In schwieriger Zeit: Der große Physiker ganz privat Als Werner Heisenberg 1937 Elisabeth Schumacher begegnet, ist er 35 Jahre alt, seit zehn Jahren Professor für theoretische Physik in Leipzig, 1933 hat er den Nobelpreis erhalten. Doch gut geht es ihm nicht: Er ist einsam, die politische Situation und der beginnende Exodus deutscher Wissenschaftler bedrücken ihn; er wird als "weißer Jude" beschimpft, weil er in seinen Vorlesungen Einsteins Relativitätstheorie vertritt. Nur 14 Tage nach dem Kennenlernen ist das Paar verlobt, wenige Monate später verheiratet. Kurz nach Kriegsausbruch wird Heisenberg mit dem "Uranprojekt" beauftragt; seine junge, wachsende Familie sieht er nur noch selten. Der Briefwechsel zeigt das innige Bemühen, über alle Widrigkeiten und Entfernungen hinweg das Leben miteinander zu teilen. Ergänzt mit bislang unveröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen aus den letzten Kriegstagen, ist er das berührende Zeugnis des ganz privaten Heisenberg, dem die Liebe in schwieriger Zeit einen Rückzugsort sicherte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2011Wer nicht das Gleiche glaubt, ist auszurotten
War er des Teufels Physiker? Ein Brief Werner Heisenbergs über seinen Mitstreiter Carl Friedrich von Weizsäcker beleuchtet dessen NS-Jahre neu.
Kennengelernt hatte man sich bereits in jungen Jahren, im Winter 1926/27 in Kopenhagen, wo Carl Friedrich von Weizsäckers Vater als Diplomat in der deutschen Botschaft arbeitete. Werner Heisenberg lehrte als Gastdozent an der Universität und war gerade dabei, zusammen mit seinem Mentor Niels Bohr die Grundlagen der Quantenmechanik zu formulieren, um damit die klassische Physik endgültig aus den Angeln zu heben. Dem gerade erst Vierzehnjährigen und schon an philosophischen Fragen interessierten Gymnasiasten riet Heisenberg: "Physik ist ein ehrliches Handwerk; erst wenn du das gelernt hast, darfst du darüber philosophieren."
Weizsäcker ist diesem Rat gefolgt, studierte Physik und konnte sich zu einem der führenden Physiker seiner Zeit, aber auch zu einem hoch anerkannten Wissenschaftsphilosophen des zwanzigsten Jahrhunderts profilieren. Aus der Kopenhagener Begegnung wurde so eine lebenslange wissenschaftliche Partnerschaft und Freundschaft, über der jedoch seit jüngstem ein großes Fragezeichen steht.
Im soeben erschienenen Briefwechsel zwischen Heisenberg und seiner Frau Elisabeth ("Meine liebe Li! Der Briefwechsel 1937-1946", Residenz Verlag, St.Pölten 2011, 352 Seiten, 26,90 [Euro]) findet sich ein Brief vom Herbst 1943, in dem sich Heisenberg höchst kritisch über seinen ehrgeizigen und sich zuweilen sehr aristokratisch, wenn nicht gar arrogant gebärdenden Meisterschüler und Freund äußert:
"Ich verstehe mich im Grunde überhaupt nicht mit ihm; diese Art, alles prinzipiell zu nehmen und überall die ,letzte Entscheidung' zu erzwingen, ist mir so völlig fremd. Weizs.[äcker] kann so Sätze sagen, wie etwa: er wäre in einer total zerstörten Stadt ganz zufrieden, denn dann wisse man sicher daß das nicht wiederkäme und daß die Menschen, aus dem Erlebnis von Schuld und Strafe reif würden zu einer anderen Art zu denken - womit dann der neue Glaube gemeint ist, zu dem er sich selbst bekennt. Dann sagt er weiter, daß dieser Glaube natürlich dem der alten Welt, d.h. der Angelsachsen, unversöhnlich feind sei und daß ja auch Christus gesagt habe, er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert -, worauf man dann wieder so weit ist, wie am Anfang, d.h. wer nicht das Gleiche glaubt, wie ich, muß ausgerottet werden. Mir ist dieser ewige Zirkel von Glauben an die heiligsten Güter, die mit Feuer u. Schwert verteidigt werden müssen, ganz unerträglich; offenbar bin ich darin ganz undeutsch, und ich gerate in einer solchen Diskussion entgegen sonstiger Gewohnheit in so heftige Opposition, daß ich am Schluß nur noch das langweilige Spießertum verteidigen kann" (14. Oktober 1943).
