Am 1. Juli 2012 wird der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zehn Jahre alt. Doch die Hoffnungen auf eine universale Strafverfolgung von Menschheitsverbrechen wurden enttäuscht. Die Praxis internationaler und nationaler Gerichte muss deswegen verändert werden. Der Erfolg der Nürnberger Prozesse nährte die Erwartung, in Zukunft alle Regierungen für begangene Verbrechen vor Gericht stellen zu können. Aber der Kalte Krieg verhinderte jahrzehntelang eine Umsetzung dieses Versprechens. Wolfgang Kaleck zeichnet in diesem Buch die schier endlose Serie von ungesühnten Völkerrechtsstraftaten westlicher Machthaber von Algerien über Vietnam bis in die Türkei und Kolumbien nach. Trotz der vielversprechenden Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs und der Tribunale für Ruanda und Jugoslawien gibt es noch viele Gründe für Kritik an den stattfindenden wie an den ausbleibenden Verfahren. Kaleck bemängelt, dass das Völkerstrafrecht überwiegend nur auf besiegte afrikanische Potentaten und Generäle angewandt wird und nicht auf die Verbrechen der Großmächte, insbesondere des Westens. Damit stellt die herrschende selektive Strafverfolgungspraxis das Prinzip universell geltender Menschenrechte generell in Frage.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Eigentlich recht wenig schreibt Andreas Fanizadeh über dieses Buch, stattdessen stellt er vor allem den international vernetzten und aktiven Anwalt Wolfgang Kaleck und dessen Engagement für ein universelles Weltstrafrecht vor. Dies würde etwa ein rascheres, internationales Vorgehen gegen Menschenrechtsverletzungen, wie sie etwa gerade bei der Niederschlagung der syrischen Protestbewegung zu beobachten sind, gestatten, aber auch westliche Demokratien auf einzuhaltende Standards festlegen. Wer dies für falsch hält, findet Fanizadeh, werde in diesem Buch eines besseren belehrt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2012Alles auf Afrika
Wolfgang Kaleck analysiert,
wem das Völkerstrafrecht dient
Im Büro von Fatou Bensouda, der stellvertretenden Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof, hängt ein Plakat, das ihren ärgsten politischen Kritikern Freude bereiten dürfte – als optisch eindrucksvolles Beweisstück gegen die Anklägerin selbst. 22 Köpfe sind darauf abgebildet. Minister, Generäle, zwei Staatschefs. Alle, gegen die der Gerichtshof derzeit ermittelt.Und nur ganz unten rechts: zwei, deren Hautfarbe nicht schwarz ist.
Freilich, auch sie, die beiden Libyer, kommen aus Afrika. So wie alle Beschuldigten, gegen die der Gerichtshof in den knapp zehn Jahren seit seiner Gründung aktiv geworden ist. Zwar liegen in den Schubladen noch weitere Dossiers – zu Kolumbien, Georgien, Honduras, Palästina. Aber die Ermittler, die an diesen nicht-afrikanischen Fällen arbeiten, kann man an zwei Händen abzählen. Der Verdacht, die Weltjustiz konzentriere sich ganz auf missliebige Dritte-Welt-Herrscher, während sie um ihre vorwiegend westlichen Geldgeber einen weiten Bogen mache, breitet sich deshalb immer weiter aus.
Hier setzt der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck an. Er kennt die internationale Justiz gut, er kritisiert sie oft. Seit Jahren versucht er vergeblich, auch die Sündenfälle des Westens vor Gericht zu bringen. So zeigte er in Deutschland den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und den CIA-Direktor George Tenet wegen Folterungen an, die deutsche Generalbundesanwaltschaft jedoch tat nichts. Kaleck lässt es sich nun nicht nehmen, in seinem Essay „Mit zweierlei Maß“ zumindest einleitend die Situation in Deutschland anzuprangen: 2002 wurde hier eigens ein Völkerstrafgesetzbuch geschaffen. Angewandt wurde es bislang nur auf zwei Ruander.
Wo es aber um das Globale geht, zeichnet Kaleck ein feineres Bild. Zwar ist die internationale Strafjustiz vor zehn Jahren von der kurzen Leine des UN-Sicherheitsrats – der nur Jugoslawen und Ruander vor Tribunale zitierte – in eine relative Unabhängigkeit entlassen worden. Aber aus ganz freien Stücken stürzten sich die dortigen Ankläger dann trotzdem nicht auf Afrika. Frei, schreibt der Jurist Kaleck, ist die Weltjustiz schon aus rechtlichen Gründen nicht: Viele Staaten haben sich Den Haag bislang verweigert, was ihr souveränes Recht ist. Rund um die blutigen Dauerkonflikte Zentralafrikas hingegen, in Kongo, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik, riefen die Regierungschefs sogar selbst den Internationalen Strafgerichtshof an. Der verweigerte sich nicht. Frei, schreibt Kaleck, ist aber ohnehin niemand, der dieser Realität gerecht werden will: Zivilisten werden vielerorts geschunden, aber ein Schlachten und Ausrotten wie in Zentralafrika gab es in den jüngsten Jahren nur dort. Man könne sich „dem Einwand nicht ganz entziehen“, schreibt Kaleck, dass die Dimension der westlichen Staaten vorgeworfenen Verbrechen „eine ganz andere“ sei – und dass die Haager Juristen folglich nicht erst einen geheimen Drehbuch folgen müsse, um zuallererst in Afrika zu landen. Das Weltstrafgericht hat wenig Geld und ein riesiges Einzugsgebiet, die Auswahlentscheidungen dort sind wesentlich schwieriger als beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe.
