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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Moderator und Kabarettist Eckart von Hirschhausen hat das Trostbuch zur Zeit geschrieben
In der Vormoderne besaßen neugierige Haushalte zwei Bücher: die Bibel und einen Almanach, ein Kompendium des Weltwissens mit Geschichten, Kalendersprüchen und Listen, in dem man in den langen Winternächten immer wieder blättern konnte, ohne sich zu langweilen. Freunde der „Lustigen Taschenbücher“ kennen noch eine späte Form davon, das kompakte Pfandfinderhandbuch, in dem Tick, Trick und Track immer dann nachschauen, wenn ihr Onkel Donald sie mal wieder in eine ausweglose Situation manövriert hat. Das Konzept des guten Lebensbegleitbuchs, in dem man Tipps, Tricks, aber eben auch Wissenswertes, etwas zum Lachen und zum Nachdenken findet, wird in diesem Sommer durch Eckart von Hirschhausen aufgegriffen und erneuert.
Sein neues Buch passt exakt in die weite Lücke, die der hochspezialisierte Ratgeber- und Beglückungsliteratur-Markt lässt, denn in diesem Buch geht es sowohl um das planetarische Ganze als auch um die Sorge um sich, mit der man sich in unseren atheistischen Zeiten schon allein fühlen kann. Wem die ganze Klimadebatte schlechte Laune macht, wird hier Neues erfahren, denn tatsächlich kann große Hitze unsere Stimmung negativ beeinflussen, und wenn man derart aufgeheizt dann noch dauernd belehrt oder in Furcht versetzt wird, kommt ein unerfreulicher Wutbürgerzustand dabei heraus oder eben traurige Verstimmung. Es hilft dann, darüber zu lesen, um wieder hinaus zu finden.
Solch ein Gewühle der Gefühle stand am Anfang des Projekts. Hirschhausen feierte seinen 50. Geburtstag, beschäftigte sich mit der eigenen Endlichkeit, der Frage, in welchem Zustand er den Kindern die Erde überlässt, auch, was von seinem Wirken einmal in Erinnerung bleiben soll. Und dann erlebte er Folgen des Klimawandels direkt, ausgerechnet in den seit Kindheitstagen mit freudiger Unbeschwertheit verbundenen Sommerferien.
Er war 2018 im Sommer in Südfrankreich und konnte keinen kühlen Kopf mehr bewahren. Nachts blieb es heiß wie am Tag, der Pool war eine warme Suppe, und geliebte Aktivitäten wie Radfahren und Aprikosen ernten waren in der irren Hitze undurchführbar. Auch in den Bergen Österreichs war der Klimawandel längst fatale Realität: Hirschhausen erfährt von einem Bergunglück, das einen erfahrenen Bergführer das Leben kostete, weil ein Felsen sich überraschend gelöst hatte. In großer Höhe werden Steinschichten eben auch durch Eis im Fels zusammengehalten. Wenn es schmilzt, kommt es zu Abbrüchen und Abstürzen.
So ergab sich Stoff für mehrere Bücher. Hirschhausen hätte seine Memoiren schreiben können. Wie der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Berliner durch die Gattungen und Sparten rauschte, vom Zauberkünstler zum promovierten Arzt mutierte, als Medizinkomiker und Kabarettist reüssierte, später Wissenschaftsjournalist und Moderator wurde, ferner Bestsellerautor und immer noch Bühnenkünstler. Das allein wäre schon eine kühne deutsche Mediengeschichte. Besonders populär wurde Hirschhausen durch Harald Schmidt: Als er in dessen Late-Night-Show die Rubrik „Doktor Hirschhausens medizinisches Kabarett“ vorstellte, kannte ihn plötzlich halb Deutschland. Er ist einer der letzten aktiven deutschen Prominenten, die noch vor dem Aufkommen des Internets richtig berühmt wurden.
