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Moral als Show: Wenn es wichtiger ist die richtige Haltung zu zeigen, als sie zu haben - und warum das ein Problem ist
Wir wollen gute Menschen sein, aber das allen anderen auch zeigen. Denn unser moralischer Charakter verschafft uns Anerkennung und Attraktivität. Doch durch den Einfluss der digitalen Medien wird Moral immer mehr zum Statussymbol und die öffentliche Diskussion zu einem Moralspektakel. Mit negativen Folgen, denn die inszenierte Moral führt zu Populismus, Symbolpolitik, verzerrter Forschung und wirkungslosen Maßnahmen gegen Diskriminierung. Statt uns in Schaukämpfen zu…mehr

Produktbeschreibung
Moral als Show: Wenn es wichtiger ist die richtige Haltung zu zeigen, als sie zu haben - und warum das ein Problem ist

Wir wollen gute Menschen sein, aber das allen anderen auch zeigen. Denn unser moralischer Charakter verschafft uns Anerkennung und Attraktivität. Doch durch den Einfluss der digitalen Medien wird Moral immer mehr zum Statussymbol und die öffentliche Diskussion zu einem Moralspektakel. Mit negativen Folgen, denn die inszenierte Moral führt zu Populismus, Symbolpolitik, verzerrter Forschung und wirkungslosen Maßnahmen gegen Diskriminierung. Statt uns in Schaukämpfen zu profilieren, zeigt uns Philipp Hübl, wie wir einer universellen Ethik folgen können, um reale Missstände zu beseitigen – einer Ethik, in der weder autoritäres Denken noch Opfergruppen im Mittelpunkt stehen, sondern der selbstbestimmte Mensch.
Autorenporträt
Philipp Hübl ist Philosoph und hat Theoretische Philosophie an der RWTH Aachen, der Humboldt-Universität Berlin und als Juniorprofessor an der Universität Stuttgart gelehrt. Danach war er Gastprofessor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Er ist Autor des Bestsellers »Folge dem weißen Kaninchen« (2012), der Bücher »Der Untergrund des Denkens« (2015), »Bullshit-Resistenz« (2018) und »Die aufgeregte Gesellschaft« (2019) sowie von Beiträgen unter anderem in der Zeit, FAZ, taz, NZZ, Welt, FR, im Standard, Deutschlandradio und Philosophie Magazin. Hübl hat Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford studiert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jannis Koltermann folgt interessiert Philipp Hübls Gedankengängen über die Moral. So stelle Hübl fest, dass es in heutigen Debatten mehr um die Art geht, wie man sich moralisch positioniert, als um die Aufdeckung eines Missstands. Ein "Kunstgriff" sei, neben dem durchgängigen Bezug auf junge Studien und Fakten, dabei auch Hübls Anspielung auf Bourdieu, wenn im Buch vom "moralischen Kapital" die Rede ist, das immer wichtiger für gesellschaftliche Akteure und deren Bezugsgruppen werde. Dabei wollten alle besonders im digitalen Raum besonders moralisch erscheinen, wodurch die Gesellschaft polarisierter wirkt, als sie ist, resümiert der Rezensent. Einige Passgen, zum Beispiel zur Stellung der Moral in einer postmateriellen Gesellschaft und dem Missbrauch von Moral innerhalb der Rechten, hätte sich der Kritiker ausführlicher gewünscht. Das Endergebnis erscheint dem Kritiker dennoch als gelungene Analyse der gegenwärtigen Rolle von Moral und als Plädoyer für eine stärkere Faktenbasiertheit in Debatten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2024

Die korrekte Haltung will gezeigt werden
Im Bann der Überbietungswettkämpfe: Philipp Hübl analysiert den Aufstieg moralischer Selbstdarstellung.

Wer kennt sie nicht, die Spiralen öffentlicher Empörung, die sich in den neuen Medien oft besonders schnell drehen? Zunächst wird jemand für eine Äußerung oder Handlung kritisiert, dann werden immer schärfere Konsequenzen für den Kritisierten gefordert und schließlich sogar jene gebrandmarkt, die je mit ihm in Kontakt standen. Etwas Ähnliches konnte man zuletzt wieder bei den Reaktionen auf die ausländerfeindlichen Gesänge auf Sylt beobachten. Bisweilen kann man dabei den Eindruck gewinnen, dass den Anklägern weniger daran gelegen ist, einen Missstand wie Xenophobie wirkungsvoll zu bekämpfen, als daran, sich durch möglichst radikale Forderungen als besonders moralisch zu präsentieren.

Philipp Hübl würde das, was hier passiert, als "Moralspektakel" bezeichnen. Ein solches liege immer dann vor, "wenn es in der moralischen Auseinandersetzung nicht um die Sache, sondern vorrangig um Selbstdarstellung geht". Der Philosoph und Publizist glaubt, dass dies in den vergangenen Jahren immer häufiger der Fall gewesen ist, möchte Erklärungen dafür bieten und die Nachteile dieser Entwicklung aufzeigen.

Hübls Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass auch Moral, wie etwa Bildung oder Besitz, zum gesellschaftlichen Status eines Menschen beitragen kann. Welches Ansehen ich genieße, hängt nicht nur davon ab, was ich weiß oder wie wohlhabend ich bin, sondern auch davon, ob ich als moralisch gut gelte. So weit, so wenig überraschend. Man fragt sich vielleicht, wie Hübl "Moral" definiert, was also das Spezifikum des "moralisch" guten Menschen ist. In der Praxis ist seine Terminologie aber intuitiv verständlich.

