In seinem neuen Roman stellt sich Michael Kumpfmüller eine ganz und gar »unmögliche« Frage: Was würde geschehen, wenn Jesus für ein paar Tage zurück auf die Erde käme, ins Hier und Jetzt der Stadt Berlin? Die Antwort: Es würde alles ganz anders, schön und erfreulich, wie es in Wirklichkeit kaum ist - und auch im Roman nicht von Dauer. Wenn man göttlichen Beistand anruft, hat das normalerweise keine Folgen. Nicht so bei Mischa und Anastasia, Studenten der Slawistik, vernarrt in die russische Literatur und - wie sie feststellen werden - ineinander. Sie laden Jeschua ein, und Jeschua nimmt die Einladung an. Aber das ist nicht die einzige Überraschung: Jeschua zeigt sich irdischer als gedacht, vollbringt kein einziges Wunder und steckt doch alle Menschen, denen er begegnet, mit Liebe an. Und die grassiert bald in der ganzen Stadt, was in Kürze eine Bande von Teufeln auf den Plan ruft. Denn für sie sind Freundlich- und Glückseligkeit ein Alptraum. »Mischa und der Meister« ist ein wunderbar leichtfüßiger, herrlich grotesker und komischer Roman über das Heilige und das Teuflische und die unstillbaren Sehnsüchte und Begierden der Menschen, die zu allen Zeiten dieselben sind.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Claus-Jürgen Göpfert hat viel Spaß bei der Lektüre von Michael Kumpfmüllers neuem Roman "Mischa und der Meister", in dem ein moderner Jesus im Berlin der Gegenwart erscheint und allerhand unscheinbare, aber wirkungsvolle Wunder vollbringt. Vergnüglich sei es insbesondere, die vielen literarischen Verweise auf Bulgakows Vorlage "Der Meister und Margarita" aber auch auf andere Werke der russischen Literatur nachzuvollziehen. Und doch werden Göpferts - zugegeben - hohe Erwartungen an Kumpfmüllers achten Roman nicht ganz erfüllt. Der Autor lässt ein ganzes Arsenal an Figuren auftreten, die alle auf ihre Weise amüsieren, was ihnen jedoch fehlt ist Tiefe und Profil. So bleiben sie dem Rezensenten, genau wie der Roman als Ganzes, eher schemenhaft im Gedächtnis.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.10.2022Schneise der Liebe
In Michael Kumpfmüllers neuem Roman wünscht sich jemand Jesus zurück auf die Erde. Und schon ist er wieder da, im Berlin von heute
Angenommen, Jesus käme heute in Berlin vorbei – was durchaus eine Möglichkeit darstellt, schließlich ist er laut Bibel ja auferstanden – was würde er wohl als erstes tun? Die Kirchen niederreißen? Kriege beenden? Armut lindern? Wenn man Michael Kumpfmüller glaubt: nichts davon. Jesus, oder Jeschua, wie er heißt, ist ein eher schlichter Typ, der mehr rumhängt und Borschtsch isst, denn Interesse an irgendwie gearteter Aufregung hat.
Kurz mal die Luft aus dem Jesus-Mythos lassen. Das tut Michael Kumpfmüller in seinem Roman „Mischa und der Meister“ genüsslich, aber komplett nebenbei. Denn auch wenn es so im Klappentext verkauft wird, in dem Roman geht es gar nicht wirklich um Jesus. Stattdessen geht es um alles Mögliche, und zwar gleichzeitig: das Magische, das Unerklärliche, um Liebe, Gut und Böse, um Berlin, den Teufel. Und es geht sehr viel um russische Literatur, die Anspielung auf Bulgakows „Meister und Margarita“ steckt ja schon im Titel. Michael Kumpfmüller krempelt die Ärmel hoch und zündet ein Zitate-Feuerwerk: ein Augenzwinkern Richtung Dostojewski hier, ein Borschtsch da, getanzt wird zu Musik von Schostakowitsch, der biblische Messias kommt dann eben auch vorbei. Man kommt kaum hinterher, die Bezüge zu entschlüsseln, was sich aber auch als nicht zwingend notwendig herausstellt. Die Hauptfigur Mischa ist ein russischstämmiger Student in Berlin, der Autor werden will und für ebenjene russische Literatur schwärmt. So auch die artige Anastasia, in die er sich verliebt, und die dann auch eher scherzhaft den Wunsch äußert, Jesus möge wieder auf die Erde kommen. Das tut er dann eben, in Mischas Wohnung, ganz in echt, mit fein gestutztem Bart und leuchtende Augen „so blau wie der Lago Maggiore“. Kein Russe, sondern Aramäer, Jeschua.
