Deutschland, Ende der sechziger Jahre: Der fünfzehnjährige Simon lebt mit Eltern und jüngerem Bruder in einer Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Alltagssorgen und die Enge des Milieus lassen nur wenig Raum für das Glück, um das hier jeder auf seine Weise kämpft. Die Mutter näht sich jede Woche ein neues Kleid und vergißt samstags beim Tanz die Tristesse ihrer Ehe. Simons Freund Pavel, ein melancholischer Rebell, durchstreift die Gegend auf seiner Zündapp, immer auf der Suche nach Mädchen und Abenteuern. Simon selbst ist mit dem Erwachsenwerden beschäftigt und versucht nebenbei, seinen halb verwilderten Bruder zu bändigen. Als eines Tages zwei italienische Gastarbeiter auftauchen, fällt ein Hoffnungsschimmer in das Dunkel - ein Erlebnis, das die mürbe gewordenen Beziehungen auf eine harte Probe stellt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2000Humor der Trauernden
Ralf Rothmann zeigt Sympathie für die Kriegsgeneration
„Anthrazit, so hieß auch eine Kohleart, die teuerste damals, und wer kann das Wort hören, ohne an die Haufen zu denken, die an manchen Nachmittagen vor den Kellerfenstern der verschneiten Siedlung lagen. ”
In den ersten Sätzen bereits steckt Ralf Rothmann meisterhaft die Koordinaten seines Textes ab: markante Kontraste, Schlüsselwörter, die ein ganzes Milieu prägen, vor allem aber Gefühle von schmerzlicher Süße dominieren die Erinnerungen an die Sechziger, jene Zeit kurz vor dem großen Umbruch, in welche die Adoleszenz von Rothmanns Held Simon fällt. Anthrazitfarben ist auch der Anzug, den Simon bei der Beerdigung seiner Mutter trägt, an Stelle des konventionellen Schwarz, denn: „Das hätte sie kaum gemocht. ” Das finale Ereignis bildet den Rahmen des Romans, dessen Thema, wie die dichotome Symbolik des Titels signalisiert, nicht allein das fragile Verhältnis von Frau und Mann, sondern ebenfalls eine diffizile Mutter-Sohn-Beziehung ist.
In den seit 1991 erschienenen Romanen Stier, Wäldernacht und Flieh, mein Freund schildert der 1953 geborene Autor die Nöte der Persönlichkeitsbildung durchwegs als kritische Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt. Nunmehr zeigt er für diese und vor allem für die Wunden der Kriegsgeneration viel Verständnis und Sympathie. Simons Vater ist ein Hauer, der „mit nichts als Rama und Salz auf der Dubbel für zehn Stunden unter Tage” arbeitet, weil die Ratenzahlung für Schrankwand und Fernseher „gleich den Lohn weggefressen” hat. Trotz des bisweilen elegischen Tons lässt die genaue Beobachtung des Ich-Erzählers keine Kumpel-Romantik aufkommen: „Kohlschwarz das ganze Gesicht. Nur die Augen, die Skleren leuchteten so weiß – es sah wie das reine Entsetzen aus. ”
Eine verratene Jugend, Vertreibung und Vergewaltigung gar, Zufall und Zeitläufte haben die Eltern aus Westpreußen in den Ruhrpott verschlagen, den großen Schmelztiegel nicht nur der Nachkriegszeit. Während der Vater der Landwirtschaft nachtrauert und sich vor Fischaquarium und Kanarienkäfig in die Natur zurück träumt, verliebt sich die Mutter („Wenn der Richtige kommt, bin ich unersättlich”) in einen der ersten Gastarbeiter aus dem Süden. Die große Sehnsucht und die kleinen Möglichkeiten verlangen ihren Preis. Schließlich sitzen beide auf den Trümmern ihrer Ehe. Weil sie jetzt „in Scheidung lebt”, wird die Mutter für die Männer zum Freiwild. Die Demütigung der Mutter erlebt der Sohn im Rückblick als Lektion in Lebenskunde: „Sie spürte meinen Blick, erwiderte ihn aber nicht. Plötzlich blass, kam sie mir viel jünger vor, ein verletztes Mädchen, beleidigt und trotzig zugleich. ”
Rothmann geht nahe an seine Personen heran, beschreibt ihre Hilflosigkeit und wie sie die Farbe verlieren, wenn sie sich ertappt fühlen bei ihren kleinen Fluchten aus dem Wirtschaftswunderland, das den Aufbauwillen mit dem Leben gleichsetzt. Die Älteren sind keine Stolpersteine, sondern Leitern, über deren zerbrechende Sprossen die Jungen dem Dunkel der Verhältnisse entfliehen.