Hübls erster Kunstgriff besteht dann auch darin, für diese Funktion der Moral den Begriff des "moralischen Kapitals" einzuführen, in Anlehnung an die Soziologie Pierre Bourdieus und dessen Rede vom "ökonomischen" oder "kulturellen" Kapital. Denn wie in die eigene Bildung könne man auch in seine moralische Darstellung Zeit und Mühe investieren, etwa indem man sich politisch korrekte Sprache aneigne; man könne sein moralisches Kapital durch öffentliche Auszeichnungen erhöhen und es schließlich auch in andere Kapitalformen umwandeln: Ein gegen Rassismus engagierter Pianist erhalte mehr Auftritte als ein ähnlich begabter, aber unpolitischer Konkurrent. Das ist ein bestechender Gedanke, der eine gängige Erfahrung für soziologische Status-Diskurse nutzbar macht.

Sodann widmet sich Hübl der Genese des heutigen "Moralspektakels". Dass Moral als Teil des Statusspiels verhandelt wird, ist laut Hübl an sich nichts Neues und hat schon evolutionäre Gründe. In den vergangenen Jahren aber sei diese Funktion von Moral immer wichtiger geworden, aus vornehmlich zwei Gründen. Erstens habe die Bedeutung von anderen Kapitalformen wie Besitz in den postmateriellen Gesellschaften abgenommen und jene von nicht materiellen Gütern wie der Moral zugenommen (ein Gedanke, den Hübl mehrmals anreißt, dem er aber vielleicht nicht ganz die Aufmerksamkeit widmet, die er verdient).

Zweitens und vor allem sei mit den digitalen Medien eine neue Art der Öffentlichkeit entstanden, in der wir permanent Reputationsmanagement betreiben müssten. Leider jedoch führe dieses neue Umfeld nicht dazu, dass wir uns besonders viel Mühe gäben, moralisch zu handeln. Denn was wir wirklich tun und lassen, wie moralisch wir also sind, kann in der halb anonymen digitalen Öffentlichkeit kaum jemand wissen. Stattdessen gäben wir uns größte Mühe, moralisch zu erscheinen und Konkurrenten in unserer Statusgruppe in dieser Hinsicht möglichst noch zu übertrumpfen. So kommt es für Hübl zu den eingangs erwähnten Empörungsspiralen: Jeder Nutzer versucht, den anderen zu überbieten, indem er noch schärfere Maßnahmen gegen einen Übeltäter fordert und so seine moralisch korrekte Haltung noch deutlicher zur Schau stellt.

Die Güte einer Theorie zeigt sich nicht zuletzt daran, was sie erklären kann. Hübls Theorie kann einen Sachverhalt besonders gut erklären: dass wir einerseits den Eindruck haben, unsere Gesellschaft sei immer stärker gespalten, und dass andererseits Forschungen wie jene des Soziologen Steffen Mau zeigen, dass die politischen Ansichten der Deutschen mehrheitlich in der Mitte liegen und keineswegs polarisiert sind. Laut Hübl liegt diese Diskrepanz darin begründet, dass das moralische Statusspiel Extrempositionen begünstige und Differenzierungen erschwere. Denn mit "einerseits . . . andererseits . . ." mache man sich für Fehlinterpretationen angreifbar und könne auf keiner Seite punkten. So scheinen die Meinungen der Deutschen in der digitalen Öffentlichkeit deutlich radikaler und polarisierter, als sie tatsächlich sind.

Dies alles ist stringent und überzeugend argumentiert. Manchmal holt Hübl womöglich etwas weit aus: Hätten wir wirklich noch lernen müssen, wie verschiedene Maßnahmen der katholischen Kirche zur Herausbildung der westlichen Autonomiekultur beigetragen haben? Und im zweiten Teil des Buchs geht Hübl vielleicht etwas zu genau daran, verschiedene Fehlannahmen der links-progressiven Bewegung zu entlarven, lange nachdem man sein Grundprinzip verstanden hat. Vielleicht hätte man den Blick hier eher auch auf die politische Rechte wenden können, die laut Hübl das moralische Statusspiel ebenso betreibt - mit welchen Unterschieden? Wichtiger aber ist, dass Hübl seine Annahmen durchweg gut belegt und dabei auf zahlreiche jüngere Studien verweist. In Zeiten, in denen Argumente in vielen populären Büchern durch Erzählung oder Polemik ersetzt werden, liest man das von Anfang mit Vergnügen.

Gegen Ende erkennt man dann, dass diese Art der Argumentation für Hübl nicht nur Methode, sondern auch Teil der Lösung ist. Denn seine Antwort auf Moralspektakel lautet kurz gesagt: "Fakten". Um Überbietungswettkämpfe zu verhindern, möchte er den moralischen Diskurs wieder stärker auf wissenschaftliche Evidenzen zurückführen. Anstatt irgendwelche "Zeichen" setzen zu wollen, sollten wir Vorschläge und Kritik danach beurteilen, welcher Nutzen oder Schaden durch eine Handlung tatsächlich entsteht. So könnten Morallabels nach objektiven Kriterien das "Greenwashing" von Unternehmen unterbinden und Diversitätstrainings durch nachweislich effektivere Mentoringprogramme ersetzt werden. Auch hier möchte man Hübl folgen. "Moralspektakel" bleibt in Erinnerung, als Begriff und als Buch. JANNIS KOLTERMANN

Philipp Hübl: "Moralspektakel". Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht.

Siedler Verlag, München 2024. 336 S., geb., 26,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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