nach Hause, in denen ich als Kommunistensau und Terroristin beschimpft wurde" -, oder in "Die Blechtrommel" (1979), beide von Volker Schlöndorff, zuletzt mit Tilda Swinton und Ingrid Caven in "Suspiria" (2018) von Luca Guadagnino. Die Triumphe allerdings sind ihr nie zu Kopf gestiegen, haben sie nicht abgehoben werden lassen: "Ich verdanke meiner Faulheit und meinem Leichtsinn, dass ich nicht in die Falle gegangen bin. Meine Bodenständigkeit bindet mich an konkrete Dinge."
Mit ihrem Mann, dem Bildhauer Wigand Wittig, wohnt sie in Deutschland, Frankreich, Italien, hat bald die vier Kinder mit dabei, darunter die heutige Schauspielerin Nele Winkler, die mit dem Down-Syndrom geboren wurde: "Alle sieben Jahre sind wir umgezogen, haben zusammen alte, verfallene Häuser aufgebaut, und kaum waren sie fertig, sind wir weitergezogen." Den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Daseinsformen - sie stieg quasi mit dreckigen Gummistiefeln von der häuslichen Baustelle oder aus dem Blumenbeet in der Auvergne ins Flugzeug nach Wien zum Burgtheater - hat sie stets geliebt: "Ich brauche den frischen Wind, um im Theater zu arbeiten." Auch ihre Rollen haben davon profitiert: "Sagt Hamlet einen Satz über das Unkraut, sehe ich das Herkuleskraut vor mir, das keine Feinde hat, riesengroß und nicht auszurotten ist."
Als wäre es das selbstverständlichste von der Welt, hat sich Angela Winkler ihre eigene Zeit und ihren eigenen Raum geschaffen, und wie sie darüber schreibt, verführt dazu, ihr ohne Einwände zu folgen. Die flüchtige Kunst der Schauspielerei will sie gar nicht erklären, obwohl sie diese dermaßen grandios beherrscht: "Das Theater nehme ich so ernst wie mein Leben. Die Entscheidung, Theater zu spielen, fällt mir nie leicht. Mir ist Theater zu wichtig, und vielleicht bin ich gar keine richtige Schauspielerin."
Nein, möchte man ausrufen, wer denn sonst als sie! Es ist wohl dieser stete Zweifel am eigenen Können, der die große Künstlerin zu einer besonderen macht. Ergänzt mit zahlreichen Szenen- und privaten Fotos, nur leider ohne Rollenverzeichnis (empfohlen sei diesbezüglich die Homepage der Berliner Akademie der Künste, der Angela Winkler seit 2010 als Mitglied angehört), ist dieses Buch ein Geschenk - neugierig und diskret, sinnlich und beredt, von generöser Art und mit dem Charme reinster Lebensfreude erfüllt.
IRENE BAZINGER
Angela Winkler: "Mein blaues Zimmer". Autobiographische Skizzen. Mit Brigitte Landes.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 240 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Zettel im Schuh macht stolz: Angela Winkler erzählt ihr Leben in "Mein blaues Zimmer"
Als Sigmund Freud notierte, "Wenn jemand spricht, wird es hell", dachte er natürlich nicht an Angela Winkler, aber der Satz passt bestens auf sie: Das Leuchten der Freiheit ist immer um die Figuren, in die sie sich, intensiv wie schwerelos, verwandelt. Sie gehört zu den größten Schauspielerinnen unserer Zeit. Wie viel Kraft und Hingabe es sie gekostet hat, dies zu werden und zu bleiben, welche glücklichen Umstände dabei halfen, erzählt sie jetzt in dem Buch "Mein blaues Zimmer" - ohne dass es angestrengt wirkt oder für die Leser anstrengend wird.