Bald wird das Netz reißen
Die Jugendlichen registrieren die Defizite der Erwachsenenwelt genau. Sie spüren die Kälte, die beispielsweise in den Schlafzimmern herrschte, welche nie beheizt wurden in der Kohlezeit; sie erkennen die Scheinwelt eines modegestützten Selbstbewusstseins („Ihr Büstenhalter war lächerlich spitz”) und sie durchschauen eine Lebenslüge, welche wohl jede Elterngeneration kolportiert: „Aber trotzdem war dies die irgendwie . . . schönere Zeit”, heißt es, wenn Entbehrungen verklärt werden gegenüber den Kindern, denen angeblich alles in den Schoß fällt.
Die Kinder proben, schwankend zwischen Homo- und Autoerotik, inzwischen den Aufstand, der in der Provinz lediglich zur handfesten Auseinandersetzung mit dem Vater reicht. Dass die beschriebene Pubertät mit derjenigen der Republik zusammenfällt, darin liegt der Reiz der erinnerten Zeit und des Romans. In dessen Dialogen knistert überall die Spannung, welche das mühsam errichtete soziale Gefüge der Nachkriegszeit bald darauf zerreißen wird. Die filmnahen Rückblenden lassen noch einmal die Fanfaren des Protestes erklingen, die frühen Songs der Beatles etwa aus der Liverpooler Arbeitswelt. Sie zeigen, ohne je die Schlagzeilen einer hochpolitisierten Epoche zu bemühen, die rasanten Veränderungen im Kleinen, die erst eine leidlich saturierte Jugend demonstrativ in die Öffentlichkeit trug, bevor Entwurzelung und Unbehaustheit heute zum globalen Erfahrungsgut geworden sind.
Am Ende lässt Simon, inzwischen Universitätsdozent und weltweit gelesener Schriftsteller, den Blick in die Landschaft schweifen, die seine Jugend prägte und die bereits nicht mehr existiert: Die Gute-Hoffnungs-Hütte stillgelegt, „die Kühltürme geschleift, die Halden abgetragen”. Erst angesichts der Asche seiner Mutter kann der Sohn die Fremdheit zwischen den Generationen überwinden und die Verluste, auch der Emanzipation, betrauern. Der Frau, der im Leben nichts geschenkt wurde, ruft er nach: „Na denn, Mädchen . . . Lass dir was Schönes schenken. ” Das Fazit, das auch die Schreibweise des Autors prägt, lässt er indes den Bestatter aussprechen: „Die wirklich Trauernden erkennt man an ihrem Humor. ” Versöhnlich schließt denn auch der Roman. Im Epilog trifft der Erzähler den Jugendfreund Pavel unverhofft als Mönch im japanischen Soren-Ji-Kloster wieder. Hier übt der ehemals durchtriebene Zyniker und Propagandist des hedonistischen Aufbruchs das innere Gleichgewicht. Dieses liegt in einer Gewissheit, welche die Literatur seit jeher vermittelt und an die daher ein Roman über bewegte Zeiten erinnern muss, wonach der Mensch nichts anderes ist als „Staub, der einen Besuch abstattet”.
HERIBERT HOVEN
RALF ROTHMANN: Milch und Kohle. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 216 Seiten, 36 Mark.
Milder geworden: Ralf Rothmann
Foto: Jürgen Bauer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ralf Rothmann zeigt Sympathie für die Kriegsgeneration
„Anthrazit, so hieß auch eine Kohleart, die teuerste damals, und wer kann das Wort hören, ohne an die Haufen zu denken, die an manchen Nachmittagen vor den Kellerfenstern der verschneiten Siedlung lagen. ”
In den ersten Sätzen bereits steckt Ralf Rothmann meisterhaft die Koordinaten seines Textes ab: markante Kontraste, Schlüsselwörter, die ein ganzes Milieu prägen, vor allem aber Gefühle von schmerzlicher Süße dominieren die Erinnerungen an die Sechziger, jene Zeit kurz vor dem großen Umbruch, in welche die Adoleszenz von Rothmanns Held Simon fällt. Anthrazitfarben ist auch der Anzug, den Simon bei der Beerdigung seiner Mutter trägt, an Stelle des konventionellen Schwarz, denn: „Das hätte sie kaum gemocht. ” Das finale Ereignis bildet den Rahmen des Romans, dessen Thema, wie die dichotome Symbolik des Titels signalisiert, nicht allein das fragile Verhältnis von Frau und Mann, sondern ebenfalls eine diffizile Mutter-Sohn-Beziehung ist.
