Im Jahr 1944 wird der 18jährige Gerhard Freund zur Wehrmacht eingezogen und nach Paris geschickt, wo er die besetzte Stadt gegen die heranrückenden Alliierten verteidigen soll. Dem „heroischen Entschluss“ mag er nicht folgen und desertiert, gerät dann aber zunächst in die Fänge der Résistance und
anschließend in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Mehr als 60 Jahre später findet sein Sohn René …mehrIm Jahr 1944 wird der 18jährige Gerhard Freund zur Wehrmacht eingezogen und nach Paris geschickt, wo er die besetzte Stadt gegen die heranrückenden Alliierten verteidigen soll. Dem „heroischen Entschluss“ mag er nicht folgen und desertiert, gerät dann aber zunächst in die Fänge der Résistance und anschließend in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Mehr als 60 Jahre später findet sein Sohn René Freund im Nachlass des Vaters dessen Kriegstagebuch, das er am Abreisetag Richtung Paris begonnen hatte zu schreiben. Bei der Lektüre erfährt er vieles, worüber der Vater nie gesprochen hat. Im Bemühen, dem Vater noch näher zu kommen, fährt er nach Paris.
Wow, was für ein Buch! Ich lese ja ohnehin sehr gerne Zeitgeschichtliches, aber dieses Buch hatte für mich etwas ganz Besonderes.
Da war zunächst mal die Ausgangssituation: Ein Sohn findet das Kriegstagebuch seines Vaters und ergreift die Gelegenheit, mehr über ihn zu erfahren. Ich kann das sehr gut nachvollziehen! Es gibt ja Zeitzeugen, die über ihre Erlebnisse sprechen. Aber nicht wenige Menschen sind dazu überhaupt nicht in der Lage – ein aus Selbstschutz errichteter Verdrängungsmechanismus hält sie davon ab. Und auch wir tun uns oft schwer, aktiv auf die Älteren zuzugehen und Fragen zu stellen. Zumal wenn man befürchten muss, dabei Wunden aufzureißen.
Das Tagebuch tat das, was ein Tagebuch soll: Es nahm ganz persönliche Eindrücke und Empfindungen des Schreibers auf. Als Leser ist man dadurch sehr viel näher am Geschehen, als es ein reiner Tatsachenbericht bieten könnte.
Der 18jährige Gerhard Freund hat sich bestimmt nicht vorgestellt, dass sein Tagebuch 70 Jahre später der Öffentlichkeit bekannt gemacht würde. Für ihn war es wohl nur ein Weg, seine Ängste zu verarbeiten. Ich habe selbst einen 18jährigen Sohn und ich weiß, wie verletzlich so ein junger Mann unter seiner oft coolen Schale ist.
Bemerkenswert ist, wie gut und ausführlich die Einträge geschrieben sind. Zudem findet sich im Schreibstil immer wieder eine herrliche Ironie, an anderen Stellen aber eine auffällige Nüchternheit. Für mich ein deutliches Zeichen dafür, wie schwer die Situation für den jungen Mann war. Ein Beispiel: In einem Eintrag beschreibt er das Einladen von Verwundeten in einen Eisenbahnwaggon. Man sollte erwarten, detaillierte Beschreibungen von Verletzungen zu lesen. Aber weit gefehlt, der Abschnitt wirkt eher distanziert. Ich denke, anders zu schreiben, wäre ihm wohl kaum möglich gewesen, um in dieser Situation überhaupt weitermachen zu können.
Das Buch verbindet die persönlichen Schilderungen des jungen Gerhard Freunds mit denen seines Sohnes im Jahr 2010. René Freund las nicht nur das Kriegstagebuch seines Vaters, er suchte weitere Informationen, durchstöberte Archive und redete mit Zeitzeugen. Und er dachte nach – wie man in einer solchen Situation nachdenkt: Was hat er (der Vater) wohl empfunden, was hat er gedacht? Was hätte ich in einer Lage wie der seinen getan? Wie ist das überhaupt mit der Frage nach der Rechtfertigung eines Kriegs? Macht man es sich nicht zu einfach, wenn man sagt, dass man ein Kriegsgegner ist?
Eins wurde mir schnell klar: Dieses Buch bietet reichlich Stoff zum Nachdenken. Wenn ich nicht gerade über das Gelesene nachdachte (und also weiterlas) nahm ich immer neue Informationen auf. Sowohl über den zweiten Weltkrieg als auch über die Familie des Autors. Auch hierzu hat er wieder recherchiert, in Nachlässen gesucht, Ämter angeschrieben. Am Ende stehen mir viele Mitglieder der Familie deutlich vor Augen… Ich weiß ja nicht, wie es anderen Lesern geht, aber schreckliche Ereignisse machen mich häufig umso betroffener, wenn ich sie mit Namen und Gesichtern verbinden kann.
Der „D-Day“ – ein weiteres großes Thema dieses Buchs. Auch hier begibt sich René Freund wieder auf die Reise. An den Originalschauplätzen, den bekannten Strandabschnitten in der Normandie, verbindet er erneut seine eigenen Gedanken mit Informationen.
Ich denke, G.F. hätte dieses Buch gefallen.