Elsemarie Maletzke ist den biographischen und literarischen Spuren Jane Austens durch England gefolgt und entführt uns in die wunderbare Welt der Schriftstellerin und ihrer Romane. Jane Austen reiste gern. Sie erkundete Südengland von Devon bis Kent; sie fuhr nach London, an die See und nach Bath. Was sie sah, gefiel ihr ausgezeichnet, und als gute Patriotin konnte sie sich nicht vorstellen, daß es anderswo schöner sein könnte. Mit ihren Augen und durch ihre Romane sehen wir noch immer die klassischen Straßen von Bath - heute Weltkulturerbe -, das Cottage in Chawton, wo sie schrieb, die Salons, in denen sie tanzte, und die geschwungene Kaimauer von Lyme Regis, von der im Roman Anne Elliot oder die Kunst der Überredung Louisa Musgrove in Kapitän Wentworths Arme springen will und auf dem Pflaster landet.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2010Den Kopf voller Hammelknochen und Rhabarber
In der Weltliteratur sind die Werke von Jane Austen bis heute die populärsten, und das nicht erst, seit sie von der Film- und Tourismusindustrie entdeckt wurden: Eine Reihe neuer Taschenbücher erkundet Austenland auf Seitenpfaden.
Lieblingsbücher sind wie alte Ferienorte, die man immer wieder gern aufsucht. Man kennt sich aus, geht die Wege wie im Schlaf, weiß schon an jeder Ecke, was sich dahinter zeigt, und freut sich jedes Mal, wenn sich die Erwartung prompt bestätigt. Die schönsten Abenteuer sind die vertrauten, da wir bei ihnen zuversichtlich sind, zuletzt nicht enttäuscht zu werden. Erholung bietet weniger der Reiz des Unbekannten als der Trost andauernder Beständigkeit. Wer wirklich etwas erleben will, greift daher zuverlässig nach dem Lieblingsbuch. Man fährt ja auch nicht unbedingt in Urlaub, wenn man befürchten muss, dass dort das Wetter schlecht, das Essen mäßig und die Betten dreckig sind. Das Grundproblem bleibt allerdings, dass wir das ursprüngliche Glück der Erstbegegnung, den eigentlichen Zauber des Entdeckens, auf diese Weise nie mehr finden können - wie alle Paradiese sind sie strikt verloren.
Abhilfe liegt einzig darin, das altbekannte Feriengelände auch mal auf anderen Pfaden zu durchkreuzen und abseitige Wege zu erkunden. Wenn Lieblingsbücher Orte sind, dann können Lieblingsschriftsteller zu Kontinenten werden, oder gar zu Universen, in deren Weiten wir uns immer aufs Neue überraschen oder trösten lassen. Meistens aber ist der schiere Umfang eines solchen Werks klar abgesteckt und in manchen Fällen ziemlich überschaubar. Jane Austen beispielsweise: unerschöpflich wirkt die Welt ihrer Erzählkunst gerade dadurch, dass deren äußere Grenzen klar gezogen sind. Sie umfasst ein paar Ortschaften im Süden und Südwesten Englands, befasst sich mit Geselligkeiten und Alltagssorgen des Landadels um 1800, zeigt das Leben jener drei bis vier Familien von Stande, die das Sozialgeflecht ihrer Geschichten bilden, und ist dabei mit so gewaltiger und doch dezenter Sprachmacht ausgestaltet, dass sie in Wirkung und Erfolg sämtliche Schranken der Gesellschaft wie von Zeit und Raum hinter sich gelassen hat. Unter allen Werken der Weltliteratur sind Austens die bis heute populärsten - und dies nicht erst, seit sie von der Film- und Tourismusindustrie entdeckt wurden.
