Einst Ort der Inspiration, an dem Herman Melville die Jagd auf Moby Dick beginnen ließ und dessen Licht Edward Hopper über dreißig Jahre lang malte, heute die Badewanne Bostons und begehrtes Urlaubsziel der Neuengländer: Seit jeher besticht Cape Cod mit dem rauen Charme seiner Küstenlandschaft ebenso wie durch seine reiche Geschichte und Kultur. Holger Teschke besucht die berühmte Landspitze von Massachusetts seit über zwanzig Jahren; in seinem Buch führt er Gespräche mit alten und jungen Einwohnern und begibt sich auf die Spuren der europäischen Entdecker und Kolonisten, der alten Walfänger, vergessenen Künstler und verschollenen Seefahrer. Er erinnert an Puritaner und Quäker im unfrommen Streit über kostbaren Tran, erzählt vom Clamming als neuem Volkssport und von Begegnungen mit Henry David Thoreau und Henry, dem Ranger. Der literarische Spaziergang führt den Leser über die Dünen von Race Point hin zu mythischen Leuchttürmen, in die trubeligen Bars von Provincetown und schließlich in die heimliche Hauptstadt Hyannis, das Tor zu Martha's Vineyard, wo schon die Kennedys die frische Atlantikbrise genossen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2015An der
Harpüne
Holger Teschkes
Liebeserklärung an Cape Cod
Angefangen hat alles mit „Moby Dick“.Holger Teschke verehrt sowohl den Wal als auch dessen Erfinder. Er hat den Roman selbst schon fürs Theater adaptiert. „Du und dein Melville“, sagt Karen einmal zu ihm. Sie ist die Frau, wegen der Teschke einst auf der amerikanischen Halbinsel Cape Cod geblieben ist – und wegen der Geschichten natürlich über Walfänger, Pilger und Künstler, auf deren Spuren er sich in seinem Buch „Mein Cape Cod“ begibt.
Teschke nennt Karen schüchtern seine Freundin, wie ein Schuljunge auf Klassenfahrt. Sie meint den zitierten Satz nicht böse, die beiden verbindet eine innige Liebe zur Literatur. Ansonsten bleibt die Frau an Teschkes Seite aber unsichtbar, bis auf ein kleines, liebevolles Detail: „Harpüne“, sagt sie – das „ü“ kann er ihr nicht abgewöhnen.
Das Buch ist wie ein ausgedehnter Spaziergang. Er begann 1989 in Provincetown, der Stadt der Weißen im Norden, führte über Sandwich, der Neuengland-Idylle im Osten, bis Hyannis, dem Kennedy-Wallfahrtsort im Süden – und wieder zurück, ohne wirkliches Ziel. Mal hält Teschke an einem Leuchtturm, um mit Karen nach Walen Ausschau zu halten. Dabei interessiert ihn aber vielmehr die dort ausgerichtete Modeausstellung der 1930er-Jahre, als die Damen der Bostoner High Society kamen, um sich von den Einheimischen Hüte und Schals aus Fischernetzen nähen zu lassen. Mal hält er an einem Hot-Dog-Stand, doch auch der ist nur Anlass, um das noch immer boomende Geschäft mit den Walen zu beschreiben. Statt sie zu fangen, werden sie heute beobachtet.
Irgendwann möchte man am liebsten selbst hinfahren und anschauen, was der Autor beschreibt. Das, was man eigentlich gar nicht sehen kann, sondern nur fühlen: das Flair. Aus vielen kleinen, teils abwegigen Anekdoten fügt sich ein Gefühl für die Atmosphäre auf Cape Cod, sie leben vom Kontrast zwischen dem intellektuellen Feingeist und dem touristischen Rummel um ihn herum. Diese Gegenwart, so Teschke, lasse sich am besten über die Vergangenheit verstehen.
Immer wieder landet Holger Teschke bei „Moby Dick“ und bei allem, wo Herman Melville seine Anregungen her hatte. Teschke stammt von Rügen. Die Entdeckung der Langsamkeit musste er nicht erst machen, er scheint sie schon nach Cape Cod mitgebracht zu haben.
Dass er dabei Stoffe aus fremden Büchern erzählt, stellt seine Belesenheit unter Beweis. Manchmal entsteht der Eindruck, dass er sich gerne in die lange Reihe der zitierten Autoren und Künstler reihen würde. In „Mein Cape Cod“ beschreibt er seine Sicht auf die Dinge – aber sie ist oft von anderen entliehen. Das wenige Persönliche, das Teschke preisgibt, ist eingespickt wie die Zitronenscheibe in einem Fischfilet. „Auf jedes Abschiedsdinner folgt der letzte Spaziergang am Meer, wobei man immer ein bisschen Sand in den Schuhen mitnehmen muss“, schreibt er. Die Sandkörner sind die vielen Begegnungen und Erinnerungen, sicher auch an Karen. Gerade sie dürften der Grund dafür sein, dass ein Deutscher an eine amerikanische Halbinsel eine „ transatlantische Liebeserklärung“ verfasst.