In der vorliegenden Literatur zu beiden Gelehrten ist von einem Dissens keine Rede. Vielmehr wird ihr Verhältnis als harmonisch und freundschaftlich beschrieben, wobei manche Biographen in Weizsäcker aber auch den "advocatus diaboli" Heisenbergs zu sehen meinen. Gegenüber seiner Mutter hatte Heisenberg selbst im Herbst 1934 bekannt: "Zu der uns umgebenden äußeren Welt habe ich wohl beinahe die gleiche Stellung wie Du. Nur die Freundschaft mit Carl Friedrich, der sich mit dem ihm eigenen Ernst mit der Umwelt auseinandersetzt, läßt mir einen kleinen Zugang in das mir sonst fremde Gebiet offen" (8. Oktober 1934).
Von Heisenbergs "lebensweltlichem oder gar politischem Gewissen" weiß man, dass Weizsäcker nach der Machtübernahme zunächst Sympathien für den Nationalsozialismus empfand, glaubte er doch, dass dieser dem krisengeschüttelten Deutschland neue Hoffnung und Perspektiven geben sowie das nationale Selbstbewusstsein stärken würde. Allerdings verachtete er Hitler und lehnte die NS-Rassenlehre mit ihrem militanten Antisemitismus kategorisch ab. Dies schützte ihn davor - im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen und Kollegen -, Mitglied der NSDAP zu werden.
Seine Haltung im Dritten Reich und zum Nationalsozialismus gründete sich so auf ein elitäres Selbstverständnis und auf eine sich nicht zuletzt auf Stefan George beziehende zivilisationskritische Überzeugung, dass der Untergang der bürgerlichen Gesellschaft bevorstehe und die künftige Gesellschaft von einer elitären Minderheit zu gestalten sei. Mit Letzterer waren mitnichten die Nationalsozialisten gemeint, und deshalb sollte auch im oben zitierten Brief der dort erwähnte "neue Glaube" nicht unbedingt als Nationalsozialismus gelesen werden. Dagegen sprechen auch der explizite Christusbezug und die Herausstellung religiöser Elemente, die für die NS-Ideologie und Weltanschauung eher untypisch waren.
Von Weizsäckers Elitebewusstsein zeugen seine Gespräche mit seinem Freund und Gesinnungsgenossen im Winter 1938/39 über die Konsequenzen der Urankernspaltung, bei deren Entdeckung er gewissermaßen Augenzeuge gewesen war. Man erkannte sofort, dass die Entdeckung eine Waffe mit bislang unbekannter Zerstörungskraft möglich machen würde und die Menschheit nur die Wahl habe, die Institution des Kriegs entweder zu überwinden oder sich selbst zu vernichten; man verstieg sich sogar zu der wahnwitzigen Hybris, auch Hitler davon überzeugen zu wollen, deshalb von seinen Kriegsplänen abzulassen.
Fachliche Kompetenz und Überzeugung führten Weizsäcker so in den deutschen Uranverein, dem von 1940 an sein wissenschaftlichen Mentor Heisenberg vorstand und der sich mit der Entwicklung einer Uranmaschine, das heißt eines Atomreaktors, beschäftigte. Dass man dort wohl auch intensiv und sehr konkret über Atombomben nachdachte, machen nicht zuletzt Weizsäckers Arbeiten zum Plutonium als Kernsprengstoff und mehrere damit im Zusammenhang stehende Patentanmeldungen für eine Plutoniumbombe deutlich. Ein anderes Dokument von Weizsäckers damaligen politischen Illusionen ist die Reise, die ihn zusammen mit Heisenberg im Herbst 1941 zu Niels Bohr ins besetzte Kopenhagen führte. Sollte sie Weizsäcker zufolge die mögliche Einflussnahme der Physiker auf die weltweite Entwicklung von Nuklearwaffen ausloten, so wurde sie von Bohr als Kollaborationsangebot empfunden.
Ob Letzteres tatsächlich zu den Intention der beiden deutschen Physiker gehörte oder doch eine "Internationale der Physiker" geschmiedet werden sollte, darüber gibt es bis heute sehr emotional geführte Diskussionen unter Physikern und Historikern. Auf jeden Fall waren die vermeintlich so apolitische Physik und selbst die Freundschaft ihrer Protagonisten damals zu einer hochpolitischen Angelegenheit geworden.
