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Gescheit: William Gibson als Gegenwartspublizist
Vorhersagen mit Präzisionsanspruch sind in der Wissenschaft erwünscht, in der Technik nötig und in der Kunst überflüssig. Weiß man genau, was kommt, braucht man keine Lebensart, keine Kultur und schon gar nicht das Mehrdeutigste, was Menschen erfunden haben: Literatur. Wer die Science-Fiction aus dem Geltungsbereich dieser Wahrheit nehmen will, mag darauf hinweisen, diese Erzählgattung habe doch die eine oder andere Teflonpfanne, den einen oder anderen Überwachungsstaat korrekt geahnt. Das Argument ist freilich so haltlos wie die Annahme, es müsse Hellseherei geben, weil ab und zu jemand im Lotto gewinnt.
William Gibson wusste schon 1984, als sein Roman "Neuromancer" ihn über den fröhlichen Dorfmarktplatz des Genres hinaus einer breiteren Öffentlichkeit empfahl, dass Science-Fiction mit der Zukunft nur als einer Hilfskonstruktion zu tun hat - die Gattung ist nicht narrative Trendforschung, sondern eine Stimme, die sich aus der Fülle des Gegebenen an Teile desselben wendet, die noch ein bisschen zurückgeblieben sind (neugierige Menschen zum Beispiel), um ihnen zu ermöglichen, sich als das wahrzunehmen, was sie längst sind.
Nicht nur als Erzähler, sondern auch mit journalistischen, rezensorischen, essayistischen Gelegenheitsarbeiten hat der emsige Datenfresser und Mustererkenner Gibson diese verdienstvolle Arbeit geleistet und uns normalen Nachzüglern dabei Bücher (etwa Peter Ackroyds Stadtbiographie "London"), Platten (die Werke von Steely Dan) und ganze Kulturkreise (Japan) nähergebracht, die mehr mit dem Stand der Dinge zu tun haben, als das gewöhnliche Neuigkeitenbewusstsein wissen will.
Der Band "Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack", der solche und ähnliche Hinweise Gibsons bündelt, enthält aber noch wesentlich Wertvolleres - vor allem den aus verschiedenen Einlassungen zu einem breiten Spektrum von Fragen der Informationsverarbeitung mosaikartig zusammengesetzten Nachweis, dass das "Informationszeitalter" als Epoche, die den Menschen insgesamt umkrempelt, so wenig greifbar bleibt wie das "Weltraumzeitalter", von dem die siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts träumten - es handelt sich bei beiden, lernt man aus diesem Buch, um nach wie vor interpretationsbedürftige Kulturtatsachen statt um harte Fakten aus Wirtschaft und Gesellschaft.
Der für das "New York Times Magazine" verfasste Aufsatz "Das Netz ist Zeitverschwendung" zum Beispiel ist, wenn man ihn neben den Stuss hält, der über seinen Gegenstand sonst so den lieben langen Tag gedruckt, gesendet und online gestellt wird, nichts Geringeres als eine Offenbarung - auswendig lernen lassen sollte man ihn mindestens auf Journalistenschulen und in Redaktionen, wo man immer noch glauben will, es gehe im Web um Reportertugenden wie "Erster sein" oder "hartnäckig dranbleiben", anstatt die Chance zu nutzen, die dieses Medium bietet, den ziellosen Spaziergang durchs Wissen als geistige Aktivität zu retten, wider Zumutungen wie das Geschäft des Ausrufers oder das unbedankte Schürfen in den lichtlosen Minen des zu Recht Vergessenen.
Die Übersetzung von Sara und Hannes Riffel ist so gescheit wie liebevoll; wer ein Drei-Z-Wort wie "Jazzzuckerguß" erfinden kann, ist eigentlich zu gut für den wüsten Textplaneten voller Bloggerwüsten und Twittersümpfe, auf dem wir uns derzeit durchs Lesen und Schreiben fretten müssen - ganz wie William Gibson selbst.
DIETMAR DATH
William Gibson: "Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack".
Aus dem Englischen von Sara und Hannes Riffel. Tropen Verlag, Stuttgart 2013. 251 S., geb., 21,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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