Was in den frommen Heiligenlegenden nicht vorkommt: Das "gottgeweihte" Leben hatte seine Schattenseiten! In den Klöstern waren Missbrauch, Ausschweifungen, ja sogar Kapitalverbrechen durchaus keine Seltenheit. Doch wie ging man damit um? Wenig bekannt ist, dass viele Ordensgemeinschaften ein ausgeklügeltes System von Strafkatalogen, Verfahrensregeln und teilweise drakonischen Maßnahmen entwickelten, um moralische Vergehen zu ahnden. Zum Repertoire gehörten Kerkerhaft und zuweilen auch Folter. Ulrich Lehner arbeitet dieses dunkle Kapitel der Kirchengeschichte sachkundig auf.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2015NEUE TASCHENBÜCHER
Brutale Klöster – die heimlichen
Qualen von Ordensgeistlichen
Vorab weist der Kirchenhistoriker Ulrich L. Lehner jeden Verdacht von sich. Nein, betont er, Sensationshascherei habe keine Rolle gespielt. In katholischen, vor allem in klerikalen Kreisen werden katholische Autoren, die unrühmliche Seiten ihrer Kirche beleuchten, ja gern als Nestbeschmutzer denunziert. Das Thema ist äußerst brisant: Es geht um Gewalt im Namen des Glaubens. Lehner, Jahrgang 1976, schlägt „ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte“ auf und arbeitet die himmelschreienden Vorgänge in frühneuzeitlichen Klosterkerkern auf. Manche Ordensgemeinschaften betrachteten ihre Schwestern und Brüder als unmündige Glieder, deren Körper und Seelen sie nach allen Regeln der Folterkunst maßregeln durften. Mit ihrem Eintritt in eine solche Ordensgemeinschaft hatten Frauen und Männer ihr Recht auf Selbstbestimmung an der Pforte abgegeben.
Lehner, der 2006 in Regensburg promovierte und seither als Professor in Milwaukee Kirchengeschichte lehrt, hat in nahezu zwanzig Archiven geforscht und Fälle wie den des Kapuzinerpaters Anianus Horn ausgehoben. Horn lehrte bei den Bamberger Kapuzinern Theologie. Als er sich aber erdreistete, das Finanzgebaren seiner Brüder in Frage zu stellen und an das Armutsideal des Ordensgründers Franziskus zu erinnern, wurde er im Jahr 1721 ohne Prozess in einen fensterlosen Kerker gesperrt und täglich ausgepeitscht, bis ihm die Flucht gelang. Wer in diesem totalitären System einmal im Kerker saß, konnte höchstens auf Freilassung hoffen, niemals jedoch auf Rehabilitierung. Denn damit hätten die Klosteroberen als einzige Gerichtsherren einen Fehler eingeräumt und sich selbst schuldig gemacht.
Bisweilen habe er „angeekelt von so manchen Details“ mit dem Gedanken gespielt, sein Projekt aufzugeben, schreibt Lehner. Er spielt wohl nicht zuletzt auf detailliert dokumentierte Sexualstraftaten an, die Geistliche an Kindern verübten. Schwerer bestraft wurden Mönche allerdings, wenn sie untereinander Geschlechtsverkehr hatten. Immerhin stand der Zölibat auf dem Spiel. RUDOLF NEUMAIER
Ulrich L. Lehner: Mönche und Nonnen im Klosterkerker. Ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte. Topos-Verlag, Kevelaer 2015. 174 Seiten, 9,95 Euro.
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Brutale Klöster – die heimlichen
Qualen von Ordensgeistlichen
Vorab weist der Kirchenhistoriker Ulrich L. Lehner jeden Verdacht von sich. Nein, betont er, Sensationshascherei habe keine Rolle gespielt. In katholischen, vor allem in klerikalen Kreisen werden katholische Autoren, die unrühmliche Seiten ihrer Kirche beleuchten, ja gern als Nestbeschmutzer denunziert. Das Thema ist äußerst brisant: Es geht um Gewalt im Namen des Glaubens. Lehner, Jahrgang 1976, schlägt „ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte“ auf und arbeitet die himmelschreienden Vorgänge in frühneuzeitlichen Klosterkerkern auf. Manche Ordensgemeinschaften betrachteten ihre Schwestern und Brüder als unmündige Glieder, deren Körper und Seelen sie nach allen Regeln der Folterkunst maßregeln durften. Mit ihrem Eintritt in eine solche Ordensgemeinschaft hatten Frauen und Männer ihr Recht auf Selbstbestimmung an der Pforte abgegeben.
Lehner, der 2006 in Regensburg promovierte und seither als Professor in Milwaukee Kirchengeschichte lehrt, hat in nahezu zwanzig Archiven geforscht und Fälle wie den des Kapuzinerpaters Anianus Horn ausgehoben. Horn lehrte bei den Bamberger Kapuzinern Theologie. Als er sich aber erdreistete, das Finanzgebaren seiner Brüder in Frage zu stellen und an das Armutsideal des Ordensgründers Franziskus zu erinnern, wurde er im Jahr 1721 ohne Prozess in einen fensterlosen Kerker gesperrt und täglich ausgepeitscht, bis ihm die Flucht gelang. Wer in diesem totalitären System einmal im Kerker saß, konnte höchstens auf Freilassung hoffen, niemals jedoch auf Rehabilitierung. Denn damit hätten die Klosteroberen als einzige Gerichtsherren einen Fehler eingeräumt und sich selbst schuldig gemacht.
Bisweilen habe er „angeekelt von so manchen Details“ mit dem Gedanken gespielt, sein Projekt aufzugeben, schreibt Lehner. Er spielt wohl nicht zuletzt auf detailliert dokumentierte Sexualstraftaten an, die Geistliche an Kindern verübten. Schwerer bestraft wurden Mönche allerdings, wenn sie untereinander Geschlechtsverkehr hatten. Immerhin stand der Zölibat auf dem Spiel. RUDOLF NEUMAIER
Ulrich L. Lehner: Mönche und Nonnen im Klosterkerker. Ein verdrängtes Kapitel Kirchengeschichte. Topos-Verlag, Kevelaer 2015. 174 Seiten, 9,95 Euro.
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