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Ein furioser, aber auch eitler Wütender: Ralph Giordano präsentiert in seinem Tagebuch eine Abrechnung mit der Gegenwart - und ein Dokument der Angst vor Rechtlosigkeit und Gewalt.
Wenn der tapfere Kämpfer Ralph Giordano ein Tagebuch vorlegt, erwarten seine geneigten Leser kraftvolle Verlautbarungen. So überrascht die erste Eintragung nach seinem sechsundachtzigsten Geburtstag am 20. März 2009 durch niedliche Intimität. "Knuffi-Kirschauge", ein Stoffwelpe, bekommt morgens einen Kuss auf die schwarze Nase gedrückt und schaut dann "so inniglich", dass sein Herrchen ausnahmsweise einmal "sprachlos" ist. Aber keine Sorge, das dauert nicht lange, dann hagelt es die gewohnten Mahnungen und Appelle. Immerfort ist Ralph Giordano alarmiert, empört, betroffen und wütend. Was immer auf der Welt geschieht, er hat unverzüglich eine Meinung dazu.
Im Fortgang der Eintragungen wird allerdings deutlich, dass Giordano nach den hasserfüllten Angriffen wegen seiner Stellungnahmen zum Islam weniger denn je über ein gehärtetes Selbstbewusstsein verfügt. Viel prägnanter als sein Mut zur Dissidenz zeigt sich im Tagebuch die bange Identifikation mit der Normalität eines demokratischen Deutschland. Sie soll dem Autor die Sicherheit vermitteln, nie wieder zu den Unterlegenen zu gehören. So beunruhigen ihn bei Landtagswahlen im Osten die "Veränderungen im Parteiengesicht", und er hofft, dass Angela Merkel den Laden zusammenhalten kann. Derart interpretiert er die Freiheit "total ichbezogen". Wo er sich bedroht sieht, wittert er Gefahr für das deutsche Gemeinwesen. Dominik Brunner wird ihm aus der Erinnerung an die eigene Angst vor dem jederzeit möglichen Gewalttod zum Helden, deshalb gibt er für prügelnde Jugendliche kein Pardon: "Ich plädiere für die Höchststrafe." Wenn Claus Leggewie oder Micha Brumlik ihn kritisieren, sieht er sich der "Fatwa" ausgesetzt und insgesamt die Meinungsfreiheit durch das pathologische Verhalten "professioneller Hassprediger" bedroht. So freut er sich, wenn "die deutsche Meinungsbesitzer-Szene" von Peter Sloterdijk "schallende Ohrfeigen" erhält.
Regimetreuen Chinesen redet man nicht nach dem Mund, schon gar nicht auf der Buchmesse. "Da gibt es kein Lavieren", sonst verkommt Kultur zu schlechter Außenpolitik wie unter Gerhard Schröder. Thilo Sarrazins Feinde verfahren nach "Kläffköterart", während die Schweizer Entscheidung gegen Minarette den Mut zu wahrer Demokratie zeigt. Da wird dann selbst der mitunter sonderliche Roger Köppel zum Verbündeten gegen "die islamophilen Kritikabstinenzler". Von den gefälschten Wahlen in Iran bis zum Einsturz des Stadtarchivs in Köln führt jedes Ereignis zu der Frage, wo Ralph Giordano steht. Und wo er steht, da sind Wahrheitssuche und Kontinuität. "Es gibt keinen Bruch" in seinen Überzeugungen - und deshalb auch keine konservative Wende.
Mehr als die teils krampfhaften, teils amüsanten Wortprägungen der Abgrenzung gegenüber allerlei Idioten, Anpassern und Feiglingen irritiert ein heftiges Bedürfnis nach aneignender Bewunderung. Da geraten dann Georg Elser oder Victor Klemperer, von dem der Titel entlehnt ist, in die Gesellschaft des furchtlosen Sarrazin, an dessen inkriminierten Formulierungen zu den Kopftuchmädchen er sich im Tagebuch beinahe genüsslich erfreut: "Bravo, Thilo Sarrazin!". Und auch dem Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard, der "alte Wikinger", noch ein begeistertes "Bravo!" zugerufen. Deutschland soll kein "kritikgeräumtes Schussfeld der Islamophilie" werden.
Als wichtigstes Ereignis aber erscheint in dieser anderen Art des Jahresrückblicks der Nobelpreis für Herta Müller. Immer wieder notiert Giordano Sätze von ihr, die ihn tief berühren. "Da könnte ich auf die Knie gehen, das geht mir durch und durch, das ist Verwandtschaft aus gleich oder ähnlich Erlebtem." Nur zu begreiflich, dass Giordano in Herta Müllers Anschreiben gegen die Angst seinen eigenen Antrieb zur immer erneuten Intervention wiedererkennt, dennoch peinigt die vereinnahmende Distanzlosigkeit ebenso wie die Art und Weise, wie der Schriftsteller mit Phrasen um sich drischt.
Giordano ist zu Recht stolz auf seine Rolle in der bundesrepublikanischen Auseinandersetzung mit dem totalitären Exzess, trotzdem fühlt sich der Leser als Voyeur seiner beinahe täglichen Selbstbespiegelung unbehaglich, nicht einmal die erfreulichen Ergebnisse der letzten Blutuntersuchung bleiben ihm erspart. Was den Nachgeborenen als Eitelkeit erscheinen mag, ist aber vermutlich immer wieder erneuter Ausdruck des Triumphs über die Gewalt.
FRIEDMAR APEL
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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