SINAH MÜLLER
Holger Teschke: Mein Cape Cod. Mare Verlag, Hamburg 2015. 232 Seiten, 18 Euro.
REISEBUCH
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Harpüne
Holger Teschkes
Liebeserklärung an Cape Cod
Angefangen hat alles mit „Moby Dick“.Holger Teschke verehrt sowohl den Wal als auch dessen Erfinder. Er hat den Roman selbst schon fürs Theater adaptiert. „Du und dein Melville“, sagt Karen einmal zu ihm. Sie ist die Frau, wegen der Teschke einst auf der amerikanischen Halbinsel Cape Cod geblieben ist – und wegen der Geschichten natürlich über Walfänger, Pilger und Künstler, auf deren Spuren er sich in seinem Buch „Mein Cape Cod“ begibt.
Teschke nennt Karen schüchtern seine Freundin, wie ein Schuljunge auf Klassenfahrt. Sie meint den zitierten Satz nicht böse, die beiden verbindet eine innige Liebe zur Literatur. Ansonsten bleibt die Frau an Teschkes Seite aber unsichtbar, bis auf ein kleines, liebevolles Detail: „Harpüne“, sagt sie – das „ü“ kann er ihr nicht abgewöhnen.
Das Buch ist wie ein ausgedehnter Spaziergang. Er begann 1989 in Provincetown, der Stadt der Weißen im Norden, führte über Sandwich, der Neuengland-Idylle im Osten, bis Hyannis, dem Kennedy-Wallfahrtsort im Süden – und wieder zurück, ohne wirkliches Ziel. Mal hält Teschke an einem Leuchtturm, um mit Karen nach Walen Ausschau zu halten. Dabei interessiert ihn aber vielmehr die dort ausgerichtete Modeausstellung der 1930er-Jahre, als die Damen der Bostoner High Society kamen, um sich von den Einheimischen Hüte und Schals aus Fischernetzen nähen zu lassen. Mal hält er an einem Hot-Dog-Stand, doch auch der ist nur Anlass, um das noch immer boomende Geschäft mit den Walen zu beschreiben. Statt sie zu fangen, werden sie heute beobachtet.
Irgendwann möchte man am liebsten selbst hinfahren und anschauen, was der Autor beschreibt. Das, was man eigentlich gar nicht sehen kann, sondern nur fühlen: das Flair. Aus vielen kleinen, teils abwegigen Anekdoten fügt sich ein Gefühl für die Atmosphäre auf Cape Cod, sie leben vom Kontrast zwischen dem intellektuellen Feingeist und dem touristischen Rummel um ihn herum. Diese Gegenwart, so Teschke, lasse sich am besten über die Vergangenheit verstehen.
Immer wieder landet Holger Teschke bei „Moby Dick“ und bei allem, wo Herman Melville seine Anregungen her hatte. Teschke stammt von Rügen. Die Entdeckung der Langsamkeit musste er nicht erst machen, er scheint sie schon nach Cape Cod mitgebracht zu haben.
Dass er dabei Stoffe aus fremden Büchern erzählt, stellt seine Belesenheit unter Beweis. Manchmal entsteht der Eindruck, dass er sich gerne in die lange Reihe der zitierten Autoren und Künstler reihen würde. In „Mein Cape Cod“ beschreibt er seine Sicht auf die Dinge – aber sie ist oft von anderen entliehen. Das wenige Persönliche, das Teschke preisgibt, ist eingespickt wie die Zitronenscheibe in einem Fischfilet. „Auf jedes Abschiedsdinner folgt der letzte Spaziergang am Meer, wobei man immer ein bisschen Sand in den Schuhen mitnehmen muss“, schreibt er. Die Sandkörner sind die vielen Begegnungen und Erinnerungen, sicher auch an Karen. Gerade sie dürften der Grund dafür sein, dass ein Deutscher an eine amerikanische Halbinsel eine „ transatlantische Liebeserklärung“ verfasst.
SINAH MÜLLER
Holger Teschke: Mein Cape Cod. Mare Verlag, Hamburg 2015. 232 Seiten, 18 Euro.
REISEBUCH
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de