In den seit 1991 erschienenen Romanen Stier, Wäldernacht und Flieh, mein Freund schildert der 1953 geborene Autor die Nöte der Persönlichkeitsbildung durchwegs als kritische Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt. Nunmehr zeigt er für diese und vor allem für die Wunden der Kriegsgeneration viel Verständnis und Sympathie. Simons Vater ist ein Hauer, der „mit nichts als Rama und Salz auf der Dubbel für zehn Stunden unter Tage” arbeitet, weil die Ratenzahlung für Schrankwand und Fernseher „gleich den Lohn weggefressen” hat. Trotz des bisweilen elegischen Tons lässt die genaue Beobachtung des Ich-Erzählers keine Kumpel-Romantik aufkommen: „Kohlschwarz das ganze Gesicht. Nur die Augen, die Skleren leuchteten so weiß – es sah wie das reine Entsetzen aus. ”
Eine verratene Jugend, Vertreibung und Vergewaltigung gar, Zufall und Zeitläufte haben die Eltern aus Westpreußen in den Ruhrpott verschlagen, den großen Schmelztiegel nicht nur der Nachkriegszeit. Während der Vater der Landwirtschaft nachtrauert und sich vor Fischaquarium und Kanarienkäfig in die Natur zurück träumt, verliebt sich die Mutter („Wenn der Richtige kommt, bin ich unersättlich”) in einen der ersten Gastarbeiter aus dem Süden. Die große Sehnsucht und die kleinen Möglichkeiten verlangen ihren Preis. Schließlich sitzen beide auf den Trümmern ihrer Ehe. Weil sie jetzt „in Scheidung lebt”, wird die Mutter für die Männer zum Freiwild. Die Demütigung der Mutter erlebt der Sohn im Rückblick als Lektion in Lebenskunde: „Sie spürte meinen Blick, erwiderte ihn aber nicht. Plötzlich blass, kam sie mir viel jünger vor, ein verletztes Mädchen, beleidigt und trotzig zugleich. ”
Rothmann geht nahe an seine Personen heran, beschreibt ihre Hilflosigkeit und wie sie die Farbe verlieren, wenn sie sich ertappt fühlen bei ihren kleinen Fluchten aus dem Wirtschaftswunderland, das den Aufbauwillen mit dem Leben gleichsetzt. Die Älteren sind keine Stolpersteine, sondern Leitern, über deren zerbrechende Sprossen die Jungen dem Dunkel der Verhältnisse entfliehen.
Bald wird das Netz reißen
Die Jugendlichen registrieren die Defizite der Erwachsenenwelt genau. Sie spüren die Kälte, die beispielsweise in den Schlafzimmern herrschte, welche nie beheizt wurden in der Kohlezeit; sie erkennen die Scheinwelt eines modegestützten Selbstbewusstseins („Ihr Büstenhalter war lächerlich spitz”) und sie durchschauen eine Lebenslüge, welche wohl jede Elterngeneration kolportiert: „Aber trotzdem war dies die irgendwie . . . schönere Zeit”, heißt es, wenn Entbehrungen verklärt werden gegenüber den Kindern, denen angeblich alles in den Schoß fällt.
Die Kinder proben, schwankend zwischen Homo- und Autoerotik, inzwischen den Aufstand, der in der Provinz lediglich zur handfesten Auseinandersetzung mit dem Vater reicht. Dass die beschriebene Pubertät mit derjenigen der Republik zusammenfällt, darin liegt der Reiz der erinnerten Zeit und des Romans. In dessen Dialogen knistert überall die Spannung, welche das mühsam errichtete soziale Gefüge der Nachkriegszeit bald darauf zerreißen wird. Die filmnahen Rückblenden lassen noch einmal die Fanfaren des Protestes erklingen, die frühen Songs der Beatles etwa aus der Liverpooler Arbeitswelt. Sie zeigen, ohne je die Schlagzeilen einer hochpolitisierten Epoche zu bemühen, die rasanten Veränderungen im Kleinen, die erst eine leidlich saturierte Jugend demonstrativ in die Öffentlichkeit trug, bevor Entwurzelung und Unbehaustheit heute zum globalen Erfahrungsgut geworden sind.
Am Ende lässt Simon, inzwischen Universitätsdozent und weltweit gelesener Schriftsteller, den Blick in die Landschaft schweifen, die seine Jugend prägte und die bereits nicht mehr existiert: Die Gute-Hoffnungs-Hütte stillgelegt, „die Kühltürme geschleift, die Halden abgetragen”. Erst angesichts der Asche seiner Mutter kann der Sohn die Fremdheit zwischen den Generationen überwinden und die Verluste, auch der Emanzipation, betrauern. Der Frau, der im Leben nichts geschenkt wurde, ruft er nach: „Na denn, Mädchen . . . Lass dir was Schönes schenken. ” Das Fazit, das auch die Schreibweise des Autors prägt, lässt er indes den Bestatter aussprechen: „Die wirklich Trauernden erkennt man an ihrem Humor. ” Versöhnlich schließt denn auch der Roman. Im Epilog trifft der Erzähler den Jugendfreund Pavel unverhofft als Mönch im japanischen Soren-Ji-Kloster wieder. Hier übt der ehemals durchtriebene Zyniker und Propagandist des hedonistischen Aufbruchs das innere Gleichgewicht. Dieses liegt in einer Gewissheit, welche die Literatur seit jeher vermittelt und an die daher ein Roman über bewegte Zeiten erinnern muss, wonach der Mensch nichts anderes ist als „Staub, der einen Besuch abstattet”.
