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Die Literatur als Labor des Nachdenkens über die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Zur Entfaltung dessen, was seit 1866 »ökologisch« heißt, hat die Literatur auf ihre Weise ebenso beigetragen wie die Wissenschaft - in Lehrgedichten und Gedankenexperimenten, in der Kunst des genauen Hinsehens und mit spekulativer Energie. Seit dem Beginn der Aufklärung hat sie neue Modelle von den Beziehungen zwischen den Lebewesen entwickelt, unter Einschluss der Menschen. »Zuerst war ich ein Kraut«, dichtet Albrecht von Haller 1736, »und lange war ich noch ein Tier«. Goethe denkt diesen Gedanken weiter,…mehr

Produktbeschreibung
Die Literatur als Labor des Nachdenkens über die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Zur Entfaltung dessen, was seit 1866 »ökologisch« heißt, hat die Literatur auf ihre Weise ebenso beigetragen wie die Wissenschaft - in Lehrgedichten und Gedankenexperimenten, in der Kunst des genauen Hinsehens und mit spekulativer Energie. Seit dem Beginn der Aufklärung hat sie neue Modelle von den Beziehungen zwischen den Lebewesen entwickelt, unter Einschluss der Menschen. »Zuerst war ich ein Kraut«, dichtet Albrecht von Haller 1736, »und lange war ich noch ein Tier«. Goethe denkt diesen Gedanken weiter, von der »Metamorphose der Pflanzen« bis ans Ende des »Faust«. Aus Einfällen wie der Möglichkeit einer menschengemachten globalen Klimaerwärmung erzeugt Lichtenberg um 1800 seine aufgeklärte Science Fiction, und Alexander von Humboldt demonstriert in literarisch-wissenschaftlichen Grenzgängen, dass »alles Wechselwirkung« ist. Heinrich Deterings Buch verfolgt die Entdeckung der Ökologie in der Literatur von den Anfängen bis zur letzten Ausgabe von Humboldts »Ansichten der Natur.« Und es zeigt die einzigartigen Denkmöglichkeiten der literarischen Vorstellungskraft im Nachdenken über die »Menschen im Weltgarten«.
Autorenporträt
Heinrich Detering, geb. 1959, ist Professor für Neuere deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.02.2020

Entstehen und sich verwandeln

Eine Literaturgeschichte der Ökologie: Heinrich Deterings "Menschen im Weltgarten" preisen, kultivieren, nutzen und zerstören die Natur.

Als im vergangenen Jahr der Universalgelehrte Alexander von Humboldt wie nie zuvor ediert und gefeiert wurde, erklärte man ihn auch zum Pionier der Ökologiebewegung. Selten zuvor hatte ein Forscher die vielfältigen Beziehungen zwischen biologischen Entwicklungen, geographischen Bedingungen, klimatischen Veränderungen, geologischen Prozessen und menschlichen Einwirkungen genauer als er durchschaut. Mit der Formel "Alles ist Wechselwirkung" aus dem Reisetagebuch 1803 ist diese universale und dynamische Betrachtung der Natur, die sich deutlich von Linnés starrer Klassifikation unterscheidet, zum geflügelten Wort geworden. Die darin komprimierte Idee nimmt die erst 1866 von Ernst Haeckel formulierte Definition von Ökologie als "gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt" bereits vorweg. Humboldt schwebt sie schon seit seiner ersten Publikation 1789 über den ostindischen Giftbaum Bohon-Upas vor, dessen Sonderstellung er mehr aus dem Umweltkontext als der Pflanze selbst begreift. Daran ist nichts ungewöhnlich, denn Konzepte gehen Begriffen fast immer voran.

Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering begnügt sich nicht mit dieser Vordatierung um einige Jahrzehnte. Seine große Literaturgeschichte der Ökologie endet mit Humboldt, beginnt aber rund hundert Jahre früher mit Albrecht von Hallers "Die Alpen". Auf dem langen Weg dazwischen liegen Brockes' Schöpfungslob und Katastrophenängste oder Lichtenbergs Weltuntergangsphantasien, vor allem aber Goethes Metamorphosenlehre und die total bezwungene Natur in Fausts Kolonie, schließlich das Manufaktur- und Bergwerkswesen der Romantik. Der Titelbegriff "Weltgarten" verdankt sich Goethe, der ihm auf der "Italienischen Reise" am 17. April 1787 beim Besuch des Botanischen Gartens in Palermo einfällt. Dreierlei treibt ihn dabei um, das naturkundliche Interesse des Botanikers, die philosophisch-morphologische Frage nach "der sinnlichen Form einer übersinnlichen Urpflanze", die der Flora weltweit zugrunde liegen könnte. Und schließlich der poetische Gedanke an den Garten des Alkinous aus der "Odyssee" oder an das eigene, noch entstehende Metamorphosengedicht, zu dem auch Pflanzenliebe im fast menschlich-erotischen Sinne gehört.

