Violent rebellion comes to London's middle classes in the extraordinary new novel from the author of 'Cocaine Nights' and 'Super-Cannes'.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2018J. G. Ballard Warum der Prophet der unvollkommenen Zukunft heute mehr zu sagen hat denn je
Revolutionen im
leeren Raum
Widerstand ist sinnlos, aber hat jemand
eine bessere Idee? J. G. Ballards Terrorismus-Roman
„Millennium People“ gibt es endlich auf Deutsch
VON FRITZ GÖTTLER
Es gibt Randale in Chelsea Marina, der Londoner gated community. Eine mittelständische, durch und durch bürgerliche Randale, die sich die äußerlichen Zeichen von Revolte aufpappt, aber mit Freiheit und Aufbruch nichts zu tun hat. Man geht auf die Straße, demoliert, irgendwann erklingt der Gefangenenchor aus „Nabucco“, es gibt neugierige Kinder, die Polizei sperrt ab, aber besonders ernst will sie das alles nicht nehmen. Aus der Diskrepanz zwischen Mitteln und Effekt holt J. G. Ballards „Millennium People“ seine böse Komik. Eine somnambule Komik, man befindet sich in vertrautem Ballard-Land, vom Autor seit Jahrzehnten immer wieder beschrieben, in Ballard-London, mit seinen düster-viktorianischen Gebäuden, zwischen die sich die neuen Bauten von Norman Foster und Richard Rogers zukunftsweisend einschmuggeln.
Damals hat der Suhrkamp Verlag in seiner „Phantastischen Bibliothek“ Ballard mit einigen Romanen und Erzählbänden in Deutschland bekannt gemacht. Schon damals war zu spüren, dass Ballard mit Fantasy eigentlich sehr wenig, mit sarkastischer Sozialkritik sehr viel im Sinn hatte. Im diaphanes-Verlag kam nun endlich „Millennium People“ heraus, als dritter Band einer Ballard-Ausgabe.
„Die Revolutionen heute sind Pseudorevolutionen“, hat Ballard erklärt, als der Roman „Millennium People“ in England herauskam, das war 2003. „Wenn sie nicht in erster Linie nur noch Medienereignisse sind.“ Damals war die Erinnerung an 9/11, die Attacke auf das World Trade Center in New York noch virulent, die brutal zeigte, dass terroristische Aktionen immer aufs Medienecho hin kalkuliert werden.
Auch in London waren Terrorgefahr und -angst gewachsen, das liefert Ballard den Hintergrund für seinen Roman. Es gibt anfangs einen Anschlag mit einer Bombe auf einem Gepäckband von Heathrow, dem die Exfrau des Helden, David Markham, zum Opfer fällt. Markham ist Psychologe, er stolpert orientierungslos durch die Wirren nach dem Bombenanschlag von Heathrow und die Tumulte in Chelsea Marina und begegnet einigen mehr oder weniger dezidierten revolutionären Figuren – darunter eine Filmdozentin, ein Geistlicher auf einer Harley und dessen chinesische Freundin. Sie alle folgen – und auch David wird das schließlich tun – dem Kinderarzt Richard Gould, dem „Doktor Moreau der Chelsea-Clique“. Im Umfeld seiner undurchsichtigen Aktivität gibt es einen Anschlag auf das NFT, die Kinemathek von London, das National Film Theatre, und die Tate Modern, die Ermordung einer TV-Journalistin.
Dr. Gould ist eine zerrissene Persönlichkeit, er redet von gewaltsamem Widerstand, aber er signalisiert immer auch dessen Sinnlosigkeit. Seine Revolution bewegt sich in einem leeren Raum, eine Revolution des Somnambulismus. Das Bürgertum agiert selbstzerstörerisch in seiner Aggressivität, es erledigt die Prinzipien der modernen, der postmodernen Gesellschaft, die es selbst sich geschaffen hat. Es attackiert das 20. Jahrhundert, das auch nach der Jahrtausendwende weiter andauert. David kriegt einen Crashkurs in aktueller Gesellschaftsanalyse, über die Entwicklung dieses Jahrhunderts: „Es prägt alles, was wir tun, die Art, wie wir denken. Man kann kaum etwas Gutes darüber sagen. Genozide, Kriege, die eine Hälfte der Welt mittellos, die andere schlafwandelt durch ihren eigenen Hirntod. Wir haben ihm seine billigen Träume abgekauft und jetzt können wir nicht mehr aufwachen.