Für diese episodenhaften "Autobiographischen Skizzen" hat sie sich nicht nur bis zu ihren Anfängen zurück erinnert, sondern sie zitiert auch passagenweise aus den Schulheften, in die sie seit Jahren tagebuchartige Aufzeichnungen schreibt. In solche Hefte überträgt sie überdies die Texte ihrer Rollen, die, indem sie durch die Hand aufs Papier fließen, zu ihren eigenen werden, ob sie nun eigentlich von Shakespeare oder Brecht, von Ibsen oder Else Lasker-Schüler stammen. Angela Winkler ist im schönsten Sinn des Wortes eine Handarbeiterin, als Schauspielerin wie als Bäuerin oder Teilzeit-Restauratorin: "Ich mache so viel mit den Händen. Die sind breit und kräftig wie Arbeiterhände. Schon als ich jung war, traten die Adern hervor, die Fingernägel sind kurz, wenn sie wachsen, brechen sie gleich ab, eben weil ich keine Arbeitshandschuhe anziehe."
Memoiren im herkömmlichen Sinn waren von ihr nicht zu erwarten und sind es auch in diesem schönen, beseelten, zusammen mit der Dramaturgin Brigitte Landes entstandenen Band nicht geworden. So unabhängig Angela Winkler in ihrem Leben und in ihrer Kunst ist, so frei und eigenständig sind ihr auch diese Betrachtungen gelungen. Geboren wurde sie 1944 in Templin, die Familie floh nach Hamburg, zog später nach Erlangen, wo der Vater Amtsarzt wurde. Zu seinem Unwillen nahm sie in Stuttgart und München Schauspielunterricht. Sie wurde nach Kassel und Castrop-Rauxel, 1971 dann an die Berliner Schaubühne engagiert. Dort war freilich nicht Peter Stein, der künstlerische Leiter, ihr bevorzugter Regisseur, sondern Klaus Michael Grüber: "Bei Grüber fühlte ich mich sofort aufgehoben. Ich musste gar nicht spielen. Ich konnte endlos lange Pausen machen, ohne dass er mich gestört hat. ,Sei einfach und stolz' hat Grüber mir auf einen kleinen Zettel geschrieben. Den steckte ich bei jeder Aufführung in meinen Schuh."
In sehr direkten, subjektiven Beobachtungen erzählt Angela Winkler von ihrem beruflichen wie ihrem privaten Dasein. Sie nimmt alles, was geschieht, persönlich und wandelt es aus ihrer speziellen Perspektive ins Allgemeingültige um - ohne Grenzen, ohne Zwänge, ohne Schutzmantel, aber mit einem offenen, weiten Blick.
Ihre Notate sind assoziativ bis zur reflektierten Sprunghaftigkeit, ungebunden im freimütigen Glauben an die eigene Leidenschaft und Wahrheit. Ohne Klatsch und Tratsch spricht sie von Ereignissen vor und hinter dem Vorhang und wie angenehm zum Beispiel für sie die Zusammenarbeit mit Peter Zadek war, der außer Grüber zu ihrem wichtigsten Regisseur wurde - und sie 1999 als Hamlet besetzte. Auch Robert Wilson wusste sie zu schätzen, vertraute der Mittsechzigerin 2011 am Berliner Ensemble Wedekinds Männerphantasie Lulu an. Sie bewältigte selbst diese Herausforderung souverän. Ob Burgtheater Wien, Schauspielhaus Hamburg, Deutsches Theater Berlin, überall wird Angela Winkler gefeiert. Langfristig geblieben ist sie jedoch seit 1980 an keinem Haus: "Ich will zwar nicht fest in einem Ensemble sein, aber ich brauche Partner. Ich muss jemandem zuhören können. Wenn ich jemandem zuhören kann, kann ich auch mit ihm spielen. Wenn ich seine Art zu denken oder zu sprechen nicht verstehe, fällt es mir schwer, und ich will es auch nicht. Die Kunst von Peter Zadek und Klaus Michael Grüber bestand auch darin, ein Ensemble zu bilden, Schauspieler zu suchen, die miteinander spielen konnten und ich mit ihnen."
