Edmund White verblüfft seine Leserschaft immer wieder mit neuen Möglichkeiten des autobiografischen Schreibens. In "Meine Leben" blickt der amerikanische Schriftsteller zurück auf die tragenden Säulen eines langen Lebens: "Meine Therapeuten", "Mein Vater", "Meine Stricher", "Meine Frauen" – in zehn Kapiteln findet er originelle und beileibe nicht immer schmeichelhafte Zugänge zu seiner Vergangenheit und erzählt weit mehr als nur die eigene Lebensgeschichte. Sein Vater ist ein gewiefter Geschäftsmann im Mittleren Westen, für den schon das Tragen einer Armbanduhr als unmännlich gilt; seine Mutter eine extravagante Kinderpsychologin, die ihren Sohn zum Test-Patient macht und nach der Scheidung in die intimsten Details ihrer glücklosen Affären einweiht. Zwischen diesen ungleichen Polen wird der kleine Edmund hin- und hergeschubst – ein bebrillter, tuntiger Klugscheißer, der sein erstes selbstverdientes Geld für Stricher ausgibt. "Meine Leben" führt die Leser tief in die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, seziert auf dem Hintergrund biografischer Erfahrungen immer auch geschichtliche, philosophische und politische Aspekte der Wirklichkeit. Dabei kommt White der speziellen amerikanischen Lebensintensität so nah wie nie zuvor – und den Schutzmechanismen, die diese Intensität manchmal erfordert. Ein gegen sich selbst und andere schonungsloses, pralles und kluges Buch. "Das ist Whites bestes Buch … eine erstaunliche und wundervoll geschriebene Autobiografie, die einen großen Geist und eine großzügige, außergewöhnliche Persönlichkeit zum Ausdruck bringt." (The Independent) "White beschäftigt sich hier, wie in vielen seiner Romane, mit dem Verrat: ob es möglich ist, sich selbst zu verraten, und ob es möglich ist, andere Menschen nicht zu verraten; und wie, wenn überhaupt, diese Dinge zusammenhängen. (The London Review of Books)
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Marko Martin gefällt der freie, freche Ton, mit dem Gay-Godfather Edmund White verbiesterte Identitätsdebatten sprengt. Wie der Autor von seinem Leben als Homosexueller im New York und Paris der 1980er erzählt, von seinen verständnislosen Eltern, ständig verfügbarem Sex, wie er Susan Sontag und Michel Foucault porträtiert, ohne allzu große Nabelschau zu betreiben, sondern immer auch selbstironisch, das lässt bei Martin nie Langeweile aufkommen. Memoiren der erfrischend unkonventionellen Art, meint Martin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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