Sieben Romane hat die Autorin zum Ende ihres kurzen Lebens abgeschlossen. Hinzu kommen zwei Romanfragmente sowie eine ganze Zahl an kleinen Jugend- und Gelegenheitstexten, zum Zeitvertreib verfasst und mitunter bei geselligen Anlässen im Familienkreis präsentiert, sowie zahlreiche Briefe. Sie selbst maß solchen Dingen offensichtlich keinen Wert bei und verwendete stattdessen umso mehr Sorgfalt auf die Überarbeitung ihrer Romanmanuskripte, an denen sie vor der Veröffentlichung lange feilte. Wir dürfen darin getrost ihrem eigenen Urteil folgen und uns an diese großen Texte halten, wenn wir je von den Abgründen der menschlichen Gefühlswelten, die unerwartet unter fein polierter Oberfläche aufbrechen, etwas ahnen wollen. Wer also den Geschichten und Geschicken Austenscher Figuren bislang nur auf der Leinwand folgte, tut gut daran, sich unbedingt als Nächstes den Romanen selbst zu widmen. Wer allerdings die Hauptpfade des Austenkontinents schon länger lesend kennt und sämtliche vertraute Felder vielfach ausgeschritten ist, mag sich gewiss gern auf kleine Randgänge einlassen, um das Bekannte einmal aus anderer Perspektive in den Blick zu nehmen oder wohl gar Neues zu entdecken. Hierzu laden eine Reihe aktueller Taschenbücher ein.
Welche junge Dame war es gleich, der die Unannehmlichkeit des Reisens, insbesondere die Übernachtungen in fremden Betten derart zuwider waren, dass sie zur Vorsicht stets mit eigener Bettwäsche unterwegs war? Genau - Selina Hawkins heißt sie, die spätere Mrs. Suckling, von der wir Näheres in "Emma" in Erfahrung bringen. Solche Wiederbegegnungen gönnt uns eine Sammlung spitzer Sprüche und Zitate, die Elsemarie Maletzke zusammengestellt hat. Im Stil bürgerlicher Klassikerauswertung präsentiert sie Aphorismen und Sottisen zu den diversen Wechselfällen des Lebens wie beispielsweise "Zaster", "Müßiggang" und "Schöne Menschen", "Junge Frauen", "Alte Männer" oder auch "Sublime Formen der Balz" - Letzteres, wie man weiß, in Austens Werk besonders ausgeprägt. Dabei kommen nicht nur die Romanfiguren zu Wort; einige der treffendsten Passagen gehen auf Austens eigene Rechnung, denn sie entstammen ihren Briefen.
Briefe an die Schwester
Tatsächlich finden sich darin erstaunlich boshafte Bemerkungen: "Mrs. Hall aus Sherbourn kam gestern mit einem toten Kind nieder", schreibt sie mit dreiundzwanzig Jahren über eine Nachbarin der weiteren Bekanntschaft, "mehrere Wochen zu früh, ausgelöst offenbar durch einen Schrecken. Ich vermute, sie hat versehentlich ihren Ehemann angeschaut." Dabei hat die Adressatin, um das Andenken an die geliebte Schwester nach deren frühem Tod zu schützen und den Familienruf zu wahren, den größten Teil der unschätzbaren Briefe selbst vernichtet und aus dem anderen gern anstößige Stellen rausgeschnitten. Doch das Überlieferte reicht aus, um einen starken Eindruck von der unbändigen Lust zu gewinnen, mit der sich Austen offenkundig nicht nur der Beobachtung der Mitwelt hingab, sondern anschließend der gnadenlosen Pointierung des Gesehenen in Sprache. So schult sie Blick wie Formulierungskunst, um daraus die berühmte Haltung des ironischen Erzählens zu gewinnen, die bald zu ihrem Markenzeichen wird.
