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Träumen, Erfinden, Erinnern: Ein großer Roman über eine kleine Frau Ich habe meine Großmutter gekannt, aber ich wusste nicht, dass sie es war. Linda, Übersetzerin aus dem Persischen, lässt sich gern von ihren Träumen lenken, und so findet sie sich eines Tages in Lüneburg wieder: Dort lebte ihre kaum gekannte Großmutter Ida unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, geflohen aus Oberschlesien, verwitwet, mit fünf Kindern. Knapp eineinhalb Meter groß, arbeitete sie für »Direktor des englischen Kinos«. Dieser Halbsatz entzündet Lindas Phantasie, und schon ist sie mitten in der Zeit der britischen…mehr

Produktbeschreibung
Träumen, Erfinden, Erinnern: Ein großer Roman über eine kleine Frau Ich habe meine Großmutter gekannt, aber ich wusste nicht, dass sie es war. Linda, Übersetzerin aus dem Persischen, lässt sich gern von ihren Träumen lenken, und so findet sie sich eines Tages in Lüneburg wieder: Dort lebte ihre kaum gekannte Großmutter Ida unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, geflohen aus Oberschlesien, verwitwet, mit fünf Kindern. Knapp eineinhalb Meter groß, arbeitete sie für »Direktor des englischen Kinos«. Dieser Halbsatz entzündet Lindas Phantasie, und schon ist sie mitten in der Zeit der britischen Besatzung, von 1945 bis 1949: Ida verliert ihren Mann, Ida schrubbt Wäsche für die Tommys, und Ida begegnet Mr. Thursday. Sie fängt bei ihm im »Astra Cinema« an und merkt vor lauter Begeisterung für die Filme kaum, dass er sich in sie verliebt … Das Kino wird zum Gegenbild für die raue Wirklichkeit, durch die Ida und ihre kleine Rasselbande sich als »Flüchter« durchboxen, mit Einfallsreichtum, der Kraft der Träume und der Liebe, die sie verbindet. Indem Linda aus Sehnsucht nach der Großmutter, die sie nicht hatte, zu deren Erzählerin wird, verändert sie sich selbst – und erzählt noch dazu die Geschichte einer ganzen Epoche.
Autorenporträt
Tanja Langer, geb. 1962 in Wiesbaden, studierte Vergleichende Literaturwissenschaften, Politologie, Kunstgeschichte und Philosophie in München, Paris und Berlin. Sie inszenierte zahlreiche Theaterstücke, publizierte in großen Tageszeitungen und veröffentlichte Erzählungen, Hörspiele und Romane, zuletzt »Der Tag ist hell, ich schreibe dir« (2012; 2019 als Hörbuch gelesen von Eva Mattes) und »Der Maler Munch« (2013). Sie schreibt für bildende Künstler und Neue Musik, u. a. das Libretto für die Oper »Kleist« von Rainer Rubbert (2008). Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2020

Reitende Diener
Tanja Langers Lüneburg-Roman

Vor dreißig Jahren, zeitgleich zum Fall der Berliner Mauer, fiel auch endgültig die Mauer zwischen Unterhaltungsliteratur und sogenannter hoher oder ernster Literatur. Bestsellerautoren wurden nun nicht mehr mit Neid oder Verachtung gestraft, sie avancierten zu Vorbildern, denen es nachzueifern galt: Nicht Kafka oder Beckett - Isabel Allende und J. K. Rowling waren angesagt.

Im deutschen Sprachraum gehört Tanja Langer zu den Schriftstellerinnen, denen es scheinbar mühelos gelingt, die Komplexität zu reduzieren, ohne in Trivialität abzugleiten oder die Kunst an den Kommerz zu verraten, im Gegenteil: Ihr Roman "Die kleine Großmutter & Mr. Thursday oder Die Erfindung der Erinnerung" ist ein gutes Beispiel dafür. Die Leichtigkeit ihres der Alltagssprache angenäherten Stils ist charakteristisch für die Autorin, doch der lockere Ton täuscht, weil es um sehr ernste Themen geht: Um Flucht und Vertreibung, Krieg und Nachkrieg und die Suche nach einem neuen Zuhause, einem schützenden Dach auf den in Besatzungszonen geteilten Trümmern des Dritten Reiches. Und es geht um Muster der Erinnerung, welche die der Autorin nahestehende Erzählerin mit dem Perserteppich vergleicht, auf dem ihr Vater sie zeugte und nicht zeugte, denn in Wahrheit hat ein Nachbar, mit dem die Mutter ein Verhältnis hatte, sie dort gezeugt.