Dieser Jeschua ist einer, der alle Jubeljahre irgendwo auftaucht und eine Schneise der Glückseligkeit hinter sich herzieht. In Berlin bricht dank seiner schieren Präsenz eine Art Liebesepidemie aus: Paare vertragen sich, Leute zahlen ihre Steuern pünktlich, Literaturkritiker schwören dem fiesen Verriss ab. Keiner aber führt das auf Jeschua zurück. „Es kursierten unzählige Geschichten über ihn und seine Besuche: dass er nie auch nur eine einzige Kirche betreten hatte“, schreibt Kumpfmüller. „Auch die Frauen nicht verachtete“ und „seine üblichen Kunststücke zeigte, mit denen er alles durcheinanderbrachte“. Doch Jeschua streitet „für überhaupt nichts“. Mischa fragt: „Also stimmt nicht, was über dich geschrieben steht?“, „nichts von alledem, was dort geschrieben steht, habe ich je gesagt“, antwortet Jeschua. Auch ein Bulgakow-Zitat, denn in „Der Meister und Margarita“ offenbart sich Jesus bei seiner Verurteilung dem Römer Pontius Pilatus.
Die mögliche Rückkehr eines wie auch immer gearteten Messias in die Gegenwart ist vielleicht keine aktuell drängende Frage, aber doch ein nach wie vor verlockendes Gedankenexperiment, wenn man es ernst nimmt. Das tut Kumpfmüller nur halbherzig. Die Fragen nach der Sehnsucht der Menschen nach einem Erlösungsmoment, nach Versöhnung, die gegenwärtige Bedeutung von Glauben überhaupt und die theologisch Vereinnahmung einer zutiefst menschlichen Figur als Projektionsfläche reißt er nur an. Beziehungsweise scheint er zu beschäftigt, den Überblick über all seine Bezüge und Zitate zu behalten und noch weitere seiner zweifellos originellen Ideen und Figuren unterzubringen.
Jeschua ist hier noch weniger als eine Projektionsfläche, weil ihn fast niemand erkennt. Nur die wilde Feste feiernden Teufel, hier zum Beispiel Zahnärzte, Steuerberater und ein Pudel (Goethe-Zitat!) werden aktiv, die neue heile Welt wieder aus den Fugen zu bringen. Jeschua dient dem Autor kaum mehr als Erzählanlass, als Figur bleibt er spektakulär egal und blass. Fast schon so, als demonstriere Kumpfmüller hier die Anti-Projektion. Das aber ist nicht mal provozierend, es entlastet auch nicht den historischen Jesus, sondern wirkt angesichts der sehr vielen Einfälle und Figuren eher wie die Konsequenz aus der Unentschlossenheit des Autors, der zu viel erzählen will und deshalb wenig erzählt. Irgendwann verschwindet Jeschua wieder, so leise wie er kam.
Michael Kumpfmüller hat in seinem letzten Roman „Ach, Virginia“ einfühlsam von Virginia Woolf erzählt, sein Kafka-Buch „Die Herrlichkeit des Lebens“ wurde ein Bestseller. „Mischa und der Meister“ fühlt sich wie ein Abend mit wild gezündeten Tischfeuerwerken an: Man lacht, man staunt ob der Farben, es knallt schön, aber am Ende verpufft alles doch recht schnell.
CHRISTIANE LUTZ
Michael Kumpfmüller: Mischa und der Meister. Roman. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2022.
368 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In Michael Kumpfmüllers neuem Roman wünscht sich jemand Jesus zurück auf die Erde. Und schon ist er wieder da, im Berlin von heute
Angenommen, Jesus käme heute in Berlin vorbei – was durchaus eine Möglichkeit darstellt, schließlich ist er laut Bibel ja auferstanden – was würde er wohl als erstes tun? Die Kirchen niederreißen? Kriege beenden? Armut lindern? Wenn man Michael Kumpfmüller glaubt: nichts davon. Jesus, oder Jeschua, wie er heißt, ist ein eher schlichter Typ, der mehr rumhängt und Borschtsch isst, denn Interesse an irgendwie gearteter Aufregung hat.
Kurz mal die Luft aus dem Jesus-Mythos lassen. Das tut Michael Kumpfmüller in seinem Roman „Mischa und der Meister“ genüsslich, aber komplett nebenbei. Denn auch wenn es so im Klappentext verkauft wird, in dem Roman geht es gar nicht wirklich um Jesus. Stattdessen geht es um alles Mögliche, und zwar gleichzeitig: das Magische, das Unerklärliche, um Liebe, Gut und Böse, um Berlin, den Teufel. Und es geht sehr viel um russische Literatur, die Anspielung auf Bulgakows „Meister und Margarita“ steckt ja schon im Titel. Michael Kumpfmüller krempelt die Ärmel hoch und zündet ein Zitate-Feuerwerk: ein Augenzwinkern Richtung Dostojewski hier, ein Borschtsch da, getanzt wird zu Musik von Schostakowitsch, der biblische Messias kommt dann eben auch vorbei. Man kommt kaum hinterher, die Bezüge zu entschlüsseln, was sich aber auch als nicht zwingend notwendig herausstellt. Die Hauptfigur Mischa ist ein russischstämmiger Student in Berlin, der Autor werden will und für ebenjene russische Literatur schwärmt. So auch die artige Anastasia, in die er sich verliebt, und die dann auch eher scherzhaft den Wunsch äußert, Jesus möge wieder auf die Erde kommen. Das tut er dann eben, in Mischas Wohnung, ganz in echt, mit fein gestutztem Bart und leuchtende Augen „so blau wie der Lago Maggiore“. Kein Russe, sondern Aramäer, Jeschua.