HERIBERT HOVEN
RALF ROTHMANN: Milch und Kohle. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000. 216 Seiten, 36 Mark.
Milder geworden: Ralf Rothmann
Foto: Jürgen Bauer
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2000Hüftkreiseln vor Herdplatten
Ralf Rothmanns Fernwehroman · Von Thomas Wirtz
Es gibt Tanzanleitungen, die vor allem frisch gebadeten Rauchern einleuchten: "Du stellst einen Fuß vor und tust, als würdest du mit der Schuhspitze eine Kippe ausdrücken, so. Und die Arme und Hände bewegst du, als würdest du dir mit einem Handtuch den Rücken abfrottieren, so. Das ist alles. Dabei gehst du runter, runter - und wieder hoch. Und dann den anderen Fuß vor, Kippe ausdrücken, Kreuz frottieren, runter, hoch - und immer schneller."
Twist ist die bewegte Allegorie der frühen sechziger Jahre: ein Stillstand bei durchrüttelnder Körperunruhe, eine Standorttreue mit vergeblichen Ausbruchsversuchen im Hüftbereich. Raum lässt sich so nicht erobern; zu bodenständig bleiben die Füße, um Ansprüche an die unendliche Weite einer Tanzfläche anzumelden. Twist ist deshalb ein Angebot für Wohnküchengefangene, die zwischen Herdplatte und Einbauschrank ihren einen Quadratmeter nicht verlassen dürfen. Wo der Walzer weit in die feudal verteilte Fläche ausgreift und der Tango zuallerletzt an Bratengeruch denken lässt, empfiehlt sich der Twist als Lockerungsübung zwischen anderen Hausarbeiten. Deshalb besitzt seine Beschreibung mittels Handtuch und Zigarettenrest zu Recht den Charme von Küchenpoesie. Twist ist das Surrogat freiheitssüchtiger Hausfrauen, die das leicht anbrennende Fleisch dennoch nicht aus den Augen verlieren wollen.
Dieses Einzelkämpfertum, das sich aus dem Griff des Tanzpartners gelöst hat und dennoch nicht von der eingewurzelten Stelle kann, hatte im Ruhrgebiet seine einsichtigsten Anhänger. Es ist das Rothmann-Land, das auch von dem neuen Roman "Milch und Kohle" bis in die geteerten Winkel hinein vermessen wird. Dort, wo schon der Wind mit Staublunge bläst und die Häuser samt ihren Bewohnern Bergschäden erleiden, hat Ralf Rothmann sein ganzes Werk zwischen Fördertürmen und Taubenschlägen verspannt. Seit seinem ersten Roman "Stier" horcht er diese "Herzgrube der Nation" auf Rhythmusstörungen ab, klopft ihr herzhaft die Kohle aus der Lunge und sucht die künstlerische Beatmung durch Flucht.
Denn das Ruhrgebiet ist ihm eine Heimat, die nur mit Fernweh zu ertragen ist. Erst ist Berlin, wo die Helden seiner früheren Bücher Unterschlupf fanden, baut sich die kohlenschwarze Kindheit in der Erinnerung farbenfroher wieder auf. Diese Gedankenspiele sind dem Twist ähnlich: All seine jungen Männer wollen unter dem grauen Himmel weglaufen und den Horizont hinter den Halden erreichen, doch von der Stelle kommen sie eigentlich nicht.
Auch in "Milch und Kohle" erscheint dem Leser deshalb vieles vertraut. Das Buch scheint eine weitere Variante des einen Rothmann'schen Urromans zu sein, ein neuer Gang im Zeilenbergbau, der Bekanntes zutage fördert. Vor allem die Biografie des Helden Simon Wess ist die eines Wiedergängers. Wie vor ihm schon Kai Carlsen oder Louis Blaul erzählt er aus der Ich-Perspektive seine Flucht zum Schriftsteller-Dasein, seinen Ausbruch aus der verklemmten Wohnküche in die weite Welt, wo er nur die Enge seiner zurückgelassenen ersten Jahre konservieren will und sie deshalb zum Gegenstand seines Schreibens macht. Auch er ist ein Schriftsteller, der im eigenen Seelenflöz Schwerstarbeit leistet. Jetzt muss er in der Rahmenhandlung ins Ruhrgebiet zurückkehren, um seine Mutter zu beerdigen.