All diese Einkaufszentren und Gated Communities. Schließen sich die Türen erst mal, kommt man nie mehr raus. Sie wissen das alles, David. So behalten sie ihre Firmenkunden.“ Und David versteht sofort und führt den Gedankengang weiter: „Aber es gibt ein Problem an dieser verkommenen Gesellschaft. Die Mittelklasse mag sie so.“ „Natürlich tun sie das … Sie wurden von ihr versklavt, Sie sind das neue Proletariat, wie Fabrikarbeiter vor hundert Jahren.“
Manche Leute, besonders hypermoralische Amerikaner, sähen ihn als Pessimisten und als humorlosen Typen, hat Ballard erzählt, dabei habe er einen fast manischen Sinn für Humor. Er ist begeistert, wenn Leser ihm versichern, sie hätten laut gelacht bei der Lektüre von „Millennium People“. Der Doktor Richard Gould hat Züge eines faschistischen Führers, aber er ist subversiv genug, um dieses Image selbst zu zersetzen. Er ist den Helden in Dostojewskis Romanen verwandt, seine Existenz ist reine Provokation. Er hat zwei Jahre mit kranken Kindern im Bedfont Hospital gearbeitet, „ein Meile südlich von Heathrow. Ein guter Platz für ein Irrenhaus – man kann niemand schreien hören“.
Die Kinder waren hirngeschädigt, Enzephalitis, Masernfälle mit schwerem Verlauf, inoperable Tumore, Hydrozephalus. Von den Eltern verlassen, die Sozialdienste wollten sich ihrer nicht annehmen. „Ich hoffe, wir haben ihnen ein gutes Leben ermöglicht.“
Das Bürgertum agiert immer amateurhaft, es ist seiner Kindheit nie entwachsen. Es ist Objekt einer unaufhörlichen Manipulation, hinter der keine dirigierende Instanz steckt. Sogar David Markham gesteht, dass er nie wusste, was sich wirklich abspielte, er war als Polizeispitzel in Chelsea Marina eingeschleust worden – aber diese Täuschung hat er selbst als letzter durchschaut. Bei seiner Geliebten wird ihm seine Situation bewusst, gespiegelt in einer Kinoerinnerung. „Hinter der Wohnzimmertür hing ein Poster von „Der dritte Mann“, ein Standfoto von Alida Valli, einer gequälten europäischen Schönheit, die die ganze Melancholie Nachkriegseuropas ausdrückte. Aber das Poster erinnerte mich an ein anderes Werk von Carol Reed, einen Film über einen verwundeten Mörder auf der Flucht, der von den Fremden, bei denen er Unterschlupf sucht, manipuliert und betrogen wird.“ Auch David ist ein Odd Man Out, er sieht sich „eingesperrt zwischen Träumen von Melodramen, die ich Jahre zuvor mit Laura im National Film Theatre gesehen hatte.“
In London wuchs die Angst.
Das lieferte den Hintergrund
für einen Roman
Hypermoralische Amerikaner
sehen in ihm einen
humorlosen Typen, sagt er
J. G. Ballard: Millennium People. Roman. Aus
dem Englischen von Jan Bender. Diaphanes,
Zürich 2018. 352 Seiten, 20 Euro.
Rückwärtsgewandte Zukunft, ganz wie bei Ballard: Norman Fosters Gherkin-Tower in London.