Keineswegs zufällig gehörte Weizsäcker zu jenen deutschen Atomphysikern, die von den Alliierten nach Kriegsende interniert wurden. Im englischen Farm Hall erfuhr man vom Abwurf amerikanischer Atombomben auf Japan, was für Weizsäcker zum "Höhepunkt des Katastrophenerlebens" wurde. In Farm Hall wurde aber auch ganz wesentlich durch Weizsäcker jene Sprachregelung gefunden, dass in Deutschland die Atombombe nicht entwickelt wurde, weil man sie nicht entwickeln wollte.
Dieser absichtsvollen Schutzbehauptung stehen nicht nur Weizsäckers Bombenpatente, sondern auch andere Forschungsbemühungen deutscher Physiker entgegen. Weizsäckers Haltung im Dritten Reich führte so dazu, dass in der Nachkriegszeit insbesondere in den angelsächsischen Ländern einige Kollegen zu ihm auf Distanz gingen und er erst relativ spät zu Vorträgen in die Vereinigten Staaten eingeladen wurde; von solchen Ressentiments ebenfalls beeinflusst ist wohl die Tatsache, dass ihm für seine Aufklärung der Energieproduktion in Sternen (Bethe-Weizsäcker-Zyklus) und andere herausragende wissenschaftliche Leistungen trotz wiederholter Nominierungen der Nobelpreis versagt blieb.
Weizsäcker hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg aber nicht nur zu obigen Schutzbehauptungen verstiegen, sondern sich auch zu seinem Konformismus im Dritten Reich bekannt, den er als seinen größten Fehler bezeichnet. Die im Dritten Reich gemachten schuldvollen Erfahrungen trugen sicherlich dazu bei, dass Weizsäcker nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zum Prototyp des politischen Wissenschaftlers wurde.
Am bekanntesten wurde seine Initiative, die 1957 zur Erklärung der "Göttinger Achtzehn" führte und vehement jede Beteiligung an der Entwicklung einer deutschen Atombombe ablehnte. Von der Sorge um einen Atomkrieg getrieben, hat er auch später immer wieder die Möglichkeiten einer dauerhaften Kriegsverhütung und Friedenssicherung hinterfragt - unter anderem in dem von ihm gegründeten und bis 1980 geleiteten Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich- technischen Welt. Sowohl die Gründung des Starnberger Instituts als auch die Göttinger Erklärung wurden im Übrigen ganz wesentlich von Werner Heisenberg mitgetragen, so dass die größere Verstimmung beider Gelehrter vom Herbst 1943 anscheinend nur temporär war und offenbar keine nachhaltigen Auswirkungen auf ihre Zusammenarbeit und Freundschaft gezeigt hat.
DIETER HOFFMANN
Der Autor arbeitet am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und hat in "Operation Epsilon" (Rowohlt Verlag, 1993) die Farm-Hall-Protokolle der Gespräche deutscher Atomforscher in britischer Gefangenschaft auf Deutsch herausgegeben.
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War er des Teufels Physiker? Ein Brief Werner Heisenbergs über seinen Mitstreiter Carl Friedrich von Weizsäcker beleuchtet dessen NS-Jahre neu.
Kennengelernt hatte man sich bereits in jungen Jahren, im Winter 1926/27 in Kopenhagen, wo Carl Friedrich von Weizsäckers Vater als Diplomat in der deutschen Botschaft arbeitete. Werner Heisenberg lehrte als Gastdozent an der Universität und war gerade dabei, zusammen mit seinem Mentor Niels Bohr die Grundlagen der Quantenmechanik zu formulieren, um damit die klassische Physik endgültig aus den Angeln zu heben. Dem gerade erst Vierzehnjährigen und schon an philosophischen Fragen interessierten Gymnasiasten riet Heisenberg: "Physik ist ein ehrliches Handwerk; erst wenn du das gelernt hast, darfst du darüber philosophieren."
Weizsäcker ist diesem Rat gefolgt, studierte Physik und konnte sich zu einem der führenden Physiker seiner Zeit, aber auch zu einem hoch anerkannten Wissenschaftsphilosophen des zwanzigsten Jahrhunderts profilieren. Aus der Kopenhagener Begegnung wurde so eine lebenslange wissenschaftliche Partnerschaft und Freundschaft, über der jedoch seit jüngstem ein großes Fragezeichen steht.