Genau solche Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren, Menschen und ihrer Umwelt auf der einen und zwischen Naturkunde und Dichtung auf der anderen stehen im Zentrum von Deterings Studie. Gleich der Auftakt mit Hallers etwas langatmigem Gedicht "Die Alpen" ist eine Überraschung. Denn die scheinbar bukolische Idylle vom unverdorbenen Bergleben entpuppt sich auf den zweiten Blick als lokaler Prozess der Zivilisation: Ganz pragmatisch geht es da um Ackerbau mit - in der Schlussvignette gezeigten - Werkzeugen, um Landschaftsökonomie und Subsistenzwirtschaft, letztlich um "ein Paradies als Arbeitswelt, eine Arbeitswelt als Paradies". Anders als im "Rauch von großen Städten" oder den ausbeuterischen Bergwerken Perus, auf die ebenfalls angespielt wird, genießt der genügsame Selbstversorger in den Alpen seine republikanische Freiheit. Dagegen werden im Verlauf weiterer Auflagen "Das Joch, das heute noch Europens Hälfte trägt", also etwa Absolutismus und Kolonialismus, kritisch abgegrenzt. Die rhetorische, "beschwerliche Art" der Darstellung - so Haller selbst - stehen zu der propagierten Freiheit allerdings in Konflikt, selbst wenn im Gedicht ein Hirte gegen "knechtisches Gesetz" beansprucht, zu schreiben, "wie er denket".

Wie Haller, der Form und Inhalt später geschmeidiger miteinander vermittelt, verteidigt Detering auch Brockes gegen den Vorwurf der Dekorationskunst. Denn bei beiden entdeckt er Züge des naturkundlich ganzheitlichen Gedankenexperiments, sei es in Hallers Besinnung auf die Spiegelung embryonaler Entwicklung in der Stammesgeschichte oder in Brockes' Phantasien, dass die im vielbändigen "Irdischen Vergnügen in Gott" unaufhörlich beschworene perfekte Schöpfung auch Fehlstellen aufweisen kann. Der Mensch ist größter Störfaktor der Harmonie, er hat Hungersnöte und Seuchen, Krieg und Knechtschaft, Ausbeutung und Zerstörung der Natur zu verantworten. Solche Bedrohungen des ökologischen Gleichgewichts erscheinen auch schon in der "Lappländischen Reise" Carl von Linnés, dessen Horrorbild vom Bergwerk in Falun Detering ein eigenes Kapitel widmet. Für den dort im schmutzigen Vitriol konservierten Bergmann werden später literarische Bergungsmanöver von Arnim, Hebel, Hoffmann, Rückert bis zu Wagner und Hofmannsthal unternommen.

Die Abschnitte über Goethes "Faust" gehören zu den besten Passagen des Buches. Detering sucht Wege aus der Kontroverse, ob das Landgewinnungsprojekt im fünften Akt einen diktatorischen Herrschaftsakt darstellt oder aus dem biblischen Buch Hiob hergeleitet werden kann. Dort tritt Gott und nicht der Mensch als Dammbauer auf, Faust hingegen nimmt den Auftrag der Genesis an, sich die Welt untertan zu machen. Sein am Panamakanal orientiertes Riesenwerk fordert Zwangsarbeit, viele "Menschenopfer", Sumpfbildung und - zentrales Symbol - die Hütte von Philemon und Baucis, die einem imperialen Aussichtsturm weichen muss. Der erblindende Meister kann da zwischen eigenem Grab und neuem Graben kaum noch unterscheiden. Detering bindet nun Fausts "Unterwerfungsphantasien" an die Klassische Walpurgisnacht im zweiten Akt zurück, wo das später zurückgedrängte Meer noch als ökologischer Urgrund alles Lebens gilt. "Im Feuchten ist Lebendiges entstanden", eben auch der Homunkulus, den der Meergott Nereus deshalb zur Frage auffordert: "Wie man entstehn und sich verwandlen kann." Charles Darwin witterte sofort das Potential des aus dem Wasser keimenden und zum Menschen verwandelten Homunkulus und erklärte Goethe deshalb zum "extreme partisan in similar views".