Foto: bloomberg
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Revolutionen im
leeren Raum
Widerstand ist sinnlos, aber hat jemand
eine bessere Idee? J. G. Ballards Terrorismus-Roman
„Millennium People“ gibt es endlich auf Deutsch
VON FRITZ GÖTTLER
Es gibt Randale in Chelsea Marina, der Londoner gated community. Eine mittelständische, durch und durch bürgerliche Randale, die sich die äußerlichen Zeichen von Revolte aufpappt, aber mit Freiheit und Aufbruch nichts zu tun hat. Man geht auf die Straße, demoliert, irgendwann erklingt der Gefangenenchor aus „Nabucco“, es gibt neugierige Kinder, die Polizei sperrt ab, aber besonders ernst will sie das alles nicht nehmen. Aus der Diskrepanz zwischen Mitteln und Effekt holt J. G. Ballards „Millennium People“ seine böse Komik. Eine somnambule Komik, man befindet sich in vertrautem Ballard-Land, vom Autor seit Jahrzehnten immer wieder beschrieben, in Ballard-London, mit seinen düster-viktorianischen Gebäuden, zwischen die sich die neuen Bauten von Norman Foster und Richard Rogers zukunftsweisend einschmuggeln.
Damals hat der Suhrkamp Verlag in seiner „Phantastischen Bibliothek“ Ballard mit einigen Romanen und Erzählbänden in Deutschland bekannt gemacht. Schon damals war zu spüren, dass Ballard mit Fantasy eigentlich sehr wenig, mit sarkastischer Sozialkritik sehr viel im Sinn hatte. Im diaphanes-Verlag kam nun endlich „Millennium People“ heraus, als dritter Band einer Ballard-Ausgabe.
„Die Revolutionen heute sind Pseudorevolutionen“, hat Ballard erklärt, als der Roman „Millennium People“ in England herauskam, das war 2003. „Wenn sie nicht in erster Linie nur noch Medienereignisse sind.“ Damals war die Erinnerung an 9/11, die Attacke auf das World Trade Center in New York noch virulent, die brutal zeigte, dass terroristische Aktionen immer aufs Medienecho hin kalkuliert werden.
Auch in London waren Terrorgefahr und -angst gewachsen, das liefert Ballard den Hintergrund für seinen Roman. Es gibt anfangs einen Anschlag mit einer Bombe auf einem Gepäckband von Heathrow, dem die Exfrau des Helden, David Markham, zum Opfer fällt. Markham ist Psychologe, er stolpert orientierungslos durch die Wirren nach dem Bombenanschlag von Heathrow und die Tumulte in Chelsea Marina und begegnet einigen mehr oder weniger dezidierten revolutionären Figuren – darunter eine Filmdozentin, ein Geistlicher auf einer Harley und dessen chinesische Freundin. Sie alle folgen – und auch David wird das schließlich tun – dem Kinderarzt Richard Gould, dem „Doktor Moreau der Chelsea-Clique“. Im Umfeld seiner undurchsichtigen Aktivität gibt es einen Anschlag auf das NFT, die Kinemathek von London, das National Film Theatre, und die Tate Modern, die Ermordung einer TV-Journalistin.
Dr. Gould ist eine zerrissene Persönlichkeit, er redet von gewaltsamem Widerstand, aber er signalisiert immer auch dessen Sinnlosigkeit. Seine Revolution bewegt sich in einem leeren Raum, eine Revolution des Somnambulismus. Das Bürgertum agiert selbstzerstörerisch in seiner Aggressivität, es erledigt die Prinzipien der modernen, der postmodernen Gesellschaft, die es selbst sich geschaffen hat. Es attackiert das 20. Jahrhundert, das auch nach der Jahrtausendwende weiter andauert. David kriegt einen Crashkurs in aktueller Gesellschaftsanalyse, über die Entwicklung dieses Jahrhunderts: „Es prägt alles, was wir tun, die Art, wie wir denken. Man kann kaum etwas Gutes darüber sagen. Genozide, Kriege, die eine Hälfte der Welt mittellos, die andere schlafwandelt durch ihren eigenen Hirntod. Wir haben ihm seine billigen Träume abgekauft und jetzt können wir nicht mehr aufwachen.