Im soeben erschienenen Briefwechsel zwischen Heisenberg und seiner Frau Elisabeth ("Meine liebe Li! Der Briefwechsel 1937-1946", Residenz Verlag, St.Pölten 2011, 352 Seiten, 26,90 [Euro]) findet sich ein Brief vom Herbst 1943, in dem sich Heisenberg höchst kritisch über seinen ehrgeizigen und sich zuweilen sehr aristokratisch, wenn nicht gar arrogant gebärdenden Meisterschüler und Freund äußert:
"Ich verstehe mich im Grunde überhaupt nicht mit ihm; diese Art, alles prinzipiell zu nehmen und überall die ,letzte Entscheidung' zu erzwingen, ist mir so völlig fremd. Weizs.[äcker] kann so Sätze sagen, wie etwa: er wäre in einer total zerstörten Stadt ganz zufrieden, denn dann wisse man sicher daß das nicht wiederkäme und daß die Menschen, aus dem Erlebnis von Schuld und Strafe reif würden zu einer anderen Art zu denken - womit dann der neue Glaube gemeint ist, zu dem er sich selbst bekennt. Dann sagt er weiter, daß dieser Glaube natürlich dem der alten Welt, d.h. der Angelsachsen, unversöhnlich feind sei und daß ja auch Christus gesagt habe, er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert -, worauf man dann wieder so weit ist, wie am Anfang, d.h. wer nicht das Gleiche glaubt, wie ich, muß ausgerottet werden. Mir ist dieser ewige Zirkel von Glauben an die heiligsten Güter, die mit Feuer u. Schwert verteidigt werden müssen, ganz unerträglich; offenbar bin ich darin ganz undeutsch, und ich gerate in einer solchen Diskussion entgegen sonstiger Gewohnheit in so heftige Opposition, daß ich am Schluß nur noch das langweilige Spießertum verteidigen kann" (14. Oktober 1943).
In der vorliegenden Literatur zu beiden Gelehrten ist von einem Dissens keine Rede. Vielmehr wird ihr Verhältnis als harmonisch und freundschaftlich beschrieben, wobei manche Biographen in Weizsäcker aber auch den "advocatus diaboli" Heisenbergs zu sehen meinen. Gegenüber seiner Mutter hatte Heisenberg selbst im Herbst 1934 bekannt: "Zu der uns umgebenden äußeren Welt habe ich wohl beinahe die gleiche Stellung wie Du. Nur die Freundschaft mit Carl Friedrich, der sich mit dem ihm eigenen Ernst mit der Umwelt auseinandersetzt, läßt mir einen kleinen Zugang in das mir sonst fremde Gebiet offen" (8. Oktober 1934).
Von Heisenbergs "lebensweltlichem oder gar politischem Gewissen" weiß man, dass Weizsäcker nach der Machtübernahme zunächst Sympathien für den Nationalsozialismus empfand, glaubte er doch, dass dieser dem krisengeschüttelten Deutschland neue Hoffnung und Perspektiven geben sowie das nationale Selbstbewusstsein stärken würde. Allerdings verachtete er Hitler und lehnte die NS-Rassenlehre mit ihrem militanten Antisemitismus kategorisch ab. Dies schützte ihn davor - im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen und Kollegen -, Mitglied der NSDAP zu werden.
Seine Haltung im Dritten Reich und zum Nationalsozialismus gründete sich so auf ein elitäres Selbstverständnis und auf eine sich nicht zuletzt auf Stefan George beziehende zivilisationskritische Überzeugung, dass der Untergang der bürgerlichen Gesellschaft bevorstehe und die künftige Gesellschaft von einer elitären Minderheit zu gestalten sei. Mit Letzterer waren mitnichten die Nationalsozialisten gemeint, und deshalb sollte auch im oben zitierten Brief der dort erwähnte "neue Glaube" nicht unbedingt als Nationalsozialismus gelesen werden. Dagegen sprechen auch der explizite Christusbezug und die Herausstellung religiöser Elemente, die für die NS-Ideologie und Weltanschauung eher untypisch waren.
Von Weizsäckers Elitebewusstsein zeugen seine Gespräche mit seinem Freund und Gesinnungsgenossen im Winter 1938/39 über die Konsequenzen der Urankernspaltung, bei deren Entdeckung er gewissermaßen Augenzeuge gewesen war. Man erkannte sofort, dass die Entdeckung eine Waffe mit bislang unbekannter Zerstörungskraft möglich machen würde und die Menschheit nur die Wahl habe, die Institution des Kriegs entweder zu überwinden oder sich selbst zu vernichten; man verstieg sich sogar zu der wahnwitzigen Hybris, auch Hitler davon überzeugen zu wollen, deshalb von seinen Kriegsplänen abzulassen.
