Es ist nicht leicht, Sohn eines berühmten Vaters zu sein. Zumal wenn der Vater häufig abwesend ist und dann auch noch die Familie zerbricht. Wie es Hermann Hesse und seinen Söhnen Bruno und Heiner »trotz allem Schwierigen« gelungen ist, eine liebevolle, lebenslange Beziehung aufzubauen – davon erzählt dieser Briefwechsel, der fast 300, bislang unveröffentlichte Briefe enthält.
Die hier wiedergegebene Korrespondenz setzt Anfang 1920 ein. Zwei Jahre zuvor hatte Hesses erste Frau und die Mutter seiner Kinder, Mia Hesse-Bernoulli, einen psychischen Zusammenbruch und wurde in eine Klinik eingewiesen. In der Folge sah er sich gezwungen, seine Söhne in Obhut zu geben: Der 14-jährige Bruno kam als Pflegesohn zu einem befreundeten Ehepaar, der vier Jahre jüngere Heiner erlebte eine Odyssee durch Kinderheime und Schulinternate.
Hesse ist bemüht, trotz der räumlichen Trennung die Entwicklung seiner Söhne mit Rat und Tat zu begleiten. Er geht voller Verständnis auf die Probleme und Lebensentwürfe der beiden Heranwachsenden ein, immer individuell und auf Brunos und Heiners Temperament und Charakter zugeschnitten. In seinen Briefen bestärkt er sie, ihren eigenen Weg zu gehen, und ermuntert sie, die eigenen Anlagen, die sie in sich tragen, weiterzuentwickeln. Dass nicht nur er ihnen hilft, ihren Platz im Leben zu finden, sondern auch sie ihm über die Jahre helfen, sich in seiner Rolle als Vater zurechtzufinden, dokumentiert der Briefwechsel auf ebenso unterhaltsame wie erhellende Weise.
Die hier wiedergegebene Korrespondenz setzt Anfang 1920 ein. Zwei Jahre zuvor hatte Hesses erste Frau und die Mutter seiner Kinder, Mia Hesse-Bernoulli, einen psychischen Zusammenbruch und wurde in eine Klinik eingewiesen. In der Folge sah er sich gezwungen, seine Söhne in Obhut zu geben: Der 14-jährige Bruno kam als Pflegesohn zu einem befreundeten Ehepaar, der vier Jahre jüngere Heiner erlebte eine Odyssee durch Kinderheime und Schulinternate.
Hesse ist bemüht, trotz der räumlichen Trennung die Entwicklung seiner Söhne mit Rat und Tat zu begleiten. Er geht voller Verständnis auf die Probleme und Lebensentwürfe der beiden Heranwachsenden ein, immer individuell und auf Brunos und Heiners Temperament und Charakter zugeschnitten. In seinen Briefen bestärkt er sie, ihren eigenen Weg zu gehen, und ermuntert sie, die eigenen Anlagen, die sie in sich tragen, weiterzuentwickeln. Dass nicht nur er ihnen hilft, ihren Platz im Leben zu finden, sondern auch sie ihm über die Jahre helfen, sich in seiner Rolle als Vater zurechtzufinden, dokumentiert der Briefwechsel auf ebenso unterhaltsame wie erhellende Weise.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.03.2020„Die Weltmacht ist eine alte Hure“
Im Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner erscheint Hermann Hesse als mal verständnisvoller, mal reizbarer Vater