Hegel witzelte einmal über die Aufklärung, die in Berlin gemacht, anderswo aber erdacht werde. Deterings Verdienst ist umgekehrt: Er greift aktuelle Trends aus "Ecocriticism" und "Environmental Studies" als Anregungen auf, lässt sich durch Theorie von seiner konzentrierten, nur manchmal etwas lang geratenden Textlektüre aber nie ablenken. Wie nur noch selten in der Literaturwissenschaft steht in diesem Buch die Literatur und deren Durchdringung immer an erster Stelle. Deshalb ist es so aufschlussreich und lesenswert.

ALEXANDER KOSENINA

Heinrich Detering:

"Menschen im Weltgarten". Die Entdeckung der

Ökologie in der Literatur von Haller bis Humboldt.

Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 464 S., geb., 36,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2020

Wie richtig sitzt der Backenzahn!
Im vorwissenschaftlichen Raum des klassischen Zeitalters wird die Geschichte der Natur interessant.
Heinrich Detering untersucht, wie die Ökologie zwischen Poesie, Theologie und Schwärmerei entstand
VON CHRISTOPH BARTMANN
Der Mensch erscheint im Holozän, aber es wird noch eine Weile dauern, bis er sein Habitat als Gegenstand der Wissenschaft entdeckt. „Ökologie“, mit diesem Kunstwort bezeichnet der Zoologe und Philosoph Ernst Haeckel 1866 eine noch zu entwickelnde „Lehre vom Naturhaushalt“, eine „Oeconomie der Natur“, die von den „Existenz-Bedingungen“ des Lebendigen handeln soll. Ein Jahrhundert später artikuliert sich in Begriffen wie Umwelt und Environment die neue Sorge der Menschheit um ihre natürlichen Lebensgrundlagen.
Die Literatur – nicht unbedingt die „schöne“ Literatur, sondern eher das „Schrifttum“ – hat das Feld des Ökologischen schon viel früher beobachtet. Sie tut dies ergiebig in einem Zeitraum, der von den Dreißigerjahren des achtzehnten bis zu den Fünfzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts reicht. Wie sie das tut und warum so intensiv gerade in diesem Zeitraum, das ist Gegenstand von Heinrich Deterings großer Studie „Menschen im Weltgarten. Die Entdeckung der Literatur in der Ökologie von Haller bis Humboldt“.
Michel Foucault hatte sich in seiner „Ordnung der Dinge“ (1966) über Leute mokiert, die eine Geschichte der Biologie im 18. Jahrhundert schreiben wollten. Man sei sich wohl nicht darüber im Klaren, dass zu jener Zeit so wenig eine Biologie existiert habe wie überhaupt deren Gegenstand: das Leben. „Es existierten lediglich Lebewesen, die durch einen von der Naturgeschichte gebildeten Denkraster erschienen.“ Auch Detering will nicht darauf hinaus, dass „seine“ Autoren (Haller, Brockes, Lichtenberg, Linné, Novalis, Goethe, Humboldt und andere) etwa die Ökologie „entdeckt“ hätten. Es gibt keine Ökologie „avant la lettre“, ja vielleicht nicht einmal „après“, jedenfalls nicht in einem den exakten Wissenschaften vergleichbaren Sinne.
Vielleicht unterhält ja die intuitive Wortschöpfung des Freidenkers Haeckel ohnehin ein Nahverhältnis zu den Künsten. Im Namen der Ökologie können sich Literatur oder bildende Kunst ermutigt fühlen, einen Beitrag zur Erforschung des Naturhaushalts zu leisten. Vieles von dem, was man heute Nature Writing nennt, braucht den Begriff Ökologie ohnehin nicht als Bezugsgröße. Der Unterschied zu der historischen Konstellation, von der Deterings Buch handelt, ist dieser: Damals standen dem „von der Naturgeschichte gebildeten Denkraster“ noch keine ausdifferenzierten Naturwissenschaften gegenüber. Solange diese nicht existierten, durften sich mehr oder minder dilettierende Naturforscher und Universalgelehrte für ein gutes Jahrhundert als Wissenschaftler aus eigenem Recht verstehen, auch wenn sie Literatur schrieben. Man kann, wie Detering, die These vertreten, das Wissen dieser naturkundlich informierten Literatur sei „in keinem einzigen Fall einfach überholt und erledigt“.
