Mit Iwankas Geschichte lässt Maria Matios die vielstimmige Ukraine des 20. Jahrhunderts erklingen. Dies ist die Geschichte von Iwanka, dies ist die Geschichte der Ukraine Maria Matios ist eine der bekanntesten Schriftsteller*innen der Ukraine. In klarer Sprache erzählt sie in "Mitternachtsblüte" von der jungen Iwanka, die in einem abgeschiedenen nordbukowinischen Dorf lebt. Sie leidet an Epilepsie, die Bewohner*innen betrachten sie als Sonderling. Doch fühlt sich das Mädchen in ihrer Fantasiewelt wohl, inmitten der Erzählungen und volkstümlichen Weisheiten ihrer Großeltern. Von dort aus beobachtet sie das Miteinander von Ukrainer*innen, Jüd*innen, Pol*innen und Deutschen. Rasch lernt sie, was gut ist und was böse. Bis der Zweite Weltkrieg ausbricht und die "roten Kommissare" einmarschieren, und bald darauf Deutsche und Rumän*innen in Uniformen – das gewohnte Leben ist schlagartig vorbei. Menschen werden aus dem Dorf deportiert, die jüdischen Bewohner*innen bangen um ihr Leben. "'Ich sag Euch, die Menschen und Länder werden aussortiert wie Nüsse. Nicht im Himmel, sondern auf der Erde. Und dann bricht sich einer von den Teufeln da das Genick, und uns werden sie wieder wie Nüsse verlesen. Und die Leut leben weiter auf der Erde wie eh und je, nur immer schwerer wird alles …'" Über die Bukowina rollten jahrhundertelang die Geschichte und ihre Mächte. Allein im 20. Jahrhundert war sie Teil der Habsburgermonarchie, wurde abwechselnd von rumänischen Truppen, der Sowjetunion und vom nationalsozialistischen Deutschen Reich besetzt, in einen nördlichen und südlichen Teil zerrissen. Diese Entwicklungen und Ereignisse hinterließen Spuren. In Form von kulturellen Zeugnissen einer multiethnischen Bevölkerung, aber auch in Form von Wunden: Mit den Umbrüchen und Machtwechseln kamen auch Deportationen von Hunderttausenden in die stalinistischen Lager nach Sibirien, Deportationen in die Ghettos und Konzentrationslager Transnistriens. "Die Ukraine und ihre nahe Vergangenheit werden im neuen Roman von Maria Matios für den europäischen Leser nicht nur begreifbar, sondern förmlich greifbar. Selten wurde das menschliche Leben mit all seinen Freuden und Tragödien, mit all seinen Geschichten von Hass und Liebe in der ukrainischen Literatur in einer so farbenprächtigen Sprache geschildert, wie es Maria Matios meisterhaft gelingt." Andrej Kurkow Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2015Grenzland Ukraine
Maria Matios besingt die "Mitternachtsblüte"
Todessummen kriecht über die blühende Julierde. Iwanka hat Angst, sie versteht ihre kleine Welt nicht mehr. Im Dorf ist das unter Epilepsie leidende Mädchen ein Paria und doch Teil der Gemeinschaft aus Ukrainern, Russen und Juden. Ungläubig und mit Schrecken erlebt sie, wie 1939 zuerst die Sowjets das Kommando im Dorf übernehmen und ukrainische Bauern deportieren. Sie bangt um ihren Großvater, der sich wie der ein oder andere Schmuggler in die Wälder flüchtete. Wenig später richten die Deutschen mit Hilfe der Rumänen unter der jüdischen Bevölkerung ein Massaker an. Wird die Jüdin Chaja, die, in der Kirche versteckt, auf dem Altar ihr Kind zur Welt bringt, sich und das Baby retten können? Wird der Großvater überleben? Was wird aus einem Mädchen wie Iwanka im Krieg?
Ukraine bedeutet wörtlich "am Rande", ein Grenzland schlechthin, das in der Geschichte immer wieder zum Killing Field des Kontinents wurde. An ihrem westlichen Rand liegt die Bukowina, Grenzland im Grenzland, wo Mittel-, Südost- und Osteuropa nicht nur geographisch aufeinandertreffen. Kulturell war dieses Land der Buchenwälder stets Teil Europas, von hier kamen Sprachzauberer wie Itzig Manger, Paul Celan, Rose Ausländer oder der unvergessene Gregor von Rezzori. Ihre Namen stehen für eine versunkene Kulturlandschaft. Maria Matios, eine der bekanntesten ukrainischen Schriftstellerinnen, stammt aus einem bukowinischen Dorf, das sich allein in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in vier verschiedenen Staatsgebilden wiederfinden musste und in dem die Macht in wenigen Jahren vierzehnmal hin und her wechselte. Wie schon in ihrem Romandebüt "Darina, die Süße" erzählt sie die Geschichte dieser blutgetränkten Erde aus der naiv-unschuldigen Perspektive einer chronisch kranken Psyche mit deren magischer Phantasie, in einer bildreichen, melodischen Volkssprache, in die sich auch das Jiddische mischt. Die zerbrechliche Iwanka wird zur Verkörperung einer geschundenen Gemeinschaft, die zwischen fremden Machtinteressen zerrieben wird. Der Roman ist gerade in diesen Tagen Mahnung und Hommage zugleich. Er erinnert an die mythische Sagenwelt und den kulturellen Reichtum einer Landschaft, der durch politischen Wahn brutal ausgelöscht wurde.
sber.