Doch nicht die Erzählerin steht im Mittelpunkt des Textes, sondern ihre Großmutter, die so klein ist, dass sie bei Tisch auf zwei Kissen sitzen und später, als Kinovorführerin, auf eine Trittleiter steigen muss, um die Filmrollen zu wechseln. Die Geschichte beginnt im oberschlesischen Beuthen, von wo diese Ida mit vergipstem Bein und vier Kindern vor der Sowjetarmee flieht, und endet auf Zypern, wo sie hochbetagt verstirbt. Doch nicht Wiesbaden, wo sie im Zuge des Wirtschaftswunders zu Wohlstand gelangen wird, sondern Lüneburg ist der Schauplatz des Romans, der unter britischem Besatzungsregime in der frühen Nachkriegszeit spielt. Die alte Hansestadt mit ihren winkligen Gassen, Kopfsteinpflaster und Fachwerkhäusern ist, wie Thomas Manns Lübeck, geprägt von hanseatischer Wohlanständigkeit, hinter der sich Standesdünkel verbergen und eine naziaffine Fremdenfeindlichkeit, die nach den Juden auch die Flüchtlinge aus dem Osten zu spüren bekommen.

Tanja Langer hat einen Lüneburg-Roman geschrieben, der nicht nur wegen poetisch klingender Straßennamen wie "Auf dem Meere", "Straße der Reitenden Diener", "Liebesgrund" literarische Funken schlägt. Die Erzählerin hat Persisch studiert, und der fliegende Teppich ihrer Phantasie verknüpft den Vormarsch der britischen Rheinarmee, die Befreiung Bergen-Belsens und den Suizid Heinrich Himmlers, der beim Verhör in Lüneburg eine Zyankalikapsel zerbeißt, mit dem Treffen von Churchill, Roosevelt und Stalin in Teheran, wo die Teilung Europas und der Kalte Krieg beginnen.

Abgesehen von einer Unstimmigkeit - erst nach 1961 kaufte die Bonner Regierung DDR-Häftlinge frei, private Freikäufe, wie im Roman geschildert, gab es nie -, entwirft die Autorin das stimmige Panorama einer Epoche, wie sie nach der Wiedervereinigung kaum noch vorstellbar ist. Zwar gibt es auch heutzutage Armut und Wohnungsnot, doch die ist nicht zu vergleichen mit dem Elend im Hungerwinter 1946. Ida hat Glück: Sie wäscht und bügelt britischen Offizieren die Hemden und wird mit Zigaretten entlohnt, bis sie Mr. Thursday begegnet, einem höflichen Gentleman, der im beschlagnahmten Kino englische Filme zeigt. Nach kurzer Lehrzeit wird Ida Filmvorführerin, und Mr. Thursday macht ihr den Hof - vergeblich, weil sie ihrem bei Kriegsende verstorbenen Mann nachtrauert.

Trotz sprachlicher Schnitzer wie "noch und nöcher" oder "wie eine Schneekönigin" wird das Lesevergnügen selbst dann nicht getrübt, wenn die Autorin die Handlungen ihrer Lieblingsfilme nacherzählt, von "Der dritte Mann" bis zu "Bitterer Reis". Im Schlussteil des Buchs karikiert Tanja Langer ihre eigene Erzählweise, in der Abschweifungen und Exkurse kein überflüssiges Beiwerk sind, sondern die Sache selbst: "Der Trick beim Kirschkuchen mit Streuseln ist, dass du den Teig lange knetest, nur so wird er mürb und bleibt doch geschmeidig; genauso die Streusel; das gibt dem Kuchen die ansprechende Oberfläche, regelmäßig unregelmäßig eben, wie das gelungene Leben."

HANS CHRISTOPH BUCH

Tanja Langer: "Meine kleine Großmutter & Mr. Thursday oder

Die Erfindung der

Erinnerung". Roman.

Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019. 414 S.,

br., 18,- [Euro].

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