Die "Verwandlungen" des Ibn Naqiya sind ein ungehobener Schatz der arabischen Literatur. Nur durch Glück hat sich eine einzige Handschrift der anstößigen, alle Konventionen aufs Korn nehmenden Erzählungen über die Jahrhunderte erhalten. Erstmals aus dem Arabischen übersetzt, entfalten die Geschichten auch für heutige Leser ihren subversiven Charme.
Bagdad war im 11. Jahrhundert vielleicht die wichtigste, sicher aber die interessanteste Stadt der Welt, bevölkert von Theologen, Philosophen und Freigeistern, Künstlern und Kaufleuten, Söldnern und Banditen. In diesem Milieu spielen die zehn zwischen Derbheit, Posse und Raffinement changierenden Episoden des Bagdader Schriftstellers Ibn Naqiya (1020 - 1092). In ihrem Mittelpunkt steht der listenreiche al-Yaschkuri, der sich mithilfe seines Sprachwitzes, seiner Verschlagenheit und seiner stets neuen Verwandlungen durch eine unwirtliche Welt schlägt. Verkleidet als Bettler oder Prediger, als frommer Moscheebesucher, Gelehrter oder Prophet zieht er durch die Lande und meistert pfiffig und unverschämt die Herausforderungen des (Über-)Lebens.
Bagdad war im 11. Jahrhundert vielleicht die wichtigste, sicher aber die interessanteste Stadt der Welt, bevölkert von Theologen, Philosophen und Freigeistern, Künstlern und Kaufleuten, Söldnern und Banditen. In diesem Milieu spielen die zehn zwischen Derbheit, Posse und Raffinement changierenden Episoden des Bagdader Schriftstellers Ibn Naqiya (1020 - 1092). In ihrem Mittelpunkt steht der listenreiche al-Yaschkuri, der sich mithilfe seines Sprachwitzes, seiner Verschlagenheit und seiner stets neuen Verwandlungen durch eine unwirtliche Welt schlägt. Verkleidet als Bettler oder Prediger, als frommer Moscheebesucher, Gelehrter oder Prophet zieht er durch die Lande und meistert pfiffig und unverschämt die Herausforderungen des (Über-)Lebens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2019Ein vergnüglich falscher Prophet
Gebot ist heute der Wein: Stefan Wild übersetzt die Schwankdichtung des Ibn Naqiya.
Die klassische arabische Literatur hat eine Reihe von Genres aufzuweisen, für die es im abendländischen Kanon kaum Vergleichbares gibt. Dazu zählt die Reimprosa. Sie prägte schon den Koran und entwickelte sich im zehnten Jahrhunderte zu einer der originellsten Erzählformen der Weltliteratur: zur Maqame, wörtlich übersetzt "Standrede". Inhaltlich sind die Maqamen mit der pikaresken Literatur in Renaissance und Barock in Europa verwandt, anders als die volksnahen Schelmenromane jedoch hochartifiziell. In ihnen regiert das Sprachspiel, die gelehrte Anspielung, das Zitat. Das erklärt, weshalb sie trotz ihrer Bedeutung wenig bekannt sind und selten übertragen wurden, wobei der deutschsprachige Raum eine glückliche Ausnahme darstellt.
Schon im neunzehnten Jahrhundert hatte Friedrich Rückert sich an den Dichter Hariri (gestorben 1122) aus Basra gewagt, der aus den Maqamen sprachliche Artistik machte. Mit der kongenialen Übersetzung ausgerechnet dieses eigentlich unübersetzbaren Werks wollte Rückert seine kosmopolitische Sprachphilosophie unter Beweis stellen: Das Deutsche sollte in die Lage versetzt werden, jede Literatur der Welt angemessen wiederzugeben, womit der (Rückert auch persönlich zerreißende) Widerspruch zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus aufgehoben wäre.
Stefan Wild, Bonner Emeritus für Islamwissenschaften, legt jetzt das Maqamenwerk des Bagdader Kaufmanns und homme de lettre Ibn Naqiya (1020 bis 1092) auf Deutsch vor. Es ist lange Zeit übersehen worden und schmal: Die eigentliche Übersetzung umfasst mit sechzig Seiten nur die Hälfte des schön gestalteten Buchs. Diese wenigen Seiten aber stecken voller Sprengstoff, Frivolitäten, Blasphemien, groben und feinen Scherzen, Anspielungen und Zitaten.