Was die Beziehungen zu seinen Kindern betrifft, so steht Hermann Hesse – anders als Thomas Mann – in einer merkwürdigen Bringschuld an die Nachwelt. Hesse, so lautet die gängige Behauptung, habe in seinen Romanen, seinen Erzählungen, Gedichten und Aufsätzen einen hohen humanistischen Anspruch an die Welt erhoben, dem er in seinem privaten Leben nicht gerecht geworden sei. Nahrung bekam die moralische Nachschelte auch durch die Schilderung des oft komplizierten Vater-Söhne-Verhältnisses in Gunnar Deckers fabelhafter Hesse-Biografie von 2012. Decker beschreibt darin die dramatische Erosion der Familie im Jahr 1919. Hesses Ehefrau Mia, die seit Langem mit Depressionen zu tun hatte, wurde in eine Heilanstalt eingewiesen, wohin sie den elfjährigen Heiner mitnahm, während die jüngeren Brüder Martin und Bruno zu Pflegefamilien kamen.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie beschreibt hinlänglich die Biografien entwurzelter Kinder, die sich ihren Eltern später traurig entziehen oder zornig mit ihnen hadern. Bei den Söhnen Hesses, Heiner und Bruno, liegt der Fall ein wenig anders. Von Martin Hesse, dem jüngsten Sohn, ist hier nicht die Rede, denn seine Briefe an den Vater sind in der jetzt bei Suhrkamp erschienenen, vom Germanisten Michael Limberg herausgegebenen Sammlung nicht enthalten. Limberg, der in Calw die internationalen Hesse-Kolloquien leitet, hat die Briefe in Zusammenarbeit mit den Hesse-Erben Silver und Simon Hesse ediert, beide sind Enkel des 1962 gestorbenen Literaturnobelpreisträgers.
„Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können“ – der Titel lautet versöhnlicher als der zunächst in der Verlagsvorankündigung notierte „Wir wollen es trotz allem Schwierigen immer wieder probieren“. Dabei ist der ursprüngliche Titel programmatischer für diesen Briefroman einer zersprengten Familie. Denn die Schwierigkeiten der Heranwachsenden führen zu immer neuen Versuchen der Annäherung an den Vater, dessen Krisen gewissermaßen zu seinem literarischen Portfolio gehören. Deshalb findet man in diesen Texten den Steppenwolf Hesse mit seinen seelischen Abgründen und körperlichen Malaisen, den Depressionen, Augenschmerzen und trotz regelmäßigen Kuraufenthalten nicht kleinzukriegenden Gicht- und Ischiasanfällen.
Die älteren Söhne stehen dem Vater auf sehr unterschiedliche Weise nah: Bruno, der Maler werden will, und in Frankreich Kunst studiert, ist, man kommt um den Eindruck schwer herum, der Lieblingssohn. Ihm darf Hesse, anders als Heiner, mit Ratschlägen und Identifikationsangeboten kommen; als Bruno seine Freundin wegläuft, tröstet ihn der Vater: „Aber es ist ein echtes reines Erlebnis in dir innen, und hat trotz allem Schmerz seinen Wert für jetzt und für immer, wenn du es rein und ganz durchlebst.“ Bruno ist es auch, dem Hesse seine privaten Entscheidungen als Erstem mitteilt, seinen Plan, die Wiedereinbürgerung in die Schweiz zu beantragen – Hesse hatte als Kind das Baseler Bürgerrecht besessen – sowie seinen Entschluss, sich neu zu verheiraten, zunächst mit Ruth Wenger, die Ehe hält nur kurz, und später mit Ninon Ausländer, die bis zum Tod seine Lebensgefährtin bleiben wird.
Die Auseinandersetzungen mit Heiner führen Hermann Hesse dagegen auf heikles Terrain. Heiner Hesse, der als Maler kein Auskommen findet und in seinem Brotberuf als Schaufensterdekorateur nicht glücklich ist, versucht seinen Vater immer wieder an dessen empfindlichen Stellen zu treffen. Diese liegen dort, wo Hermann Hesse sich als Schriftsteller positioniert, fernab von Ideologie und Vereinnahmung durch politische Interessen.
