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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Acht Frauenleben, typisch nicht nur für Korea: Erzählungen der Bestsellerautorin Cho Nam-Joo
Der koreanische Roman "Kim Jiyoung, geboren 1982" erschien 2016, erzählte über die Macht von Konventionen und Alltagssexismus und avancierte in Korea zum literarischen feministischen Manifest und Aushängeschild der dortigen MeToo-Bewegung, Nun hat dessen Verfasserin Cho Nam-Joo einen Erzählungsband herausgebracht: über acht prototypische koreanische Frauen.
Im koreanischen Original lautet der Titel übersetzt "Was wir geschrieben haben", der deutsche Verlag hat sich für den eher flapsigen "Miss Kim weiß Bescheid" entschieden. Das Buch mutet wie eine Weitererzählung und Ausdifferenzierung der im Bestseller enthaltenen Erzählstränge über die Strukturen und Blessuren der konfuzianisch-patriarchalisch geprägten Gesellschaft an. Die Heldinnen sind diesmal Mädchen und Frauen im Alter zwischen zehn und achtzig Jahren, die im Verlauf ihres Lebens Bevorzugung männlicher Nachkommen, physische und psychische Gewalt, Mobbing und Cybermobbing, Stalking, Heiratsdruck und Benachteiligung im Arbeitsleben erfahren - keineswegs nur koreaspezifische Phänomene.
Es handelt sich um präzise Anklageschriften und kluge Selbstermächtigungsgeschichten, deren Schlusspointen dem Patriarchat ein Schnippchen schlagen. Die titelgebende Erzählung der deutschen Ausgabe rekapituliert tragikomische Erfahrungen einer Firmen-Novizin in einer PR-Agentur. Als junge, in der Stufenleiter niedrig stehende Frau wird sie von den Kollegen "Herzchen" genannt. Erzwungene Kneipentouren, Intrigen, Vetternwirtschaft kennzeichnen ihren Firmenalltag. Die Zeitebenen wechseln zwischen ihrer Tätigkeit und der ihrer Vorgängerin Miss Kim, die ohne festgelegte Position auf unterster Gehaltsstufe alle wichtigen Aufgaben übernahm und der gekündigt wurde, weil ihr Einfluss "offenbar zu groß" wurde: Korea hat den höchsten gender pay gap der OECD-Länder und Minimalwerte im "Glass Ceiling Index", der hierarchische oder mutterschaftsbegründete Barrieren für Frauen ausdrückt.
Oft bringt bei Cho ein schicksalhafter Wendepunkt eingefahrene Rollenmuster aus dem Lot: In "Weggelaufen" verlässt ein Vater mit 71 Jahren seine Familie. Es folgt eine halbherzige Suche nach ihm. Bei den Krisensitzungen der Familie, bei denen genüsslich Cheonggukjang gegessen wird - der Patriarch hasste dieses Gericht -, übernimmt die Mutter die Initiative und jeder Sohn einen Anteil an der Hausarbeit. Die Tochter trennt sich von ihrem väterlich genehmigten Freund und verfolgt eigene berufliche Träume. Ein abwesender Vater, so die Pointe, ist weniger Leerstelle als Mehrwert.
Die Erzählung "Lieber Hyunnam" ist zugleich briefliche Absage an einen Heiratsantrag und feministisches Protestschreiben gegen "Gaslighting". Das Verhalten des Freundes der Erzählerin, der deren Meinungen und Selbstwahrnehmung manipuliert, schwankt zwischen Fürsorge, Bevormundung und Entmündigung. Während er Heirats- und Familienpläne hegt, hat sie es trotz Abhängigkeit und Trennungsängsten satt, ein "Accessoire" zu sein. Wie viele Koreanerinnen betrachtet sie Geburt und Kindererziehung als karrierehinderlich - Korea hat die weltweit niedrigste Geburtenrate - und gibt dem Überfürsorglichen einen Korb.
Cho erzählt kunstvoll von Schwesternschaft im Leid ("Unter dem Pflaumenbaum"), von generationsübergreifender Pein, aber auch von Frauenpower. In "Die Nacht der Polarlichter" reisen zwei lustige Witwen, die Protagonistin und deren Schwiegermutter, nach Yellowknife, um sich mit "unrühmlichen" egoistischen Wünschen an die Polarlichter zu wenden: Letztere wünscht sich ein langes (Single-)Leben, Erstere, von der Krux späterer Enkelbetreuung verschont zu bleiben.
In ihrem Essay "Trotz" berichtet Cho über das kontroverse Glück, feministische Bestsellerautorin zu sein. Sie rekapituliert ihren Weg zur unfreiwilligen Ikone und die Rückkopplungseffekte des Erfolgsromans von 2016, der "weder besonders radikal noch provokativ" war, aber ebenso gepriesen wie für Debatten vereinnahmt und schließlich auch verleumdet wurde.
Für die große Chronistin des sozial konservativen Koreas dienen die toxischen Elemente des Alltäglichen als Schaffensquell. Cho behauptet, wie sie einmal in Bezug auf ihren Bestseller sagte, dass ihre Prosa tapferer sei als sie selbst. Und erklärt, warum eine zunächst angetane Leserin, die ihr dann später Hasskommentare schrieb, damit keine paradoxen Verhaltensweisen demonstriert habe. STEFFEN GNAM
Cho Nam-Joo: "Miss Kim weiß Bescheid". Storys.