Angela Winkler wirkte außerdem in vielen Filmen mit, so in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) - danach erhielt sie "schlimme Briefe, sogar nach Hause, in denen ich als Kommunistensau und Terroristin beschimpft wurde" -, oder in "Die Blechtrommel" (1979), beide von Volker Schlöndorff, zuletzt mit Tilda Swinton und Ingrid Caven in "Suspiria" (2018) von Luca Guadagnino. Die Triumphe allerdings sind ihr nie zu Kopf gestiegen, haben sie nicht abgehoben werden lassen: "Ich verdanke meiner Faulheit und meinem Leichtsinn, dass ich nicht in die Falle gegangen bin. Meine Bodenständigkeit bindet mich an konkrete Dinge."
Mit ihrem Mann, dem Bildhauer Wigand Wittig, wohnt sie in Deutschland, Frankreich, Italien, hat bald die vier Kinder mit dabei, darunter die heutige Schauspielerin Nele Winkler, die mit dem Down-Syndrom geboren wurde: "Alle sieben Jahre sind wir umgezogen, haben zusammen alte, verfallene Häuser aufgebaut, und kaum waren sie fertig, sind wir weitergezogen." Den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Daseinsformen - sie stieg quasi mit dreckigen Gummistiefeln von der häuslichen Baustelle oder aus dem Blumenbeet in der Auvergne ins Flugzeug nach Wien zum Burgtheater - hat sie stets geliebt: "Ich brauche den frischen Wind, um im Theater zu arbeiten." Auch ihre Rollen haben davon profitiert: "Sagt Hamlet einen Satz über das Unkraut, sehe ich das Herkuleskraut vor mir, das keine Feinde hat, riesengroß und nicht auszurotten ist."
Als wäre es das selbstverständlichste von der Welt, hat sich Angela Winkler ihre eigene Zeit und ihren eigenen Raum geschaffen, und wie sie darüber schreibt, verführt dazu, ihr ohne Einwände zu folgen. Die flüchtige Kunst der Schauspielerei will sie gar nicht erklären, obwohl sie diese dermaßen grandios beherrscht: "Das Theater nehme ich so ernst wie mein Leben. Die Entscheidung, Theater zu spielen, fällt mir nie leicht. Mir ist Theater zu wichtig, und vielleicht bin ich gar keine richtige Schauspielerin."
Nein, möchte man ausrufen, wer denn sonst als sie! Es ist wohl dieser stete Zweifel am eigenen Können, der die große Künstlerin zu einer besonderen macht. Ergänzt mit zahlreichen Szenen- und privaten Fotos, nur leider ohne Rollenverzeichnis (empfohlen sei diesbezüglich die Homepage der Berliner Akademie der Künste, der Angela Winkler seit 2010 als Mitglied angehört), ist dieses Buch ein Geschenk - neugierig und diskret, sinnlich und beredt, von generöser Art und mit dem Charme reinster Lebensfreude erfüllt.
IRENE BAZINGER
Angela Winkler: "Mein blaues Zimmer". Autobiographische Skizzen. Mit Brigitte Landes.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019. 240 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2019Geschenke
für den Kopf
Die Weihnachtsempfehlungen
des SZ-Feuilletons
ILLUSTRATIONEN: STEFAN DIMITROV
David Steinitz
EINE HERAUSFORDERUNG (1)
Es ist in diesem Jahr kein spannenderer Krimi erschienen als dieser. Don Winslows „Jahre des Jägers“ ist das knapp 1000-seitige Finale seiner monumentalen Romantrilogie über den amerikanischen Drogenkrieg. Ein brutaler Thriller und ein trauriger Abgesang auf die USA. Kann man auch unabhängig von den ersten beiden Teilen lesen, aber besser: alle drei hintereinander.
Don Winslow: Jahre des Jägers. Droemer, München 2019. 992 S., 28 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Noch besser als der Regisseur Quentin Tarantino ist eigentlich nur der DJ Quentin Tarantino. Für „Once Upon A Time in Hollywood“, sein tragikomisches Sittengemälde der Sechzigerjahre, hat er eine famose Platte ohne Angst vor Kitsch kompiliert. „Choo Choo Train“ von den Box Tops und „Mrs. Robinson“ von Simon & Garfunkel sind die Lieder seiner Kindheit. Und ein paar irre Radiowerbespots von damals – „Numero Uno Cologne!“ – gibt es als Intermezzi noch dazu. So fühlt man sich auch im Volkswagen im Schwabinger Regen für ein paar Sekunden wie im Cabrio unter der Sonne von Los Angeles.