Dieser Jeschua ist einer, der alle Jubeljahre irgendwo auftaucht und eine Schneise der Glückseligkeit hinter sich herzieht. In Berlin bricht dank seiner schieren Präsenz eine Art Liebesepidemie aus: Paare vertragen sich, Leute zahlen ihre Steuern pünktlich, Literaturkritiker schwören dem fiesen Verriss ab. Keiner aber führt das auf Jeschua zurück. „Es kursierten unzählige Geschichten über ihn und seine Besuche: dass er nie auch nur eine einzige Kirche betreten hatte“, schreibt Kumpfmüller. „Auch die Frauen nicht verachtete“ und „seine üblichen Kunststücke zeigte, mit denen er alles durcheinanderbrachte“. Doch Jeschua streitet „für überhaupt nichts“. Mischa fragt: „Also stimmt nicht, was über dich geschrieben steht?“, „nichts von alledem, was dort geschrieben steht, habe ich je gesagt“, antwortet Jeschua. Auch ein Bulgakow-Zitat, denn in „Der Meister und Margarita“ offenbart sich Jesus bei seiner Verurteilung dem Römer Pontius Pilatus.
Die mögliche Rückkehr eines wie auch immer gearteten Messias in die Gegenwart ist vielleicht keine aktuell drängende Frage, aber doch ein nach wie vor verlockendes Gedankenexperiment, wenn man es ernst nimmt. Das tut Kumpfmüller nur halbherzig. Die Fragen nach der Sehnsucht der Menschen nach einem Erlösungsmoment, nach Versöhnung, die gegenwärtige Bedeutung von Glauben überhaupt und die theologisch Vereinnahmung einer zutiefst menschlichen Figur als Projektionsfläche reißt er nur an. Beziehungsweise scheint er zu beschäftigt, den Überblick über all seine Bezüge und Zitate zu behalten und noch weitere seiner zweifellos originellen Ideen und Figuren unterzubringen.
Jeschua ist hier noch weniger als eine Projektionsfläche, weil ihn fast niemand erkennt. Nur die wilde Feste feiernden Teufel, hier zum Beispiel Zahnärzte, Steuerberater und ein Pudel (Goethe-Zitat!) werden aktiv, die neue heile Welt wieder aus den Fugen zu bringen. Jeschua dient dem Autor kaum mehr als Erzählanlass, als Figur bleibt er spektakulär egal und blass. Fast schon so, als demonstriere Kumpfmüller hier die Anti-Projektion. Das aber ist nicht mal provozierend, es entlastet auch nicht den historischen Jesus, sondern wirkt angesichts der sehr vielen Einfälle und Figuren eher wie die Konsequenz aus der Unentschlossenheit des Autors, der zu viel erzählen will und deshalb wenig erzählt. Irgendwann verschwindet Jeschua wieder, so leise wie er kam.
Michael Kumpfmüller hat in seinem letzten Roman „Ach, Virginia“ einfühlsam von Virginia Woolf erzählt, sein Kafka-Buch „Die Herrlichkeit des Lebens“ wurde ein Bestseller. „Mischa und der Meister“ fühlt sich wie ein Abend mit wild gezündeten Tischfeuerwerken an: Man lacht, man staunt ob der Farben, es knallt schön, aber am Ende verpufft alles doch recht schnell.
CHRISTIANE LUTZ
Michael Kumpfmüller: Mischa und der Meister. Roman. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2022.
368 Seiten, 24 Euro.
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»ein außergewöhnliches Lesevergnügen« Torben Rosenbohm Nordwest-Zeitung 20220927
Rezensent Claus-Jürgen Göpfert hat viel Spaß bei der Lektüre von Michael Kumpfmüllers neuem Roman "Mischa und der Meister", in dem ein moderner Jesus im Berlin der Gegenwart erscheint und allerhand unscheinbare, aber wirkungsvolle Wunder vollbringt. Vergnüglich sei es insbesondere, die vielen literarischen Verweise auf Bulgakows Vorlage "Der Meister und Margarita" aber auch auf andere Werke der russischen Literatur nachzuvollziehen. Und doch werden Göpferts - zugegeben - hohe Erwartungen an Kumpfmüllers achten Roman nicht ganz erfüllt. Der Autor lässt ein ganzes Arsenal an Figuren auftreten, die alle auf ihre Weise amüsieren, was ihnen jedoch fehlt ist Tiefe und Profil. So bleiben sie dem Rezensenten, genau wie der Roman als Ganzes, eher schemenhaft im Gedächtnis.
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