Anders als seine Romanvorgänger besitzt Simon nicht den burlesken Sprachton, der sich vergangener Katastrophen mit Leichtzüngigkeit erwehrt. Mit seinen fünfzehn Jahren ist er zu sehr von seinem eigenen Körper verschüchtert, um schon jetzt die lautstarke Familie zu fliehen. Diese Verhaltenheit im Ton ist neu bei Rothmann, und für seinen Roman ist sie ein großer Gewinn. Denn sie macht Simon zu einem Beobachter, der mit seiner Unauffälligkeit das zerstörerische Leben der anderen nicht unterbricht. Wo die Helden zuvor das Leben nur deshalb ertrugen, weil sie ihm einen Spracheinfall abgewannen oder mit einer Metapher die geschlagene Wunde zudeckten, registriert Simon die Ereignisse wie ein unbeteiligter Chronist. Er ist dabei, doch nicht mittendrin; er nimmt teil nicht mit der Souveränität des Verklärers, sondern mit dem genauen Gedächtnis eines Unberührbaren. Dieses Paradox einer unmittelbar beteiligten Ferne gibt den Lebensuntergängen der anderen Würde: Die Figuren sind in dem Maße wichtiger geworden, wie sie dem selbstdarstellenden Witz des Erzählers nicht mehr ausgeliefert sind.
Umkreist von ihrem halbwüchsigen Beobachter wird die Mutter. Sie ist Insasse und versuchte Ausbrecherin der Wohnküche, ihr Twist ein Davonlaufen in jedem Drehmoment. Auch sie gehört zum festen Personal der Rothmann'schen Dramenwelt, eine imaginäre Schwester von Marianne aus dem zuletzt erschienenen Buch "Flieh, mein Freund!". Beide Frauen geben zu verstehen, dass ihre Sehnsucht nach dem wirklicheren Leben kein Familienunternehmen sein kann. Wo die Vorgängerin mit Hasch die Sozialgrenzen überflog oder tatsächlich grußlos über Wochen verschwand, flüchtet Simons Mutter in den samstäglichen Tanzabend der Gaststätte Maus. Im Revier ist er der Schauplatz für den kontrollierten Unzuchtversuch, das vorbereitende Nagellacken eine Körperkriegsbemalung. Der Sohn bewundert diesen Egoismus und wird ihn im Schreiben nachahmen. Hier begegnet ihm eine Lebensgier, die das Opfer wert ist.
Wie eng die Romane miteinander verzahnt sind, wie hartnäckig sie die wenigen Biografien gleich einer Twistbewegung auf der Stelle weiterdrehen, zeigt ein Blick in Rothmanns ersten Roman "Stier" von 1991. Irgendwo heißt es dort über einen Hausfreund: "Er konnte wunderbar kochen, war witzig, klug, sah sehr gut aus, hieß auch noch Gino Perfetto." Während er mit diesem einen Nebensatz damals aus dem Buch verschwand, taucht er in "Milch und Kohle" als Auslöser der Familienkatastrophe wieder auf. Gino Perfettos Kochkunst, das plötzliche Auftauchen von gebratenen Sardinen im Sauerbraten-Revier, ist das Versprechen eines anderen Lebens. Simons Mutter greift nach der verbotenen Meeresfrucht und bricht aus dem Ehebett in ein anderes Verhältnis aus. Der Reigen an Gewalt, der sich daran anknüpft, wird von Simon mit unbeeindruckter Chronistenpflicht erinnert. Die ausgeteilten Schläge, die selbstzerstörerischen Krämpfe seines Bruders finden in ihm keinen Richter. In dieser mitleidlosen, zupackenden Welt, die mit Handgreiflichkeiten verständlich spricht, sind Konflikte so wenig therapierbar wie Sehnsüchte. Beide gilt es nur zu überleben.
"Milch und Kohle" beweist, dass die Variationen des einen Urromans nicht mit seiner gelangweilten Wiederholung zu verwechseln sind. Ralf Rothmann ist seinen alten Ideen treu geblieben: der Brutalität des Lebenswillens, der Schwärze und folglich Lebensfarbengier des Ruhrgebiets, dem Schreiben als einer anderen Art des Familienalbums. Seine früheren Romane haben daraus zuweilen Schelmenstücke gemacht, die mit dem grotesken Witz auch die körperliche Gewalt dieser literarischen Tradition teilten. Das neue Buch nun verdichtet alle diese Motive zu einem intensiveren Kammerspiel. Der Blick verengt sich auf eine Kleinstbürgerwelt, die mit ihrer Banalität an Unausweichlichkeit gewinnt. Das Kommen und Gehen von Randfiguren unterbleibt, die zuvor für Entlastung sorgten. Mit diesem Verzicht auf die überdrehte Ablenkung erhöht sich der Druck im Familieninnern. Kein Sprachwitz befreit aus der Enge, keine exzentrische Geste eröffnet Ausweichräume, wenn die Figuren ihre bürgerliche Bahn verlassen haben. "Milch und Kohle" ist ein Besuch in der Rothmann-Welt, der sich die gute Ausflugslaune versagt hat.
