100 Jahre mussten wir warten, denn Mark Twain hatte verfügt, dass seine Autobiographie, sein letztes, größtes Werk, erst 100 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden darf - und er schuf damit einen Sensationserfolg. Leidenschaftlich und radikal lässt der größte amerikanische Schriftsteller in seiner Autobiographie vieles in neuem Licht erscheinen, oft klingt es, als kritisierte er die aktuellen Ereignisse, die uns heute mehr denn je bewegen. Aber auch lustig, liebevoll oder mit großen Gefühlen erzählt er von seiner Familie und von Schicksalsschlägen, von skurrilen Begegnungen mit den Großen und mit den verachtenswerten »Zwergen« seiner Zeit. Diese Textedition enthält ausschließlich den kompletten von Mark Twain verfassten Text seiner Autobiographie.
buecher-magazin.deEine Art "Best Of" aus Mark Twains autobiografischen Texten präsentiert das von Harry Rowohlt eingelesene Hörbuch. Dass sich die Audiofassung an der Vorlage wie an einem Buffet bedient, entspricht durchaus deren Geist. Ein kontinuierlicher Erzählfaden jedenfalls wird nicht durchschnitten, da es gar keinen gibt. Trotzdem geht natürlich vieles verloren; nicht zuletzt die historische Navigationshilfe des kompletten Zusatzbandes. Als literarisches Schmankerl bietet das Hörbuch dennoch sowohl eine bequeme Alternative zu dem wuchtigen Wälzer als auch eine sinnvolle Ergänzung. Zumal der größte Teil der Autobiografie ja im gesprochenen Wort seinen Ursprung hat. Kaum einer hätte Twains Diktate authentischer zu neuem Leben erwecken können als Harry Rowohlt mit seiner je nach Sujet mal bärbeißigen, mal polternd schwadronierenden, mal sanft melancholischen Stimme.
© BÜCHERmagazin, Stefan Volk (smv)
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Dem Autor zu Ehren gereicht diese Autobiografie wohl mehr als dem Leser zum Genuss. Das jedenfalls legt Frank Schäfer nahe, wenn er erklärt, dass man so einen Wälzer beileibe nicht von vorn bis hinten zu lesen hat, reinschmökern genügt. Langweiliges steht drin, meint Schäfer, Bekanntes, aber auch Großes vom pointenschleudernden Menschenkenner Twain. Darüber hinaus viel Überflüssiges, das Schäfer beinahe scheitern lässt, das gibt er unumwunden zu, an dieser aufs Unfertige bauenden Autobiografie, dieser Bastelei aus Tagebuch und Geschichte. Das ist modern, keine Frage für den Rezensenten. Dass man ihm auch noch den Apparat als Beiband zumutet, Editionsphilologisches etc., findet Schäfer hingegen übertrieben, so etwas kommt heutzutage ins Netz, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012Ein Abglanz seiner Beredsamkeit
Das Projekt, sein Leben zu erzählen, beschäftigte Mark Twain jahrzehntelang. Nun erscheint der erste Band seiner Autobiographie.
Von Tilman Spreckelsen
Wenn in der Liebe wirklich jede List erlaubt sein sollte, dann wird man auch die Mittel, die der Journalist Samuel Clemens bei seiner Werbung um Olivia Langdon einsetzte, eher kurios als bedenklich finden. Der Amerikaner Clemens hatte sich während einer Schiffsreise mit einem Landsmann durch den Mittelmeerraum in die Schwester des Mitreisenden verliebt, die zwar wegen eines schon früh erlittenen Unfalls von labiler Gesundheit und daher zu Hause geblieben war, aber als Miniaturbild in der Hand ihres Bruders offenbar einige Präsenz zeigte. Der 32 Jahre alte Clemens jedenfalls freundete sich mit jenem Charles Langdon an, ließ sich zu dessen Eltern einladen, um Olivia kennenzulernen, machte ihr einen Heiratsantrag, kassierte einen Korb, fädelte einen Briefwechsel mit der Zweiundzwanzigjährigen ein sowie wenig später einen neuen Besuch. Der, so viel stand fest, würde die Sache entscheiden.