Der Autor wendet sich am Ende auch direkt gegen simplifizierende Stimmen in den eigenen, antiimperialistischen Reihen – und liefert so beinahe das Gegenteil dessen, was der Titel seines Buchs erwarten lässt: eine kleine, kluge Entschwörungstheorie.
RONEN STEINKE
WOLFGANG KALECK: Mit zweierlei Maß. Der Westen und das Völkerstrafrecht. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012. 144 Seiten, 15,90 Euro.
Die Sündenfälle des Westens
landen nicht vor dem
Internationalen Strafgerichtshof.
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Wolfgang Kaleck analysiert,
wem das Völkerstrafrecht dient
Im Büro von Fatou Bensouda, der stellvertretenden Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof, hängt ein Plakat, das ihren ärgsten politischen Kritikern Freude bereiten dürfte – als optisch eindrucksvolles Beweisstück gegen die Anklägerin selbst. 22 Köpfe sind darauf abgebildet. Minister, Generäle, zwei Staatschefs. Alle, gegen die der Gerichtshof derzeit ermittelt.Und nur ganz unten rechts: zwei, deren Hautfarbe nicht schwarz ist.
Freilich, auch sie, die beiden Libyer, kommen aus Afrika. So wie alle Beschuldigten, gegen die der Gerichtshof in den knapp zehn Jahren seit seiner Gründung aktiv geworden ist. Zwar liegen in den Schubladen noch weitere Dossiers – zu Kolumbien, Georgien, Honduras, Palästina. Aber die Ermittler, die an diesen nicht-afrikanischen Fällen arbeiten, kann man an zwei Händen abzählen. Der Verdacht, die Weltjustiz konzentriere sich ganz auf missliebige Dritte-Welt-Herrscher, während sie um ihre vorwiegend westlichen Geldgeber einen weiten Bogen mache, breitet sich deshalb immer weiter aus.
Hier setzt der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck an. Er kennt die internationale Justiz gut, er kritisiert sie oft. Seit Jahren versucht er vergeblich, auch die Sündenfälle des Westens vor Gericht zu bringen. So zeigte er in Deutschland den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und den CIA-Direktor George Tenet wegen Folterungen an, die deutsche Generalbundesanwaltschaft jedoch tat nichts. Kaleck lässt es sich nun nicht nehmen, in seinem Essay „Mit zweierlei Maß“ zumindest einleitend die Situation in Deutschland anzuprangen: 2002 wurde hier eigens ein Völkerstrafgesetzbuch geschaffen. Angewandt wurde es bislang nur auf zwei Ruander.
Wo es aber um das Globale geht, zeichnet Kaleck ein feineres Bild. Zwar ist die internationale Strafjustiz vor zehn Jahren von der kurzen Leine des UN-Sicherheitsrats – der nur Jugoslawen und Ruander vor Tribunale zitierte – in eine relative Unabhängigkeit entlassen worden. Aber aus ganz freien Stücken stürzten sich die dortigen Ankläger dann trotzdem nicht auf Afrika. Frei, schreibt der Jurist Kaleck, ist die Weltjustiz schon aus rechtlichen Gründen nicht: Viele Staaten haben sich Den Haag bislang verweigert, was ihr souveränes Recht ist. Rund um die blutigen Dauerkonflikte Zentralafrikas hingegen, in Kongo, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik, riefen die Regierungschefs sogar selbst den Internationalen Strafgerichtshof an. Der verweigerte sich nicht. Frei, schreibt Kaleck, ist aber ohnehin niemand, der dieser Realität gerecht werden will: Zivilisten werden vielerorts geschunden, aber ein Schlachten und Ausrotten wie in Zentralafrika gab es in den jüngsten Jahren nur dort. Man könne sich „dem Einwand nicht ganz entziehen“, schreibt Kaleck, dass die Dimension der westlichen Staaten vorgeworfenen Verbrechen „eine ganz andere“ sei – und dass die Haager Juristen folglich nicht erst einen geheimen Drehbuch folgen müsse, um zuallererst in Afrika zu landen. Das Weltstrafgericht hat wenig Geld und ein riesiges Einzugsgebiet, die Auswahlentscheidungen dort sind wesentlich schwieriger als beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe.
Der Autor wendet sich am Ende auch direkt gegen simplifizierende Stimmen in den eigenen, antiimperialistischen Reihen – und liefert so beinahe das Gegenteil dessen, was der Titel seines Buchs erwarten lässt: eine kleine, kluge Entschwörungstheorie.
RONEN STEINKE
WOLFGANG KALECK: Mit zweierlei Maß. Der Westen und das Völkerstrafrecht. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012. 144 Seiten, 15,90 Euro.
Die Sündenfälle des Westens
landen nicht vor dem
Internationalen Strafgerichtshof.
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