Wie bei Maqamen üblich ist der Protagonist ein Schelm oder Trickster, der in immer neuen Verwandlungen auftritt. Daher nennt Stefan Wild, wie schon Rückert, die Maqamen auch "Verwandlungen". Während es unmöglich ist, Al-Yaschkuri, dem Held bei Ibn Naqiya, ein psychologisches Profil zuzuordnen, so steht er doch für eine bestimmte Klasse: für das gebildete, aber vom gesellschaftlichen Aufstieg ausgeschlossene Prekariat, das auch gegenwärtig die Proteste in der arabischen Welt trägt. Al-Yashkuri ist eine Art vormoderner, islamischer Joker, ein Verwandlungs- und Überlebenskünstler am äußersten Rand der Gesellschaft, dem es mit Schlagfertigkeit und Frechheit gelingt, für kurze Zeit die Klassenschranken zu durchbrechen, bis er irgendwann auffliegt oder sich zu erkennen gibt, wenn er die Wohlhabenden und Wohlanständigen bloßgestellt hat.
Jede Maqame (selten mehr als ein paar Seiten lang) bildet eine abschlossene Anekdote, eine durchgehende Handlung gibt es nicht. Erzählt wird stets aus der Perspektive eines feinen Herren, in dessen wohlgeordnete Welt sich Al-Yashkuri Eingang verschafft oder dessen Weg er kreuzt. Die ursprünglichste Gestalt dieses Tricksters ist der gewiefte Bettler. In der vierten Maqame gibt er sich als blind aus, um eine Festgesellschaft zum Mitleid zu bewegen. Als er enttarnt wird, ist er alles andere als reumütig: ",Verfluchter Lügenbold! Du hast uns glauben machen gewollt, / dass Gott dir deine Sehkraft genommen. / Doch kerngesund bist du hierher gekommen . . .' Da lächelte er und sagte geschwind: ,Sei zufrieden, dass ich nur im Herzen blind / und mein Hintern niemals Ruhe find't'."
Das Auftauchen des gesellschaftlichen Outsiders Al-Yashkuri ist für Ibn Naqiya Vorwand und Freibrief, die bürgerlichen Konventionen zu sprengen und Tacheles zu reden - wobei genau dies der Konvention der Maqamen entspricht. Das Genre setzt den Text gleichsam in Anführungszeichen und signalisiert, dass alles nur ein literarisches Spiel ist, weswegen man darin alles sagen, aufzeigen und durchspielen kann, was sonst unsagbar wäre. Um den schillernden Reiz der Maqamen begreiflich zu machen, lese man die vorzügliche, weit ausgreifende Einleitung des Übersetzers, die nichts Geringeres als eine kurzgefasste Kulturgeschichte des Islams ist und vom Koran bis zu den kuriosen Weinliedern von Khomeini reicht.
So allegorisch diese zu verstehen sind, so real dürften die Anlässe für die vielen derben Scherze gewesen sein, wie wir in diesen Maqamen lesen dürfen. Darunter finden sich Verse wie die folgenden, die, man weiß es nicht recht, entweder die Selbstironie oder die Selbstbehauptung damaliger Homosexueller widerspiegeln: "Was für ein starker Stoß, zerreißend alle Schleier! / Wie nah am Miste fand ich meine Eier." An anderen Stellen werden die Grenzen des religiös Sagbaren ausgetestet. Besonders blasphemisch ist die "Prophetenmaqame". Al-Yashkuri wagt es, als neuer Prophet aufzutreten, obwohl Mohammed im Islam als das "Siegel der Propheten", das heißt als der letzte Gesandte Gottes gilt. Zum großen Spaß der Tischgesellschaft, die ihm Einlass gewährt hat, verkündet er: "Gebot ist heute der Wein / Der Morgen soll eure Sorge nicht sein." Als er aufgefordert wird, sein Prophetentum durch ein Wunder zu beweisen, zeigt er, dass er die Gedanken der Anwesenden lesen kann: "Im Herzen geschrieben euch steht, ich sei Lügner und falscher Prophet."
Stefan Wild macht es sich bei seiner Übertragung fast schwerer als nötig, indem er die Reimprosa in Verse umbricht. So tritt jedoch die artifizielle Machart der Maqamen schön hervor. Seine Übersetzung steht damit glücklich zwischen Rückerts deutschem Hariri und derjenigen der Maqamen Hamadhanis, des Begründers der Gattung, die Gernot Rotter in den achtziger Jahren in eine behutsam mit Reimen durchsetzte deutsche Prosa gebracht hat.