Once Upon A Time In Hollywood. Soundtrack. Mit The Village Callers, Simon & Garfunkel u.a. CD, 10 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG (2)
Die fünf Folgen der Miniserie „Chernobyl“ von Craig Mazin sind ein Meisterstück der TV-Erzählkunst. Ein perfekt ausgestatteter und gespielter Albtraum über das Reaktorunglück von 1986.
Chernobyl Mit Jared Harris, Stellan Skarsgård. Von Craig Mazin. 2 DVDs, 14 Euro oder Stream.
Christine Dössel
EIN GENUSS
Die Memoiren der wunderbaren Angela Winkler, nicht wichtigtuerisch, sondern so, wie sie ist: lebensfreudig, offen, unkonventionell. Ein episodenhaftes Buch, das wie ein frischer Luftzug daherweht. Man kann sich die Schauspielerin danach nicht mehr ohne Gummistiefel und dreckige Fingernägel vorstellen, so oft wie sie sich dem Beruf entzogen und mit ihrem Mann alte, entlegene Häuser umgebaut hat. Vier Kinder haben sie, eines mit Downsyndrom. Viel Freiheit ist hier zu spüren – als Basis feiner Kunst.
Angela Winkler: Mein blaues Zimmer. Autobiographische Skizzen. Kiwi, Köln 2019. 240 Seiten, 22 Euro.
EIN AUFREGER
Der Theaterprofessor und ehemalige SZ-Kritiker C. Bernd Sucher erzählt von seiner strengen, gefühlskalten jüdischen Mutter, einer KZ-Überlebenden – und damit viel von sich selbst. Ein sehr persönliches, berührendes, teils erschütterndes Buch, sowohl zeithistorisch als auch psychopathologisch interessant.
C. Bernd Sucher: Mamsi und ich.
Die Geschichte einer Befreiung. Piper, München 2019. 256 Seiten, 20 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
„Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht...“ Goethes Kultbriefroman „Die Leiden des jungen Werthers“, inbrünstig interpretiert von Philipp Hochmair, der selber ein Maniac ist und mit seinem Bühnensolo „Werther!“ seit 1997 tourt. Auch als Hörbuch ein irrer Gefühlstrip, begleitet von Hochmairs Band Die Elektrohand Gottes.
Philipp Hochmair / Die Elektrohand Gottes: Werther! Elektrohand Records, hoanzl.at. 18 Euro.
Lothar Müller
EIN LIEBESBEWEIS
Die Geschichte eines Bonvivants und Spions, eines Kommunisten, der Jude war, ohne es sein zu wollen, und doch blieb. Ein Rückblick auf die Kulturaristokratie der DDR und Deutschland im 20. Jahrhundert. Vor allem aber das Buch einer Tochter, die das abgründige Leben ihres Vaters erzählt, ohne ihm den Prozess zu machen.
Barbara Honigmann: Georg. Roman. Hanser, 2019, 160 Seiten, 18 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Der Staub, angeblich in Archiven zu Hause, ist eine Großmacht. Wer die Staubwolken und das Staubsieben nach der Lektüre dieses so gelehrten wie humorvollen Essays noch unterschätzt, dem ist nicht zu helfen.
Joachim Kalka: Staub. Berenberg Verlag, Berlin 2019, 152 S., 22 Euro).
EIN GENUSS
In diesem großen Roman des 19. Jahrhunderts findet das Welttheater in der englischen Provinz um 1830 statt. Eine kleine Frau mit runden Augen sieht darin aus wie ein gezähmter Falke. Die Autorin nimmt es nicht nur mit Liebe, Ökonomie und Politik auf, sondern auch mit den modernen Wissenschaften.