Austens Briefe an die Lieblingsschwester sind jetzt wieder in einer ansprechenden deutschen Fassung greifbar. Ursula Gräfes Auswahl beginnt 1796, als die Zwanzigjährige gerade die Ausschweifungen der aktuellen Ballsaison schicklich genießt, und endet einundzwanzig Jahre später mit dem knappen Testament, in dem sie alle Hinterlassenschaften und "was nach Abzug der Begräbniskosten übrigbleibt", der "liebsten Schwester Cassandra Elizabeth" vermacht. Die Zeitspanne dazwischen war äußerlich ereignisarm, zumeist geprägt vom Rhythmus des gepflegten Landlebens, gelegentlichen Ausflügen und Umzügen sowie vor allem von den häuslichen Verrichtungen, denen sie sich stets mit Enthusiasmus hingab. Gärtnern, Kochen, Tischgesellschaften und Handarbeiten sind daher ebenso oft Gegenstand des Mitgeteilten wie Klatsch aus der Nachbarschaft oder Sorge um die Schicksale der weiteren Familie, insbesondere des Bruders, der in der Marine dient, oder anderer Reisender der weiten Welt. Kaum jemals geben diese Briefe aber Auskunft über das, was wir als Austens eigentliche Arbeit sehen: kaum je ein Wort zur Literatur, über Ästhetik oder zu Fragen des Schriftstellerlebens. Einblicke in die Werkstatt ihrer Kunst verwehrt sie uns so gründlich wie diskret.
"Ich frage mich häufig, wie Du die Zeit findest, all das zu tun, was Du tust, zusätzlich zur Arbeit im Haus", schreibt sie der Schwester noch ein knappes Jahr vor ihrem Tod und fährt gleich mit Bezug auf eine zeitgenössisch sehr erfolgreiche Romanautorin fort: "Und wie die gute Mrs. West bei all ihren Sorgen um die Familie so viele Bücher schreiben und so viele harte Worte sammeln konnte, ist mir ein noch größeres Rätsel. Es ist mir unmöglich, etwas zu Papier zu bringen, wenn ich den Kopf voller Hammelknochen und Rhabarber habe." Umso mehr müssen wir uns fragen, wie Jane Austen ihrerseits so einprägsame Bücher schreiben konnte, wenn nicht einmal die Briefe viel von dem verraten, was ihr außer Hammel und Rhabarber wohl noch durch den Kopf gegangen ist. Vielleicht war es das Vermögen, das Erlebte ihrer Alltagswelt probehalber in ein anderes Licht und einen anderen Rahmen einzurücken, dabei sämtlichen Gefühlsregungen weniger zu trauen oder nachzugeben als Gelegenheit zur heimlichen Entblößung vorgeblicher Größe abzutrotzen, was sie in den Stand versetzte, so erstaunliche wie heute noch bewegende Fiktionen zu erschaffen.
Vertraut und zugleich neu
Ein frühes Beispiel dieser Kunst, sich durch das Vorgefundene nicht weiter beeindrucken zu lassen, ist die "Geschichte Englands", der Schwester zugeeignet, eine kleine Folge historischer Vignetten der Monarchen aus dem fünfzehnten bis siebzehnten Jahrhundert, die mit bereits ausgeprägt satirischem Talent vorgeführt werden. Hier parodiert die Sechzehnjährige, die zeitlebens nie geregelten Schulunterricht erhielt, den triumphalen Tonfall gängiger Geschichtsbücher, denen das Vergangene nur als Vorstufe der glorreichen Gegenwart gelten darf. Der Text ist so vergnüglich wie eigentlich entbehrlich und gewinnt in dieser deutschen Neufassung (anders als der Klappentext behauptet, erscheint er bei uns durchaus nicht zum ersten Mal) vor allem durch die hinreißenden Tuschezeichnungen, mit denen Mandy Schlundt die Ausgabe versehen hat.