Die Kunst, schreibt Heiner dagegen, sei „losgelöst von Gesinnung und Weltanschauung“ wirkungslos. Hesse lässt sich fast zwei Monate Zeit mit einer Antwort, deren Gereiztheit sich im Lauf des Schreibens zur grundsätzlichen Entrüstung steigert: „Hast du wirklich nie etwas von mir gelesen? Hast du wirklich nie gefühlt, daß es mir damit ernst ist, daß ich Programme und fertig formulierte ‚Gesinnungen‘ nur darum ablehne, weil sie die Menschen unendlich verarmen und verdummen ...?“
Der Brief stammt aus dem März 1937, Hesses Werke waren im Nazi-Reich weitgehend verboten, der Autor selbst galt als unerwünscht. Der Zorn über die Angriffe von dort gewinnt neue Nahrung im Disput mit Heiner, dessen ideologische Denkspiele den Vater bis zur Aufgabe seiner Contenance reizen.
Im Streit mit Heiner zeigt sich Hesse in seiner Zerrissenheit zwischen Künstlertum und bürgerlichem Behauptungsanspruch. Der Sohn bekommt sein Leben nicht auf die Reihe, Hesse muss ihn über lange Zeit finanziell unterstützen und sich zugleich vorwerfen lassen, er selbst führe ein abgeschmacktes Bonzenleben mit Bocciabahn und Villa im Tessin. Hermann Hesse kontert mit Vorwürfen, der Sohn besuche ihn kaum und polemisiert, „es wäre ja auch gar zu langweilig, wenn ich als dein Vater nur dazu da wäre Rechnungen zu begleichen“.
Der berühmte Vater bietet in seiner Reizbarkeit ein dankbares Ziel für den aufbegehrenden Heiner, dessen ausgestellte Verachtung des Künstlers und des Künstlertums offenkundig dazu dient, dem Alten eins reinzuwürgen. Als der Sohn anfängt, das Werk des Vaters, namentlich dessen auch wirtschaftlich erfolgreichen Roman „Der Steppenwolf“, infrage zu stellen, droht dieser mit dem Bruch der Beziehung: „Du weißt, was er mir bedeutet und was du damit tust. Noch ein Wort mehr, dann bin ich fertig und nicht mehr für dich zu sprechen.“
Das böse Nachtreten des Vaters, nachdem der Sohn die Lehrzeit beendet hat, zeigt die Unversöhnlichkeit der Kombattanten: „Du hast mir damit ein erstes Mal imponiert und gezeigt, dass du etwas leisten kannst.“ Hesse möchte seinem Sohn den Kopf waschen, er will, dass Heiner seinen verträumten Sozialismus drangibt und seinen „Feind, die kapitalistische Gesellschaftsordnung“ dadurch kennenlernt, dass er in ihr arbeitet. Hermann Hesse als Dialektiker im Namen des ökonomischen Pragmatismus, so kannte man den Dichter des „Siddhartha“ bislang eher nicht.
Bruno hat es bedeutend leichter. Ihm bestätigt der Vater eine über das Familiäre weit hinaus deutende Verwandtschaft: „Für mich ist es ... ein Glück, in dir einen Sohn und jungen Seelenbruder zu haben“. Und der durch die Vaterliebe so Privilegierte revanchiert sich entsprechend: „Es ist für mich immer ein Trost, etwas von dir zu lesen. Ich fühle da so viel Verwandtes.“
Der Suhrkamp-Verlag gibt seit einigen Jahren den umfangreichen Briefverkehr Hermann Hesses in einzelnen, von Volker Michels penibel edierten Bänden heraus. Zuletzt erschienen die Briefe aus der Zeit der NS-Herrschaft, damals wurde der Schriftsteller Hesse zum Schutzheiligen vieler Emigranten. Dort wie auch in den Briefen an die Söhne erweist sich Hesse als Schriftsteller, der seine politische Moral geradezu störrisch aus dem eigenen geistigen Kosmos bewirtschaftet und gegen alle ideologischen Verführungen verteidigt.