All diese Einkaufszentren und Gated Communities. Schließen sich die Türen erst mal, kommt man nie mehr raus. Sie wissen das alles, David. So behalten sie ihre Firmenkunden.“ Und David versteht sofort und führt den Gedankengang weiter: „Aber es gibt ein Problem an dieser verkommenen Gesellschaft. Die Mittelklasse mag sie so.“ „Natürlich tun sie das … Sie wurden von ihr versklavt, Sie sind das neue Proletariat, wie Fabrikarbeiter vor hundert Jahren.“
Manche Leute, besonders hypermoralische Amerikaner, sähen ihn als Pessimisten und als humorlosen Typen, hat Ballard erzählt, dabei habe er einen fast manischen Sinn für Humor. Er ist begeistert, wenn Leser ihm versichern, sie hätten laut gelacht bei der Lektüre von „Millennium People“. Der Doktor Richard Gould hat Züge eines faschistischen Führers, aber er ist subversiv genug, um dieses Image selbst zu zersetzen. Er ist den Helden in Dostojewskis Romanen verwandt, seine Existenz ist reine Provokation. Er hat zwei Jahre mit kranken Kindern im Bedfont Hospital gearbeitet, „ein Meile südlich von Heathrow. Ein guter Platz für ein Irrenhaus – man kann niemand schreien hören“.
Die Kinder waren hirngeschädigt, Enzephalitis, Masernfälle mit schwerem Verlauf, inoperable Tumore, Hydrozephalus. Von den Eltern verlassen, die Sozialdienste wollten sich ihrer nicht annehmen. „Ich hoffe, wir haben ihnen ein gutes Leben ermöglicht.“
Das Bürgertum agiert immer amateurhaft, es ist seiner Kindheit nie entwachsen. Es ist Objekt einer unaufhörlichen Manipulation, hinter der keine dirigierende Instanz steckt. Sogar David Markham gesteht, dass er nie wusste, was sich wirklich abspielte, er war als Polizeispitzel in Chelsea Marina eingeschleust worden – aber diese Täuschung hat er selbst als letzter durchschaut. Bei seiner Geliebten wird ihm seine Situation bewusst, gespiegelt in einer Kinoerinnerung. „Hinter der Wohnzimmertür hing ein Poster von „Der dritte Mann“, ein Standfoto von Alida Valli, einer gequälten europäischen Schönheit, die die ganze Melancholie Nachkriegseuropas ausdrückte. Aber das Poster erinnerte mich an ein anderes Werk von Carol Reed, einen Film über einen verwundeten Mörder auf der Flucht, der von den Fremden, bei denen er Unterschlupf sucht, manipuliert und betrogen wird.“ Auch David ist ein Odd Man Out, er sieht sich „eingesperrt zwischen Träumen von Melodramen, die ich Jahre zuvor mit Laura im National Film Theatre gesehen hatte.“
In London wuchs die Angst.
Das lieferte den Hintergrund
für einen Roman
Hypermoralische Amerikaner
sehen in ihm einen
humorlosen Typen, sagt er
J. G. Ballard: Millennium People. Roman. Aus
dem Englischen von Jan Bender. Diaphanes,
Zürich 2018. 352 Seiten, 20 Euro.
Rückwärtsgewandte Zukunft, ganz wie bei Ballard: Norman Fosters Gherkin-Tower in London.
Foto: bloomberg
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'Unsettling and subversive ... terrifically good' Sunday Times
'Terrifying and strangely haunting ... A riveting work from a writer of rare imaginative largesse, a bearer of bad tidings, unforgettably told' Daily Telegraph
'Wonderfully warped, blackly comic ... written with Ballard's customary panache, its potent mix of sex, violence and radicalism will keep his fans happy' Economist
'Ballard's instinct for the future is unnerving ... Very few writers possess this kind of intelligence: to use it with such wit is almost criminal' Independent on Sunday
'The terrifying thing about Ballard is his logic; is this science fiction or history written ahead of its time?' Len Deighton
'Terrifying and strangely haunting ... A riveting work from a writer of rare imaginative largesse, a bearer of bad tidings, unforgettably told' Daily Telegraph
'Wonderfully warped, blackly comic ... written with Ballard's customary panache, its potent mix of sex, violence and radicalism will keep his fans happy' Economist
'Ballard's instinct for the future is unnerving ... Very few writers possess this kind of intelligence: to use it with such wit is almost criminal' Independent on Sunday
'The terrifying thing about Ballard is his logic; is this science fiction or history written ahead of its time?' Len Deighton