Maria Matios: "Mitternachtsblüte".
Roman. Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck. Haymon Verlag, Wien 2015. 220 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Maria Matios besingt die "Mitternachtsblüte"
Todessummen kriecht über die blühende Julierde. Iwanka hat Angst, sie versteht ihre kleine Welt nicht mehr. Im Dorf ist das unter Epilepsie leidende Mädchen ein Paria und doch Teil der Gemeinschaft aus Ukrainern, Russen und Juden. Ungläubig und mit Schrecken erlebt sie, wie 1939 zuerst die Sowjets das Kommando im Dorf übernehmen und ukrainische Bauern deportieren. Sie bangt um ihren Großvater, der sich wie der ein oder andere Schmuggler in die Wälder flüchtete. Wenig später richten die Deutschen mit Hilfe der Rumänen unter der jüdischen Bevölkerung ein Massaker an. Wird die Jüdin Chaja, die, in der Kirche versteckt, auf dem Altar ihr Kind zur Welt bringt, sich und das Baby retten können? Wird der Großvater überleben? Was wird aus einem Mädchen wie Iwanka im Krieg?
Ukraine bedeutet wörtlich "am Rande", ein Grenzland schlechthin, das in der Geschichte immer wieder zum Killing Field des Kontinents wurde. An ihrem westlichen Rand liegt die Bukowina, Grenzland im Grenzland, wo Mittel-, Südost- und Osteuropa nicht nur geographisch aufeinandertreffen. Kulturell war dieses Land der Buchenwälder stets Teil Europas, von hier kamen Sprachzauberer wie Itzig Manger, Paul Celan, Rose Ausländer oder der unvergessene Gregor von Rezzori. Ihre Namen stehen für eine versunkene Kulturlandschaft. Maria Matios, eine der bekanntesten ukrainischen Schriftstellerinnen, stammt aus einem bukowinischen Dorf, das sich allein in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in vier verschiedenen Staatsgebilden wiederfinden musste und in dem die Macht in wenigen Jahren vierzehnmal hin und her wechselte. Wie schon in ihrem Romandebüt "Darina, die Süße" erzählt sie die Geschichte dieser blutgetränkten Erde aus der naiv-unschuldigen Perspektive einer chronisch kranken Psyche mit deren magischer Phantasie, in einer bildreichen, melodischen Volkssprache, in die sich auch das Jiddische mischt. Die zerbrechliche Iwanka wird zur Verkörperung einer geschundenen Gemeinschaft, die zwischen fremden Machtinteressen zerrieben wird. Der Roman ist gerade in diesen Tagen Mahnung und Hommage zugleich. Er erinnert an die mythische Sagenwelt und den kulturellen Reichtum einer Landschaft, der durch politischen Wahn brutal ausgelöscht wurde.
sber.
Maria Matios: "Mitternachtsblüte".
Roman. Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck. Haymon Verlag, Wien 2015. 220 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Die Ukraine und ihre nahe Vergangenheit werden im neuen Roman von Maria Matios für den europäischen Leser nicht nur begreifbar, sondern förmlich greifbar. Selten wurde das menschliche Leben mit all seinen Freuden und Tragödien, mit all seinen Geschichten von Hass und Liebe in der ukrainischen Literatur in einer so farbenprächtigen Sprache geschildert, wie es Maria Matios meisterhaft gelingt." Andrej Kurkow "Der Roman ist gerade in diesen Tagen Mahnung und Hommage zugleich. Er erinnert an die mythische Sagenwelt und den kulturellen Reichtum einer Landschaft, der durch politischen Wahn brutal ausgelöscht wurde." FAZ, Sabine Berking "Maria Matios orientiert sich mit Leichtigkeit im Dschungel der Bukowiner Bräuche, Legenden, Gebete, Verwünschungen, Verhexungen; sie beherrscht die Sprache ihrer Protagonisten und bewegt sich im Bukowiner Leben nicht wie eine Beobachterin von außen, sondern wie die Nachbarin von gegenüber." BBC Ukrajina, Taras Fedjuk "Matios' Sprache ist einfach, ihre Klarheit lässt erkennen, wovon zu erzählen ist" Falter, Domenika Meindl "Maria Matios gelingt ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Märchen, politischer Parabel und Erzählung über das bukowinische Dorf" Die Furche, Erich Klein "Die in ihrer Heimat sehr bekannte Schriftstellerin erzählt die tragischen Geschehnisse in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs - sprachmächtig und mit großem Gespür für den vernichteten kulturellen Reichtum der Bukowina." Bremen Zwei "Lesen Sie dieses großartige Stück Literatur und verlieben Sie sich" Tom Stahl, Amazon-Leserstimme "Die Sprache der ukrainischen Autorin ist von einer solchen Kraft und Plastizität, dass man von der ersten bis zur letzen Seite gefangen ist. Ganz große Literatur." bn - bibliotheksnachrichten, Ingrid Kainzner