Für Hesse existierte kein ideologisches Weltgebäude ohne eingebautes Waffenarsenal. Wer Kommunist ist, muss auf seine Gegner schießen wollen, in der Gewalt sah Hesse die Zwangsläufigkeit jeder Gesinnung. Ihn interessieren Ideologien nur im Hinblick auf ihre, in seiner Wahrnehmung, fatale Wirkmacht. „Die Weltmacht“, schreibt Hesse, „ist eine alte Hure, die mich auch hier nicht in Ruhe gelassen.“
Erst im hohen Alter, als die Leukämie, von der er nichts wusste, ihn zu Bluttransfusionen zwang, tritt Hesses Zorn auf die Welt hinter die Fürsorge für seine große Familie zurück. Der überstandene Geburtstag im Juli 1962 veranlasst den Todkranken in seinem letzten Brief an Heiner zum versöhnlichen Rondo: „Daß ich euch drei Söhne noch einmal festlich beieinander gehabt habe, war mir eine Freude, die noch nachklingt.“
HILMAR KLUTE
Hermann Hesse: „Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können“. Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner. Hrsg. von Michael Limberg in Zusammenarbeit mit Silver und Simon Hesse. Suhrkamp Verlag 2019, 332 S., 34 Euro.
Er war zerrissen zwischen
Künstlertum und bürgerlichem
Behauptungsanspruch
Im hohen Alter trat der Zorn auf
die Welt hinter die Fürsorge für
die Familie zurück
Die Söhne des Dichters: Bruno, der älteste Sohn, Heiner und Martin Hesse (von links) vor der Cascina in Ascona, 1931.
Foto: Mia Hesse
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Im Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner erscheint Hermann Hesse als mal verständnisvoller, mal reizbarer Vater
Was die Beziehungen zu seinen Kindern betrifft, so steht Hermann Hesse – anders als Thomas Mann – in einer merkwürdigen Bringschuld an die Nachwelt. Hesse, so lautet die gängige Behauptung, habe in seinen Romanen, seinen Erzählungen, Gedichten und Aufsätzen einen hohen humanistischen Anspruch an die Welt erhoben, dem er in seinem privaten Leben nicht gerecht geworden sei. Nahrung bekam die moralische Nachschelte auch durch die Schilderung des oft komplizierten Vater-Söhne-Verhältnisses in Gunnar Deckers fabelhafter Hesse-Biografie von 2012. Decker beschreibt darin die dramatische Erosion der Familie im Jahr 1919. Hesses Ehefrau Mia, die seit Langem mit Depressionen zu tun hatte, wurde in eine Heilanstalt eingewiesen, wohin sie den elfjährigen Heiner mitnahm, während die jüngeren Brüder Martin und Bruno zu Pflegefamilien kamen.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie beschreibt hinlänglich die Biografien entwurzelter Kinder, die sich ihren Eltern später traurig entziehen oder zornig mit ihnen hadern. Bei den Söhnen Hesses, Heiner und Bruno, liegt der Fall ein wenig anders. Von Martin Hesse, dem jüngsten Sohn, ist hier nicht die Rede, denn seine Briefe an den Vater sind in der jetzt bei Suhrkamp erschienenen, vom Germanisten Michael Limberg herausgegebenen Sammlung nicht enthalten. Limberg, der in Calw die internationalen Hesse-Kolloquien leitet, hat die Briefe in Zusammenarbeit mit den Hesse-Erben Silver und Simon Hesse ediert, beide sind Enkel des 1962 gestorbenen Literaturnobelpreisträgers.
„Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können“ – der Titel lautet versöhnlicher als der zunächst in der Verlagsvorankündigung notierte „Wir wollen es trotz allem Schwierigen immer wieder probieren“. Dabei ist der ursprüngliche Titel programmatischer für diesen Briefroman einer zersprengten Familie. Denn die Schwierigkeiten der Heranwachsenden führen zu immer neuen Versuchen der Annäherung an den Vater, dessen Krisen gewissermaßen zu seinem literarischen Portfolio gehören. Deshalb findet man in diesen Texten den Steppenwolf Hesse mit seinen seelischen Abgründen und körperlichen Malaisen, den Depressionen, Augenschmerzen und trotz regelmäßigen Kuraufenthalten nicht kleinzukriegenden Gicht- und Ischiasanfällen.