Samuel Clemens, der sich als Autor den Namen Mark Twain verpasste, hat die Geschichte seiner Bewerbung um Olivias Hand recht freimütig in seiner voluminösen Autobiographie beschrieben, über die er allerdings einmal verfügte, sie möge erst hundert Jahre nach seinem Tod publiziert werden, weil er nur so ohne jede Rücksichtnahme die Dinge so darstellen könne, wie sie eben waren. Twain starb 1910, und mit dem gehörigen Abstand zum amerikanischen Original (F.A.Z. vom 27. November 2010) ist nun der erste Teil des Riesenmanuskripts auch auf Deutsch erschienen, zusammen mit einem großen Material- und Anmerkungsband, der selbst wiederum knapp vierhundert Seiten füllt. Zwei weitere Textbände sollen folgen.
Das riecht nach einer Sensation. "Nach hundert Jahren erstmals veröffentlicht" steht auf dem Schuber, das ist sogar korrekt - und gleichzeitig maßlos übertrieben. Denn die Geschichte vom geheimen Konvolut und seinen nun zu erwartenden Enthüllungen in schonungsloser Offenheit hat den Schönheitsfehler, dass große Teile aus dem nun publizierten ersten Band schon seit Jahrzehnten im Druck vorliegen. Einige sogar seit mehr als hundert Jahren.
Die Geschichte ist verwickelt, lohnt aber das Erzählen, weil sie die Widersprüche, die Begeisterungsphasen und Ernüchterungen zeigt, die der Autor im Verlauf der langwierigen Beschäftigung mit diesem Projekt durchlebte. Dabei war von Anfang an die Frage, wann und in welcher Weise eine von Twain verfasste Autobiographie publiziert werden sollte, ebenso Gegenstand seiner Überlegungen wie die nach der Struktur des Textes. Am Ende verwarf Twain den Gedanken einer chronologischen Ordnung des Erzählten von der Geburt bis zum Greisenalter zugunsten einer eher assoziativen Erzählung.
Das ist wörtlich zu verstehen, denn nach einigen Anläufen wurde aus dem Schreiben der Autobiographie ein Diktieren, womit sich Twain in den letzten Jahren seines Lebens offenbar viel wohler fühlte, konnte er doch an der Reaktion seiner Zuhörer - die Stenotypistin sowie ein befreundeter Journalist - ablesen, wie seine Suada aufgenommen wurde. Es war eine Rückkehr zu einer Mitteilungsform, in der Twain seit jungen Jahren geübt war, deren Eigenheiten er wiederum in seinen Texten oft genug analysiert hatte und der er einen nicht unerheblichen Teil seiner Einkünfte verdankte. Denn mit seinen Vorträgen war der einstige Lokaljournalist bekannt geworden, und auch nach dem kommerziellen Erfolg von "Die Arglosen im Ausland" oder "Tom Sawyer" trat er weiterhin als Redner auf und war dabei offenbar äußerst beliebt.
Die Diktate, deren Anfänge in die Jahre nach 1880 zurückreichen, wurden immer wieder unterbrochen und neu aufgenommen, die Typoskripte jeweils von Twain durchgesehen, korrigiert und ergänzt, zum Beispiel durch Hinweise auf bereits erschienene Zeitungsartikel, die eingefügt werden sollten. Vor allem aber gab es - dem projektierten Charakter der geheimen, erst viel später zu publizierenden Autobiographie zum Trotz - schon während ihrer Entstehung Pläne eines Abdrucks einzelner Passagen in einer Zeitschrift, die auch verwirklicht wurden.
Und zwar zu Lebzeiten Twains, so wie es auch bald nach dem Tod des Autors weitere Publikationen ausgewählter Teile gab. Das geht so weit, dass es - kennt man zum Beispiel die 1969 bei Aufbau erschienenen "Autobiographischen Schriften" des Autors - in dem jetzt im selben Verlag erschienenen Band inhaltlich kaum Überraschungen gibt, wenigstens in den besonders prägnanten Stationen von Twains Lebensweg. Die Kindheit, die Familiengeschichte, die Jahre als junger Journalist und natürlich auch die Liebesgeschichte mit Olivia Langdon: All dies findet man, wenigstens dem Inhalt nach, schon in früheren Ausgaben.