Und wenn selbst solche schmalen Seitenpfade des wunderbaren Austenlandes ausgekundschaftet oder ausgetreten sind, kann man sich letzthin noch mit Elsemarie Maletzkes Reisebuch auf Spurensuche in Südengland machen. Unter der kundigen Führung der Expertin und mit stimmungsvollen Farbfotos wohltuend überraschungsfreier Parklandschaften werden darin alle einschlägigen Orte - Steventon, Bath, Chawton, Winchester - aus Austens Leben und Werk vorgestellt und zu den passenden Passagen aus den Romanen oder Briefen in Beziehung gesetzt. Wer je im Zweifel blieb, kann es hier sehen: "von diesen Stufen sprang Louisa Musgrove" und landete, statt sanft in Captain Wentworths Armen, auf dem harten Pflaster.
Wer allerdings den beigefügten Reisehinweisen tatsächlich folgt, nach England fährt und die literarisch unsterblichen Orte aufsucht, kann sicher nur verlieren. Große Texte schaffen sich die Wirklichkeit, in die sie uns entführen, selbst und lassen sämtliche Gegebenheiten, auf die sie sich in unserer Alltagswelt beziehen mögen, zurück. Just daraus entsteht erst das Feriengefühl, vorübergehend Handlungs- oder Tatsachennotwendigkeiten zu entkommen. Bevor wir also wieder auf härterem Pflaster landen wollen, mag diese Austen-Auswahl dazu beitragen, das Leseabenteuer zu erneuern. Das Schönste an den wahren Lieblingsbüchern ist schließlich, dass sie wie Ferienorte sind, die uns bei jedem Besuch vertraut und zugleich neu erscheinen.
TOBIAS DÖRING
Jane Austen: "Ich bin voller Ungeduld". Briefe an Cassandra. Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Ursula Gräfe. Insel, Frankfurt a.M. 2009. 208 S., br., 10,- [Euro].
Jane Austen: "Die Geschichte Englands". Von der Herrschaft Henry des Vierten bis zum Tode Charles des Ersten. Illustrationen von Mandy Schlundt. Aus dem Englischen von Christian Lux. Luxbooks, Wiesbaden 2009. 46 S., br., 13,50 [Euro].
"Jane Austen für Boshafte". Ausgewählt von Elsemarie Maletzke. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 130 S., br., 6,- [Euro].
Elsemarie Maletzke: "Mit Jane Austen durch England". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 170 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der Weltliteratur sind die Werke von Jane Austen bis heute die populärsten, und das nicht erst, seit sie von der Film- und Tourismusindustrie entdeckt wurden: Eine Reihe neuer Taschenbücher erkundet Austenland auf Seitenpfaden.
Lieblingsbücher sind wie alte Ferienorte, die man immer wieder gern aufsucht. Man kennt sich aus, geht die Wege wie im Schlaf, weiß schon an jeder Ecke, was sich dahinter zeigt, und freut sich jedes Mal, wenn sich die Erwartung prompt bestätigt. Die schönsten Abenteuer sind die vertrauten, da wir bei ihnen zuversichtlich sind, zuletzt nicht enttäuscht zu werden. Erholung bietet weniger der Reiz des Unbekannten als der Trost andauernder Beständigkeit. Wer wirklich etwas erleben will, greift daher zuverlässig nach dem Lieblingsbuch. Man fährt ja auch nicht unbedingt in Urlaub, wenn man befürchten muss, dass dort das Wetter schlecht, das Essen mäßig und die Betten dreckig sind. Das Grundproblem bleibt allerdings, dass wir das ursprüngliche Glück der Erstbegegnung, den eigentlichen Zauber des Entdeckens, auf diese Weise nie mehr finden können - wie alle Paradiese sind sie strikt verloren.