Die älteren Söhne stehen dem Vater auf sehr unterschiedliche Weise nah: Bruno, der Maler werden will, und in Frankreich Kunst studiert, ist, man kommt um den Eindruck schwer herum, der Lieblingssohn. Ihm darf Hesse, anders als Heiner, mit Ratschlägen und Identifikationsangeboten kommen; als Bruno seine Freundin wegläuft, tröstet ihn der Vater: „Aber es ist ein echtes reines Erlebnis in dir innen, und hat trotz allem Schmerz seinen Wert für jetzt und für immer, wenn du es rein und ganz durchlebst.“ Bruno ist es auch, dem Hesse seine privaten Entscheidungen als Erstem mitteilt, seinen Plan, die Wiedereinbürgerung in die Schweiz zu beantragen – Hesse hatte als Kind das Baseler Bürgerrecht besessen – sowie seinen Entschluss, sich neu zu verheiraten, zunächst mit Ruth Wenger, die Ehe hält nur kurz, und später mit Ninon Ausländer, die bis zum Tod seine Lebensgefährtin bleiben wird.
Die Auseinandersetzungen mit Heiner führen Hermann Hesse dagegen auf heikles Terrain. Heiner Hesse, der als Maler kein Auskommen findet und in seinem Brotberuf als Schaufensterdekorateur nicht glücklich ist, versucht seinen Vater immer wieder an dessen empfindlichen Stellen zu treffen. Diese liegen dort, wo Hermann Hesse sich als Schriftsteller positioniert, fernab von Ideologie und Vereinnahmung durch politische Interessen.
Die Kunst, schreibt Heiner dagegen, sei „losgelöst von Gesinnung und Weltanschauung“ wirkungslos. Hesse lässt sich fast zwei Monate Zeit mit einer Antwort, deren Gereiztheit sich im Lauf des Schreibens zur grundsätzlichen Entrüstung steigert: „Hast du wirklich nie etwas von mir gelesen? Hast du wirklich nie gefühlt, daß es mir damit ernst ist, daß ich Programme und fertig formulierte ‚Gesinnungen‘ nur darum ablehne, weil sie die Menschen unendlich verarmen und verdummen ...?“
Der Brief stammt aus dem März 1937, Hesses Werke waren im Nazi-Reich weitgehend verboten, der Autor selbst galt als unerwünscht. Der Zorn über die Angriffe von dort gewinnt neue Nahrung im Disput mit Heiner, dessen ideologische Denkspiele den Vater bis zur Aufgabe seiner Contenance reizen.
Im Streit mit Heiner zeigt sich Hesse in seiner Zerrissenheit zwischen Künstlertum und bürgerlichem Behauptungsanspruch. Der Sohn bekommt sein Leben nicht auf die Reihe, Hesse muss ihn über lange Zeit finanziell unterstützen und sich zugleich vorwerfen lassen, er selbst führe ein abgeschmacktes Bonzenleben mit Bocciabahn und Villa im Tessin. Hermann Hesse kontert mit Vorwürfen, der Sohn besuche ihn kaum und polemisiert, „es wäre ja auch gar zu langweilig, wenn ich als dein Vater nur dazu da wäre Rechnungen zu begleichen“.