George Eliot: Middlemarch. Neuübersetzung. Rowohlt. 1264 S., 45 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Wer bei dem Wort „Traumlandschaften“ nicht an paradiesische Reiseziele denkt, sondern an das Unheimliche, die Ängste und Obsessionen, kommt als Teilnehmer dieser furiosen Expedition ins Reich der Finsternis infrage.
Mircea Cărtărescu: Solenoid. Roman. Zsolnay, 2019. 912 Seiten, 36 Euro.
Felix Stephan
EINE HILFE
Über die kommenden Zwanzigerjahre wird oft gesprochen, als stünde ein Revival des berühmten Vorgängerjahrzehnts aus dem 20. Jahrhundert an: Starke politische Ränder, soziale Ungleichheit und ein rasanter technologischer Wandel ergeben ein autoritäres Gebräu. Lehrreicher ist der Ansatz des Politologen Philip Manow: Er erklärt den Aufstieg des europäischen Populismus nicht anhand historischer Formatvorlagen, sondern anhand der ökonomischen Bedingungen der Gegenwart.
Philip Manow: Die politische Ökonomie des Populismus. Suhrkamp, Berlin 2018. 160 Seiten, 16 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Computerspiele sind ästhetisch unerfreulich, aber allgegenwärtig. Im Falle des monumentalen Computerspiel-Romans „Miami Punk“ von Juan S. Guse verhält es sich genau andersrum. Ein dunkles Zeichengewitter, eine soziologisch informierte Gesellschaftshochrechnung, Literatur aus der Zukunft.
Juan S. Guse: Miami Punk. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2019. 640 Seiten, 26 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
In „Menschheitsdämmerung“, der bedeutendsten Lyrik-Anthologie des deutschen Expressionismus, herrscht eine besondere Stimmung. Als wäre die deutsche Lyrik unter einem Apfelbaum eingedämmert und in einer industrialisierten Metropole wieder aufgewacht. Der Urknall des 20. Jahrhunderts.
Kurt Pinthus (Hg.): Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung. Rowohlt, Hamburg 2019. 448 Seiten, 34 Euro.
Catrin Lorch
EIN GENUSS
Ein Loch graben. Die Erde um die halbe Welt fahren. Wieder graben, wieder Erde verschiffen. Die in Nigeria geborene Otobong Nkanga bringt in ihren Werken Konzeptkunst und Kolonialismusdebatte zusammen – und es sieht fantastisch aus: Weil Otobong Nkanga auch das Buch dazu gezeichnet hat und die harte, künstlerische Setzung in eine bestechend klare, zarte Bildsprache übersetzt hat.
Otobong Nkanga: To Dig A Hole That Collapses Again. Katalog zur Ausstellung mit Essays von Omar Kholeif und Teju Cole. Museum of Contemporary Art Chicago und DelMonico Books, 2018. 41 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Klaus Theweleit hat alles erklärt. Die Männer, die Welt, wie das miteinander zusammenhängt. Mehr als tausend Seiten, die alle gelesen hatten, vor vierzig Jahren. Und offensichtlich vergessen haben – es ist ernüchternd, wie aktuell sich die Neuauflage liest.
Klaus Theweleit: Männerphantasien. Matthes & Seitz, Berlin 2019.
1278 Seiten, 42 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Ein Buch zum Ausklang des Bauhausjahres. Das „Notebook“ ist ein Faksimile des Hefts, in dem die Künstlerin Anni Albers sich Notizen machte. Mit Bleistift auf Karopapier, ein Webmuster nach dem anderen. Näher kann man der Kunst nicht kommen.
Anni Albers: Notebook
Nachwort von Brenda Danilowitz. David Zwirner Books, New York 2017. 152 Seiten, 26 Euro (über Buchhandlung Walther König).
Theresa Hein
EIN LIEBESBEWEIS
Es mag zwar sein, dass den beiden Genies ein bisschen mehr Duett-Routine gutgetan hätte. Das gelegentliche Gekicher von Johnny Cash macht aber jede Schlamperei vergessen. Vor allem für Menschen, die sich mit Bob Dylan eher schwertun.
Bob Dylan, Johnny Cash: Travelin’ Thru,1967 –1969: The Bootleg Series Volume 15. 3 CDs, 23 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Eine Kritik des 21. Jahrhunderts an dir, mir, uns. Ein Theatergedicht.