Nun, literarisch „erledigt“ ist bestimmt keiner der Autoren, aber manche ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis darf man durchaus als überholt bezeichnen. Schon deren Zeitgenossen stießen sich an der „lobpreisende(n) Affirmation des Bestehenden“, wie sie Barthold Heinrich Brockes in seinem neunbändigen Lehrgedicht „Irdisches Vergnügen in Gott“ (1720 – 1748) durchexerzierte. „Bewundre doch, o Mensch, dieß Wunder! Stell’ es dir/dem Schöpfer, ders gemacht, doch öfters für!“, heißt es da. Das sinnhafte Walten des lieben Gottes wird für Brockes sichtbar in dem „Wunder“, das Schneide- und Backenzähne im Mund genau richtig und nicht etwa verkehrt herum angeordnet seien. Andere der ausgewählten Autoren bestehen den „test of the time“ besser, vor allem Carl von Linné. Was wäre die moderne Botanik ohne den schwedischen Naturforscher und seine neuartige binäre Nomenklatur? Ein Dichter war Linné nur am Rande, aber dies nicht zu seinem Nachteil. Als „ökologischer Abenteurer“, wie Detering ihn nennt, reist er etwa 1734 zu den Minen im lappländischen Falun und ist zutiefst alarmiert von den dort beobachteten Schäden für Natur und Menschen. Bei Linné verbindet sich exakte Wissenschaft mit kritischer Sorge, es ist fast wie bei einem Ökologen von heute.
Auch wenn die hier gründlich referierten und (ausgiebig) zitierten Autoren ein forschendes Interesse an „Natur“ vereint, so treten die Unterschiede zwischen ihren Positionen doch stärker hervor als die Gemeinsamkeiten. Frühaufklärerische Naturforschung wie in dem folgenreichen „Alpen“-Gedicht des Schweizer Physiologen und Botanikers Albrecht von Haller, geistliche Erbauung durch poetische Schöpfungsexperimente wie bei Brockes, frühe Erkundungen im Industriegebiet bei Linné, Lichtenbergs „geologische Phantasien“ und versuchsweise durchgespielte Weltuntergänge, frühromantische Bergwerksmythologien bei Arnim und Novalis, schließlich die spekulativen Metamorphosen Goethes und Alexander von Humboldts „ökologische Poetik“ – was hält sie zusammen?
Sicher, es handelt sich durchweg um Literatur, aber der Begriff kann zur Schreibzeit dieser Autoren kaum mehr Kohärenz spenden als die Rede von einer „Entdeckung der Ökologie“. Wir erleben ab etwa 1730, wie sich deutsch schreibende, überwiegend protestantische Autoren allmählich aus dem Bann der Theologie lösen und „Natur“ als Aufgabe einer forschenden Poesie oder poetischen Forschung in den Blick nehmen, bis dann die Naturwissenschaften den forschenden Part übernehmen und auch die Poesie den Pfad der Empirie verlässt, um etwas anderes zu werden, vielleicht bürgerlicher Roman oder moderne Dichtung. In anderen Ländern und Kulturen muss die Entwicklung anders verlaufen sein, man denke etwa an Petrarca, der schon 400 Jahre vor Brockes (und ganz anders) seine Naturerlebnisse zur (literarischen) Sprache bringt.
„Weltgarten“, das Wort selbst war, so Detering, in der Blütezeit der öffentlichen Gärten bereits gegenwärtig als Begriff für einen enzyklopädischen Lehrgarten. Goethe aber habe den Weltgarten in den Rang einer „Leitmetapher“ erhoben, und zwar in seinem Bericht über einen Besuch im Botanischen Garten von Palermo im Jahr 1787. Auf der Suche nach Bestätigung seiner Idee der „Urpflanze“ tut sich Goethe hier der Weltgarten auf, als, in Deterings Worten, „die Gesamtheit aller aus dem Modell der ‚Urpflanze‘ ableitbaren Pflanzen in ihren Metamorphosen, der Welt des Lebendigen in seiner Gesamtheit.“ Und er setzt fort: „Die Elegie soll den einzelnen Garten auf diese Gesamtheit hin durchsichtig machen. Und sie vermag das, weil sie Dichtung ist.“ Die Dichtung dürfe sich erlauben, was für die sich damals formierenden wissenschaftlichen Disziplinen unstatthaft sei: „Subjektivität, Emotionalität, spekulative Analogieschlüsse.“ Auch wenn Dichtung vieles vermag, entkommt sie nicht immer dem Schicksal, „veraltete Wissenschaft“ zu werden (um ein Wort Heinz Schlaffers zu verwenden).