Und trotzdem wird man den neuen Band nicht mehr aus der Hand legen, so reich, so erstaunlich sind diese diktierten Erinnerungen, und so armselig wirkt manches in den bisher veröffentlichten Fassungen, die unterschiedliche Grade an Bearbeitung über sich ergehen lassen mussten. Die jetzigen Herausgeber des vollständigen Typoskripts verzichten vollständig darauf, die abschweifenden Notate gewaltsam zum Spiegel eines Lebenslaufs umzuformen, so dass der eigentliche Charakter des Texts sichtbar wird: Twain will beileibe nicht vollständig berichten, was war, sondern das, was seiner Ansicht nach dringend festgehalten werden sollte, also etwa die Wesenszüge der geliebten Tochter Susy nach deren Tod mit gerade 24 Jahren. Twain schüttelt Merksprüche aus dem Ärmel, wo es sich anbietet (etwa: "Ich bezweifle, dass Gott uns irgendetwas geschenkt hat, was, in Maßen genossen, ungesund ist, ausgenommen Mikroben"), ist immer lustig, fast immer tief und nur ganz selten redundant. So liegt ein Abglanz jener stupenden Beredsamkeit über dem Buch, mit der er wohl einst Olivias Herz gewann.
Die Gelegenheit dazu bot sich, als er bei dem erzwungenen Abschied aus ihrem Elternhaus nach einem harmlosen Unfall eine Krankheit simulierte, die Olivias Pflege notwendig machte. Irgendwann waren die beiden verlobt. Es scheint, dass sie sehr glücklich miteinander geworden sind.
Mark Twain: "Meine geheime Autobiographie".
Hrsg. von Harriet E. Smith. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Aufbau Verlag, Berlin 2012. 2 Bde., 1129 S., geb./br., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Projekt, sein Leben zu erzählen, beschäftigte Mark Twain jahrzehntelang. Nun erscheint der erste Band seiner Autobiographie.
Von Tilman Spreckelsen
Wenn in der Liebe wirklich jede List erlaubt sein sollte, dann wird man auch die Mittel, die der Journalist Samuel Clemens bei seiner Werbung um Olivia Langdon einsetzte, eher kurios als bedenklich finden. Der Amerikaner Clemens hatte sich während einer Schiffsreise mit einem Landsmann durch den Mittelmeerraum in die Schwester des Mitreisenden verliebt, die zwar wegen eines schon früh erlittenen Unfalls von labiler Gesundheit und daher zu Hause geblieben war, aber als Miniaturbild in der Hand ihres Bruders offenbar einige Präsenz zeigte. Der 32 Jahre alte Clemens jedenfalls freundete sich mit jenem Charles Langdon an, ließ sich zu dessen Eltern einladen, um Olivia kennenzulernen, machte ihr einen Heiratsantrag, kassierte einen Korb, fädelte einen Briefwechsel mit der Zweiundzwanzigjährigen ein sowie wenig später einen neuen Besuch. Der, so viel stand fest, würde die Sache entscheiden.
Samuel Clemens, der sich als Autor den Namen Mark Twain verpasste, hat die Geschichte seiner Bewerbung um Olivias Hand recht freimütig in seiner voluminösen Autobiographie beschrieben, über die er allerdings einmal verfügte, sie möge erst hundert Jahre nach seinem Tod publiziert werden, weil er nur so ohne jede Rücksichtnahme die Dinge so darstellen könne, wie sie eben waren. Twain starb 1910, und mit dem gehörigen Abstand zum amerikanischen Original (F.A.Z. vom 27. November 2010) ist nun der erste Teil des Riesenmanuskripts auch auf Deutsch erschienen, zusammen mit einem großen Material- und Anmerkungsband, der selbst wiederum knapp vierhundert Seiten füllt. Zwei weitere Textbände sollen folgen.
Das riecht nach einer Sensation. "Nach hundert Jahren erstmals veröffentlicht" steht auf dem Schuber, das ist sogar korrekt - und gleichzeitig maßlos übertrieben. Denn die Geschichte vom geheimen Konvolut und seinen nun zu erwartenden Enthüllungen in schonungsloser Offenheit hat den Schönheitsfehler, dass große Teile aus dem nun publizierten ersten Band schon seit Jahrzehnten im Druck vorliegen. Einige sogar seit mehr als hundert Jahren.
Die Geschichte ist verwickelt, lohnt aber das Erzählen, weil sie die Widersprüche, die Begeisterungsphasen und Ernüchterungen zeigt, die der Autor im Verlauf der langwierigen Beschäftigung mit diesem Projekt durchlebte. Dabei war von Anfang an die Frage, wann und in welcher Weise eine von Twain verfasste Autobiographie publiziert werden sollte, ebenso Gegenstand seiner Überlegungen wie die nach der Struktur des Textes. Am Ende verwarf Twain den Gedanken einer chronologischen Ordnung des Erzählten von der Geburt bis zum Greisenalter zugunsten einer eher assoziativen Erzählung.