Wolfram Lotz: Die Politiker. Spector Books, Leipzig 2019. 96 Seiten, 10 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Phoebe Waller-Bridge spielt eine Frau, die Angst hat, dass sie habgierig, sexsüchtig, egoistisch, zynisch ist und zu allem Überfluss nicht mal eine gute Feministin. „Fleabag“ ist nicht nur die beste britische Serie der vergangenen Jahre, sondern zeigt nebenbei noch, wie erfüllend und notwendig die Liebe einer Schwester sein kann.
Fleabag Von und mit Phoebe Waller-Bridge. DVD/Bluray, 22 Euro/40 Euro. Oder via Streaming.
EIN AUFREGER
Wie geht eine Gesellschaft damit um, wenn herauskommt, dass ein gefeiertes Wissenschaftsgenie Kinder missbraucht? Hanya Yanagihara gibt in ihrem ersten Roman keine Antwort, dafür einem verachtenswerten Protagonisten eine Stimme. „Schwieriges Thema“ wäre eine Untertreibung.
Hanya Yanagihara: Das Volk der Bäume. Roman. Hanser Berlin, 2019. 478 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
für den Kopf
Die Weihnachtsempfehlungen
des SZ-Feuilletons
ILLUSTRATIONEN: STEFAN DIMITROV
David Steinitz
EINE HERAUSFORDERUNG (1)
Es ist in diesem Jahr kein spannenderer Krimi erschienen als dieser. Don Winslows „Jahre des Jägers“ ist das knapp 1000-seitige Finale seiner monumentalen Romantrilogie über den amerikanischen Drogenkrieg. Ein brutaler Thriller und ein trauriger Abgesang auf die USA. Kann man auch unabhängig von den ersten beiden Teilen lesen, aber besser: alle drei hintereinander.
Don Winslow: Jahre des Jägers. Droemer, München 2019. 992 S., 28 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Noch besser als der Regisseur Quentin Tarantino ist eigentlich nur der DJ Quentin Tarantino. Für „Once Upon A Time in Hollywood“, sein tragikomisches Sittengemälde der Sechzigerjahre, hat er eine famose Platte ohne Angst vor Kitsch kompiliert. „Choo Choo Train“ von den Box Tops und „Mrs. Robinson“ von Simon & Garfunkel sind die Lieder seiner Kindheit. Und ein paar irre Radiowerbespots von damals – „Numero Uno Cologne!“ – gibt es als Intermezzi noch dazu. So fühlt man sich auch im Volkswagen im Schwabinger Regen für ein paar Sekunden wie im Cabrio unter der Sonne von Los Angeles.
Once Upon A Time In Hollywood. Soundtrack. Mit The Village Callers, Simon & Garfunkel u.a. CD, 10 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG (2)
Die fünf Folgen der Miniserie „Chernobyl“ von Craig Mazin sind ein Meisterstück der TV-Erzählkunst. Ein perfekt ausgestatteter und gespielter Albtraum über das Reaktorunglück von 1986.
Chernobyl Mit Jared Harris, Stellan Skarsgård. Von Craig Mazin. 2 DVDs, 14 Euro oder Stream.
Christine Dössel
EIN GENUSS
Die Memoiren der wunderbaren Angela Winkler, nicht wichtigtuerisch, sondern so, wie sie ist: lebensfreudig, offen, unkonventionell. Ein episodenhaftes Buch, das wie ein frischer Luftzug daherweht. Man kann sich die Schauspielerin danach nicht mehr ohne Gummistiefel und dreckige Fingernägel vorstellen, so oft wie sie sich dem Beruf entzogen und mit ihrem Mann alte, entlegene Häuser umgebaut hat. Vier Kinder haben sie, eines mit Downsyndrom. Viel Freiheit ist hier zu spüren – als Basis feiner Kunst.
Angela Winkler: Mein blaues Zimmer. Autobiographische Skizzen. Kiwi, Köln 2019. 240 Seiten, 22 Euro.
