Roman im Roman
Letzter Teil der Berlin-Trilogie von Mathias Nolte ist der Roman «Miss Bohemia», der, vom Feuilleton weitgehend ignoriert, in der Leserschaft eine einhellig positive Aufnahme fand. Zweifellos handelt er sich um grandiose Unterhaltungs-Literatur mit einer schon im Buchtitel
anklingenden, verheißungsvollen Thematik. Es geht um eine wahrhaft unkonventionelle, schöne junge Frau, die…mehrRoman im Roman
Letzter Teil der Berlin-Trilogie von Mathias Nolte ist der Roman «Miss Bohemia», der, vom Feuilleton weitgehend ignoriert, in der Leserschaft eine einhellig positive Aufnahme fand. Zweifellos handelt er sich um grandiose Unterhaltungs-Literatur mit einer schon im Buchtitel anklingenden, verheißungsvollen Thematik. Es geht um eine wahrhaft unkonventionelle, schöne junge Frau, die als Femme fatale bei den Männern allerlei Verheerungen anrichtet. Wobei es sich bei den Männern um Schriftsteller handelt, was ja Literatur affine Leser per se schon mal neugierig macht.
«Ich hatte mir geschworen, nie wieder einen Gedanken an Tara zu verschwenden», lautet der erste Satz. Der Ich-Erzähler Lukas, ein mittelmäßiger Roman-Schriftsteller, entdeckt in der New York Times eine Meldung, die über den Tod des bekannten Schriftstellers Philipp Bach berichtet. Auf dem Foto von der Verteilung seiner Asche im Meer erkennt er Tara. Lukas hatte sich vor zwei Jahren für seinen neuen Roman ein Ferienhaus auf Key West gemietet, um in Ruhe arbeiten zu können. Überraschend hatte ihn dort sein erfolgreicher Kollege Philipp Bach besucht, zusammen mit seiner wesentlich jüngeren Freundin und Muse. In Rückblenden erzählt Lukas, wie ihn schon am ersten Morgen die attraktive Tara zu einem Strandausflug überredet hat, um dort den Sonnenaufgang zu erleben, ihr Lover hat noch tief geschlafen. Und an dem menschenleeren Strand hat sie Lukas dann auch verführt, - sie war die Aktive, er wusste gar nicht, wie ihm geschah.
In einem raffinierten Konstrukt entwickelt Matthias Nolte auf verschiedenen Zeitebenen seinen Plot um eine Menage à trois im Schriftsteller-Milieu. Tara hat ihre Examens-Arbeit über den hoch dekorierten DDR-Schriftsteller Franz Krohn geschrieben, und der wiederum war Mentor von Philipp Bach. Kurz nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann hat Krohn Bach sogar zur Flucht in den Westen verholfen. Dort hat Bach dann mit «Miss Bohemia» seinen äußerst erfolgreichen Debütroman veröffentlicht. In häufigen, durch die Kapitel-Überschriften aber deutlich zugeordneten Zeitsprüngen erzählt Matthias Nolte seine Geschichte mit mehreren, kunstvoll verflochtenen Handlungs-Strängen. Seine drei Protagonisten sind sehr eigenwillige Typen. Der dem Autor biografisch ähnelnde Lukas ist ein ewiger Zweifler, der fast alles geduldig hinnimmt, von dem man ansonsten aber wenig erfährt. Er arbeitet an dem Roman, den wir in Händen halten, und lässt den Leser an seinen Recherchen und am Schreibprozess teilhaben, eine reizvolle ‹Roman im Roman›-Konstellation. Freund und Nebenbuhler Philipp Bach ist ein überheblicher, unsympathischer und cholerisch veranlagter Schriftsteller, der ein dunkles Geheimnis birgt. Nach seinem Debüt schreibt er nun seit vielen Jahren an dem gigantischen Werk «Der Roman des Jahrhunderts». Tara ist eine selbstbewusste und lebenskluge Frau, die besonders im unkonventionellen Umgang mit ihrer Sexualität verblüfft und es im Übrigen mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Von Lukas nach ihren bisherigen festen Freunden gefragt, erklärt sie ihm beispielsweise, es gab bisher nur einen: «Nach Johnny kam nichts Festes mehr, nein. Nach ihm habe ich à la carte gelebt». Auf seine verblüffte Nachfrage ergänzt sie: «Oder glaubst du, nur weil ich nicht den richtigen Kerl gefunden habe, […] habe ich mich in Verzicht geübt? Ich gebe meinem Körper, was ihm gut tut, und er dankt es mir jeden Tag».
Dieser aufregende Roman ist schwungvoll erzählt, wobei die Ironie darin unübersehbar ist. Trotz des Wirrwarrs, das die Geschichte mit ihren vielen Andeutungen erzeugt, folgt man ihr gerne, zumal die Spannung immer mehr steigt, was denn nun hinter all dem steckt. Übertrieben hat es Mathias Nolte allerdings mit den vielen Zufällen, auf denen sein Plot aufbaut. Überzeugend und angesichts der trickreichen Verflechtungen hilfreich ist, dass er das Erzählte häufig rekapituliert. Und nicht wenige Leser dürften sich zudem an der üppigen Intertextualität erfreuen.