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Gudrun Sailer porträtiert die Archäologin Hermine Speier
Bisweilen gehen noch heute Mütter mit ihren längst erwachsenen Kindern in Roms mittelalterlichem Stadtteil Trastevere die steile Salita di Sant'Onofrio hinauf und bleiben, Atem holend, vor der Hausnummer 23 stehen. Da wohnte einst, ganz oben in einer kleinen Wohnung mit legendärer Dachterrasse, Hermine Speier. Offenbar wollte sie nicht einmal Spiegeleier selbst zubereiten oder Tee kochen; denn eine lange Reihe von mittlerweile alt gewordenen "Haustöchtern" arbeitete bei ihr, bewirtete ihre zahlreichen Gäste und blieb Hermine Speier treu.
Den Männern zugetan und zweimal, wenn auch unglücklich verlobt, lebensfroh, elegant und fromm muss diese Frau gewesen sein, die 1898 in Frankfurt zur Welt kam und 1989 starb. Aber an all das erinnern sich nur ihre Freunde. Für die Archäologie gilt Hermine Speier dagegen als eine der ersten weiblichen Forscherinnen am Vatikan und womöglich erste Jüdin im Dienste der Päpste seit dem ersten Oberhaupt der Kirche, dem Fischer Petrus aus Galiläa. Das war der österreichischen Historikerin Gudrun Sailer, die in Rom bei der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan arbeitet, Anlass genug, über diese "Monsignorina" ein zwar wissenschaftliches, aber leicht lesbares Buch zu schreiben.
Schon dieser Titel weist die Richtung: Hermine Speier wurde von einer Freundin "Monsignorina" genannt, weil sie einen so vertrauten Umgang mit den Ehrenkaplänen am Vatikan hatte, als könnte sie selbst eine sein. Auch kannte sie sich hinter den hohen Mauern gut aus und hatte nicht nur Schlüssel zu ihrer Fotothek, dem Fotoarchiv des Vatikans, das sie schuf und wo bis heute alles an ihren Anfang erinnert. Man könnte Hermine Speier auch "Monsignorina" genannt haben, weil sie aktiv ihren katholischen Glauben lebte.
Als Jüdin war sie geboren worden. Aber sie konnte nie etwas mit ihrer Religionszugehörigkeit anfangen; sie entzweite sich sogar mit Freundinnen, die nach Palästina gehen wollten, und ließ sich taufen, als sie darauf hoffte, einen Katholiken zu heiraten. "Immer katholischer" wurde sie, als sie der Vatikan vor den Nachstellungen des nationalsozialistischen Regimes schützte, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sogar Anhängerin des überwundenen lateinischen Ritus.
Ihre Leidenschaft war die Klassische Archäologie. Ganz speziell muss ihr Blick auf die griechisch-römische Skulptur gewesen sein. Ihr Lehrer und Förderer Ludwig Curtius wurde jedenfalls auf sie aufmerksam und promovierte sie 1925 mit einer nach seinen Aussagen ausgezeichneten Dissertation. Er könne ihr freilich die Höchstnote nicht geben; denn die sei nur Männern vorbehalten, erklärte Curtius. Während ihrer gesamten akademischen Karriere war es für Hermine Speier von Nachteil, kein Mann zu sein. Aber sie litt offenbar nicht darunter, sondern bot sich schlau als Hilfskraft an, die in ihrer "Fraulichkeit" bereit sei, dem Chef Kaffee zu kochen; die aber zugleich wissenschaftlich stark genug war, um ihre Vision von der Deutung klassischer Kunst zu verbreiten.
Als Curtius ans Deutsche Archäologische Institut nach Rom wechselte, holte er die Schülerin, die gerade in Königsberg erstmals ein Fotoarchiv aufgebaut hatte, 1928 zu sich. Der eitle Gesellschaftshai Curtius hätte wohl nie einen wissenschaftlich gefährlichen Nebenbuhler geduldet; aber eine ihm huldigende und zugleich selbständige Fotothekarin war Curtius recht. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde Speier 1934 entlassen; aber da war ihr Ruf in der neuen Lebensheimat schon so groß, dass es Curtius gelang, sie beim Generaldirektor der Vatikanischen Museen unterzubringen. Bartolomeo Nogara wurde dort ihr zweiter Förderer.
Persönlich bekannt mit Kardinälen und Päpsten, konnte Hermine Speier unter seinem Schutz im Vatikan eine neue Fotothek aufbauen, als draußen die deutschen Besatzer Juden und andere Feinde verschleppten und umbrachten. Papst Pius XI. wusste von ihr und fand nichts dabei, dass sie als Frau und Jüdin im Vatikan wirkte. Ihre Anstellung könnte nach Darstellung von Gudrun Seiler geradezu als "Achse des Widerstands durch Beschäftigung" verstanden werden.
Hermine Speier hat sich nie für die Politik und deren Gefahren interessiert; sie riskierte in den Besatzungsmonaten sogar leichtsinnig ihr Leben. Ihr Blick fiel stattdessen im Gerümpel auf einem Hof im Vatikan auf einen griechischen Pferdekopf aus Marmor, den sie nach dem Krieg in Detektivarbeit einem der Pferde des Athena-Gespanns auf dem Parthenon zuordnen konnte, das einst die venezianischen Eroberer Athens gestohlen hatten. Hermine Speier war keine fleißige Autorin, aber nicht nur bei den sagenhaften Weinstunden auf ihrer Terrasse bildete sie den Kreis ihrer publizierenden Schüler heran, die ihr bis heute als "stiller Pionierin" jener Kunst huldigen, wie man die Klassik sehen und deuten kann.
JÖRG BREMER
Gudrun Sailer: "Monsignorina". Die deutsche Jüdin Hermine Speier im Vatikan.
Aschendorff-Verlag, Münster 2015. 384 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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