EIN AUFREGER
Der Theaterprofessor und ehemalige SZ-Kritiker C. Bernd Sucher erzählt von seiner strengen, gefühlskalten jüdischen Mutter, einer KZ-Überlebenden – und damit viel von sich selbst. Ein sehr persönliches, berührendes, teils erschütterndes Buch, sowohl zeithistorisch als auch psychopathologisch interessant.
C. Bernd Sucher: Mamsi und ich.
Die Geschichte einer Befreiung. Piper, München 2019. 256 Seiten, 20 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
„Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht...“ Goethes Kultbriefroman „Die Leiden des jungen Werthers“, inbrünstig interpretiert von Philipp Hochmair, der selber ein Maniac ist und mit seinem Bühnensolo „Werther!“ seit 1997 tourt. Auch als Hörbuch ein irrer Gefühlstrip, begleitet von Hochmairs Band Die Elektrohand Gottes.
Philipp Hochmair / Die Elektrohand Gottes: Werther! Elektrohand Records, hoanzl.at. 18 Euro.
Lothar Müller
EIN LIEBESBEWEIS
Die Geschichte eines Bonvivants und Spions, eines Kommunisten, der Jude war, ohne es sein zu wollen, und doch blieb. Ein Rückblick auf die Kulturaristokratie der DDR und Deutschland im 20. Jahrhundert. Vor allem aber das Buch einer Tochter, die das abgründige Leben ihres Vaters erzählt, ohne ihm den Prozess zu machen.
Barbara Honigmann: Georg. Roman. Hanser, 2019, 160 Seiten, 18 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Der Staub, angeblich in Archiven zu Hause, ist eine Großmacht. Wer die Staubwolken und das Staubsieben nach der Lektüre dieses so gelehrten wie humorvollen Essays noch unterschätzt, dem ist nicht zu helfen.
Joachim Kalka: Staub. Berenberg Verlag, Berlin 2019, 152 S., 22 Euro).
EIN GENUSS
In diesem großen Roman des 19. Jahrhunderts findet das Welttheater in der englischen Provinz um 1830 statt. Eine kleine Frau mit runden Augen sieht darin aus wie ein gezähmter Falke. Die Autorin nimmt es nicht nur mit Liebe, Ökonomie und Politik auf, sondern auch mit den modernen Wissenschaften.
George Eliot: Middlemarch. Neuübersetzung. Rowohlt. 1264 S., 45 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Wer bei dem Wort „Traumlandschaften“ nicht an paradiesische Reiseziele denkt, sondern an das Unheimliche, die Ängste und Obsessionen, kommt als Teilnehmer dieser furiosen Expedition ins Reich der Finsternis infrage.
Mircea Cărtărescu: Solenoid. Roman. Zsolnay, 2019. 912 Seiten, 36 Euro.
Felix Stephan
EINE HILFE
Über die kommenden Zwanzigerjahre wird oft gesprochen, als stünde ein Revival des berühmten Vorgängerjahrzehnts aus dem 20. Jahrhundert an: Starke politische Ränder, soziale Ungleichheit und ein rasanter technologischer Wandel ergeben ein autoritäres Gebräu. Lehrreicher ist der Ansatz des Politologen Philip Manow: Er erklärt den Aufstieg des europäischen Populismus nicht anhand historischer Formatvorlagen, sondern anhand der ökonomischen Bedingungen der Gegenwart.
Philip Manow: Die politische Ökonomie des Populismus. Suhrkamp, Berlin 2018. 160 Seiten, 16 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Computerspiele sind ästhetisch unerfreulich, aber allgegenwärtig. Im Falle des monumentalen Computerspiel-Romans „Miami Punk“ von Juan S. Guse verhält es sich genau andersrum. Ein dunkles Zeichengewitter, eine soziologisch informierte Gesellschaftshochrechnung, Literatur aus der Zukunft.