Fachliche Kompetenz und Überzeugung führten Weizsäcker so in den deutschen Uranverein, dem von 1940 an sein wissenschaftlichen Mentor Heisenberg vorstand und der sich mit der Entwicklung einer Uranmaschine, das heißt eines Atomreaktors, beschäftigte. Dass man dort wohl auch intensiv und sehr konkret über Atombomben nachdachte, machen nicht zuletzt Weizsäckers Arbeiten zum Plutonium als Kernsprengstoff und mehrere damit im Zusammenhang stehende Patentanmeldungen für eine Plutoniumbombe deutlich. Ein anderes Dokument von Weizsäckers damaligen politischen Illusionen ist die Reise, die ihn zusammen mit Heisenberg im Herbst 1941 zu Niels Bohr ins besetzte Kopenhagen führte. Sollte sie Weizsäcker zufolge die mögliche Einflussnahme der Physiker auf die weltweite Entwicklung von Nuklearwaffen ausloten, so wurde sie von Bohr als Kollaborationsangebot empfunden.
Ob Letzteres tatsächlich zu den Intention der beiden deutschen Physiker gehörte oder doch eine "Internationale der Physiker" geschmiedet werden sollte, darüber gibt es bis heute sehr emotional geführte Diskussionen unter Physikern und Historikern. Auf jeden Fall waren die vermeintlich so apolitische Physik und selbst die Freundschaft ihrer Protagonisten damals zu einer hochpolitischen Angelegenheit geworden.
Keineswegs zufällig gehörte Weizsäcker zu jenen deutschen Atomphysikern, die von den Alliierten nach Kriegsende interniert wurden. Im englischen Farm Hall erfuhr man vom Abwurf amerikanischer Atombomben auf Japan, was für Weizsäcker zum "Höhepunkt des Katastrophenerlebens" wurde. In Farm Hall wurde aber auch ganz wesentlich durch Weizsäcker jene Sprachregelung gefunden, dass in Deutschland die Atombombe nicht entwickelt wurde, weil man sie nicht entwickeln wollte.
Dieser absichtsvollen Schutzbehauptung stehen nicht nur Weizsäckers Bombenpatente, sondern auch andere Forschungsbemühungen deutscher Physiker entgegen. Weizsäckers Haltung im Dritten Reich führte so dazu, dass in der Nachkriegszeit insbesondere in den angelsächsischen Ländern einige Kollegen zu ihm auf Distanz gingen und er erst relativ spät zu Vorträgen in die Vereinigten Staaten eingeladen wurde; von solchen Ressentiments ebenfalls beeinflusst ist wohl die Tatsache, dass ihm für seine Aufklärung der Energieproduktion in Sternen (Bethe-Weizsäcker-Zyklus) und andere herausragende wissenschaftliche Leistungen trotz wiederholter Nominierungen der Nobelpreis versagt blieb.
Weizsäcker hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg aber nicht nur zu obigen Schutzbehauptungen verstiegen, sondern sich auch zu seinem Konformismus im Dritten Reich bekannt, den er als seinen größten Fehler bezeichnet. Die im Dritten Reich gemachten schuldvollen Erfahrungen trugen sicherlich dazu bei, dass Weizsäcker nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zum Prototyp des politischen Wissenschaftlers wurde.
Am bekanntesten wurde seine Initiative, die 1957 zur Erklärung der "Göttinger Achtzehn" führte und vehement jede Beteiligung an der Entwicklung einer deutschen Atombombe ablehnte. Von der Sorge um einen Atomkrieg getrieben, hat er auch später immer wieder die Möglichkeiten einer dauerhaften Kriegsverhütung und Friedenssicherung hinterfragt - unter anderem in dem von ihm gegründeten und bis 1980 geleiteten Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich- technischen Welt. Sowohl die Gründung des Starnberger Instituts als auch die Göttinger Erklärung wurden im Übrigen ganz wesentlich von Werner Heisenberg mitgetragen, so dass die größere Verstimmung beider Gelehrter vom Herbst 1943 anscheinend nur temporär war und offenbar keine nachhaltigen Auswirkungen auf ihre Zusammenarbeit und Freundschaft gezeigt hat.
DIETER HOFFMANN
Der Autor arbeitet am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und hat in "Operation Epsilon" (Rowohlt Verlag, 1993) die Farm-Hall-Protokolle der Gespräche deutscher Atomforscher in britischer Gefangenschaft auf Deutsch herausgegeben.
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