STEFAN WEIDNER
Ibn Naqiya: "Moscheen, Wein und böse Geister".
Zehn Verwandlungen.
Aus dem Arabischen von Stefan Wild.
C. H. Beck Verlag,
München 2019.
140 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gebot ist heute der Wein: Stefan Wild übersetzt die Schwankdichtung des Ibn Naqiya.
Die klassische arabische Literatur hat eine Reihe von Genres aufzuweisen, für die es im abendländischen Kanon kaum Vergleichbares gibt. Dazu zählt die Reimprosa. Sie prägte schon den Koran und entwickelte sich im zehnten Jahrhunderte zu einer der originellsten Erzählformen der Weltliteratur: zur Maqame, wörtlich übersetzt "Standrede". Inhaltlich sind die Maqamen mit der pikaresken Literatur in Renaissance und Barock in Europa verwandt, anders als die volksnahen Schelmenromane jedoch hochartifiziell. In ihnen regiert das Sprachspiel, die gelehrte Anspielung, das Zitat. Das erklärt, weshalb sie trotz ihrer Bedeutung wenig bekannt sind und selten übertragen wurden, wobei der deutschsprachige Raum eine glückliche Ausnahme darstellt.
Schon im neunzehnten Jahrhundert hatte Friedrich Rückert sich an den Dichter Hariri (gestorben 1122) aus Basra gewagt, der aus den Maqamen sprachliche Artistik machte. Mit der kongenialen Übersetzung ausgerechnet dieses eigentlich unübersetzbaren Werks wollte Rückert seine kosmopolitische Sprachphilosophie unter Beweis stellen: Das Deutsche sollte in die Lage versetzt werden, jede Literatur der Welt angemessen wiederzugeben, womit der (Rückert auch persönlich zerreißende) Widerspruch zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus aufgehoben wäre.
Stefan Wild, Bonner Emeritus für Islamwissenschaften, legt jetzt das Maqamenwerk des Bagdader Kaufmanns und homme de lettre Ibn Naqiya (1020 bis 1092) auf Deutsch vor. Es ist lange Zeit übersehen worden und schmal: Die eigentliche Übersetzung umfasst mit sechzig Seiten nur die Hälfte des schön gestalteten Buchs. Diese wenigen Seiten aber stecken voller Sprengstoff, Frivolitäten, Blasphemien, groben und feinen Scherzen, Anspielungen und Zitaten.
Wie bei Maqamen üblich ist der Protagonist ein Schelm oder Trickster, der in immer neuen Verwandlungen auftritt. Daher nennt Stefan Wild, wie schon Rückert, die Maqamen auch "Verwandlungen". Während es unmöglich ist, Al-Yaschkuri, dem Held bei Ibn Naqiya, ein psychologisches Profil zuzuordnen, so steht er doch für eine bestimmte Klasse: für das gebildete, aber vom gesellschaftlichen Aufstieg ausgeschlossene Prekariat, das auch gegenwärtig die Proteste in der arabischen Welt trägt. Al-Yashkuri ist eine Art vormoderner, islamischer Joker, ein Verwandlungs- und Überlebenskünstler am äußersten Rand der Gesellschaft, dem es mit Schlagfertigkeit und Frechheit gelingt, für kurze Zeit die Klassenschranken zu durchbrechen, bis er irgendwann auffliegt oder sich zu erkennen gibt, wenn er die Wohlhabenden und Wohlanständigen bloßgestellt hat.
Jede Maqame (selten mehr als ein paar Seiten lang) bildet eine abschlossene Anekdote, eine durchgehende Handlung gibt es nicht. Erzählt wird stets aus der Perspektive eines feinen Herren, in dessen wohlgeordnete Welt sich Al-Yashkuri Eingang verschafft oder dessen Weg er kreuzt. Die ursprünglichste Gestalt dieses Tricksters ist der gewiefte Bettler. In der vierten Maqame gibt er sich als blind aus, um eine Festgesellschaft zum Mitleid zu bewegen. Als er enttarnt wird, ist er alles andere als reumütig: ",Verfluchter Lügenbold! Du hast uns glauben machen gewollt, / dass Gott dir deine Sehkraft genommen. / Doch kerngesund bist du hierher gekommen . . .' Da lächelte er und sagte geschwind: ,Sei zufrieden, dass ich nur im Herzen blind / und mein Hintern niemals Ruhe find't'."