Juan S. Guse: Miami Punk. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2019. 640 Seiten, 26 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
In „Menschheitsdämmerung“, der bedeutendsten Lyrik-Anthologie des deutschen Expressionismus, herrscht eine besondere Stimmung. Als wäre die deutsche Lyrik unter einem Apfelbaum eingedämmert und in einer industrialisierten Metropole wieder aufgewacht. Der Urknall des 20. Jahrhunderts.
Kurt Pinthus (Hg.): Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung. Rowohlt, Hamburg 2019. 448 Seiten, 34 Euro.
Catrin Lorch
EIN GENUSS
Ein Loch graben. Die Erde um die halbe Welt fahren. Wieder graben, wieder Erde verschiffen. Die in Nigeria geborene Otobong Nkanga bringt in ihren Werken Konzeptkunst und Kolonialismusdebatte zusammen – und es sieht fantastisch aus: Weil Otobong Nkanga auch das Buch dazu gezeichnet hat und die harte, künstlerische Setzung in eine bestechend klare, zarte Bildsprache übersetzt hat.
Otobong Nkanga: To Dig A Hole That Collapses Again. Katalog zur Ausstellung mit Essays von Omar Kholeif und Teju Cole. Museum of Contemporary Art Chicago und DelMonico Books, 2018. 41 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Klaus Theweleit hat alles erklärt. Die Männer, die Welt, wie das miteinander zusammenhängt. Mehr als tausend Seiten, die alle gelesen hatten, vor vierzig Jahren. Und offensichtlich vergessen haben – es ist ernüchternd, wie aktuell sich die Neuauflage liest.
Klaus Theweleit: Männerphantasien. Matthes & Seitz, Berlin 2019.
1278 Seiten, 42 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Ein Buch zum Ausklang des Bauhausjahres. Das „Notebook“ ist ein Faksimile des Hefts, in dem die Künstlerin Anni Albers sich Notizen machte. Mit Bleistift auf Karopapier, ein Webmuster nach dem anderen. Näher kann man der Kunst nicht kommen.
Anni Albers: Notebook
Nachwort von Brenda Danilowitz. David Zwirner Books, New York 2017. 152 Seiten, 26 Euro (über Buchhandlung Walther König).
Theresa Hein
EIN LIEBESBEWEIS
Es mag zwar sein, dass den beiden Genies ein bisschen mehr Duett-Routine gutgetan hätte. Das gelegentliche Gekicher von Johnny Cash macht aber jede Schlamperei vergessen. Vor allem für Menschen, die sich mit Bob Dylan eher schwertun.
Bob Dylan, Johnny Cash: Travelin’ Thru,1967 –1969: The Bootleg Series Volume 15. 3 CDs, 23 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Eine Kritik des 21. Jahrhunderts an dir, mir, uns. Ein Theatergedicht.
Wolfram Lotz: Die Politiker. Spector Books, Leipzig 2019. 96 Seiten, 10 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Phoebe Waller-Bridge spielt eine Frau, die Angst hat, dass sie habgierig, sexsüchtig, egoistisch, zynisch ist und zu allem Überfluss nicht mal eine gute Feministin. „Fleabag“ ist nicht nur die beste britische Serie der vergangenen Jahre, sondern zeigt nebenbei noch, wie erfüllend und notwendig die Liebe einer Schwester sein kann.
Fleabag Von und mit Phoebe Waller-Bridge. DVD/Bluray, 22 Euro/40 Euro. Oder via Streaming.
EIN AUFREGER
Wie geht eine Gesellschaft damit um, wenn herauskommt, dass ein gefeiertes Wissenschaftsgenie Kinder missbraucht? Hanya Yanagihara gibt in ihrem ersten Roman keine Antwort, dafür einem verachtenswerten Protagonisten eine Stimme. „Schwieriges Thema“ wäre eine Untertreibung.
Hanya Yanagihara: Das Volk der Bäume. Roman. Hanser Berlin, 2019. 478 Seiten, 25 Euro.
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»So verbinden sich die Episoden aus dem Leben mit der Liebe zur Kunst zu einem autobiografischen Skizzenbuch, das trotz aller literarischen Leichtigkeit nie oberflächlich daherkommt.« Rolf-Ruediger Hamacher Kölnische Rundschau 20200714