Entsprechend groß ist das Vertrauen, das sein Publikum ihm entgegenbringt. Im Netz, in den sozialen Medien sind immer alle umstritten, von giftigen Kommentaren begleitet, irgendwas passt immer nicht. Fernsehstars alten Schlags haben ein anderes Verhältnis zum Publikum, es konnte sich in der Ruhe der Wohnzimmer entwickeln. Hirschhausen ist ein Aufklärer, aber er spaltet nicht. In seinen Programmen sind die Klimaleugner, die Fleischfans und Autonarren nicht die Doofen. Er führt alle Fehler und Laster stets zu sich, zu uns allen zurück. Er geht mit schlechtem Beispiel voran, damit auch alle ihm folgen können und sucht dann den Rückweg.
Das Buch arbeitet mit der im Titel bezeichneten Analogie von Planet und Körper, bietet anthropomorphe Geografie und globalisierende Anthropologie. So erreicht der Autor vor allem eine für nahezu jedes Publikum angenehme Konversationshöhe: Die großen klimatischen Zusammenhänge werden in demselben freundlichen Ton entwickelt wie die Erörterung ganz persönlicher Fragen, etwa wie man nach dem Tod beerdigt, bestattet oder eingeäschert werden möchte. So werden die planetarischen Themen immer wieder mit den alltäglichen, allzu menschlichen Betrachtungen verwoben. Damit vermeidet das Buch einerseits jeden belehrenden Ton und mischt andererseits auch immer ausreichend Humor in den Text, sodass die Dramatik der Klimakrise und die Endlichkeit unseres Lebens, die Grundthemen des Buches, nicht zu bleierner Beschwerung führen, sondern im Gegenteil in eine amüsierte Inspiration münden.
Hirschhausen ist nicht der alleinige Protagonist des Buches. Er trifft die große Jane Goodall, Jared Diamond und viele andere engagierte Wissenschaftler und Naturschützerinnen. Der Text des dicken Bandes ist aufgelöst in kurze Abschnitte, wie man sie gerade in den Ferien täglich gut lesen kann und die Gegensatzpaare behandeln wie Kommen und Gehen, Reden und Zuhören, Brauchen und Verbrauchen. Das bildet eine Struktur der menschlichen Bedürfnisse ab, was also erhalten werden muss, wenn der Planet für uns bewohnbar bleiben soll. Durch diese offene und einladende Gliederung kann eigentlich jeder einsteigen, mitüberlegen und dazulernen. Es ist ein Buch voller Spezialwissen, aber gestaltet wie ein gelungenes Hoffest in der Nachbarschaft. Damit liefert der Autor ein probates Gegenmittel zur beklagten Vergiftung aller Diskurse und spezialisierten Einsamkeit der Wissenschaftler. Es geht hier nicht um einen Sieg in der ewigen Schlacht Klimaleugner gegen Klimaschützer, sondern um eine geschickte Umgehung klassischer Frontstellungen durch eine Integration persönlicher Erfahrungen in die Erzählung vom Wandel des Klimas. Und er reflektiert auch die Corona-Pandemie, wodurch sich ein leichter Einstieg in die Materie ergibt, denn jeder hat etwas dazu zu sagen.
Es ist ein gut gearbeitetes Sachbuch, dessen Themenschwere immer wieder durch Scherze und Anekdoten aufgehoben wird und das sich zum Vorlesen eignet, mit den etwas größeren Kindern oder betagteren Zeitgenossen, all denen also, denen die täglichen Nachrichten zu viel Information und zu wenig Zusammenhang bieten. Es dürfte auch den Einstieg in Gespräche zu heiklen, tabubesetzten Themen in Familie und Freundeskreis vereinfachen, und ist daher ein Buch über den Kreislauf des Lebens und des Klimas, das am besten auch in einem Kreis gelesen werden sollte.
NILS MINKMAR
Eckart von Hirschhausen auf dem Weg zu einer „Fridays for Future“-Demonstration.
Foto: Dominik Butzmann/laif
Eckart von Hirschhausen: Mensch, Erde!
Wir könnten
es so schön haben.
DTV, München 2021.
528 Seiten, 24 Euro.
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