Das Auftauchen des gesellschaftlichen Outsiders Al-Yashkuri ist für Ibn Naqiya Vorwand und Freibrief, die bürgerlichen Konventionen zu sprengen und Tacheles zu reden - wobei genau dies der Konvention der Maqamen entspricht. Das Genre setzt den Text gleichsam in Anführungszeichen und signalisiert, dass alles nur ein literarisches Spiel ist, weswegen man darin alles sagen, aufzeigen und durchspielen kann, was sonst unsagbar wäre. Um den schillernden Reiz der Maqamen begreiflich zu machen, lese man die vorzügliche, weit ausgreifende Einleitung des Übersetzers, die nichts Geringeres als eine kurzgefasste Kulturgeschichte des Islams ist und vom Koran bis zu den kuriosen Weinliedern von Khomeini reicht.
So allegorisch diese zu verstehen sind, so real dürften die Anlässe für die vielen derben Scherze gewesen sein, wie wir in diesen Maqamen lesen dürfen. Darunter finden sich Verse wie die folgenden, die, man weiß es nicht recht, entweder die Selbstironie oder die Selbstbehauptung damaliger Homosexueller widerspiegeln: "Was für ein starker Stoß, zerreißend alle Schleier! / Wie nah am Miste fand ich meine Eier." An anderen Stellen werden die Grenzen des religiös Sagbaren ausgetestet. Besonders blasphemisch ist die "Prophetenmaqame". Al-Yashkuri wagt es, als neuer Prophet aufzutreten, obwohl Mohammed im Islam als das "Siegel der Propheten", das heißt als der letzte Gesandte Gottes gilt. Zum großen Spaß der Tischgesellschaft, die ihm Einlass gewährt hat, verkündet er: "Gebot ist heute der Wein / Der Morgen soll eure Sorge nicht sein." Als er aufgefordert wird, sein Prophetentum durch ein Wunder zu beweisen, zeigt er, dass er die Gedanken der Anwesenden lesen kann: "Im Herzen geschrieben euch steht, ich sei Lügner und falscher Prophet."
Stefan Wild macht es sich bei seiner Übertragung fast schwerer als nötig, indem er die Reimprosa in Verse umbricht. So tritt jedoch die artifizielle Machart der Maqamen schön hervor. Seine Übersetzung steht damit glücklich zwischen Rückerts deutschem Hariri und derjenigen der Maqamen Hamadhanis, des Begründers der Gattung, die Gernot Rotter in den achtziger Jahren in eine behutsam mit Reimen durchsetzte deutsche Prosa gebracht hat.
STEFAN WEIDNER
Ibn Naqiya: "Moscheen, Wein und böse Geister".
Zehn Verwandlungen.
Aus dem Arabischen von Stefan Wild.
C. H. Beck Verlag,
München 2019.
140 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Tatsächlich sind die Streiche und Stiche, die Hinterlistigkeiten und Geschichten Al-Yaschkuris erstaunlich modern, was nicht zuletzt Stefan Wilds Übersetzung zu verdanken ist. Nach eigener Aussage hat er sich stilistisch an Rückert ebenso wie an Robert Gernhardt orientiert."
Quantara, Gerrit Wustmann
"Eine Lektüre, amüsant und lehrreich zugleich, die großes Gefallen findet. Dank dem Herausgeber für die Mühe."
Deutsch-Arabische Gesellschaft, Helga Walter-Joswig
"Stefan Wild bringt eines der schillerndsten Werke der klassischen arabischen Dichtkunst in federleichtes Deutsch und führt zugleich wie nebenher in eine Kultur ein, die beispielhaft fromm und empörend frivol sein konnte - am selben Ort, zur selben Zeit, im selben Buch."
Navid Kermani
Quantara, Gerrit Wustmann
"Eine Lektüre, amüsant und lehrreich zugleich, die großes Gefallen findet. Dank dem Herausgeber für die Mühe."
Deutsch-Arabische Gesellschaft, Helga Walter-Joswig
"Stefan Wild bringt eines der schillerndsten Werke der klassischen arabischen Dichtkunst in federleichtes Deutsch und führt zugleich wie nebenher in eine Kultur ein, die beispielhaft fromm und empörend frivol sein konnte - am selben Ort, zur selben Zeit, im selben Buch."
Navid Kermani