Zu dieser größeren Geradlinigkeit passt der melancholische Epilog. Rothmanns Romane waren immer auch späte Nachkommen des Bildungsromans, die Flucht des Helden aus dem Milieu ein Ankommen im Schreiben. Auch Simon ende wohl als erfolgreicher Autor, der seine Herkunft zur niedergeschriebenen Erinnerung verwerten kann. "Studium der Stille" heißt eines der bisher erschienenen Bücher. Doch auf diese klassische Rettung in der Schrift fällt nun ein selbstironischer Schatten. Auf einer Vortragsreise in Japan anlässlich einer Buchübersetzung nimmt Simon an einer Meditationsübung im Zen-Kloster teil. Die versuchte Selbstauslöschung, das von der Zen-Religion versprochene Denken des Nichtdenken, bezahlt er mit westeuropäischen Gliederkrämpfen und einem kollabierendem Kreislauf. Den Mönch aber, der ihn hinterrücks zum Durchhalten auffordert, erkennt er an der Stimme als seinen verschwundenen Jugendfreund Pavel. Er war damals aus dem Revier ausgebrochen, weil er die Aussicht auf den Bausparvertrag und die Mitgliedschaft im Taubenzuchtverein nicht ertragen konnte. Nun führt er eine gesichtslose, ichenthobene Existenz im Kloster, eine reine Stimme, die in einem neuen Rufnamen angekommen ist: Bonnô, das ist "Staub, der einen Besuch abstattet". Pavel hat sich ins Nichts verbrannt.
Dahinter bleibt Simons ungenaues Schreiben zurück. Die neue Relativität der Bildungsschreibidee lässt die Rothmann-Welt in den Fugen knarren. Zwar hält sie an der bürgerlichen Idee eines gelingenden Selbstentwurfs fest, doch der Inhalt dieser Idee ist mit dem bürgerlichen Ende, der Entindividualisierung, gleichbedeutend. Rothmann widerruft nicht die Hoffnung, doch das Gerettete ist nicht mehr von dieser, der klassischen Welt; das vollendete Buch ist nicht länger der Beweis eines sinnvollen Lebens. Zur Tugend dieses geradlinigen Romans gehört, dass er an seinem eigenen Gelingen zweifelt.
Ralf Rothmann: "Milch und Kohle". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 211 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ralf Rothmanns Fernwehroman · Von Thomas Wirtz
Es gibt Tanzanleitungen, die vor allem frisch gebadeten Rauchern einleuchten: "Du stellst einen Fuß vor und tust, als würdest du mit der Schuhspitze eine Kippe ausdrücken, so. Und die Arme und Hände bewegst du, als würdest du dir mit einem Handtuch den Rücken abfrottieren, so. Das ist alles. Dabei gehst du runter, runter - und wieder hoch. Und dann den anderen Fuß vor, Kippe ausdrücken, Kreuz frottieren, runter, hoch - und immer schneller."
Twist ist die bewegte Allegorie der frühen sechziger Jahre: ein Stillstand bei durchrüttelnder Körperunruhe, eine Standorttreue mit vergeblichen Ausbruchsversuchen im Hüftbereich. Raum lässt sich so nicht erobern; zu bodenständig bleiben die Füße, um Ansprüche an die unendliche Weite einer Tanzfläche anzumelden. Twist ist deshalb ein Angebot für Wohnküchengefangene, die zwischen Herdplatte und Einbauschrank ihren einen Quadratmeter nicht verlassen dürfen. Wo der Walzer weit in die feudal verteilte Fläche ausgreift und der Tango zuallerletzt an Bratengeruch denken lässt, empfiehlt sich der Twist als Lockerungsübung zwischen anderen Hausarbeiten. Deshalb besitzt seine Beschreibung mittels Handtuch und Zigarettenrest zu Recht den Charme von Küchenpoesie. Twist ist das Surrogat freiheitssüchtiger Hausfrauen, die das leicht anbrennende Fleisch dennoch nicht aus den Augen verlieren wollen.