Der berühmte Vater bietet in seiner Reizbarkeit ein dankbares Ziel für den aufbegehrenden Heiner, dessen ausgestellte Verachtung des Künstlers und des Künstlertums offenkundig dazu dient, dem Alten eins reinzuwürgen. Als der Sohn anfängt, das Werk des Vaters, namentlich dessen auch wirtschaftlich erfolgreichen Roman „Der Steppenwolf“, infrage zu stellen, droht dieser mit dem Bruch der Beziehung: „Du weißt, was er mir bedeutet und was du damit tust. Noch ein Wort mehr, dann bin ich fertig und nicht mehr für dich zu sprechen.“
Das böse Nachtreten des Vaters, nachdem der Sohn die Lehrzeit beendet hat, zeigt die Unversöhnlichkeit der Kombattanten: „Du hast mir damit ein erstes Mal imponiert und gezeigt, dass du etwas leisten kannst.“ Hesse möchte seinem Sohn den Kopf waschen, er will, dass Heiner seinen verträumten Sozialismus drangibt und seinen „Feind, die kapitalistische Gesellschaftsordnung“ dadurch kennenlernt, dass er in ihr arbeitet. Hermann Hesse als Dialektiker im Namen des ökonomischen Pragmatismus, so kannte man den Dichter des „Siddhartha“ bislang eher nicht.
Bruno hat es bedeutend leichter. Ihm bestätigt der Vater eine über das Familiäre weit hinaus deutende Verwandtschaft: „Für mich ist es ... ein Glück, in dir einen Sohn und jungen Seelenbruder zu haben“. Und der durch die Vaterliebe so Privilegierte revanchiert sich entsprechend: „Es ist für mich immer ein Trost, etwas von dir zu lesen. Ich fühle da so viel Verwandtes.“
Der Suhrkamp-Verlag gibt seit einigen Jahren den umfangreichen Briefverkehr Hermann Hesses in einzelnen, von Volker Michels penibel edierten Bänden heraus. Zuletzt erschienen die Briefe aus der Zeit der NS-Herrschaft, damals wurde der Schriftsteller Hesse zum Schutzheiligen vieler Emigranten. Dort wie auch in den Briefen an die Söhne erweist sich Hesse als Schriftsteller, der seine politische Moral geradezu störrisch aus dem eigenen geistigen Kosmos bewirtschaftet und gegen alle ideologischen Verführungen verteidigt.
Für Hesse existierte kein ideologisches Weltgebäude ohne eingebautes Waffenarsenal. Wer Kommunist ist, muss auf seine Gegner schießen wollen, in der Gewalt sah Hesse die Zwangsläufigkeit jeder Gesinnung. Ihn interessieren Ideologien nur im Hinblick auf ihre, in seiner Wahrnehmung, fatale Wirkmacht. „Die Weltmacht“, schreibt Hesse, „ist eine alte Hure, die mich auch hier nicht in Ruhe gelassen.“
Erst im hohen Alter, als die Leukämie, von der er nichts wusste, ihn zu Bluttransfusionen zwang, tritt Hesses Zorn auf die Welt hinter die Fürsorge für seine große Familie zurück. Der überstandene Geburtstag im Juli 1962 veranlasst den Todkranken in seinem letzten Brief an Heiner zum versöhnlichen Rondo: „Daß ich euch drei Söhne noch einmal festlich beieinander gehabt habe, war mir eine Freude, die noch nachklingt.“
HILMAR KLUTE
Hermann Hesse: „Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können“. Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner. Hrsg. von Michael Limberg in Zusammenarbeit mit Silver und Simon Hesse. Suhrkamp Verlag 2019, 332 S., 34 Euro.
Er war zerrissen zwischen
Künstlertum und bürgerlichem
Behauptungsanspruch
Im hohen Alter trat der Zorn auf
die Welt hinter die Fürsorge für
die Familie zurück
Die Söhne des Dichters: Bruno, der älteste Sohn, Heiner und Martin Hesse (von links) vor der Cascina in Ascona, 1931.
Foto: Mia Hesse
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»Der Briefwechsel Mit dem Vertrauen, dass wir einander nicht verloren gehen können zeigt, wie sich zwischen diesen dreien dennoch, schreibend, ein ungewöhnlich enges Band festigte - und dass es immer mehr als einen guten Weg gibt.« stern 20190102