Das ist wörtlich zu verstehen, denn nach einigen Anläufen wurde aus dem Schreiben der Autobiographie ein Diktieren, womit sich Twain in den letzten Jahren seines Lebens offenbar viel wohler fühlte, konnte er doch an der Reaktion seiner Zuhörer - die Stenotypistin sowie ein befreundeter Journalist - ablesen, wie seine Suada aufgenommen wurde. Es war eine Rückkehr zu einer Mitteilungsform, in der Twain seit jungen Jahren geübt war, deren Eigenheiten er wiederum in seinen Texten oft genug analysiert hatte und der er einen nicht unerheblichen Teil seiner Einkünfte verdankte. Denn mit seinen Vorträgen war der einstige Lokaljournalist bekannt geworden, und auch nach dem kommerziellen Erfolg von "Die Arglosen im Ausland" oder "Tom Sawyer" trat er weiterhin als Redner auf und war dabei offenbar äußerst beliebt.
Die Diktate, deren Anfänge in die Jahre nach 1880 zurückreichen, wurden immer wieder unterbrochen und neu aufgenommen, die Typoskripte jeweils von Twain durchgesehen, korrigiert und ergänzt, zum Beispiel durch Hinweise auf bereits erschienene Zeitungsartikel, die eingefügt werden sollten. Vor allem aber gab es - dem projektierten Charakter der geheimen, erst viel später zu publizierenden Autobiographie zum Trotz - schon während ihrer Entstehung Pläne eines Abdrucks einzelner Passagen in einer Zeitschrift, die auch verwirklicht wurden.
Und zwar zu Lebzeiten Twains, so wie es auch bald nach dem Tod des Autors weitere Publikationen ausgewählter Teile gab. Das geht so weit, dass es - kennt man zum Beispiel die 1969 bei Aufbau erschienenen "Autobiographischen Schriften" des Autors - in dem jetzt im selben Verlag erschienenen Band inhaltlich kaum Überraschungen gibt, wenigstens in den besonders prägnanten Stationen von Twains Lebensweg. Die Kindheit, die Familiengeschichte, die Jahre als junger Journalist und natürlich auch die Liebesgeschichte mit Olivia Langdon: All dies findet man, wenigstens dem Inhalt nach, schon in früheren Ausgaben.
Und trotzdem wird man den neuen Band nicht mehr aus der Hand legen, so reich, so erstaunlich sind diese diktierten Erinnerungen, und so armselig wirkt manches in den bisher veröffentlichten Fassungen, die unterschiedliche Grade an Bearbeitung über sich ergehen lassen mussten. Die jetzigen Herausgeber des vollständigen Typoskripts verzichten vollständig darauf, die abschweifenden Notate gewaltsam zum Spiegel eines Lebenslaufs umzuformen, so dass der eigentliche Charakter des Texts sichtbar wird: Twain will beileibe nicht vollständig berichten, was war, sondern das, was seiner Ansicht nach dringend festgehalten werden sollte, also etwa die Wesenszüge der geliebten Tochter Susy nach deren Tod mit gerade 24 Jahren. Twain schüttelt Merksprüche aus dem Ärmel, wo es sich anbietet (etwa: "Ich bezweifle, dass Gott uns irgendetwas geschenkt hat, was, in Maßen genossen, ungesund ist, ausgenommen Mikroben"), ist immer lustig, fast immer tief und nur ganz selten redundant. So liegt ein Abglanz jener stupenden Beredsamkeit über dem Buch, mit der er wohl einst Olivias Herz gewann.
Die Gelegenheit dazu bot sich, als er bei dem erzwungenen Abschied aus ihrem Elternhaus nach einem harmlosen Unfall eine Krankheit simulierte, die Olivias Pflege notwendig machte. Irgendwann waren die beiden verlobt. Es scheint, dass sie sehr glücklich miteinander geworden sind.
Mark Twain: "Meine geheime Autobiographie".
Hrsg. von Harriet E. Smith. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Aufbau Verlag, Berlin 2012. 2 Bde., 1129 S., geb./br., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
» Genau das Richtige für: Nostalgiker, Abenteurer und Kämpfernaturen, aber auch für Familienväter, Kindsköpfe und alle Menschen mit einem großen Herz. « Silke Arning SWR 1 20121210
"Ein fantastisches, spannendes, bewegendes, lustiges, tiefgründiges Hörbuch, fabelhaft gelesen von Harry Rowohlt."
"(…) dass Twain selbst verfügt hat, dass sein Werk erst 100 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden soll, macht das Hören noch reizvoller."