Dieses Einzelkämpfertum, das sich aus dem Griff des Tanzpartners gelöst hat und dennoch nicht von der eingewurzelten Stelle kann, hatte im Ruhrgebiet seine einsichtigsten Anhänger. Es ist das Rothmann-Land, das auch von dem neuen Roman "Milch und Kohle" bis in die geteerten Winkel hinein vermessen wird. Dort, wo schon der Wind mit Staublunge bläst und die Häuser samt ihren Bewohnern Bergschäden erleiden, hat Ralf Rothmann sein ganzes Werk zwischen Fördertürmen und Taubenschlägen verspannt. Seit seinem ersten Roman "Stier" horcht er diese "Herzgrube der Nation" auf Rhythmusstörungen ab, klopft ihr herzhaft die Kohle aus der Lunge und sucht die künstlerische Beatmung durch Flucht.
Denn das Ruhrgebiet ist ihm eine Heimat, die nur mit Fernweh zu ertragen ist. Erst ist Berlin, wo die Helden seiner früheren Bücher Unterschlupf fanden, baut sich die kohlenschwarze Kindheit in der Erinnerung farbenfroher wieder auf. Diese Gedankenspiele sind dem Twist ähnlich: All seine jungen Männer wollen unter dem grauen Himmel weglaufen und den Horizont hinter den Halden erreichen, doch von der Stelle kommen sie eigentlich nicht.
Auch in "Milch und Kohle" erscheint dem Leser deshalb vieles vertraut. Das Buch scheint eine weitere Variante des einen Rothmann'schen Urromans zu sein, ein neuer Gang im Zeilenbergbau, der Bekanntes zutage fördert. Vor allem die Biografie des Helden Simon Wess ist die eines Wiedergängers. Wie vor ihm schon Kai Carlsen oder Louis Blaul erzählt er aus der Ich-Perspektive seine Flucht zum Schriftsteller-Dasein, seinen Ausbruch aus der verklemmten Wohnküche in die weite Welt, wo er nur die Enge seiner zurückgelassenen ersten Jahre konservieren will und sie deshalb zum Gegenstand seines Schreibens macht. Auch er ist ein Schriftsteller, der im eigenen Seelenflöz Schwerstarbeit leistet. Jetzt muss er in der Rahmenhandlung ins Ruhrgebiet zurückkehren, um seine Mutter zu beerdigen.
Anders als seine Romanvorgänger besitzt Simon nicht den burlesken Sprachton, der sich vergangener Katastrophen mit Leichtzüngigkeit erwehrt. Mit seinen fünfzehn Jahren ist er zu sehr von seinem eigenen Körper verschüchtert, um schon jetzt die lautstarke Familie zu fliehen. Diese Verhaltenheit im Ton ist neu bei Rothmann, und für seinen Roman ist sie ein großer Gewinn. Denn sie macht Simon zu einem Beobachter, der mit seiner Unauffälligkeit das zerstörerische Leben der anderen nicht unterbricht. Wo die Helden zuvor das Leben nur deshalb ertrugen, weil sie ihm einen Spracheinfall abgewannen oder mit einer Metapher die geschlagene Wunde zudeckten, registriert Simon die Ereignisse wie ein unbeteiligter Chronist. Er ist dabei, doch nicht mittendrin; er nimmt teil nicht mit der Souveränität des Verklärers, sondern mit dem genauen Gedächtnis eines Unberührbaren. Dieses Paradox einer unmittelbar beteiligten Ferne gibt den Lebensuntergängen der anderen Würde: Die Figuren sind in dem Maße wichtiger geworden, wie sie dem selbstdarstellenden Witz des Erzählers nicht mehr ausgeliefert sind.
Umkreist von ihrem halbwüchsigen Beobachter wird die Mutter. Sie ist Insasse und versuchte Ausbrecherin der Wohnküche, ihr Twist ein Davonlaufen in jedem Drehmoment. Auch sie gehört zum festen Personal der Rothmann'schen Dramenwelt, eine imaginäre Schwester von Marianne aus dem zuletzt erschienenen Buch "Flieh, mein Freund!". Beide Frauen geben zu verstehen, dass ihre Sehnsucht nach dem wirklicheren Leben kein Familienunternehmen sein kann. Wo die Vorgängerin mit Hasch die Sozialgrenzen überflog oder tatsächlich grußlos über Wochen verschwand, flüchtet Simons Mutter in den samstäglichen Tanzabend der Gaststätte Maus. Im Revier ist er der Schauplatz für den kontrollierten Unzuchtversuch, das vorbereitende Nagellacken eine Körperkriegsbemalung. Der Sohn bewundert diesen Egoismus und wird ihn im Schreiben nachahmen. Hier begegnet ihm eine Lebensgier, die das Opfer wert ist.