Abhilfe liegt einzig darin, das altbekannte Feriengelände auch mal auf anderen Pfaden zu durchkreuzen und abseitige Wege zu erkunden. Wenn Lieblingsbücher Orte sind, dann können Lieblingsschriftsteller zu Kontinenten werden, oder gar zu Universen, in deren Weiten wir uns immer aufs Neue überraschen oder trösten lassen. Meistens aber ist der schiere Umfang eines solchen Werks klar abgesteckt und in manchen Fällen ziemlich überschaubar. Jane Austen beispielsweise: unerschöpflich wirkt die Welt ihrer Erzählkunst gerade dadurch, dass deren äußere Grenzen klar gezogen sind. Sie umfasst ein paar Ortschaften im Süden und Südwesten Englands, befasst sich mit Geselligkeiten und Alltagssorgen des Landadels um 1800, zeigt das Leben jener drei bis vier Familien von Stande, die das Sozialgeflecht ihrer Geschichten bilden, und ist dabei mit so gewaltiger und doch dezenter Sprachmacht ausgestaltet, dass sie in Wirkung und Erfolg sämtliche Schranken der Gesellschaft wie von Zeit und Raum hinter sich gelassen hat. Unter allen Werken der Weltliteratur sind Austens die bis heute populärsten - und dies nicht erst, seit sie von der Film- und Tourismusindustrie entdeckt wurden.
Sieben Romane hat die Autorin zum Ende ihres kurzen Lebens abgeschlossen. Hinzu kommen zwei Romanfragmente sowie eine ganze Zahl an kleinen Jugend- und Gelegenheitstexten, zum Zeitvertreib verfasst und mitunter bei geselligen Anlässen im Familienkreis präsentiert, sowie zahlreiche Briefe. Sie selbst maß solchen Dingen offensichtlich keinen Wert bei und verwendete stattdessen umso mehr Sorgfalt auf die Überarbeitung ihrer Romanmanuskripte, an denen sie vor der Veröffentlichung lange feilte. Wir dürfen darin getrost ihrem eigenen Urteil folgen und uns an diese großen Texte halten, wenn wir je von den Abgründen der menschlichen Gefühlswelten, die unerwartet unter fein polierter Oberfläche aufbrechen, etwas ahnen wollen. Wer also den Geschichten und Geschicken Austenscher Figuren bislang nur auf der Leinwand folgte, tut gut daran, sich unbedingt als Nächstes den Romanen selbst zu widmen. Wer allerdings die Hauptpfade des Austenkontinents schon länger lesend kennt und sämtliche vertraute Felder vielfach ausgeschritten ist, mag sich gewiss gern auf kleine Randgänge einlassen, um das Bekannte einmal aus anderer Perspektive in den Blick zu nehmen oder wohl gar Neues zu entdecken. Hierzu laden eine Reihe aktueller Taschenbücher ein.
Welche junge Dame war es gleich, der die Unannehmlichkeit des Reisens, insbesondere die Übernachtungen in fremden Betten derart zuwider waren, dass sie zur Vorsicht stets mit eigener Bettwäsche unterwegs war? Genau - Selina Hawkins heißt sie, die spätere Mrs. Suckling, von der wir Näheres in "Emma" in Erfahrung bringen. Solche Wiederbegegnungen gönnt uns eine Sammlung spitzer Sprüche und Zitate, die Elsemarie Maletzke zusammengestellt hat. Im Stil bürgerlicher Klassikerauswertung präsentiert sie Aphorismen und Sottisen zu den diversen Wechselfällen des Lebens wie beispielsweise "Zaster", "Müßiggang" und "Schöne Menschen", "Junge Frauen", "Alte Männer" oder auch "Sublime Formen der Balz" - Letzteres, wie man weiß, in Austens Werk besonders ausgeprägt. Dabei kommen nicht nur die Romanfiguren zu Wort; einige der treffendsten Passagen gehen auf Austens eigene Rechnung, denn sie entstammen ihren Briefen.
