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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Für Roberto Bolaño war die Literatur immer eine Sache auf Leben und Tod. Sein grimmiger Erzählband "Mörderische Huren" zeigt den chilenischen Exildichter auf der Höhe seiner Kunst.
In "Tanzkarte", einem kleinen Text mit neunundsechzig numerierten Bemerkungen über sein schwieriges Verhältnis zu seinem Übervater Pablo Neruda, erinnert Roberto Bolaño "an die toten Dichter im Folterkeller, an die an Aids, an einer Überdosis Gestorbenen, an alle, die an das lateinamerikanische Paradies geglaubt haben und in der lateinamerikanischen Hölle gestorben sind". 1973 knapp den Folterknechten Pinochets entronnen, im spanischen Exil zeitweilig drogenabhängig und Nachtwächter auf einem Campingplatz, wäre der chilenische poète maudit um ein Haar selbst Opfer dieser Hölle geworden. Gerettet hat ihn die Literatur. Sie war für Bolaño nicht Zeitvertreib, kulturelle Idee oder gar bildungsbürgerliche Fußnote, sondern eine Sache auf Leben und Tod, der "einzige Ort, wo sich zu leben lohnt".
Wie die stolzen, hitzköpfigen Literaten in seinen Romanen und Erzählungen schien er selbst jederzeit fähig und bereit, sich für das richtige Wort zu prügeln, für einen seiner Hausgötter zu sterben oder zu töten. Literatur fordert den ganzen Mann (Frauen spielen in Bolaños Werk eine eher untergeordnete Rolle) und eine wütende Energie, die Terror und Erniedrigung, wilden Hass und stille Scham in reine Poesie verwandelt. Bolaños Schreiben war so maßlos, dass nicht einmal sein früher Tod 2003 es stoppen konnte. Aus dem Nachlass tauchen immer wieder neue Fragmente seines unendlich prozessierenden Werks auf, Meisterstücke wie "2666", unvollendete Frühwerke wie "Das Dritte Reich" oder "Die Nöte des wahren Polizisten", aber auch manches, was er nicht ohne Grund verworfen hatte.
Der zwei Jahre vor seinem Tod erschienene Erzählband "Mörderische Huren" zeigt Bolaño aber auf der Höhe seiner Kunst. Die dreizehn Erzählungen versammeln herzlose Hooligans, literaturverrückte Gangster und melancholische Pornostars, dazu jede Menge Schriftsteller zwischen Genie und Wahnsinn: fiktive und reale, unbekannte und verkannte, Altmeister wie Neruda und Enrique Lihn und dreiste Epigonen, Wunderkinder und Versager, Mörder und Selbstmörder, kleine Rimbauds und die traurigen Ritter der chilenischen Exilliteratur. Mittendrin und doch meist am Rande stehend: Roberto Bolaño alias Arturo Belano oder auch B., der literarische Berserker, der vor keinem Vatermord, keinem Bubenstück und keinem Geniestreich zurückschreckt.
Er hungert und leidet, muss Prügel und Demütigungen einstecken und austeilen, aber manchmal wird er reich belohnt: In "Gómez Palacio", einem Kaff in der Einöde Nordmexikos, erlebt er als Literaturdozent außer desaströser Langeweile und deprimierendem Dilettantismus auch das grüne Leuchten am Himmel über der Wüste, das alles Banale und Hässliche in ein magisches Licht taucht.
So sucht und findet Bolaño immer wieder das gewisse Etwas im existentiellen Nichts, die strahlende Epiphanie in der Nacht, zu Unrecht vergessene russische Filmregisseure und belgische Surrealisten. Spannender als derlei Vexierspiele für Insider und Borgesianer sind die Erzählungen, in denen Bolaño seine apokryphen Literaturgeschichten, Feldforschungen und Fehden hinter sich lässt und sich kopfüber ins chaotische Leben stürzt. In "Letzte Abende auf Erden" etwa erzählt er von einer missglückten Urlaubsreise mit seinem Vater nach Acapulco: Während sich der Alte mit Huren, amerikanischen Touristinnen, Spielern und pensionierten Klippenspringern vergnügt, liest und lungert sein Sohn zunehmend genervt im Hotel herum. Wenn am Ende dann die unvermeidliche Schlägerei beginnt, legt er allerdings seine Bücher beiseite und steht seinen Mann als Sohn.
Bolaño stanzt die Figuren und Geschichten scheinbar unstrukturiert und beliebig aus einem ereignisarmen Kontinuum fiebriger Albträume, Leidenschaften und Sehnsüchte heraus. Sie haben weder einen richtigen Anfang noch ein Ende, keine Pointe und keine Moral, aber ebendarum ist auch jederzeit alles möglich. Die schönsten Erzählungen sind überdies mit Elementen romantischen Horrors und einem grimmigen schwarzen Humor gesalbt. In "Buba" wird ein Fall von Blutdoping beim FC Barcelona als groteskes Voodoo-Ritual erzählt. In "Die Wiederkehr" wird der Erzähler nach seinem plötzlichen Tod in einer Disco von einem berühmten französischen Modemacher missbraucht; am Morgen danach sind Täter und Opfer ziemlich beste Freunde geworden.
So kommen Bolaños Figuren bei dem Versuch, aus ihrem passiv-kontemplativen Leben als Zuschauer herauszutreten und den endlosen Kreislauf von politischer und sexueller Gewalt zu durchbrechen, immer wieder vom Regen in die Traufe und von der Hölle in den Himmel der Literatur. "So wie die Dinge liegen", heißt es in "El Ojo Silva" von einem Fotojournalisten, der in Indien einen Jungen vor der Kastration zu Ehren eines grausamen Gottes rettet, "hat Mauricio Silva, genannt El Ojo, das Auge, immer versucht, der Gewalt auszuweichen, auch auf die Gefahr hin, als Feigling dazustehen, aber der Gewalt, der echten Gewalt kann man nicht ausweichen, schon gar nicht wir, die wir in den fünfziger Jahren in Lateinamerika geboren wurden und um die zwanzig waren, als Allende starb."
MARTIN HALTER
Roberto Bolaño: "Mörderische Huren". Erzählungen. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. Hanser Verlag, München 2014. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
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"Dreizehn Geschichten sind im Band versammelt. Sie kommen mit einer Dringlichkeit daher, als müssten sie erzählt werden." Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung, 18.12.14
"Schöner kann man die Verlorenheit des Menschen nicht beschwören." Maike Albath, Deutschlandradio Kultur, 22.10.14
"'Mörderische Huren' zeigt den chilenischen Exildichter auf der Höhe seiner Kunst." Martin Halter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11. 14
"Idyllen sucht man vergebens, dafür aber findet man eine schwer zu überbietende existenzielle Wut und poetische Genauigkeit." Andreas Breitenstein, Neue Zürcher Zeitung, 25.11.14