Wie eng die Romane miteinander verzahnt sind, wie hartnäckig sie die wenigen Biografien gleich einer Twistbewegung auf der Stelle weiterdrehen, zeigt ein Blick in Rothmanns ersten Roman "Stier" von 1991. Irgendwo heißt es dort über einen Hausfreund: "Er konnte wunderbar kochen, war witzig, klug, sah sehr gut aus, hieß auch noch Gino Perfetto." Während er mit diesem einen Nebensatz damals aus dem Buch verschwand, taucht er in "Milch und Kohle" als Auslöser der Familienkatastrophe wieder auf. Gino Perfettos Kochkunst, das plötzliche Auftauchen von gebratenen Sardinen im Sauerbraten-Revier, ist das Versprechen eines anderen Lebens. Simons Mutter greift nach der verbotenen Meeresfrucht und bricht aus dem Ehebett in ein anderes Verhältnis aus. Der Reigen an Gewalt, der sich daran anknüpft, wird von Simon mit unbeeindruckter Chronistenpflicht erinnert. Die ausgeteilten Schläge, die selbstzerstörerischen Krämpfe seines Bruders finden in ihm keinen Richter. In dieser mitleidlosen, zupackenden Welt, die mit Handgreiflichkeiten verständlich spricht, sind Konflikte so wenig therapierbar wie Sehnsüchte. Beide gilt es nur zu überleben.
"Milch und Kohle" beweist, dass die Variationen des einen Urromans nicht mit seiner gelangweilten Wiederholung zu verwechseln sind. Ralf Rothmann ist seinen alten Ideen treu geblieben: der Brutalität des Lebenswillens, der Schwärze und folglich Lebensfarbengier des Ruhrgebiets, dem Schreiben als einer anderen Art des Familienalbums. Seine früheren Romane haben daraus zuweilen Schelmenstücke gemacht, die mit dem grotesken Witz auch die körperliche Gewalt dieser literarischen Tradition teilten. Das neue Buch nun verdichtet alle diese Motive zu einem intensiveren Kammerspiel. Der Blick verengt sich auf eine Kleinstbürgerwelt, die mit ihrer Banalität an Unausweichlichkeit gewinnt. Das Kommen und Gehen von Randfiguren unterbleibt, die zuvor für Entlastung sorgten. Mit diesem Verzicht auf die überdrehte Ablenkung erhöht sich der Druck im Familieninnern. Kein Sprachwitz befreit aus der Enge, keine exzentrische Geste eröffnet Ausweichräume, wenn die Figuren ihre bürgerliche Bahn verlassen haben. "Milch und Kohle" ist ein Besuch in der Rothmann-Welt, der sich die gute Ausflugslaune versagt hat.
Zu dieser größeren Geradlinigkeit passt der melancholische Epilog. Rothmanns Romane waren immer auch späte Nachkommen des Bildungsromans, die Flucht des Helden aus dem Milieu ein Ankommen im Schreiben. Auch Simon ende wohl als erfolgreicher Autor, der seine Herkunft zur niedergeschriebenen Erinnerung verwerten kann. "Studium der Stille" heißt eines der bisher erschienenen Bücher. Doch auf diese klassische Rettung in der Schrift fällt nun ein selbstironischer Schatten. Auf einer Vortragsreise in Japan anlässlich einer Buchübersetzung nimmt Simon an einer Meditationsübung im Zen-Kloster teil. Die versuchte Selbstauslöschung, das von der Zen-Religion versprochene Denken des Nichtdenken, bezahlt er mit westeuropäischen Gliederkrämpfen und einem kollabierendem Kreislauf. Den Mönch aber, der ihn hinterrücks zum Durchhalten auffordert, erkennt er an der Stimme als seinen verschwundenen Jugendfreund Pavel. Er war damals aus dem Revier ausgebrochen, weil er die Aussicht auf den Bausparvertrag und die Mitgliedschaft im Taubenzuchtverein nicht ertragen konnte. Nun führt er eine gesichtslose, ichenthobene Existenz im Kloster, eine reine Stimme, die in einem neuen Rufnamen angekommen ist: Bonnô, das ist "Staub, der einen Besuch abstattet". Pavel hat sich ins Nichts verbrannt.
Dahinter bleibt Simons ungenaues Schreiben zurück. Die neue Relativität der Bildungsschreibidee lässt die Rothmann-Welt in den Fugen knarren. Zwar hält sie an der bürgerlichen Idee eines gelingenden Selbstentwurfs fest, doch der Inhalt dieser Idee ist mit dem bürgerlichen Ende, der Entindividualisierung, gleichbedeutend. Rothmann widerruft nicht die Hoffnung, doch das Gerettete ist nicht mehr von dieser, der klassischen Welt; das vollendete Buch ist nicht länger der Beweis eines sinnvollen Lebens. Zur Tugend dieses geradlinigen Romans gehört, dass er an seinem eigenen Gelingen zweifelt.
Ralf Rothmann: "Milch und Kohle". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 211 S., geb., 36,- DM.
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