Louisiana, 1940er Jahre: Es soll Will Jones' letzter Abend sein. In dieser Nacht soll das Todesurteil gegen den jungen Afroamerikaner, der fast noch ein Kind ist, vollzogen werden. Er soll ein weißes Mädchen vergewaltigt haben, doch in Wahrheit waren die beiden ein Paar. Grace konnte ihm jedoch vor
Gericht nicht helfen. Kurz nach der Entdeckung durch den Vater beging sie Selbstmord. Ganz St.…mehrLouisiana, 1940er Jahre: Es soll Will Jones' letzter Abend sein. In dieser Nacht soll das Todesurteil gegen den jungen Afroamerikaner, der fast noch ein Kind ist, vollzogen werden. Er soll ein weißes Mädchen vergewaltigt haben, doch in Wahrheit waren die beiden ein Paar. Grace konnte ihm jedoch vor Gericht nicht helfen. Kurz nach der Entdeckung durch den Vater beging sie Selbstmord. Ganz St. Martinsville ist heute Abend unruhig. Die einen freuen sich auf ein Spektakel, während sich die anderen mit schwerem Herzen zur Hinrichtung begeben, die sie bezeugen müssen. Einigen von ihnen kommen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dessen, was geschehen soll, nicht zuletzt dem Staatsanwalt, der für das Urteil verantwortlich ist ...
"Mercy Seat" ist sehr beklemmend und dennoch ein sehr, sehr gutes Buch. Die Handlung findet lediglich während der letzten 24 Stunden bis zur Vollstreckung des Todesurteils statt und trotzdem bekommt man einen sehr tiefen Einblick in das Leben in Louisiana zu dieser Zeit, in der Bürger sich offen zu ihrer Mitgliedschaft im Ku-Klux-Klan bekennen und es für die Vergehen von Schwarzen ganz andere Strafmaßstäbe gibt als für die Vergehen von Weißen. Dieser Einblick gelingt besonders durch die vielen verschiedenen Perspektiven von Personen, die alle in irgendeinem Zusammenhang mit dem Geschehen stehen ... oder noch stehen werden. Da ist Lane, selbst Häftling, der jedoch als Weißer für einen Mord nur zehn Jahre Haftstrafe bekommen hat, von denen er sechs bereits abgesessen hat. Sein erster Tag Freigang dient dazu, zusammen mit einem Captain den elektrischen Stuhl nach St. Martinsville zur Hinrichtung zu fahren. Da sind auch Ora und Dale, die die Tankstelle betreiben, an der Transport mit dem elektrischen Stuhl vorbeikommt und die noch anderweitig mit der Handlung verknüpft sein werden. Auch Frank, Wills Vater, ist auf den Weg nach St. Martinsville. Er hat den Grabstein für seinen Sohn besorgt. Doch er hat das Ganze so lange hinausgezögert, dass er jetzt möglicherweise gar nicht rechtzeitig zurück sein wird, um seinen Sohn noch einmal zu sehen. Hannigan, der Priester, kommt ebenso zu Wort, wie der Staatsanwalt Polly und auch dessen Frau, die ihren Mann zum ersten Mal hinterfragt, und sein Sohn Gabe, der sich in dieser Welt zu orientieren versucht und dessen Sicherheit nicht wenig mit Pollys Entscheidungen zusammenhängt. Und natürlich Will, der keinen Kampfgeist mehr hat und dessen Perspektive die Handlung noch erdrückender und beklemmender macht, wenn man mit ihm seine verbleibende Zeit herunterzählt.
Dieses Buch ist unglaublich gut. Es schafft, den Leser zu fesseln und zu berühren und ist dabei in keinem Moment kitschig, pathetisch oder moralisierend. Die kurzen Kapitel aus den immer wieder wechselnden Perspektiven treiben beim Lesen geradezu an, sie bestehen jeweils immer nur aus wenigen Seiten und dennoch schafft die Autorin es, eine komplexe Situation herzustellen und eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sowohl die Angst und Trauer der direkter Betroffenen spürt, als auch die Wut des Mobs und die sengende Hitze des Landstrichs. Die Figuren sind so lebensecht und glaubhaft gezeichnet, dass man glaubt, man müsste nur die Hand nach ihnen ausstrecken. Aber die Autorin erspart dem Leser auch nichts. Man bekommt zunehmend Beklemmung, hofft immer stärker auf einen Ausgang mit Happy End und spürt fast körperlich den Uhrzeiger ticken.
Winthrop gibt einen schonungslosen Einblick in eine Gesellschaft, in der das Leben von Menschen unterschiedlichen Wert hat und in der Rachebedürfnis und "White Supremacy" zu massiver Ungerechtigkeit führen, die selbst die Afroamerikaner hinnehmen und nicht in Frage stellen. "Mercy Seat" vermittelt stärker als jeder Pressebericht und jede öffentliche Debatte das Bedürfnis, so etwas nie wieder geschehen zu lassen. In meinen Augen ist dieses Buch inhaltlich extrem wertvoll und dabei gleichzeitig anspruchsvolle Literatur.