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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Sein neues Buch sagt, was es ist: "Monster". Benjamin Maack misst an der Narration von Computerspielen, was heute sonst noch erzählt wird - und schreibt dennoch weiter
Die letzte Erzählung in "Monster", dem im Februar 2012 erschienenen Buch, das Benjamin Maack als einen Großen unter den Jungen ausweist, heißt "Xxxxxxxx" und beginnt wie folgt:
"XXX X XXXX XX XXXXXXX XXXXX XX XXXX XXXX" Xxx.
Xxx xxxx'x xxxx. Xxx xxxx xxxx xxxx xxx xxx xxxxxxxx--Xxxxxxx xxx xxx xxxxxxxx xxx xxxxxx.
Und danach geht die Erzählung noch anderthalb Seiten so weiter bis zum letzten Satz: "Xx xxx xxx xxxxxxx-xxxxxxxx Xxxxxx, xxxx xx xxx xxxxxxxxx xxxxxx xxxxx xxx xxxxxxx xxxxxxxx, xxxx xxxxx xxxxxxx xxxxxx." Was für ein Geheimnis steckt in diesem X-Akt? Exakt: ein Text.
Wir erkennen Muster, darauf beruht unser Menschsein. Sie bieten uns Halt in der Welt. Also liegt die Vermutung nahe, hinter jeder der vielen X-Variablen stecke ein Buchstabe, und die wechselnde Groß- und Kleinschreibung scheint diese Spekulation ebenso zu unterstützen wie die An- und Abführungen zu Beginn, der als ein Zitat, ein Motto zu deuten wäre. Xxx wäre dann wohl dessen Urheber. Nur wer verbirgt sich hinter Xxx? Poe? Oder vielleicht steht jede Variable für eine ganze Silbe? Hölderlin?
Gefragt, ob sich hinter all den X-Zeilen überhaupt ein realer Text verberge, sagt Benjamin Maack: "Natürlich." Und das darf man ihm glauben. Weil er an den Ernst der Literatur glaubt. Das merkt man jedem seiner Bücher an, schon dem 2004 erschienenen Gedichtband "Du bist es nicht, Coca Cola ist es" und dem drei Jahre später folgenden Erzählungsband "Die Welt ist ein Parkplatz und endet vor Disneyland".
Am meisten aber merkt man es eben jenem jüngsten Buch an, das die ironischen Titel der Vorläufer, unter denen sich ganz unironisch große Literatur einschmuggelte, vergessen ließ, indem es klipp und klar benannt ist als das, was es ist: "Monster". Monster sind Fremdartigkeiten, und was Benjamin Maack mit seiner Prosa vorführt, ist tatsächlich alles andere als vertraut. Es ist verstörend. Das beginnt mit der ersten Erzählung in "Monster", der längsten des Buchs, die fast achtzig Seiten und somit zwei Fünftel seines Umfangs ausmacht und die den Eindruck erweckt, hier werde ein Roman erzählt. Denn es gibt von Seiten des Verlages keine Genreeinordnung, die erklärte, was man in "Monster" findet, und die achtzig Seiten von "Viel schlimmer als die dunklen Räume sind die spiegelnden Fenster" führen in ein Dorf im Harz, das genügend Personal bereithielte für einen Roman: Sonderlinge, Skeptiker, Einzelgänger, vor allem aber Doppelgänger: ein Paar am Waldrand, bestehend aus einem todkranken jungen Mann und seiner ihn pflegenden Frau, die plötzlich Besuch von ihrem Studienfreund bekommen, der einmal in die junge Frau verliebt war. Die Liebe lebt wieder auf, die Liebe stirbt wieder ab. Der Name des Eindringlings lautet Benjamin.
So heißen alle Protagonisten in Benjamin Maacks Erzählungen - ein teuflischer Trick, um die Leser auf eine falsche, eine autobiographische Spur zu bringen. Oder um Verbindungen zwischen Geschehnissen herzustellen, die gar nichts verbindet. Der Benjamin aus "Australien", der Geschichte, die auf "Viel schlimmer als die dunklen Räume sind die spiegelnden Fenster" folgt, ist ein anderer. Steckte der Erzähler dem ersten Benjamin noch im Kopf, um mit seinen Augen in die fremde Welt des Harzes zu sehen, mit ihm zu denken, ohne aber mit ihm identisch zu sein, so sagt der Benjamin aus "Australien" als erstes Wort gleich "ich". Ich ist ein anderer. Er ist ein Kind - eines, dessen großer Bruder gestorben ist, doch über den Tod will in der Familie niemand reden; es heißt, der Bruder sei nun in Australien. Und Benjamin glaubt es. Als diese kurze Geschichte auserzählt ist, folgt nach zwei Vakatseiten in "Monster" eine lapidare Feststellung: "Ich glaube nicht an andere Menschen. Ich meine, ich glaube nicht, dass es andere Menschen gibt." Alles ist für Maack nur Benjamin.
Als Autor überlässt er seinen Lesern damit einen Teil des Schreibprozesses: die Zuschreibung von Rollen auf Figuren. Die Benjamine seiner Geschichten treten in Korrespondenzen, die nur durch ihre Namen begründet sind, aber plötzlich Brücken schlagen von Erzählung zu Erzählung. Den einen erklärt man sich mit den anderen. Und eins ist klar: Hinter irgendeiner X-Kombination der Handlung von "Xxxxxxxx" verbirgt sich auch wieder ein Benjamin. Womöglich ist es jener ominöse Xxx, dem wir das Eingangszitat verdanken, und die Deutung der X-Zeilen als Silbenschrift erwiese sich als richtig.
Wir wagen also mal die Vermutung, hinter Xxx stecke Benjamin. Schlimmstenfalls ist es Walter Benjamin, dann müsste man nun nur in der vieltausendseitigen Werkausgabe Silben auszählen und nach einem passenden Zitat suchen. Bestenfalls ist es Benjamin Maack selbst; dann reichte die Durchsicht von insgesamt knapp vierhundert Seiten in seinen drei Büchern (und ein paar zusätzlichen in Anthologien experimenteller Natur). Es ist ein Spiel, das Maack mit seiner Akte X betreibt, ein Spiel mit Typographie: diskrete Prosa als Analogie zur konkreten Poesie.
Das Spielen liegt diesem Schriftsteller im Blut. Er ist 1978 geboren und aufgewachsen in einer Zeit, als der Computer die Kinderzimmer eroberte und neue Welten anbot, die mit alten kulturtechnischen Verfahren arbeiteten: eben die Welt der Spiele. Die alte Kultur hat Maack studiert: Kunstgeschichte, Philosophie und Volkskunde. Die neue ist sein Job: Er arbeitet in Hamburg für "einestages", das Zeitgeschichtsportal von "Spiegel online". Er tritt aber auch als Rezensent von Literatur, Filmen, Comics, Musik und Spielen auf. Die Nennung erfolgt dabei in aufsteigender Komplexitätseinschätzung, denn Maack ist ein Autor, der an der Narration von Computerspielen alles misst, was heute sonst noch erzählt wird. Die Literatur hält er da selbst für abgehängt; dass er von ihr nicht lassen kann, zeigt, dass ihm die Sache trotzdem ernst ist.
Er lernt als Schriftsteller von dem, was er für avancierter hält. In der Mehrebenen-Ästhetik von Computerspielen findet er das Vorbild für seine eigenen Geschichten. Solche Spiele sind für ihn die faszinierendste Form gegenwärtiger Erzählung, weil sie etwas leisten, das die Literatur verloren hat: den Mut zum Experiment, zur Kombination der verschiedensten Formen im Dienste eines großen erzählerischen Zusammenhangs.
Für Maack sind die Spieleentwickler also die großen Erzähler unserer Zeit. Nach dem, was sie erzählen, ist er süchtig - so sehr, dass er sich selbst bei der Nutzung Grenzen auferlegt. Nur einmal im Jahr, in den Tagen nach Weihnachten, zieht er sich mit Duldung seiner Frau zurück, um zu spielen. Und er kommt nicht wieder heraus, bis das Spiel auserzählt hat. Dann ist er erfrischt, inspiriert für ein neues Jahr. Die Arbeit in der Netzredaktion lässt nicht mehr Zeit fürs Spielen zu. Die Familie lässt nicht mehr Zeit fürs Spielen zu.
Das literarische Schreiben lässt allein noch Zeit fürs Spielen zu. Ein Resultat ist "Xxxxxxxx". Hinter das Geheimnis dieser Erzählung will er sich ebenso wenig schauen lassen wie hinter das, was "Monster" sonst noch an Rätseln bietet. Benjamin Maack ist keine Hilfe bei der Deutung seiner selbst. Er ist aber eine große Stütze für die junge Literatur.
ANDREAS PLATTHAUS
Benjamin Maack: "Monster". Mairisch-Verlag 2012, 192 Seiten, 16,90 Euro
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