Briefe an die Schwester
Tatsächlich finden sich darin erstaunlich boshafte Bemerkungen: "Mrs. Hall aus Sherbourn kam gestern mit einem toten Kind nieder", schreibt sie mit dreiundzwanzig Jahren über eine Nachbarin der weiteren Bekanntschaft, "mehrere Wochen zu früh, ausgelöst offenbar durch einen Schrecken. Ich vermute, sie hat versehentlich ihren Ehemann angeschaut." Dabei hat die Adressatin, um das Andenken an die geliebte Schwester nach deren frühem Tod zu schützen und den Familienruf zu wahren, den größten Teil der unschätzbaren Briefe selbst vernichtet und aus dem anderen gern anstößige Stellen rausgeschnitten. Doch das Überlieferte reicht aus, um einen starken Eindruck von der unbändigen Lust zu gewinnen, mit der sich Austen offenkundig nicht nur der Beobachtung der Mitwelt hingab, sondern anschließend der gnadenlosen Pointierung des Gesehenen in Sprache. So schult sie Blick wie Formulierungskunst, um daraus die berühmte Haltung des ironischen Erzählens zu gewinnen, die bald zu ihrem Markenzeichen wird.
Austens Briefe an die Lieblingsschwester sind jetzt wieder in einer ansprechenden deutschen Fassung greifbar. Ursula Gräfes Auswahl beginnt 1796, als die Zwanzigjährige gerade die Ausschweifungen der aktuellen Ballsaison schicklich genießt, und endet einundzwanzig Jahre später mit dem knappen Testament, in dem sie alle Hinterlassenschaften und "was nach Abzug der Begräbniskosten übrigbleibt", der "liebsten Schwester Cassandra Elizabeth" vermacht. Die Zeitspanne dazwischen war äußerlich ereignisarm, zumeist geprägt vom Rhythmus des gepflegten Landlebens, gelegentlichen Ausflügen und Umzügen sowie vor allem von den häuslichen Verrichtungen, denen sie sich stets mit Enthusiasmus hingab. Gärtnern, Kochen, Tischgesellschaften und Handarbeiten sind daher ebenso oft Gegenstand des Mitgeteilten wie Klatsch aus der Nachbarschaft oder Sorge um die Schicksale der weiteren Familie, insbesondere des Bruders, der in der Marine dient, oder anderer Reisender der weiten Welt. Kaum jemals geben diese Briefe aber Auskunft über das, was wir als Austens eigentliche Arbeit sehen: kaum je ein Wort zur Literatur, über Ästhetik oder zu Fragen des Schriftstellerlebens. Einblicke in die Werkstatt ihrer Kunst verwehrt sie uns so gründlich wie diskret.
"Ich frage mich häufig, wie Du die Zeit findest, all das zu tun, was Du tust, zusätzlich zur Arbeit im Haus", schreibt sie der Schwester noch ein knappes Jahr vor ihrem Tod und fährt gleich mit Bezug auf eine zeitgenössisch sehr erfolgreiche Romanautorin fort: "Und wie die gute Mrs. West bei all ihren Sorgen um die Familie so viele Bücher schreiben und so viele harte Worte sammeln konnte, ist mir ein noch größeres Rätsel. Es ist mir unmöglich, etwas zu Papier zu bringen, wenn ich den Kopf voller Hammelknochen und Rhabarber habe." Umso mehr müssen wir uns fragen, wie Jane Austen ihrerseits so einprägsame Bücher schreiben konnte, wenn nicht einmal die Briefe viel von dem verraten, was ihr außer Hammel und Rhabarber wohl noch durch den Kopf gegangen ist. Vielleicht war es das Vermögen, das Erlebte ihrer Alltagswelt probehalber in ein anderes Licht und einen anderen Rahmen einzurücken, dabei sämtlichen Gefühlsregungen weniger zu trauen oder nachzugeben als Gelegenheit zur heimlichen Entblößung vorgeblicher Größe abzutrotzen, was sie in den Stand versetzte, so erstaunliche wie heute noch bewegende Fiktionen zu erschaffen.