Das schmälert nicht ihr Verdienst: Im prä-disziplinären Raum des klassischen Zeitalters arbeitet sie mit an einer neuen Geschichte der Natur. Lebendiges, das immer schon vorhanden war und immer schon beschrieben oder angerufen wurde, wird nun systematisch geordnet und vermessen. Es sind, wie Foucault sagt, neue und „klare Räume, in denen die Dinge nebeneinander treten: Herbarien, Naturalienkabinette, Gärten“.
Am glücklichsten ist diese poetische Naturkunde dort, wo sie die Praktiken des Ordnens und Vermessens mit denen des Reisens und Sammelns vereint. So beschreibt Deterings Schlusskapitel über Alexander von Humboldt auch Höhepunkt und Abschluss der ökologischen Ära der (deutschen) Literatur. Auch wenn es auf den Vorarbeiten von Haller bis Goethe fußt, öffnet Humboldts „Nature Writing“ entschieden die Tür zur wissenschaftlichen und literarischen Modernität. Seine „die Welt vermessende Naturforschung“ sei, so Detering, „untrennbar verbunden mit einer neuartigen, nicht mehr klassisch-elegischen, sondern prosaisch-modernen Naturdichtung“ – und somit wahrscheinlich schon näher bei Lévi-Strauss als bei Brockes. In der Analyse Humboldts kann Detering dann auch seine leitende These von einer „ökologischen Poetik“ eingelöst sehen, insofern hier (und erst hier, muss man sagen) „literarische“ und „wissenschaftliche Erneuerungskraft“ sich gegenseitig beflügeln. Das erklärt auch, warum der Autor des „Kosmos“, der „Ansichten der Natur“ oder der „Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse“ langsamer oder glücklicher altert als mancher seiner hier versammelten Kollegen, und warum ihm im Zeichen des Anthropozäns, des Nature Writing und des Ecocriticism so viel Aufmerksamkeit zuteil wird.
Wohnt nun aber der ökologischen Poetik, gemäß ihrer theologischen Frühgeschichte, ein Quantum Naturfrömmigkeit fast unvermeidlich inne? Fast möchte man es meinen, wenn man sieht, wie Detering sein Buch enden lässt, mit einem Zitat nämlich aus Humboldts Bericht über „Das nächtliche Thierleben im Urwalde“ von 1849, worin Humboldt nachts in jedem Strauch und jedem Baum die „vielen Stimmen der Natur“ zu hören meint, „vernehmbar dem frommen, empfänglichen Gemüthe des Menschen.“
Heinrich Detering: Menschen im Weltgarten. Die Entdeckung der Ökologie in der Literatur von Haller bis Humboldt. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 458 Seiten, 36,90 Euro.
Bei Carl von Linné verbindet sich
exakte Wissenschaft
mit kritischer Sorge
Auf der Suche nach
der „Urpflanze“ tut sich
für Goethe der Weltgarten auf
Humboldt hörte „viele Stimmen der Natur“, „vernehmbar dem frommen, empfänglichen Gemüthe.“ Das Foto zeigt den Regenwald am Amazonas. Foto: Larissa Rodrigues/dpa
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»In atemberaubenden Studien hat Detering die Vorgeschichte ökologischen Denkens in der deutschen Literatur seit dem Barock nachgezeichnet.« (Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 18./19.07.2020) »In diesem Buch (steht) die Literatur und deren Durchdringung immer an erster Stelle. Deshalb ist es so aufschlussreich und lesenswert.« (Alexander Kosenina, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.02.2020) »Im vorwissenschaftlichen Raum des klassischen Zeitalters wird die Geschichte der Natur interessant.« (Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung, 11.05.2020) »Mit den Mitteln eines close reading (...) vor weit gespanntem literatur- und kulturhistorischen Horizont bringt (Detering) seine Texte zum Leuchten.« (Hans von Trotha, Deutschlandfunk Kultur Buchkritik, 27.04.2020) »Eine Entdeckungsreise durch eine literarische Textlandschaft.« (Gudrun Braunsperger, ORF Ö1 Ex libris, 11.05.2020) »Es gibt sie noch: die gute wissenschaftliche Monographie« (Johann Hinrich Claussen, zeitzeichen, 8/2020) »So fügen sich bei der Lektüre Zeitreise und Gegenwartsdiagnose zu einer Einheit, die überrascht.« (Berbeli, Wanning, Forschung & Lehre, 11/20)