Aus dem Koreanischen von Inwon Park. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 304 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Acht Frauenleben, typisch nicht nur für Korea: Erzählungen der Bestsellerautorin Cho Nam-Joo
Der koreanische Roman "Kim Jiyoung, geboren 1982" erschien 2016, erzählte über die Macht von Konventionen und Alltagssexismus und avancierte in Korea zum literarischen feministischen Manifest und Aushängeschild der dortigen MeToo-Bewegung, Nun hat dessen Verfasserin Cho Nam-Joo einen Erzählungsband herausgebracht: über acht prototypische koreanische Frauen.
Im koreanischen Original lautet der Titel übersetzt "Was wir geschrieben haben", der deutsche Verlag hat sich für den eher flapsigen "Miss Kim weiß Bescheid" entschieden. Das Buch mutet wie eine Weitererzählung und Ausdifferenzierung der im Bestseller enthaltenen Erzählstränge über die Strukturen und Blessuren der konfuzianisch-patriarchalisch geprägten Gesellschaft an. Die Heldinnen sind diesmal Mädchen und Frauen im Alter zwischen zehn und achtzig Jahren, die im Verlauf ihres Lebens Bevorzugung männlicher Nachkommen, physische und psychische Gewalt, Mobbing und Cybermobbing, Stalking, Heiratsdruck und Benachteiligung im Arbeitsleben erfahren - keineswegs nur koreaspezifische Phänomene.
Es handelt sich um präzise Anklageschriften und kluge Selbstermächtigungsgeschichten, deren Schlusspointen dem Patriarchat ein Schnippchen schlagen. Die titelgebende Erzählung der deutschen Ausgabe rekapituliert tragikomische Erfahrungen einer Firmen-Novizin in einer PR-Agentur. Als junge, in der Stufenleiter niedrig stehende Frau wird sie von den Kollegen "Herzchen" genannt. Erzwungene Kneipentouren, Intrigen, Vetternwirtschaft kennzeichnen ihren Firmenalltag. Die Zeitebenen wechseln zwischen ihrer Tätigkeit und der ihrer Vorgängerin Miss Kim, die ohne festgelegte Position auf unterster Gehaltsstufe alle wichtigen Aufgaben übernahm und der gekündigt wurde, weil ihr Einfluss "offenbar zu groß" wurde: Korea hat den höchsten gender pay gap der OECD-Länder und Minimalwerte im "Glass Ceiling Index", der hierarchische oder mutterschaftsbegründete Barrieren für Frauen ausdrückt.
Oft bringt bei Cho ein schicksalhafter Wendepunkt eingefahrene Rollenmuster aus dem Lot: In "Weggelaufen" verlässt ein Vater mit 71 Jahren seine Familie. Es folgt eine halbherzige Suche nach ihm. Bei den Krisensitzungen der Familie, bei denen genüsslich Cheonggukjang gegessen wird - der Patriarch hasste dieses Gericht -, übernimmt die Mutter die Initiative und jeder Sohn einen Anteil an der Hausarbeit. Die Tochter trennt sich von ihrem väterlich genehmigten Freund und verfolgt eigene berufliche Träume. Ein abwesender Vater, so die Pointe, ist weniger Leerstelle als Mehrwert.
Die Erzählung "Lieber Hyunnam" ist zugleich briefliche Absage an einen Heiratsantrag und feministisches Protestschreiben gegen "Gaslighting". Das Verhalten des Freundes der Erzählerin, der deren Meinungen und Selbstwahrnehmung manipuliert, schwankt zwischen Fürsorge, Bevormundung und Entmündigung. Während er Heirats- und Familienpläne hegt, hat sie es trotz Abhängigkeit und Trennungsängsten satt, ein "Accessoire" zu sein. Wie viele Koreanerinnen betrachtet sie Geburt und Kindererziehung als karrierehinderlich - Korea hat die weltweit niedrigste Geburtenrate - und gibt dem Überfürsorglichen einen Korb.
Cho erzählt kunstvoll von Schwesternschaft im Leid ("Unter dem Pflaumenbaum"), von generationsübergreifender Pein, aber auch von Frauenpower. In "Die Nacht der Polarlichter" reisen zwei lustige Witwen, die Protagonistin und deren Schwiegermutter, nach Yellowknife, um sich mit "unrühmlichen" egoistischen Wünschen an die Polarlichter zu wenden: Letztere wünscht sich ein langes (Single-)Leben, Erstere, von der Krux späterer Enkelbetreuung verschont zu bleiben.
In ihrem Essay "Trotz" berichtet Cho über das kontroverse Glück, feministische Bestsellerautorin zu sein. Sie rekapituliert ihren Weg zur unfreiwilligen Ikone und die Rückkopplungseffekte des Erfolgsromans von 2016, der "weder besonders radikal noch provokativ" war, aber ebenso gepriesen wie für Debatten vereinnahmt und schließlich auch verleumdet wurde.
Für die große Chronistin des sozial konservativen Koreas dienen die toxischen Elemente des Alltäglichen als Schaffensquell. Cho behauptet, wie sie einmal in Bezug auf ihren Bestseller sagte, dass ihre Prosa tapferer sei als sie selbst. Und erklärt, warum eine zunächst angetane Leserin, die ihr dann später Hasskommentare schrieb, damit keine paradoxen Verhaltensweisen demonstriert habe. STEFFEN GNAM
Cho Nam-Joo: "Miss Kim weiß Bescheid". Storys.
Aus dem Koreanischen von Inwon Park. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 304 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main