Vertraut und zugleich neu
Ein frühes Beispiel dieser Kunst, sich durch das Vorgefundene nicht weiter beeindrucken zu lassen, ist die "Geschichte Englands", der Schwester zugeeignet, eine kleine Folge historischer Vignetten der Monarchen aus dem fünfzehnten bis siebzehnten Jahrhundert, die mit bereits ausgeprägt satirischem Talent vorgeführt werden. Hier parodiert die Sechzehnjährige, die zeitlebens nie geregelten Schulunterricht erhielt, den triumphalen Tonfall gängiger Geschichtsbücher, denen das Vergangene nur als Vorstufe der glorreichen Gegenwart gelten darf. Der Text ist so vergnüglich wie eigentlich entbehrlich und gewinnt in dieser deutschen Neufassung (anders als der Klappentext behauptet, erscheint er bei uns durchaus nicht zum ersten Mal) vor allem durch die hinreißenden Tuschezeichnungen, mit denen Mandy Schlundt die Ausgabe versehen hat.
Und wenn selbst solche schmalen Seitenpfade des wunderbaren Austenlandes ausgekundschaftet oder ausgetreten sind, kann man sich letzthin noch mit Elsemarie Maletzkes Reisebuch auf Spurensuche in Südengland machen. Unter der kundigen Führung der Expertin und mit stimmungsvollen Farbfotos wohltuend überraschungsfreier Parklandschaften werden darin alle einschlägigen Orte - Steventon, Bath, Chawton, Winchester - aus Austens Leben und Werk vorgestellt und zu den passenden Passagen aus den Romanen oder Briefen in Beziehung gesetzt. Wer je im Zweifel blieb, kann es hier sehen: "von diesen Stufen sprang Louisa Musgrove" und landete, statt sanft in Captain Wentworths Armen, auf dem harten Pflaster.
Wer allerdings den beigefügten Reisehinweisen tatsächlich folgt, nach England fährt und die literarisch unsterblichen Orte aufsucht, kann sicher nur verlieren. Große Texte schaffen sich die Wirklichkeit, in die sie uns entführen, selbst und lassen sämtliche Gegebenheiten, auf die sie sich in unserer Alltagswelt beziehen mögen, zurück. Just daraus entsteht erst das Feriengefühl, vorübergehend Handlungs- oder Tatsachennotwendigkeiten zu entkommen. Bevor wir also wieder auf härterem Pflaster landen wollen, mag diese Austen-Auswahl dazu beitragen, das Leseabenteuer zu erneuern. Das Schönste an den wahren Lieblingsbüchern ist schließlich, dass sie wie Ferienorte sind, die uns bei jedem Besuch vertraut und zugleich neu erscheinen.
TOBIAS DÖRING
Jane Austen: "Ich bin voller Ungeduld". Briefe an Cassandra. Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Ursula Gräfe. Insel, Frankfurt a.M. 2009. 208 S., br., 10,- [Euro].
Jane Austen: "Die Geschichte Englands". Von der Herrschaft Henry des Vierten bis zum Tode Charles des Ersten. Illustrationen von Mandy Schlundt. Aus dem Englischen von Christian Lux. Luxbooks, Wiesbaden 2009. 46 S., br., 13,50 [Euro].
"Jane Austen für Boshafte". Ausgewählt von Elsemarie Maletzke. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 130 S., br., 6,- [Euro].
Elsemarie Maletzke: "Mit Jane Austen durch England". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 170 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wer Jane Austen, die laut Tobias Döring "populärste" Schriftstellerin der Weltliteratur, abseits ihrer wohlbekannten Werke entdecken will, hat mit vier Taschenbüchern nun Gelegenheit dazu, die der Rezensent vorstellt. Als Reiseführer will Tobias Döring Elsemarie Maletzkes Buch zwar nicht unbedingt empfehlen, denn er glaubt, dass die Abgleichung von literarischen Orten mit der Realität grundsätzlich enttäuschend ist. Dafür zeigen sich die atmosphärischen Farbfotos von südenglischen Parklandschaften und anderen relevanten Orten aus Leben und Werk der englischen Autorin nebst den zugehörigen Passagen aus ihren Schriften aber als wunderschöne Orte der Wiederbegegnung, wie Döring lobt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH