This book discusses the rationale of Nazi ethics and the moral conditioning of Nazi perpetrators aimed at developing a kind of "ethnic conscience" which restricted moral obligations to members of their own race community. It reconstructs how the universal ethics of humanism got turned upside down and replaced with the particularistic selective racial ethics and the pragmatics of eugenics and racial exterminatory politics. It shows how ordinary Germans became willing executioners of criminal and immoral deeds. Neither did they act without any moral orientation nor in the awareness that what they were doing was morally reprehensible. As perpetrators with a clear conscience they were convinced that the humiliation, persecution, deportation and, finally, killing of the Jews was the right thing to do.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gab es eine nationalsozialistische Moral? Spätestens mit dieser Arbeit von Wolfgang Bialas vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden scheint Michael Wildt die Frage beantwortet. Wenn Bialas seine Untersuchung akribisch auf die Basis breiter Lektüre nationalsozialistischer Schriften stellt und in Kapitel mit Überschriften, wie "Rasse", "Geschlecht" oder "Krieg" einteilt, um diese Moral vom bürgerlichen Humanismus zu unterscheiden, sieht sich Wildt im Panoptikum einer "schrecklichen Moralherrschaft". Allerdings bleibt die Frage des Übergangs von einer "Ordnung" zur anderen für den Rezensenten im Buch unbeantwortet. Und auch die Konsequenzen dieser Moral für das konkrete verbrecherische Handeln scheint ihm der Autor nicht empirisch genug angegangen zu sein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2014Tierfreund als Menschenfeind
Die nationalsozialistische Moral bezog sich nur auf die deutsche Volksgemeinschaft
Kann es eine nationalsozialistische Moral geben? Ist nicht der Nationalsozialismus die Unmoral schlechthin? Lange Zeit war die Antwort auf diese Fragen eindeutig, nicht zuletzt, weil die komplementären Aussagen, man sei zum Mitmachen gezwungen worden oder hätte von den Verbrechen nichts gewusst, die moralische Verurteilung kriminellen Verhaltens im Nationalsozialismus unangetastet ließen. Wie aber, wenn wir annehmen, dass die Täter wollten, was sie taten? Wenn sie von der Richtigkeit, ja von der moralischen Rechtfertigung ihres Tuns überzeugt waren? Seit einigen Jahren arbeiten Historiker und Philosophen wie Raphael Gross, Werner Konitzer, Peter J. Haas oder John K. Roth an dem Problem, ob es eine nationalsozialistische Moral gegeben habe, denen sich nun auch Wolfgang Bialas, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden ist, angeschlossen hat.
Bialas zeichnet mit seinem Buch, das auf einer breiten Lektüre nationalsozialistischer Schriften, insbesondere Artikeln aus der SS-Zeitschrift "Das Schwarze Korps", beruht, nach, wie sich die Moral des Nationalsozialismus radikal von einem bürgerlichen Humanismus abgrenzte. Nationalsozialistische Moral gründete auf Rasse und Blut. Weder das einzelne Individuum noch die Menschheit stellten den Bezugspunkt dar als ausschließlich das eigene Volk, die eigene Rasse. "Du als Einzelner bist nichts, Dein Volk ist alles", könnte als das Grundgesetz nationalsozialistischer Moral gelten. Alles war der "arteigenen" Entwicklung des deutschen Volkes, der "arischen Rasse" untergeordnet. Was der "Lebensfähigkeit" des eigenen Volkes nutzte, war rechtlich wie moralisch gerechtfertigt. Entsprechend galt umgekehrt, dass all diejenigen, die dem deutschen Volk angeblich Schaden zufügten oder seine "Lebensfähigkeit" behinderten, ohne jedes Mitleid oder schlechtes Gewissen unbarmherzig vernichtet werden müssten.
Eine solch radikal partikulare Moral, die sich allein auf die deutsche Volksgemeinschaft bezog, lehnte jede Universalität ab. Humanistische oder christliche Überzeugungen, dass alle Menschen gleich seien, sollten durch die Einsicht in die rassische Ungleichheit und das Recht des Stärkeren, sich durchzusetzen, abgelöst werden. Mitgefühl konnte nur dem eigenen Volk, der eigenen Rasse gelten. "Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10 000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht", formulierte Heinrich Himmler 1943, "interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird. Wir werden niemals roh und herzlos sein, wo es nicht sein muss; das ist klar. Wir Deutsche, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen, aber es ist ein Verbrechen gegen unser eigenes Blut, uns um sie Sorge zu machen."
Skrupellose Unterwerfung, Ausbeutung und Vernichtung nach außen, Gemeinschaftssinn, Hingabe und Opferbereitschaft nach innen. Die Herrenmoral bot den "rassereinen" Mitgliedern der Volksgemeinschaft ein Leben an der Sonne, verlangte aber auch unbedingte Loyalität, rastloses Bemühen, zur Optimierung des Volkskörpers beizutragen, und den selbstlosen Einsatz bis hin zur Aufopferung im Krieg. Der "neue Mensch", der den nationalsozialistischen Moralphilosophen vorschwebte, war ein totalitäres Ideal, im Alltag unerreichbar für die unheroischen Volksgenossen, die ihr Durchkommen sichern wollten.
Was Bialas akribisch mit einer überbordenden Fülle von mitunter redundanten Zitaten in systematischen Kapiteln zu Rasse, Religion, Geschlecht, Biologie, Krieg, Widerstand entfaltet, ist darum auch das Panoptikum einer schrecklichen Moralherrschaft, deren radikale Abkehr von humanistischen Überzeugungen allein in der verbrecherischen Entgrenzung menschlichen Handelns ihren Ausdruck fand. Sosehr die Täter positive moralische Werte zur Rechtfertigung ihres Tuns herbeizitierten, so wenig konnten sie damit die destruktive Dimension ihrer partikularen Herrenmoral verdecken.
Es bleibt ein offenes Problem, wie denn die bis dahin gültigen Moralordnungen nach 1933 verschwanden und nach 1945 wieder aufleben konnten. Bialas' umfassender Katalog einer nationalsozialistischen Moral lässt die Frage nach der Transformation moralischer Ordnungen und dem Übergang vom universalistischen Humanismus, wie ihn klassisch Immanuel Kant vertreten hat, zum partikularen Rassismus unbeantwortet.
Den hohen Ansprüchen des Kantschen Imperativs hätte er, so behauptete Eichmann 1961 im Jerusalemer Bezirksgericht, unter den Bedingungen des Nationalsozialismus nicht genügen können. Vielmehr habe er sich den Kantschen Imperativ "für den Hausgebrauch" zurechtgelegt: "Getreu dem Gesetz, gehorsam, selber ein ordentliches Leben führen, nicht mit den Gesetzen in Konflikt kommen." Von der Vernunft und der Fähigkeit eines selbständigen Urteils, die bei Kant im Zentrum moralischen Handelns stand, war, so hat Hannah Arendt bemerkt, bei Eichmann nur noch der Gehorsam übrig geblieben. So scharfsinnig Arendts Reflexion war, so sehr übersah sie, dass Eichmann kein Rädchen im Getriebe, sondern ein engagierter Exekutor des nationalsozialistischen Regimes war, der die Juden Europas unerbittlich verfolgte und noch in Argentinien seine Beteiligung an deren Vernichtung lobte.
Bialas' Katalog der moralischen Ordnungen im Nationalsozialismus erhellt die vielfältigen gesellschaftlichen Bereiche, in denen die neue Moral wirken sollte. In dieser Pluralität, die auch die Widersprüchlichkeit moralischer Konzepte, wenn es zum Beispiel um die Frage der Geschlechterordnung ging, offenbart, liegt ohne Zweifel die Stärke des Buches. Es wird schwach, wenn die Verbrechen als bloße Verwirklichung dieser neuen Moral interpretiert werden, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass Bialas die empirischen Forschungen zu nationalsozialistischen Tätern kaum einbezogen hat. Vielleicht sind weniger die Leitsätze einer nationalsozialistischen Moral als vielmehr gerade die Anschlussmöglichkeiten und die Modellierungen einer Alltagsmoral, die 1933 das Mitmachen erlaubte, ohne in größer Gewissenskonflikte zu stürzen, und 1945 wieder in die "Normalität" zurückkehren konnte, die eigentliche Herausforderung einer Beschäftigung mit Moral im Nationalsozialismus.
MICHAEL WILDT
Wolfgang Bialas: Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus. Verlag Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2014. 356 S. 64,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die nationalsozialistische Moral bezog sich nur auf die deutsche Volksgemeinschaft
Kann es eine nationalsozialistische Moral geben? Ist nicht der Nationalsozialismus die Unmoral schlechthin? Lange Zeit war die Antwort auf diese Fragen eindeutig, nicht zuletzt, weil die komplementären Aussagen, man sei zum Mitmachen gezwungen worden oder hätte von den Verbrechen nichts gewusst, die moralische Verurteilung kriminellen Verhaltens im Nationalsozialismus unangetastet ließen. Wie aber, wenn wir annehmen, dass die Täter wollten, was sie taten? Wenn sie von der Richtigkeit, ja von der moralischen Rechtfertigung ihres Tuns überzeugt waren? Seit einigen Jahren arbeiten Historiker und Philosophen wie Raphael Gross, Werner Konitzer, Peter J. Haas oder John K. Roth an dem Problem, ob es eine nationalsozialistische Moral gegeben habe, denen sich nun auch Wolfgang Bialas, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden ist, angeschlossen hat.
Bialas zeichnet mit seinem Buch, das auf einer breiten Lektüre nationalsozialistischer Schriften, insbesondere Artikeln aus der SS-Zeitschrift "Das Schwarze Korps", beruht, nach, wie sich die Moral des Nationalsozialismus radikal von einem bürgerlichen Humanismus abgrenzte. Nationalsozialistische Moral gründete auf Rasse und Blut. Weder das einzelne Individuum noch die Menschheit stellten den Bezugspunkt dar als ausschließlich das eigene Volk, die eigene Rasse. "Du als Einzelner bist nichts, Dein Volk ist alles", könnte als das Grundgesetz nationalsozialistischer Moral gelten. Alles war der "arteigenen" Entwicklung des deutschen Volkes, der "arischen Rasse" untergeordnet. Was der "Lebensfähigkeit" des eigenen Volkes nutzte, war rechtlich wie moralisch gerechtfertigt. Entsprechend galt umgekehrt, dass all diejenigen, die dem deutschen Volk angeblich Schaden zufügten oder seine "Lebensfähigkeit" behinderten, ohne jedes Mitleid oder schlechtes Gewissen unbarmherzig vernichtet werden müssten.
Eine solch radikal partikulare Moral, die sich allein auf die deutsche Volksgemeinschaft bezog, lehnte jede Universalität ab. Humanistische oder christliche Überzeugungen, dass alle Menschen gleich seien, sollten durch die Einsicht in die rassische Ungleichheit und das Recht des Stärkeren, sich durchzusetzen, abgelöst werden. Mitgefühl konnte nur dem eigenen Volk, der eigenen Rasse gelten. "Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10 000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht", formulierte Heinrich Himmler 1943, "interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird. Wir werden niemals roh und herzlos sein, wo es nicht sein muss; das ist klar. Wir Deutsche, die wir als einzige auf der Welt eine anständige Einstellung zum Tier haben, werden ja auch zu diesen Menschentieren eine anständige Einstellung einnehmen, aber es ist ein Verbrechen gegen unser eigenes Blut, uns um sie Sorge zu machen."
Skrupellose Unterwerfung, Ausbeutung und Vernichtung nach außen, Gemeinschaftssinn, Hingabe und Opferbereitschaft nach innen. Die Herrenmoral bot den "rassereinen" Mitgliedern der Volksgemeinschaft ein Leben an der Sonne, verlangte aber auch unbedingte Loyalität, rastloses Bemühen, zur Optimierung des Volkskörpers beizutragen, und den selbstlosen Einsatz bis hin zur Aufopferung im Krieg. Der "neue Mensch", der den nationalsozialistischen Moralphilosophen vorschwebte, war ein totalitäres Ideal, im Alltag unerreichbar für die unheroischen Volksgenossen, die ihr Durchkommen sichern wollten.
Was Bialas akribisch mit einer überbordenden Fülle von mitunter redundanten Zitaten in systematischen Kapiteln zu Rasse, Religion, Geschlecht, Biologie, Krieg, Widerstand entfaltet, ist darum auch das Panoptikum einer schrecklichen Moralherrschaft, deren radikale Abkehr von humanistischen Überzeugungen allein in der verbrecherischen Entgrenzung menschlichen Handelns ihren Ausdruck fand. Sosehr die Täter positive moralische Werte zur Rechtfertigung ihres Tuns herbeizitierten, so wenig konnten sie damit die destruktive Dimension ihrer partikularen Herrenmoral verdecken.
Es bleibt ein offenes Problem, wie denn die bis dahin gültigen Moralordnungen nach 1933 verschwanden und nach 1945 wieder aufleben konnten. Bialas' umfassender Katalog einer nationalsozialistischen Moral lässt die Frage nach der Transformation moralischer Ordnungen und dem Übergang vom universalistischen Humanismus, wie ihn klassisch Immanuel Kant vertreten hat, zum partikularen Rassismus unbeantwortet.
Den hohen Ansprüchen des Kantschen Imperativs hätte er, so behauptete Eichmann 1961 im Jerusalemer Bezirksgericht, unter den Bedingungen des Nationalsozialismus nicht genügen können. Vielmehr habe er sich den Kantschen Imperativ "für den Hausgebrauch" zurechtgelegt: "Getreu dem Gesetz, gehorsam, selber ein ordentliches Leben führen, nicht mit den Gesetzen in Konflikt kommen." Von der Vernunft und der Fähigkeit eines selbständigen Urteils, die bei Kant im Zentrum moralischen Handelns stand, war, so hat Hannah Arendt bemerkt, bei Eichmann nur noch der Gehorsam übrig geblieben. So scharfsinnig Arendts Reflexion war, so sehr übersah sie, dass Eichmann kein Rädchen im Getriebe, sondern ein engagierter Exekutor des nationalsozialistischen Regimes war, der die Juden Europas unerbittlich verfolgte und noch in Argentinien seine Beteiligung an deren Vernichtung lobte.
Bialas' Katalog der moralischen Ordnungen im Nationalsozialismus erhellt die vielfältigen gesellschaftlichen Bereiche, in denen die neue Moral wirken sollte. In dieser Pluralität, die auch die Widersprüchlichkeit moralischer Konzepte, wenn es zum Beispiel um die Frage der Geschlechterordnung ging, offenbart, liegt ohne Zweifel die Stärke des Buches. Es wird schwach, wenn die Verbrechen als bloße Verwirklichung dieser neuen Moral interpretiert werden, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass Bialas die empirischen Forschungen zu nationalsozialistischen Tätern kaum einbezogen hat. Vielleicht sind weniger die Leitsätze einer nationalsozialistischen Moral als vielmehr gerade die Anschlussmöglichkeiten und die Modellierungen einer Alltagsmoral, die 1933 das Mitmachen erlaubte, ohne in größer Gewissenskonflikte zu stürzen, und 1945 wieder in die "Normalität" zurückkehren konnte, die eigentliche Herausforderung einer Beschäftigung mit Moral im Nationalsozialismus.
MICHAEL WILDT
Wolfgang Bialas: Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus. Verlag Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2014. 356 S. 64,99 [Euro].
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